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Theologisches Seminar | Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät Zentrum für Kirchenentwicklung

Gott ja, beten und Gottesdienst nein

Thomas Schlag in der Neuen Zürcher Zeitung über die erste grosse Schweizer Konfirmanden-Studie

Geschenke und ein Fest: Das sind die Hauptmotive für junge Reformierte, sich konfirmieren zu lassen. Trotzdem steckt aus Sicht der Kirche einiges Potenzial in der nachrückenden Generation.

von Simon Hehli

Die Zahl springt ins Auge: 90 Prozent der 14- bis 15-Jährigen bezeichnen sich als wenig oder gar nicht religiös. Und dabei handelt es sich nicht um den Nachwuchs von strammen Atheisten – sondern um Schweizer Konfirmanden. Wächst da also selbst innerhalb der Kirche eine gottlose Generation heran? Nein, sagt Thomas Schlag. Der Zürcher Theologieprofessor untersuchte zusammen mit seiner Mitarbeiterin Muriel Koch die Konfirmationsarbeit. Für die Studie, die der NZZ vorliegt, haben sie in zwei Wellen mehrere tausend Konfirmanden zu ihren Einstellungen und Erfahrungen befragt (siehe Kasten). Dass sich kaum ein Konfirmand selber als religiös bezeichnet, ist laut Schlag nicht unbedingt der Vorbote eines nahenden Untergangs der institutionellen Religion. Vielmehr reagierten Jugendliche sensibel, wenn man sie «labeln» wolle. «Sie möchten nicht mit Frömmlern in einen Topf geworfen werden.»

Fragt man nach konkreten Glaubensinhalten, tritt die zuvor bestrittene Religiosität durchaus zutage: 51 Prozent der Konfirmanden sagen, sie glaubten an Gott. Das wiederum bedeutet noch nicht, dass zentrale Glaubensinhalte mehrheitsfähig sind. Nur 37 Prozent glauben, dass Jesus auferstanden ist. Ein Drittel hält die Welt für von Gott erschaffen. 60 Prozent geben an, dass sie nie über religiöse Fragen nachdenken. Und bloss jeder Siebte betet oft.
 

Bringt mir das was?

Trotz dieser ambivalenten Haltung gegenüber dem Glauben lässt sich nach wie vor ein Grossteil der reformiert getauften Jugendlichen konfirmieren. Die meisten sehen darin die logische Konsequenz der eigenen Taufe, nur ein kleiner Teil fühlt sich gezwungen. Die Hauptmotive, an der Konfirmationszeit teilzunehmen, sind jedoch nicht religiöser Natur im engeren Sinn – etwa, den Segen zu empfangen oder mehr über Gott zu erfahren. Im Vordergrund steht vielmehr die Aussicht auf ein grosses Fest und Geschenke. Und die Konfirmanden wollen Spass in der Gemeinschaft haben, weshalb besonders das Konfirmationslager beliebt ist.

Das sei typisch, sagt die Theologin Koch, die selber in Riehen (BS) Konfirmationsunterricht gibt. «Die Jugendlichen fragen sich immer: Bringt mir das was?» Sie nimmt die heute 15-Jährigen – also die letzten Ausläufer der Generation Y – als pragmatisch wahr, als angepasst und wenig rebellisch. Und als selbstbewusst: «Sie können problemlos einen Vortrag über sich selber halten, das konnte meine Generation nicht», sagt die 30-Jährige. Doch die gegen aussen demonstrierte Selbstsicherheit geht oft einher mit Unsicherheit über die eigene Zukunft. «Diese Generation wächst nicht mit der Gewissheit auf, später problemlos einen Job zu finden», sagt Koch. Diese Ambivalenz führe zu einem neuen Wertkonservativismus, verbunden mit einem gesteigerten Interesse für Traditionen – was für die Kirche als Institution nicht nachteilig sein muss. So geben mehr als 80 Prozent der Jugendlichen an, ihre Kinder ebenfalls taufen lassen zu wollen.
 

Missionieren bringt nichts

Rückblickend geben über 80 Prozent der Befragten an, im Konfirmationsjahr eine gute Zeit gehabt zu haben. Nur für drei von zehn Jugendlichen allerdings ist der Glaube im Alltag wichtiger geworden, die Hälfte findet, die Inhalte des «Komf»-Unterrichts hätten kaum etwas mit ihrem Alltag zu tun. «Die Mehrheit nimmt den Unterricht mit Interesse, aber auch einer distanzierten Coolness wahr», sagt Koch. Um die Distanz zu überbrücken, rät sie den Pfarrpersonen, den Jugendlichen auf anschauliche Art zu erzählen, was für sie selber Glauben bedeute. Das sei jedoch ein schmaler Grat: «Sobald die Jugendlichen das Gefühl haben, jemand missioniere, verschliessen sie sich.» Denn auf Autonomie zu pochen, sei in dieser Lebensphase besonders wichtig.

Mit der Konfirmation sind die 15-Jährigen vollwertige Mitglieder der reformierten Kirche. Und damit auch religiös reif? «Gerade im Protestantismus ist der Glauben eine lebenslange, nie abgeschlossene Entwicklung», antwortet Koch. Thomas Schlag erwartet nicht, dass ein Grossteil der Konfirmierten künftig jeden Sonntag in der Kirche auftaucht – alleine schon, weil laut Studie eine Mehrheit klassische Gottesdienste für langweilig hält. Doch das ist für den Theologen nicht der entscheidende Indikator für kirchliches Engagement. Immerhin jeder fünfte Befragte kann sich vorstellen, nach der Konfirmation freiwillig in der Kirche mitzuarbeiten. Diese Jugendlichen sollte die Kirche längerfristig einzubinden versuchen, findet Schlag. Er schlägt vor, sie in spätere Lager mitzunehmen, damit sie für die Jüngeren eine Vorbildfunktion erfüllen können.
 

Weiterbildung für Pfarrer

Schlag sieht durch die nachrückende Generation den «Fortbestand des reformierten Christseins» in der Schweiz zwar gesichert. Doch damit sich die Kirchenbänke nicht weiter leeren, braucht es vermehrte Anstrengungen. Schlag fordert eine Professionalisierung der Konfirmationsarbeit, etwa durch bessere Lehrmittel und breite Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Pfarrerinnen und Pfarrer. Rund ein Drittel der Konfirmanden laufe heute nur mit, ohne sich im Unterricht persönlich angesprochen zu fühlen. «Die Wahrscheinlichkeit ist klein, dass gerade diese Leute zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben den Weg zurück in den Gottesdienst finden», so Schlag. «Das kann sich die Volkskirche nicht leisten.»
 

Erste grosse Schweizer Konfirmanden-Studie

hhs. ⋅ In den Jahren 2007 und 2008 gab es erstmals eine europäische Untersuchung zur Konfirmandenarbeit in neun Ländern mit evangelischen Gemeinden. Damals beteiligte sich auch die Zürcher Landeskirche. Doch nun liegt erstmals eine Studie mit gesamtschweizerischen Zahlen aus praktisch allen Kantonen vor. Die Theologen Thomas Schlag und Muriel Koch von der Universität Zürich haben in einer ersten Welle im Herbst 2012 7200 Konfirmanden aus allen Landesteilen befragt, in einer zweiten Runde im Frühling 2013 nahmen von diesen noch 6450 teil. Ebenfalls interviewt wurden knapp 800 haupt- und ehrenamtliche Kirchenmitarbeiter, die für den Konfirmationsunterricht zuständig sind. Ein Grossteil der rund 130 Fragen entstammt der gleichzeitig durchgeführten zweiten europaweiten Studie, so dass Vergleiche über die Länder hinweg möglich sind. Am nächsten Samstagvormittag wird die Studie im Rahmen einer Tagung an der Theologischen Fakultät in Zürich präsentiert.

Quelle: NZZ