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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 22.06.2008

Predigt zu 2. Thessalonicher 3:1-5, verfasst von Hans Uwe Hüllweg

Liebe Gemeinde,

das hätte er sich wohl kaum träumen lassen: Sein Bild, eigentlich bloß eine Vorskizze zu einem großen Altarbild, genießt seit exakt 500 Jahren ungebrochene Popularität. Ich habe es an der Wand hängen sehen in unzähligen Wohnungen und Altenheimzimmern, die ich im Laufe meines Dienstes besucht habe. Einer der größten deutschen Maler und Grafiker, Albrecht Dürer, hat es im Jahre 1508 geschaffen. Er hat nicht vorhersehen können, dass die „Betenden Hände" sein bei weitem erfolgreichstes, weltweit verbreitetes Bild werden würde. Es gibt sogar eine Doktorarbeit über die unzähligen verkitschten Versionen dieses Bildes, für die der Maler selbst natürlich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das Original aber ist für mich ein anschauliches, einfaches, sofort verständliches und damit großartiges Symbol für das Gebet, und um das geht es schließlich in unserem Bibeltext. „Betet für uns", heißt es da gleich am Anfang.

Offenbar hat der Briefschreiber Grund dazu, seine Thessalonicher zur Fürbitte für ihn und seine Mitgeschwister anzuhalten. Es lief wohl nicht alles rund in seiner gegenwärtigen „Mission", seiner Aufgabe, das Evangelium zu verbreiten und für die Konsolidierung der noch jungen Gemeinden zu sorgen. Er spricht von „falschen und bösen Menschen", von denen er „erlöst" werden möchte; er mahnt im Abschnitt vorher zum „Festhalten an der Lehre"; er schreibt vom „Auftreten des Widersachers". Offenbar hat er Stress in seinem eigenen Umkreis und macht sich dazu noch Sorgen um die junge Gemeinde in Thessalonich, im heutigen Saloniki.

Schon vor 2000 Jahren war diese Stadt ein Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und dem Orient, römische Provinzialhauptstadt, mit eigener Gerichtsbarkeit und Verwaltung, mit starker Festung und Tag und Nacht quirligen Docks, ein multikultureller Tummelplatz der Temperamente, Nationalitäten und Religionen.

In dieser wirbelnden Gesellschaft hatte sich die Verkündigung des Evangeliums durch Paulus und seine Mitstreiter zunächst gut angelassen, wie schon in einigen der antiken Städte rund um den östlichen Teil des Mittelmeeres. Die Botschaft des wortgewaltigen Apostels trifft zunächst auf Anklang, Echo und Zuspruch. Es findet sich eine kleine Gemeinde zusammen. Sie bewährt sich unter widrigen Umständen, wie wir aus dem 1. Thessalonicherbrief wissen, und entfaltet ihrerseits eine wohl recht erfolgreiche Missionstätigkeit.

Doch bald, wie schon so oft, gibt es Ärger. Paulus wird von seinen Feinden in der Stadt bei den Behörden denunziert und politischen Verdächtigungen ausgesetzt. Es ist sogar von einem seinetwegen angezettelten Tumult die Rede, wohl um die Behörden zum Handeln gegen die angeblichen Unruhestifter zu zwingen. Um der befürchteten Verhaftung zu entgehen, musste er seinerzeit bei Nacht und Nebel fliehen.

Nicht nur von äußeren Feinden, sondern auch von Innen heraus ist die Gemeinde in Gefahr. Verrückte Ideen schwirren dort in Thessalonich herum und verwirren die Gemeindeglieder. Christus soll vermeintlich unmittelbar wiederkommen, und das hat die Gemüter in helle Aufregung versetzt.

Ob Paulus selbst diesen zweiten Brief nach Thessalonich schreibt oder ein anderer unter seinem Namen (darauf deutet einiges hin), mag dahingestellt sein. Auf jeden Fall gibt es Anlass zu großer Sorge um die Christen in Thessalonich.

Diese Sorge mündet in eine Feststellung des Verfassers, die mir sehr bitter klingt: „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding." Vor einer solchen Enttäuschung waren offenbar weder der bedeutendste Missionar der Christenheit, Paulus, noch die anderen aus der Gründergeneration gefeit.

In diesem Satz gipfelt eine Erfahrung, die auch wir zu unserem Leidwesen heute immer noch machen müssen: „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding." Das war die Realität schon zu allen Zeiten, und sie wird es auch in Zukunft sein. Der Glaube an Jesus Christus ist nicht einfach eine pure Selbstverständlichkeit. Er stellt sich nicht sozusagen automatisch ein, wenn man ein paar Predigten auf dem Marktplatz oder im Radio hält.

Stattdessen muss man ihn immer wieder neu begründen. Man muss ihn mitreißend verkündigen. Vor allem, muss er dauerhaft überzeugend gelebt werden. Und selbst dann ist er immer noch nicht „jedermanns und jederfrau Ding". Die einzelnen Christen, ebenso wie die Kirche insgesamt, müssen sich dieser Realität stellen und den Gefahren nüchtern ins Auge sehen.

Da ist einmal die Gefahr von außen. Der Atheismus zum Beispiel erhebt bis heute immer wieder seine Stimme und behauptet, Gott gebe es nicht. Vor einem Jahr hat das Buch mit dem Titel „Gotteswahn" eines britischen Biologen und Zoologen namens Richard Dawkins die Bestsellerlisten gestürmt. Darin leugnet er die Existenz Gottes, bezeichnet sie als wissenschaftlich nicht haltbar und nennt das Gottesbild der Bibel grausam. Die Religionen - darunter auch die christliche - seien im Grunde nicht für alle, aber für viele Übel der Welt verantwortlich. Aus all dem leitet der Professor aus Oxford für sich die Pflicht her, scharf gegen die Religionen kämpfen zu müssen.

Wir können jetzt hier keine Auseinandersetzung mit dieser Haltung führen, das geschieht an anderer Stelle. Ich möchte nur kurz anzeigen, mit welcher geistigen Gegnerschaft sich der christliche Glaube heute, wie schon zu Zeiten der ersten Christenheit, auseinandersetzen muss. „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding." Mit dieser Einsicht haben wir es zu jeder Zeit und überall auf der Welt zu tun. „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit", so schreibt es Paulus in schon fast trotzigem Ton in seinem ersten Brief nach Korinth.

Gefährlicher allerdings noch als der militante Atheismus ist für Christen und Kirche auch heute noch die Gefahr von innen, jetzt aber nicht eine überhitzte Erwartung der alsbaldigen Wiederkunft Christi, wie in Thessalonich, sondern im Gegenteil: die Langeweile, das Desinteresse, die Gleichgültigkeit vieler Menschen.

Noch schlimmer, wenn sich die Verantwortlichen in Kirche und Gemeinde deshalb sozusagen an den Kamin der innerkirchlichen Wärme und Gemütlichkeit zurückziehen und sich seufzend abfinden mit der Misere, in der sie Kirche und Gemeinde sehen. Sich abzuschotten nach außen gegen eine der Kirche feindliche Welt, das passte wohl zu dem, was die Bibel als Sünde bezeichnet - sich abzusondern von Gott und der Welt.

Gegen diese beiden Gefahren empfiehlt der Brief ein probates Mittel, das Gebet: „Betet für uns!"

„Das Gebet ist die Tür aus dem Gefängnis unserer Sorge", hat Helmut Gollwitzer einmal gesagt, der bedeutende evangelische Theologe im 20. Jahrhundert. Wer betet, sondert sich eben nicht ab, sondern öffnet sich für Gott und die Welt. Wer die Welt und sich selbst „ins Gebet nimmt", erliegt nicht so leicht der Gefahr zu resignieren. Wer gewohnt ist, mit Gott zu reden, wird nicht so leicht auf die Stimmen hören, die uns einflüstern wollen, dass ja doch alles keine Zweck hätte. Wer Gott im Gebet alle Sorgen vor die Füße wirft, wird sicherlich die Finanzen der Kirche immer noch für wichtig halten, aber noch viel mehr, „dass das Wort des Herrn laufe".

Das immerhin scheint nach den Worten des Briefschreibers - bei allen Irrungen und Wirrungen - in Thessalonich geschehen zu sein. Wäre das nicht schön, wenn unsere Kirche, wenn unsere Gemeinde hier und heute im Jahr 2008 einen Brief mit solcher lobenden Bestätigung erhielte? „Betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch!"

Dass das Wort des Herrn laufe, darum können und werden wir Gott auch selbst bitten. Überhaupt soll das Gebet im Leben eines Christen, wie in der Gemeinde eine Hauptrolle spielen. War es nicht Jesus selbst, der sich sogar an seinem finstersten Tage, in Gethsemane und am Kreuz, in Einsamkeit und Todesangst, an Gott wandte, ihm klagte, ihn fragte, alles in seine Hände legte?

Zu Beginn haben wir das Bild „Betende Hände" von Dürer angesehen. Auch ein großer französischer Bildhauer des 19. und 20. Jahrhunderts, Auguste Rodin, hat das Motiv der Hände gewählt. „Die Kathedrale" heißt seine überlebensgroße Skulptur: Zwei - eigentümlicherweise rechte - Hände wenden sich so einander zu, dass sie an einen gotischen Spitzbogen erinnern. Er zieht den Blick geradezu magnetisch nach oben - zu Gott. Noch heute kann, wer eine der schlanken gotischen Kathedralen wie in Köln oder anderswo besucht, diesen Sog auf den Blick und auf das Herz erleben, nach oben, zum Himmel.

Diese Kathedralen sind gewiss phantastische Zeugnisse menschlicher Sehnsucht, Phantasie und Baukunst, erhabene Zeugnisse menschlichen Glaubens und menschlicher Hoffnung auf Gott. Dazu aber braucht es keine Kathedralen aus Stein, nämlich zu Gott zu kommen, scheint mir der Künstler zu sagen, wenn wir doch überall und jederzeit in der Lage sind, mit ihm zu sprechen, ihm zu klagen, ihn zu bitten und ihn zu loben, alles in seine Hände zu legen.

Also lasst uns nicht nur in den Kirchen, nicht nur im Gottesdienst, sondern überall und jederzeit füreinander beten und dafür, dass „das Wort des Herrn laufe"! Alles in seine Hände legen, dann wird sich alles andere finden. Amen.



Pfarrer i.R. Hans Uwe Hüllweg
Münster
E-Mail: huh@citykom.net

Bemerkung:
Textblatt mit dem Bibeltext und den beiden Bildern ?Betende Hände" von Dürer und ?Die Kathedrale" von Rodin mitnehmen. Sie sind über ?Google® Bilder" oder ?Wikipedia®" leicht zu bekommen.




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