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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 17.08.2008

Predigt zu Apostelgeschichte 6:1-7, verfasst von Martin Brunnemann

Liebe Gemeinde,

Krach, Krach in der Gemeinde. Die Zeller Deutschen gegen die Russlanddeutschen. Die Zeller Deutschen tun  so, als würden die Russlanddeutschen gar nicht existieren. Die Zeller kommen in den Gottesdienst und behaupten, es sei fast kein Mensch im Gottesdienst. Dabei ist die linke Kirchenhälfte ganz gut besetzt, aber eben von Russlanddeutschen und die zählen nicht oder zählen nicht richtig. So war es wenigstens eine ganze Zeit lang, ich habe es so erlebt. Die Deutschen aus Kasachstan und anderswo links und die, die sich als richtige Deutsche oder etwas Deutscher fühlten, rechts. Inzwischen hat sich das ausgependelt. Der Linksdrall in der Kirche wurde so stark, dass man sich ein bisschen komisch vorkam, fast allein auf der rechten Seite zu sitzen. Die Zeit hat das eingerenkt. Ich möchte zwar nicht behaupten, dass alle Grenzen und Vorbehalte zwischen hier Geborenen und Reinngeschmeckten verschwunden sind, aber, immerhin, man sieht sich gern, man sitzt schon ziemlich dicht beieinander, ja, manche kennen sich sogar schon mit Namen.

Die Zeit renkt vieles ein. In der Geschichte eben, liebe Gemeinde, konnte man nicht auf die Zeit bauen. Es ging ja nicht nur um rechts oder links, nicht nur um einen Sitzplatz in der Gemeinde, es ging um die Existenz der griechischen Witwen. Es ging, um es kurz und genau zu sagen, um das tägliche Stückchen Brot oder den Becher Wasser, mit dem die junge christliche Gemeinde ihre bedürftigen Mitglieder  versorgte. Die alteingesessenen, die Christen aus den Juden, übersahen bei der Nahrungszuteilung die Reingeschmeckten, die hellenistischen Witwen. Man darf darüber rätseln, wie diese Frauen nach Jerusalem geraten waren. Ich denke, Jerusalem schien ihnen näher am Heil zu liegen als Thessalonich oder Korinth. Wahrscheinlich waren dann, nahe am Heil, ihre Männer gestorben und so begann die Tragik des Witwendaseins. Keine Rente, keine Krankenversicherung, keinen Besitz, nur anders denkende, sogar anders redende Nachbarn, wenn man die so nennen darf. Was für ein Wunder, was für ein Glück, dass dann der Urknall geschah und nach diesem Urknall eine neue Welt entstand: Die christliche Gemeinde. Damals eine Welt, in der das Wenige, was man hatte sogar mit den Witwen geteilt wurde. Und nun dieses: Es erhob sich ein Murren unter den  griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Und davor, das wollen wir keineswegs überlesen, wird erzählt, diese üble Episode hätte sich ereignet, als die Zahl der Jüngerinnen und Jünger zunahm.

Das kennen wir. Bei wachsenden Mitgliederzahlen beginnt der Mensch wählerisch zu werden. Plötzlich muss der Frisörlehrling möglichst das Abitur haben . Mit einem Mal entdecken die Arbeitgeber, wie schlecht die heutige Jugend ausgebildet wäre, weil die Schulen so versagen. Und der Pfarrer wird sehr aufmerksam, wenn auf der Besuchsliste Namen von Ortsgrößen erscheinen. Kein Wunder also, wenn bei wachsenden Zahlen die Einheimischen, ja, eigentlich ja auch die ersten Adressaten des Heils, die Hebräer, mal, sozusagen aus Versehen, die alten Weiber ausließen bei der Fütterung. Doch, wie schon gesagt, es ging dabei um die nackte Existenz. Wer Hunger oder Durst hat, der kann nicht anders, er muss schreien. So weit war es noch nicht, es wurde erst gemurrt. Geht es Ihnen auch so, liebe Gemeinde, bei dem Wort "murren" fallen mir immer zuerst die Geschichten der Wüstenwanderung ein. Die Israeliten fielen damals von einem Murren in das andere. Sie murrten gegen Mose, sie murrten gegen Aaron, sie murrten gegen Gott. Und tatsächlich, eins verband die murrenden Griechen und die murrenden Israeliten trotz aller Verschiedenheit der Zeiten miteinander. Sie waren nahe dran am Heil. Die Israeliten wurden sozusagen von ihrem Gott persönlich geführt und die Griechen verdankten sich dem, was ich als Urknall bezeichne, der Auferstehung Jesu Christi. Die Nähe des Heils schließt das Murren der Geheilten also durchaus nicht aus.

Noch eine Parallele entdecke ich zwischen den murrenden Kindern Israels und den murrenden Geschwistern Jesu Christ. Beide sind aus der Welt, in die sie hineingeboren wurden, herausgerissen worden in eine neue Welt, die Welt des Vertrauens und der Liebe, die Welt der Nähe Gottes.

Aber zurück zu unserem Text. Wir wollen uns nur mitnehmen, dass das Volk Israel und die Gemeinde Jesu Christi, ein quicklebendiger Organismus ist - oder war?

Die Griechen haben Grund zu murren und aus dem untergründigen Murren wird durch Initiative der Zwölf eine klare Aussage.

Eigentlich müsste ich Ihnen jetzt etwas über die "Zwölf" erzählen, aber für jetzt reicht die Zeit nur dazu, das widerzuspiegeln, was in unseren Versen zu lesen ist. Die Zwölf tun das nicht, was zum Beispiel ich tue, wenn es um mich murrt. Ich murre dann auch. Ich suche mir ein paar Hörwillige und lasse bei ihnen etwas Dampf ab, um dann wieder eine Weile mit dem Murren leben zu können. Sie wissen ja auch, was für eine schwierige Sache es ist, klar auszusprechen, dass es brennt, liebe Gemeinde. . Die Zwölf tun das nicht. Sie malen die Ungerechtigkeit, die da geschieht weder groß noch machen sie sie klein. Sie drängen auf Abhilfe. Die Gemeinde soll sieben Männer, Sie wissen schon, es durften damals nur Männer sein, vorschlagen, die von den "Säulen" zu diesem Tischdienst bestellt werden sollten.

Natürlich haben die Zwölf davon Vorstellungen, wie diese Diakone beschaffen sein sollten. Wieder muss ich Sie in die Gegenwart entführen, liebe Schwestern und Brüder. Was wäre wenn..., was wäre, wenn heute zu solchem Geschäft Mitarbeiterinnen vorgeschlagen würden? Ganz sicher dieses, da es um das tägliche Brot geht, sollten Kosten sparende Mitarbeiter eingesetzt werden. Also nicht unbedingt sieben, denn Sie wissen ja wohl, "sieben" ist in der Bibel eine Vollzahl. Wir würden sagen, zwei, drei Leutchen reichen. Die stellen wir nicht fest an, die werden stundenweise bezahlt, also geringfügig beschäftigt. Vielleicht könnte man noch an ihre christliche Einstellung apellieren oder so. Jedenfalls sollten die zwei oder drei einiges wissen. Zum Beispiel wie viel Nahrung ein alter Mensch am Tag braucht, um existieren zu können. Diese Diakone und Daikoninnen sollten den Witwen auch klar machen, dass sie bitte sparsam und vor allem dankbar mit dem umgehen möchten, was die Gemeinschaft für sie opfert. Und unsere Diakoninnen sollten beim Arbeiten nicht auf die Uhr schauen und sich immer bewusst sein, dass ihr größter Lohn die Liebe Gottes ist.

Man könnte das weiterspinnen, im Grunde braucht man gar nicht zu spinnen sondern nur ab und an kirchlicher Berichte über Arbeitsverbesserungen bzw Arbeitsveränderungen zu lesen.

Gut, lassen wir das jetzt. Die Zwölf wünschen sich drei Befähigungen der zukünftigen Mitarbeiter, von denen mindestens zwei nichts mit dem Tischdienst zu tun haben. Einmal,  die Diakoninnen sollen einen guten Ruf haben. Ja klar, das wäre auch unsinnig, einer eben noch murrenden Gemeinschaft Leute anzuhängen, über die schon allerhand Negatives im Umlauf ist. Zweitens, sie sollen voll des Heiligen Geistes und damit drittens voll Weisheit sein.  

Erinnern sie sich noch an den Frisör von vorhin, der heute unbedingt Abiturienten als Lehrlinge braucht? Ist das hier nicht dasselbe und noch mehr? Hier also nach unserem Verständnis Superfromme und da, beim Frisör, Überqualifizierte? Nur so viel, nicht nur die Apostelgeschichte, auch Paulus und andere biblische Schriftsteller reden von solchem Überschuss in der christlichen Gemeinde. Alle Arbeit, jedes Amt ist eine Gabe des Heiligen Geistes, ein Bausteinchen der neuen Welt, an die wir wieder glauben wollen.

Übrigens, die sieben Diakone, deren Namen in unserem Text genannt werden haben einiges gemeinsam. Etwa, dass von ihrer Arbeit als Tischdiener nirgendwo erzählt wird. Dafür aber das, dass alle missionierten, also zum Wachstum der neuen Gemeinschaft beitrugen. Und drittens, nach der glaubwürdigen Legende ist allen gemeinsam, dass sie für ihren Dienst am Wort das Martyrium erlitten.

Eine erstaunliche Geschichte, liebe Gemeinde, ich bilde mir natürlich nicht ein, mit ihrer Hilfe unsere Gemeindewirklichkeit verändern zu können, aber ich denke, dass sie für diejenigen eine geistliche Quelle ist, die in der Gemeinde leben, leiden und hoffen.



Pfarrer Martin Brunnemann
Zell a.H.
E-Mail: pfarramt-zell@online.de

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