Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 24.08.2008

Predigt zu 1. Thessalonicher 5:14-24, verfasst von Heiko Naß

Paulus schreibt:

14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
16 Seid allezeit fröhlich,
17 betet ohne Unterlass,
18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
19 Den Geist dämpft nicht.
20 Prophetische Rede verachtet nicht.
21 Prüft aber alles, und das Gute behaltet.
22 Meidet das Böse in jeder Gestalt.
23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun. 

Liebe Gemeinde,

an einem der bekanntesten unter den uns noch erhaltenen Stadttoren aus dem Mittelalter, dem Holstentor in Lübeck, steht eine Inschrift, die auch heute noch jedem Lübecker Schulkind geläufig  ist: Concordia Domi foris pax - Eintracht drinnen, Friede draußen. Erbaut auf schwierigem morastigen Untergrund sollten die mächtigen Mauern, die runden mit etlichen Stückpforten versehenen Türme, Fallgitter und Eichentore und die später noch vorgelagerten Wälle und Gräben die Stadt bewahren gegen jeden noch so möglichen kommenden Feind. Als das Tor erbaut wurde am Ende des 15. Jahrhunderts lag gerade ein aufwendiger, opfervoller Seekrieg der Hansestädte zurück, der endlich durch einen Friedensvertrag abgeschlossen werden konnte. Die reichen Lübecker Kaufleute wussten, dass ihre in der Stadt angesammelten irdischen Schätze Begehrlichkeiten wecken mussten bei den umliegenden Mächten und Reichen im Ostseeraum, die alle ihren Gewinn aus den lukrativen Handelswegen ziehen wollten. Foris pax, Friede draußen, klingt wie ein Stoßseufzer, dass dieses Tor niemals zu seiner eigentlichen Probe, einer Bewährung im Kampf, herausgefordert sein müsste.

Doch genauso wie die Gefährdung des äußeren Friedens war den Kaufleuten der Lübecker Hanse auch die Zerbrechlichkeit des inneren Friedens bewusst. Im zurückliegenden Jahrhundert vor dem Bau des Tores hatte die Stadt zumindest zwei innere Unruhen und Aufstände erlebt. Meist ging es darum, dass auch die kleineren Kaufleute und Handwerker der Stadt ihren Anteil haben wollten an dem Reichtum und der Macht, die doch nur einem begrenzten Kreis der einflussreichen Familien vorbehalten waren. Der Aufstand der Knochenhauer ist wohl der bekannteste davon, der blutig für die Aufbegehrenden endete.

Vor dem Hintergrund dieser Geschichte klingen die Worte Concordia Domi foris pax nicht allein wie ein frommer, schöner Wunsch, sie klingen auch wie eine Mahnung und klare Ansage, was allen, die diesen Worten nicht folgen werden, drinnen wie draußen, zu erwarten steht.

 

Als der Apostel Paulus wohl im Jahr 50 n. Chr. seinen Brief an die Christinnen und Christen in Thessaloniki schrieb, da lag die Gründung dieser Gemeinde erst gerade ein Jahr zurück. Es war der Apostel Paulus selbst, der zusammen mit seinen Begleitern Timotheus und Silvanus die Botschaft des Evangeliums nach Thessaloniki gebracht hatte. Sie hatten gepredigt, sie hatten zusammen das Abendmahl geteilt und dabei Menschen angesprochen und gewonnen. Es müssen an Beziehungen und Erlebnissen intensive und reiche Tage gewesen sein, Tage der Herzenslust, wie der Apostel selbst schreibt. Als dieser nach einiger Zeit die Stadt verlässt, bleiben ihm diese Eindrücke und Menschen in der Gemeinde ganz nahe präsent, so dass er immer wieder in Freude zurückdenkt und in Sorge um ihr weiteres Wohlergehen steht. So kommt es, dass er schließlich Timotheus zurückschickt  in die Stadt, und als dieser von seinem Besuch zurückkehrt und gute Nachricht bringt, da greift der Apostel zu Papier und Feder und bringt Zeilen zu Papier, die ältesten uns überlieferten schriftlichen Zeilen der Christenheit, die zusammen eine einzige Predigt sind.

Die Gemeinde in Thessaloniki besaß damals noch keine eigenen vier Wände, Räume, die durch Mauern geschützt werden, in denen die Menschen sich nach außen abschirmen können. Die Versammlungen geschahen in Gottesdiensten am frühen Morgen oder abends in den Privathäusern beim Feierabendmahl. Dennoch geht es dem Apostel darum, dass gerade diese noch sehr junge Gemeinde eine festere Gestalt gewinnt. Erbaut einer den anderen (V.11), schreibt er, und das lässt sich aus dem Griechischen auch so übersetzen, dass alles Handeln so aufeinander abgestimmt sein soll, als ob man miteinander an einem Haus baut. Die Ratschläge, die Paulus zum Ende seines Briefes gibt,  lesen sich wie Arbeitshilfen, diesen Hausbau sicherer und beständiger zu machen. Das Achten aufeinander ist wie die Maurerkelle in der Hand des Maurers, die Geduld und Langmut wie der Mörtel, damit die Steine nicht ins Rutschen kommen, Gebet und  Dankbarkeit sind wie das beschirmende Dach und prophetische Rede wie die Stützpfeiler, die oben und unten miteinander verbinden. Nach innen trägt dieses Haus gemeinschaftliches Miteinander und nach außen hin soll Friede herrschen. Das klingt, wir merken es,  ganz ähnlich wie der Satz auf dem Stadttor zu Lübeck, nur dass hier anders als dort das Haus keine dicken Mauern umschützt. Für mich ist es eines der entscheidenden Merkmale, warum die kleinen ersten christlichen Gemeinden, die nach und nach in den Städten des römischen Reiches entstanden, eine so hohe Ausstrahlung besaßen, dass sie ohne Wehr und Waffen in einer ihnen feindlich gestimmten Umwelt innerhalb von drei Jahrhunderten zu einer weltumspannenden Kirche wurden. Sie schotteten sich nicht ab, wirkten von innen nach außen und hielten sich offen, auf alles, was ihnen begegnete, zuzugehen. Alles prüfen und das Gute behalten, sagt Paulus, so gelingt dieser Bau.

Diese Freiheit der inneren Haltung ist möglich, weil es keine irdischen Schätze sind, die die Gemeinde zu hüten und bewahren hat. Kein Gold, kein Silber, kein Salz oder Rotspon, um die zu hüten die dicken Mauern von Lübeck notwendig waren, sondern es sind himmlische Schätze, die den Reichtum der Gemeinde Christi in Thessaloniki ausmachten. Die Hoffnung auf den gekreuzigten und auferstandenen Herrn macht die Gemeinde frei, sich beispielsweise von Standesgrenzen zu lösen. Weil Jesus sich in seinem Leben für jede, jeden eingesetzt hat und für jede und jeden sein Leben hingegeben hat, gibt es in der Gemeinde, die von Jesus lebt, keine Unterschiede zwischen Freien und Sklaven, ein Unterschied, der außerhalb der Gemeinde das römische Reich wie eine dicke Mauer durchzog. Es gibt auch keinen Unterschied zwischen Frau und Mann. In den jungen Gemeinden sind in der Gemeindeleitung auch viele Frauen. Hier werden erst später in der Geschichte wieder Grenzen eingezogen. Es gibt auch keinen Unterschied in der Nationalität. Die vielleicht stärkste Ausstrahlung entfalteten die Gemeinden dadurch, dass sie eine Gemeinschaft boten, die die Grenzen der Nationalitäten überwand. Der Friede Gottes gilt nicht nur den Juden, er gilt auch den Griechen, bald darauf auch den Römern, wenig spätern den Spaniern und anderen Völkern der damals erfahrenen bewohnten Welt.  Der Makrokosmos, die weite Welt, in der Unterschiede der Stände, Spannungen, Kriege und Feindschaft herrschen, wird als friedlich erfahrbar im Mikrokosmos einer christlichen Gemeinde. Darin spiegelt sich ein Stück vom Himmel und der Wille Gottes, der in Jesus Christus sichtbar wurde.

Vor wenigen Tagen stand in den Tageslosungen ein Gebet von Nikolaus von Zinzendorf, dem Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine:

 „Herr Jesu, höre unser Bitten: Du wollest unser aller Geist mit deinem Frieden überschütten, der sich bereits in uns erweist. Es bleiben alle, die dich lieben, dir zum Gedächtnis angeschrieben und an dein treues Herz gelegt! Man seh in allem, was man handelt, dass Jesus selber mit uns wandelt und alle seine Glieder trägt!"
(Bg 611; Gebet der Tageslosung vom 15. August 2008)

So lebt die christliche Gemeinde von Jesus Christus her und auf Jesus Christus zu. In der Erwartung des Kommen Jesu geht sie den Spuren Jesu nach. Sichtbar möge werden, dass in unserem Tun Jesus selbst erkennbar wird und wir abbilden, was uns von ihm als Weg und Wille überliefert wurde.

Wir haben, liebe Gemeinde,  in unserem Land heute viele großartige Kirchbauten, beeindruckende Kunstwerke, kostbare Altäre und Schätze. In der Reformation und auch später machte man den Versuch, die Schätze aus den Kirchen zu entfernen, ließ dann aber davon ab, weil man verstand, dass auch in der Schönheit der Kunst sich das Lob Gottes Ausdruck gewinnt und der Glaube sich daran fest machen kann. „...Man muss viel Liebe investieren, wenn Glaube sich entfalten soll, und man muss viel Freiheit riskieren, wenn die Kirche lebendig bleiben soll", (Otto Dibelius, siehe ekd-newsletter vom 18.08.2008). Viele Extraseiten unserer Tageszeitungen geben Informationen darüber, wie man mit Geldmitteln investiert. Leider finde ich nur selten  Informationen, wie man Liebe investiert. Deshalb nur ein paar, für die Tageszeitungen unscheinbare Randnotizen: Hier im Kirchenkreis wird in einem der Kirchgebäude eine Sozialkirche eingerichtet. Dort wird ein Mittagstisch angeboten, eine Kleiderkammer, Schularbeitenhilfe und vor allem Zeit für Gespräche, Zuhören, Beratung, Gebete. Das ist eine Investition in Liebe. In unserem Stadtteil wird die von der Stadt eigentlich auch der Streichliste stehende Stadtteilbücherei von einem Kreis Ehrenamtlicher offen gehalten. Weil Personal teuer ist, sollte die Bücherei eigentlich schließen. So haben nun Kinder und Jugendliche auch aus Familien, die sich Bücher oder DVD nicht leisten können, die Chance der Bildungsgleichheit, die so wichtig ist für die Gerechtigkeit in unserem Land. Auch das ist eine Investition in Liebe.

Und die Freiheit: sie alles andere als Beliebigkeit. Evangelisch gegründet in dem Wissen, von Gott geliebt zu sein, ist Freiheit die geschenkte Möglichkeit, wertschätzend zu fragen, was andere Neues und Bereicherndes geben. Prüfet alles, schreibt Paulus, und darin ist das Wort alles zu unterstreichen; das heißt:  prüfet umfassend alle Möglichkeiten, die für eine Lebendigkeit der Kirche aufscheinen, ohne sich um die in der kirchlichen Arbeit so bekannten abwehrenden Kommentare wie „Was soll denn das?" oder „Das hatten wir noch nie" zu kümmern. Solche Worte richten Mauern auf und dämpfen den Geist. Genauso ist aber auch das Wort „prüfet" zu markieren, denn Paulus wie später auch Luther wussten, dass Prüfung auch immer Anfechtung bedeutet, eine Herausforderung für das eigene Verstehen und die eigene Erfahrung. „Prüfet" schließt auch das mögliche Urteil ein, dass etwas nicht gut ist und nicht zur Gemeinde passt; es setzt aber die sorgfältige Auseinandersetzung voraus.

Zuletzt eine Reminiszenz an die Geschichte: Als der Ausbau der Wehrhaftigkeit der Holstentoranlagen in Lübeck am weitesten vorangeschritten war, stürzten die Bauten nach kurzer Zeit wieder ein; sie waren einfach zu schwer für den weichen Untergrund, der die schweren Mauern nicht halten konnte. Zurück blieb dort mitten auf der Fläche schließlich nur das Holstentor, für die Befestigung der Stadt sinnlos geworden, ein sichtbares Zeichen, dass alle Mauern nur vorläufig sind.

 

Der Gott des Friedens aber heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.

Amen.



Pastor Heiko Naß

E-Mail: hnass.nka@nordelbien.de

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