Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 14.09.2008

Predigt zu Epheser 4:1-6, verfasst von Eugen Manser

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, daß ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in Bescheidenheit, Freundlichkeit und Geduld.

Ertragt einer den anderen in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

 

Liebe Gemeinde,

bin ich denn berufen, ein von Gott Gerufener? Oder möchte ich's eher gern sein? Hat er überhaupt jemals zu mir gesprochen? Bin ich ein Glaubender oder möchte ich's eher gern sein?

Solche Alles oder Nichts Fragen besetzten meinen Kopf, als ich an einem der letzten Urlaubstage am Ostseestrand sitzend, über Berufung und einer der Berufung würdigen Lebensweise nachdachte.

Da ging vorn am Wasser eine Vater-Mutter-Kind-Familie vorbei. Die Mutter erzählte dem Kind etwas. Durch Wind und Brandung hörte ich in breitestem sächsisch: „...Ich weeß immer, wo du bist.....und dann hadder den Jona ausgespuckt...".

Muss man da noch an der Berufung zweifeln? In säkularisiertester Gegend Deutschlands, am Strand von Usedom,  erzählt eine Mutter ihrem Kind die Jona-Geschichte!

Und auch ich bekomme meine Botschaft: „Ich weiß immer, wo du bist....und dann hat der den Jona ausgespuckt." Gott weiß immer, wo ich bin- und ich werde dort ausgespuckt, wo ich meiner Berufung nachkommen soll!

Wie aber lebe ich „meiner Berufung würdig"? Wie antworte ich auf den Ruf Gottes? Wie bringe ich es fertig, dass zwischen meiner Bestimmung und meinem tatsächlichen Leben kein Riss klafft?

Paulus rät zu Demut, Sanftmut und Geduld und vor allem, dass wir einander ertragen.  

Es fällt auf, dass es sich hier um Tugenden handelt, die eher leise sind. Man erwirbt sie nicht so sehr, indem man etwas macht, sondern indem man etwas geschehen lässt; nicht so sehr, indem man zupackt, sondern indem man loslässt.

 

Nehmen wir die Demut. Das lateinische Wort für Demut ist humilitas. Es kommt ebenso wie das Wort humanitas aus der Wurzel humus, das heißt: Erde, Schmutz, Dünger. Auch der Humor kommt da her. Das sagt uns, dass wir uns selbst und der Welt mit einer gewissen Heiterkeit begegnen sollten. Wir sollten uns nicht zu ernst nehmen. Wir sollten unseren Humor behalten und uns dem Weg unserer Bestimmung überlassen. Wer demütig ist, kann sich selbst akzeptieren, er kann sich leiden.

Das bedeutet nicht, dass ich mit all meinen Fehlern und Schwächen einverstanden bin. Aber ich nehme es an, dass ich dieses Erbe vom Leben bekommen habe. Ich lege es nicht darauf an, dieses Erbe zu bezwingen. Dann wäre ich in alter Ich-Bezogenheit nicht bereit, mich meiner Berufung zu überlassen.

Demut, Bescheidenheit, Geduld, einander ertragen,-  Tugenden, die eigentlich ins Reich der Loser gehören, entsprechen unserer Berufung?                              Im Ohr habe ich: Gehet hin! Machet zu Jüngern! Taufet! Lehret sie halten! Schärft das evangelische Profil!

Vor Augen habe ich aber auch die Erfolglosigkeit solchen Tuns.

Die aktive, die  berechnende, die handelnde Kirche- sie bleibt, sie lebt auch irgendwie, aber sie zieht keine Höhe.

Vor einiger Zeit kam eine junge Frau zu mir, etwa 30 Jahre alt, vor 15 Jahren war sie in meiner Jungen Gemeinde. Ihre Mutter war gestorben. Sie erzählte von den letzten Stunden. Die Mutter hatte Krebs. Die Metastasen hatten sich schon über den ganzen Körper verteilt. Morphium brachte die einzige Linderung. Die Mutter litt auf der Palliativstation und konnte nicht sterben. Die Tochter berichtete: „Als sich noch immer nichts tat, hab ich ein ernstes Wörtchen mit Mutti geredet. Ich sagte ihr: ‚so wird das nie was Mutti, Du wirst nicht erlöst, bevor du nicht alle Tränen hier rausweinst, alles beklagst, allen Kummer und alles Leid hier lässt; und den Menschen, die dir weh getan haben, alles zurück gibst', zur Unterstützung hab ich mit dem Waschlappen im Gesicht, an Armen und Beinen alles abgewaschen. Ich denke das hat sie verstanden, denn nun wurde es zwar nicht leichter aber es ging voran."

Ich bin immer noch beeindruckt von der Reife dieser jungen Frau. Sie hat ihrer Mutter beim Sterben geholfen. Nicht, indem sie sie festgehalten hat, sondern indem sie ihr geholfen hat beim Loslassen.

Wovon loslassen? Von dem, was wir unser „Ich" nennen; dieser Ansammlung von Konditionierungen aus Elternhaus, Schule, Religion, Gesellschaft, Partnern, Freunden, Idealen, Ängsten, Wünschen, Vorurteilen, Illusionen. Dieses Ich ist ein Funktionszentrum unserer Persönlichkeit, wir hängen an ihm- wir brauchen es für unsere Lebensgeschäfte. Doch unsere bleibende Identität ist in Gott aufgehoben, nicht in unserem Ich.

Deshalb rät Paulus zu solchen Loser-Tugenden wie Demut, Sanftmut, Geduld, einander „ertragen"; denn er hat eine Vision: das Zurücklassen des „Ich" und die Erfahrung der Einheit alles Lebendigen!

Die Neigung zu Abgrenzung, Egozentrik, Narzissmus, hindert uns an dieser Einheit. In der Stadt Gottes gibt es das Wort „Ich" nicht mehr. Dort gibt es nur das Wort „Wir", besser noch das Wort „Eins".

Wer in das Reich Gottes eintreten will, muß eine Grenzüberschreitung wagen. Er muß heraus aus der Ich-Isolation und in einen Bereich eintreten, der noch nicht aufgespalten ist in „Subjekt-Objekt", „mein-dein", in „Geist-Materie", in „gut-böse" und in „Heil-Unheil". Die „Einigkeit" im Geist, das ist, daß ich mich eins fühle mit allem Lebendigen und erfasst werde von einer großen Liebe zu allem, das von diesem „Band des Friedens" umschlossen wird.

Eine Illusion? Nein, die eigentliche Illusion ist die Annahme eines starken Ich in einer stabilen Welt! Insgeheim plagt uns die Angst um unser Sein und wir suchen Halt in Besitz, Macht, Abgrenzung gegenüber anderen. Wir schließen noch eine Versicherung ab und bauen noch eine Scheune.

Da kommt nun dieser Jesus und stellt die Welt auf den Kopf, indem er verkündet: Die Armen haben das Leben! Nicht die Gewalttätigen werden das Land besitzen, nicht die Eroberer, sondern die Friedfertigen. Nicht die Rücksichtslosen, sondern die Barmherzigen. Nicht die Verfolger, sondern die Verfolgten. Nicht die Trickreichen, sondern die reinen Herzens sind.

Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen, mit Vorsatz und heroischem Bemühen werden wir nicht in diese Geisteshaltung kommen.

Nur wenn es uns Menschen gelingt, in die Erfahrung der Einheit allen Lebens zu kommen, werden wir unsere Einstellung zueinander ändern.

Bis dahin tuen wir gut daran, uns an die Leitlinien zu halten, die weise Menschen uns angeraten haben: ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch allen und in allen- Und der mir unvermittelt zuruft im tiefsten heidnischen Osten: „Ich weeß immer, wo du bist!"

 



Eugen Manser
Halle
E-Mail: eugen.manser@gmx.de

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