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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 12.10.2008

Predigt zu 1. Korinther 12:12-14.26.27, verfasst von Maximilian Heßlein

 

12 Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.

13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.

14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.

26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

 

Liebe Gemeinde,

die Gottmaschine. Das größte Experiment in der Geschichte (vgl. Frankfurter Rundschau vom 09.09.2008). So prangte es vor kurzer Zeit in dicken Lettern auf einer eigentlich seriösen, überregionalen Tageszeitung. Vielleicht haben Sie das auch mitbekommen. Da wurde Anfang September im Cern, im Europäischen Labor für Teilchenphysik, bei Genf ein riesiger Teilchenbeschleuniger in Betrieb genommen, eine unterirdische ringförmige Anlage mit einem Umfang von 27 Kilometern. Large Hadron Collider heißt dieses Ding. Großer Hadronen Speicherring.

Nun bin ich in der Physik nicht so sehr bewandert und kenne mich auch mit diesen Elementarteilchen und Quarks, und wie die ganzen kleinen Glieder innerhalb dieser Welt noch heißen, auch nicht besonders gut aus, als dass ich Ihnen das jetzt genau erklären könnte. Das müssen die Physiker tun. Was ich aber verstanden habe ist: Unsere Welt ist wie ein riesiger großer Körper, der aus vielen kleinen Teilen besteht. Alle diese Teile sind in einem sinnvollen und notwendigen Zusammenhang. Das zu entschlüsseln haben sich die Wissenschaftler zusammengetan.

Nun können Sie sich wahrscheinlich vorstellen: Die Schlagzeile in der Zeitung, die machte mich nicht nur von Berufs wegen neugierig. Da tauchten Fragen auf, wie sie zumindest früher eigentlich eher der Religion und der Theologie gestellt wurden. Es sind Fragen nach den ersten Dingen dieser Welt: Warum gibt es uns? Was hält die Welt in ihrem Innersten zusammen? Dazu wollten und wollen die Naturwissenschaftler in eben diesem größten Experiment seit Menschengedenken den Urknall nachstellen und damit den Anfängen der Welt auf die Schliche kommen. Als Pfarrer dieser Gemeinde und als Theologe sage ich es so: Sie wollen eigentlich nichts anderes als den Moment abzupassen und herzustellen, an dem Gott spricht: Es werde Licht. So geht es hier also in der Tat um eine Gottmaschine. Wenn ich das so richtig betrachte, ist das ein unglaubliches und überaus spannendes Unterfangen, gerade auch für die Religion.

Liebe Gemeinde, ich glaube, es ist nicht untypisch für die Menschen, dass sie immer und immer wieder danach suchen, wie alles gewesen ist. Wir zerlegen die Welt in ihre Einzelteile und erforschen, welchen Weg wir bisher gegangen sind. In gewisser Weise machen wir uns beständig auf die Suche nach dem Wunder des Lebens. Ich halte es für unabdingbar, dass wir uns dem auch aussetzen und das angehen, weil wir darin den Wert des Lebens seine Kostbarkeit und seine Fülle wiederfinden. Und es macht uns bereit, die Herausforderungen dieser Welt zu bestehen.

Ich glaube übrigens, liebe Tauffamilien, Sie haben selbst solche Wunder erlebt in letzter Zeit, vielleicht auch schon mehrfach erlebt, und Sie kennen sich auf ganz andere Weise nun mit dem Wunder des Lebens aus, als die Naturwissenschaften das tun. Sie wissen etwas von der Liebe, die dieses Wunder umgibt und mit welcher Sorgfalt es gepflegt werden muss.

In die Freude der Wissenschaftler über den Start des Experiments in Genf mischten sich aber noch andere Töne. Es waren Töne der Angst und der Befürchtungen einzelner: Wir produzieren da schwarze Löcher, die eine ungeheure Anziehungskraft entwickeln. Damit schoss es in den Medien richtig hoch. Diese werden unkontrollierbar und werden zum Untergang der Welt führen. Ernstzunehmende Wissenschaftler haben das vorherberechnet. - Die Medien wissen schon, wie sie die apokalyptischen Vorahnungen und Befürchtungen anheizen. Bei mir nämlich wecken solche Meldungen immer meine wildesten Phantasien. Ich beginne mir vorzustellen, wie das wohl ist mit solchen schwarzen Löchern. Wie schnell breiten die sich denn aus? Saugen die alles ein, was mir am Herzen liegt? Kann ich mich vielleicht an den Rand stellen und zusehen, wie die Welt eingezogen wird? Wie ist das mit weglaufen und welche Möglichkeiten habe ich, wenn die Welt dann mal zu Ende ist? Kann ich das stoppen?

Sie sehen das: Es sind für mich ungeheuer komplizierte Fragen und manche von Ihnen, die sich mit der Materie besser auskennen, werden innerlich jetzt vielleicht lachen. Aber ich glaube, das sind die Gemütszustände, die typisch sind, wenn sie mit solchen Weltuntergangsszenarien konfrontiert werden. Also, vielleicht doch nicht eigentlich eine Gottmaschine, sondern eher eine Teufelmaschine, die die Welt tatsächlich in ihre Einzelteile zerlegt und sucht, wen sie verschlinge?

Liebe Gemeinde, da helfen mir übrigens auch die Beschwichtigungen der anderen Wissenschaftler, die die Gegenposition vertreten und die das Experiment für vollkommen ungefährlich halten, nicht weiter. Ich glaube nämlich lieber meinen eigenen Untergangsphantasien und -erfahrungen. Diese ändern sich über die Zeiten, sie haben immer wieder andere, schillernde Farben. Die Experimente kommen und gehen, die persönlichen schwarzen Löcher, die Sie, liebe Gemeinde, auch alle kennen, die Teil unseres Lebens sind, treten einmal stärker, einmal schwächer hervor. Sie finden sich in tiefen Verletzungen, in den Mühen beim Familiewerden, in der Angst zu scheitern an den Aufgaben, die mir in dieser Welt gestellt sind, in der Konfrontation mit dem alltäglichen Tod. Aber auch wenn sie dem Wandel unterliegen, kommen sie doch immer wieder. Sie ziehen sich in einem weiten Bogen von der Sintflut bis zum Large Hadron Collider.

Paulus hält dieser zusammengesetzten, mich immer mal wieder mit ihren Anforderungen einnehmenden oder bedrohenden Welt eine andere Welt entgegen. Eine Welt, die sich nicht über die Naturwissenschaften erschließt, sondern die eine besondere Welt des Glaubens, des Erfahrens und Erlebens ist. Diese Welt nennt der Apostel den Leib Christi. Dieser Leib aber, der ist noch viel komplizierter als ihn sich die Naturwissenschaftler vorstellen können. Denn er besteht aus den unterschiedlichsten Menschen, aus Ihnen und aus mir.

Eines aber haben sie gemein. Das Kennzeichen dieser Menschen ist ihre unmittelbare Nähe zu Jesus Christus. Oder können Sie sich vorstellen, dass etwas dichter an Ihnen dran ist als Ihr eigener Körper, Ihr eigener Leib, mit seinen vielen schönen Gaben und Dingen, mit dieser wunderbaren Hand, mit der Weichheit der Haut, mit den leuchtenden Farben Ihrer Augen, mit der Schönheit der Stimme, der Gabe der Musik, der wunderbaren Kraft im Denken und im Handeln, im Erforschen der Natur mit ihren Geheimnissen. Nein, nichts ist Ihnen näher als Ihr Leib. Und nichts ist Wunderbarer.

So ist mir das Bild des Paulus: Ihr seid der Leib Christi Ausdruck dafür, wie nahe uns Gott im Leben durch Jesus Christus selbst kommt. In seinem Mensch- und Gott-Sein teilt er unsere Freuden und Ängste, unseren Mut und unsere Hoffnung. Er teilt unser Leben.

Gebunden ist diese Nähe Jesu an die Gemeinschaft derer, die um seine Anwesenheit in ihrem Leben wissen; deutlicher will ich mit Paulus sagen: an die Gemeinschaft derer, die vom Glauben getränkt sind. Kurzum: die Gemeinschaft der Getauften. Nichts anderes finden wir im Wasser der Taufe als das Durchtränken des Menschen mit Gott. Das schafft eine ewige Verbindung und Verbundenheit der Menschen untereinander und mit Gott. Kennzeichen dieser Verbindung sind die Liebe und die Aufmerksamkeit, mit der wir uns begegnen, die Treue und die Sorgfalt, in der wir miteinander umgehen, das Engagement und die Zuversicht, wodurch wir an unserer Gemeinschaft arbeiten. Eben Kennzeichen unseres Lebens.

Das allerdings ist nichts, was ich selber herstellen kann. Es ist Gottes Werk, das uns lebendig macht und am Leben erhält. Das merken Sie schon in der Bewegung und den Tönen der Kinder heute. Da pulsiert das Leben und leuchtet in allen seinen Facetten. So kommen wir dem Wunder des Lebens auf die Spur.

Wenn ich nun also die Frage beantworten müsste, warum es uns denn gibt und was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, dann antworte ich mit diesem Text aus dem ersten Korintherbrief im Rücken: Zusammengehalten werden wir durch die Gegenwart Gottes in unserem Leben. Die erfahren wir in der Gemeinschaft, die wir miteinander pflegen, in der Auferbauung des Leibes Christi, hier an diesem Morgen, in dieser Kirche. Und es gibt uns, weil Gott unsere Gemeinschaft will. Er will uns als Partner seiner Liebe, als Partner seiner Schöpfung, als Partner seines Lebens.

Und das heißt dann auch ganz konkret. Gott spricht: Du gehörst zu diesem Leib Christi. Du gehörst zu mir, weil Du mir durch Leben, Sterben und Auferstehen Jesu verbunden bist. Jeder und jede von Ihnen, die sie hier sitzen, ist Leib Christi. Sie, ich, die Kinder, wir alle miteinander. Er sucht und will die Gemeinschaft der ängstlichen und kleinen, der dicken und der dünnen, der mutigen und der großen. Er will die Gemeinschaft aus den armseligen und den fröhlichen, aus den traurigen und den tief verletzten, aus den weinenden und den lachenden.

Wir finden die unmittelbare Nähe der Gottes Gegenwart. Von der Taufe kommt alles, was wir im Leben und im Sterben mit ihm auszumachen haben. Durch sie sind wir in allen Dingen geborgen. Denn in ihr entsteht der eine Leib aus vielen kleinen Teilen, in dem wir unsere Ängste bewältigen und unsere Freuden ausleben können. Schauen Sie sich nur einmal um im weiten Rund unserer Kirche. Schauen Sie in Ihrer Nachbarin und Ihrem Nachbarn dem Leib Christi ins Gesicht.

Wenn ich aber einmal wieder am Abgrund eines schwarzen Loches stehe und die Spirale sehe, mit der ich da reingezogen werde, dann bin ich gewiss, wenn jemand an meine Seite tritt und mir in der Freundlichkeit und Liebe unseres Gottes die Hand auf die Schulter legt, dass Gott in diesem Menschen selbst mit da ist. Das tut mir gut, und dann höre ich seine Stimme und weiß: Ja, Herr, du bist mein Fels und mein Erlöser. Amen.

Lied nach der Predigt: Vertraut den neuen Wegen (EG 395

 



Pfarrer Maximilian Heßlein
Christusgemeinde Heidelberg
E-Mail: m.hesslein@gmx.de

Bemerkung:
Gottesdienst mit Taufen


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