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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 21.12.2008

Predigt zu Johannes 1:19-28, verfasst von Peter Nejsum

Johannes der Täufer predigte Umkehr Bekehrung. Es war höchste Zeit, denn ehe man sich auch nur umgesehen haben würde, würde das Gericht kommen, das Gericht Gottes, und nur wenn man seine Sünden bekannte, sich bekehrte und ein neues Leben begann, würde man hoffen können, sich erlöst in das Reich Gottes zu retten. Deshalb taufte er mit Wasser als rituelle Markierung dieser Bekehrung. Vielleicht stellt man sich einen Sonderling vor, wie er da in seinem Kamelhaargewand und mit ungekämmtem Haar auftrat, ein religiöser Fantast, über dem man nur mit den Schultern zuckte, aber so war es nicht. Wenn man den Evangelien Glauben schenken will, dann strömten die Leute zu Johannes. Seine Verkündigung hat also etwas in der Zeit getroffen, etwas, das man als richtig empfand, und deshalb hat man zugehört, wenn er Bekehrung verlangte, wenn er verlangte, dass man ein neues und besseres Leben beginnen sollte. Das ist im Grunde Bekehrung.

             Die Predigt Johannes' des Täufers in der Wüste ist nicht anders, als so viele Andere, die im Laufe der Zeit Bekehrung gepredigt haben. Die Welt wimmelt von kleinen Johannes der Täufer, und sie sprechen nie vor tauben Ohren, denn sie sprechen von etwas, was in ihrer Zeit wichtig ist, und das neue und bessere Leben, das man führen soll, findet Anklang. Und dennoch, sie können nie das Wesentliche sagen: nämlich auf Christus hinweisen.

             Aber Johannes der Täufer tritt im Johannesevangelium auf eine eigenartige Weise auf. Hier besteht seine Rolle nämlich ausschließlich darin, derjenige zu sein, der sagt: "Ich bin nicht der Christus", und auf den hinzuweisen, der nach ihm kommen wird, auf Jesus. Auf den, der mit Geist taufen wird, während Johannes selbst mit Wasser tauft. Der Rest der Verkündigung des Johannes interessiert den Evangelisten nicht.

             Wenn das Phänomen des "Simple Living" verkündet wird, ist das dieselbe Verkündigung von der Notwendigkeit der Bekehrung. "Simple Living" nennt die Bewegung das, der Mode gemäß auf Englisch. "Das einfache Leben" heißt es auf Deutsch, und es ist eine Alternative zu unserem modernen und gestressten Lebensstil.

             Wer wollte sich nicht mehr Zeit wünschen? Wer wollte sich nicht einen Alltag wünschen, der nicht so gestresst und verhetzt ist? Wer wollte sich nicht wünschen, dass man sehr genau überlegt, wie man seine Zeit nutzt, so dass sie nicht vergeudet, sondern für das Allerwesentlichste genutzt wird - für die Kinder oder, was es sonst sein könnte? Wer wollte nicht von dieser zermürbenden Jagd nach den ganz richtigen Rahmen Abschied nehmen? Wer wollte nicht gern dem Materialismus Lebewohl sagen, von dem viele von uns beherrscht sind, von dem Materialismus, der sagt, dass man dies und dies und dies haben muss, um existieren zu können? Denn wer will nicht zugeben, dass man letzten Endes, wenn es darauf ankommt, ohne weiteres verzichten kann, wenn man etwas anderes bekommt, das wesentlicher ist - es ist bloß so schwer, sich zu einem Verzicht zu entschließen. Und wer wollte nicht gern verzichten können und sich auf die wahren Werte im Dasein konzentrieren? Wer wollte nicht gern den Traum vom Leben im Bunde mit den Werten verwirklichen - auf einfache und authentische Weise? Wer sollte nicht gern ohne schlechts Gewissen leben?

             Und wie macht man das nun? Es ist ja nicht damit getan, dass man sich einen rustikalen langen Tisch aus der Provence und weiß gescheuerte Fußböden anschafft oder was die Bewegung sonst noch an Einfällen für die Wohnungseinrichtung zu bieten hat. Nein, man muss sich mit seinem bisherigen Leben auseinandersetzen. Man muss überlegen, ob man wirklich all das braucht, ohne das man nicht leben zu können glaubt. Man muss sein Leben ändern, so dass die Zeit richtig ausgenutzt wird. Man muss viele alte Gewohnheiten aufgeben.

             Man muss es so machen wie das Paar, das seine Jobs bei der großen Firma A.P.Möller kündigte und sich auf der kleinen Insel Endelave niederließ, wo sie jetzt den Fährverkehr leitet und er Lehrer ist. Jetzt ist Ruhe - und sie haben Zeit.

             In einer Illustrieren sah ich einen der Propheten der Bewegung, eine äußerst fotogene junge Dame, die vor ihrem Auto posierte: Ein alter hellgrauer Opel Corsa, 1986 gebraucht erstanden. "Das ist kein Auto, mit dem man Punkte machen kann", sagt sie, und sie meint, sie sei nun mit dem Statussymbol des Autos fertig. So spricht "Simple Living". Aber die Frage ist doch, ob da nicht in Wirklichkeit dies geschieht, dass sie ein Statussymbol durch ein neues ersetzt. Ob nicht der verbeulte Opel Corsa, "1986 gebraucht gekauft", nicht zu einem Statussymbol anderer Art wird, das nicht signalisieren soll: "Seht, wie viel Geld wir haben!", sondern: "Seht, worauf wir verzichten! Seht, wie authentisch wir leben!" Aber ein Statussymbol ist darum doch, nur auf raffiniertere Weise. Vor einigen Jahren konnte man plötzlich auf den Straßen massenweise lieferwagenartige Familienautos sehen, z.B. einen Citroën Berlingo. So ein Auto signalisierte wirklich, dass man Familienvater war. Es erzählte: Ich könnte ohne weiteres ein schnelles und schickes Auto fahren können mit Aluminiumfelgen und hoher Beschleunigung, aber ich verzichte darauf und fahre dieses langsame und hässliche Familienauto. Mit Autos dieser Art kann leicht ein ganz eigener Status verknüpft sein.

             Man wechselt also leicht die alten Statussymbole mit neuen aus. Der Taum vom einfachen Leben mit den anderen Werten ist ein schöner Traum. Vieles von der Kritik, die sie gegen das von uns gelebte Leben richten, trifft zweifellos zu. Genau wie der Täufer, der Bekehrung predigte. Es ist jedoch die Frage, ob man nicht einfach nur eine Reihe von Werten, nach denen man sich zu richten hat, durch eine andere Reihe von Werten ersetzt. Jetzt soll man nach Inhalt streben. Nach Tiefe. Nach Sinn. Jetzt genügt es nicht mehr, die Forderungen eines gestressten Alltags zu erfüllen. Jetzt soll man wählen, Prioritäten setzen, Ziele bestimmen, sich versichern, dass man seine kostbare Zeit nur auf das Wichtige und Wahre verwendet. Mir kommen fast Zweifel, was mehr aufreibend ist: den Anforderungen des Alltags, so gut es geht, gerecht zu werden - oder derjenige sein zu sollen, der selbst Sinn schafft.

             Denn was passiert, wenn man jetzt auf einer der kleinen Inseln sitzt mit Hühnern im Hinterhof und Stockrosen im Vorgarten und Zeit für Kinder und Katzen hat und dann entdeckt, dass das Leben nicht leichter geworden ist. Dass das schlechte Gewissen nicht verschwunden ist, sondern jetzt Anderem gilt. Kann man jetzt wirklich machen, was man will? Verwendet man jetzt wirklich seine ganze Zeit auf wahre Werte? Und kann sich herausstellen, dass die kleine Welt und ihre Probleme genauso viel Platz beanspruchen können wie die Welt, die man verließ?

             Wir hatten einmal einen Ministerpräsidenten, der versuchte, sich der Hektik zu entziehen und das einfache Leben zu verwirklichen. Jens Otto Krag wollte sich in sein Haus in Skiveren zurückziehen, das er so sehr liebte, er wollte Zeit haben, malen, etwas von dem verwirklichen, wovon er geträumt hatte. Es nahm ein tragisches Ende. Was Verwirklichung eines Traumes sein sollte, wurde zu einem Albtraum. Ich sage das nicht, um ein Urteil zu fällen oder um zu sagen, dass dies für niemanden das Richtige sein könnte. Ich sage es nur, um auf eine andere Weise zu sagen, dass wir nicht sicher sein können, dass das "einfache Leben" leichter und glücklicher ist.

             "Simple Living" bringt den Traum zum Ausdruck, dass man ein kompliziertes Leben in ein einfaches Leben verwandeln kann. Aber das Leben ist kompliziert. Das Leben ist widerspruchsvoll. Das Leben bietet viele Wahlentscheidungen, die man bereut, Kompromisse, zu denen man gezwungen wird, schlechtes Gewissen, Pflichten, die man versäumt. Soll man da nicht Veränderungen vornehmen? Soll man alles beim Alten lassen? Nein, vieles könnte sicher besser gemacht werden, zweifellos, und vieles müsste wohl besser sein. Aber man kann sich nicht darüber hinwegsetzen.

             Was fehlt? Es fehlt das, was Johannes den Täufer so groß macht, nämlich dass er auf etwas Anderes als die Bekehrung weist, nämlich auf den, der nach ihm kommen wird, auf Christus. "Ich bin nicht Christus", sagt er. "Nach mir wird einer kommen, der nicht mit Wassser tauft, sondern der mit Geist tauft." Es besteht ein Unterschied zwischen der Taufe des Johannes und der Christustaufe. Johannes' Taufe geschieht mit Wasser, mit dem Wasser, das eine Bedingung des Lebens hier auf Erden ist. Die Christustaufe geschieht mit Geist, sie ist himmlisch. Die Johannestaufe ist eine Bekehrungstaufe, bei der Menschen sich zu Gott wenden. Aber die Christustaufe ist die entgegengesetzte Bewegung: Hier wendet Gott sich zum Menschen.

             "Er der mit dem Geist tauft", das ist eine andere Weise zu sagen, dass sich Gott in ihm zu jedem Menschen wendet. Er nimmt den Menschen, wie er ist. Er wendet sich zu mir, auch wenn ich nicht imstande bin zu verwirklichen, was ich mir vorgenommen habe, wenn ich nicht der sein kann, der ich gern sein möchte, der ich sein sollte. Er wendet sich zu mir gerade dort, wo das Leben am kompliziertesten ist. Ich weiß es, weil die Evangelien viele Berichte darüber enthalten, wie er Menschen gerade so begegnet: Mitten im Leben, wo sie zerrisen und widerspruchsvoll sind. Und der reicht den Menschen seine Hand, heilt das Geborstene, gibt ihnen neues Leben, neue Hoffnung.

             Das Evangelium weiß, dass es Wichtigers gibt als, wie man sein Leben zu leben wählt: Es hat etwas zu sagen, wenn du nicht dem entsprechen kannst, was man sein sollte, wenn dich die Werte, denen du huldigst, im Stich lassen, sich gegen dich wenden und dich verurteilen. Wenn du mitten in einem Leben stehst, das allzu kompliziert ist. Dann reicht Er, der stärker ist, dir seine Hand, er, der zuvor neues Leben, neue Hoffnung gegeben hat. Dann darfst du die Worte Johannes' des Täufers zu den deinigen machen: "Ich bin nicht Christus." Alles liegt an dir.

             Und dann bist du imstande, diejenigen zu sehen, die ihre Hand nach dir ausstrecken.

Amen



Pastor Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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