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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 08.03.2009

Predigt zu Markus 12:1-12, verfasst von Uwe Tatjes

Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole. 3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. 6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? 12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Liebe Gemeinde!

Eine schreckliche Geschichte wird uns da heute präsentiert, ein Schrecken ohne Ende, eine Spirale der Gewalt. Dabei sind die Sympathien eigentlich klar verteilt. Wenn man diese Geschichte so hört, dann regt sich doch Unwillen gegen die aufmüpfigen und  hinterlistigen Pächter, die dem berechtigten Anspruch des Pächters entgegentreten. Welches Recht haben diese Leute, so gemein zu reagieren, so überzogen? Ist es nicht das gute Recht des Weinbergbesitzers seine Pacht zu fordern? Die Situation spitzt sich immer mehr zu, ein Knecht nach dem anderen tritt auf, das Ausmaß der Gewalt wird immer größer. Am Ende dann der dramatische Höhepunkt: Ganz berechend ermorden die Pächter den Sohn, der ja Erbe ist. Doch damit nicht genug. Am Ende wird auch der Weinbergbesitzer kommen und blutige Rache nehmen.
Ein verstörende Geschichte. Wozu erzählt Jesus sie?
Die Geschichte scheint das selbst ja nahezulegen. Jesus erzählt sie auf seine Gegner hin, die Schriftgelehrten und Hohenpriester. Die Deutung ist dann relativ einfach. Gott erscheint in dieser Geschichte als der Weinbergbesitzer, als der, der nach vielen fruchtlosen Versuchen am Ende seinen Sohn schickt. Die Knechte wären dann die Propheten, die Gott seinem Volk Israel immer wieder geschickt hat, der Sohn, der geliebte Sohn dann Jesus selbst. Und als die widerspenstigen Pächter erscheint das jüdische Volk. Ihnen wird am Ende der Weinberg, die Verheißung, die Zuwendung Gottes genommen. Genau in dieser Tradition ist unsere Geschichte jahrhundertelang ausgelegt und auch immer wieder benutzt worden um Mißachtung oder Verfolgung des jüdischen Volkes zu legitimieren. An die Stelle von Israel tritt die Kirche. Das Volk Israel hat seine Chance gehabt, aber es hat Jesus nicht erkannt. Es ist ein schwieriges Erbe der Auslegung und Meinungsbildung, das uns hier hinterlassen worden ist. Antijudaistische und antisemitische Töne finden bis heute schnell Gehör. Auf den ersten Blick gibt sogar unsere Geschichte solchen Gedanken heute Recht.
Doch haben wir als Christen das Recht, über Israel zu urteilen? Gilt nicht nach wie vor Gottes Versprechen und seine Erwählung für sein geliebtes Volk Isreal? Und gibt Jesus uns mit dieser Geschichte irgendeinen Hinweis, daß es anders ist?
Wir wollen es uns deshalb nicht einfach machen und sozusagen hinter die Kulissen der Geschichte schauen. Dazu müssen wir uns klarmachen, wie damals die Menschen, für die Markus sein Evangelium geschrieben hat, diese Geschichte gehört haben: Unter diesen Menschen befanden sich nämlich viele kleine Leute, Menschen, die keinen eigenen Besitz hatten und für andere Lohnarbeit verrichten mußten oder auf gepachtetem Land arbeiteten. Die Situation dieser Menschen war oft bedrückend, denn das Land, das sie als Pächter bewirtschafteten, gab oft nicht das her, was als Pacht von ihnen gefordert wurde. Der Weinberg, von dem hier die Rede ist, war in der Regel ein Feld, das vorher anders landwirtschaftlich genutzt worden war. Wein war ein Luxusprodukt, das sich nur wenige regelmäßig leisten konnten. Die Pächter, die den Weinberg bewirtschafteten, mußten alle Arbeit und alle Risiken tragen. Auch bei Mißernten, bei schlechten Absatzpreisen, Krankheit oder anderen Problemen, mußte die Pacht entrichtet werden. Der Weinbergbesitzer hatte dagegen ein bequemes Leben. Er lebte nicht auf seinem Land, sondern oft in der Stadt und zog nur das Geld ein. Aus vielen Berichten der damaligen Zeit wissen wir, daß die Pachten oft zu hoch und überzogen waren, so daß den Pächtern kaum etwas zum Leben blieb.
Unter dieser Perspektive bekommt die Geschichte einen ganz anderen Klang. Es ist keine Geschichte über die Verwerfung Israels, sondern eine Geschichte über die Gerechtigkeit und die Gewalt in der Welt. Ohne das überzogene Verhalten der Pächter rechtfertigen zu wollen, wird es doch verständlicher, wenn wir ihre Situation vor Augen haben. Es ist die pure Verzweiflung, die sich in ihrem Handeln niederschlägt. Es ist auch die Wut über ungerechte Forderungen, die ihnen den Boden unter den Füßen entziehen. In den Pächtern können die Hörer des Markus sich selbst mit ihrer Lebenssituation wiedererkennen. Und der Weinbergbesitzer ist vor diesem Hintergrund kein gutes Bild für Gott, denn er ist ein Kapitalist, wie er im Buche steht, er zieht für sich den größten Nutzen aus der seinem Besitz. Die Sorgen der kleinen Leute interessieren ihn nicht.
In Brasilien kämpfen zehntausende Landlose gegen ihre Ausbeutung und Unterdrückung. Sie kämpfen gegen Lebensbedingungen, wo alle Familienmitglieder auf Land, das ihnen nicht gehört, bis zum Umfallen schuften und arbeiten müssen und am Ende doch kaum genug um Leben haben.
2006 stürmten sie frustriert und enttäuscht das brasilianische Parlament, weil sie keine Fürsprecher und keine Lobby haben. Immer wieder kommt es zu Massakern und Gewalttaten gegen die Landlosen. Vereinzelt schlagen sie zurück, doch gegen die Macht der Großgrundbesitzer und die Gleichgültigkeit der Regierung können sie kaum etwas ausrichten.
Die Welt, die Markus seinen Hörern vor Ohren stellte, hat sich kaum verändert.
Sie ist ungerecht und läßt viel zu vielen Menschen zu wenig Lebenschancen. Sie lebt zu sehr von der Ausbeutung anderer und zu wenig vom Teilen. Auch gleich bei uns um die Ecke leben ja viele Menschen mehr schlecht als recht, obwohl sie Arbeit haben und doch nur so wenig verdienen, daß es kaum zum Leben reicht. Und wenn man bei der Auricher Tafel mit Menschen spricht, die dort mit Lebensmitteln versorgt werden, kann man auch bedrückende und erschütternde Schicksale hören.
Doch auch auf ganz andere Weise ist unsere Welt in dieser Geschichte gegenwärtig. Sie ist gegenwärtig in den unendlichen Spiralen der Gewalt, die allerorten auf unserem Planeten wüten, in den großen Konflikten wie im Irak und Afghanistan, im Kampf zwischen Israelis und Palästinensern, in den alltäglichen und zermürbenden Konflikten und Kleinkriegen, mit denen wir unsere Beziehungen belasten. Wie Du mir, so ich Dir - so gibt eines das andere und doch keinen Frieden, kein Leben, kein Auskommen. Wenn die Bedingungen so schlecht sind, daß es für viele nicht zum Leben reicht, wenn Gewalt und Ausbeutung das Leben bestimmen, dann wird diese Welt nicht zu Ruhe kommen.
Ganz egal, wie wir unsere Ansprüche und Rechte begründen: mit Macht, mit Geld, mit Einfluß oder mit Glauben... Darum drehen sich immer wieder die Spiralen der Gewalt und der Ungerechtigkeit in dieser Welt. Auch die Schriftgelehrten und Hohenpriester fürchten ja um ihre Macht. Religiöse Macht, die Jesus ihnen streitig zu machen droht.
Doch Jesus kommt nicht für solche Spiele um Macht und Geld in diese Welt. Er kommt, um dem Rad der Macht und Gewalt in die Speichen zu fallen. Das Gleichnis, das er erzählt, berichtet davon, wie es zugeht in der Welt. Am Ende gewinnt dabei keiner, weder Weinbergbesitzer noch Pächter. Es ist eine Geschichte, in der wir uns mit unserer ungerechten und gewaltätigen Welt wiedererkennen. Jesus setzt eine andere, seine eigene Geschichte dagegen. Er ist den Menschen nahe, gerade den kleinen Leuten. Er nimmt sie mit ihren Sorgen und Bedürfnissen ernst. Er legt eine Spur der Liebe, der Versöhnung, der Heilung. Der Gewalt begegnet er nicht mit Gegengewalt, sondern mit seinem Leiden und seinem freiwilligen Opfer. Damit nimmt er der Spirale der Gewalt ihre Dynamik. Seine Geschichte geht nicht unter. Sie geht weiter. Sie fordert heraus. Schon unter dem Kreuz den römischen Hauptmann, der als Repräsentant der Gewalt bekennen muß: Dieser ist wahrlich Gottes Sohn gewesen.
Und er schafft damit Raum für neues: für ein Leben, das nicht auf den eigenen Vorteil aus ist, das den anderen annehmen kann. Das bereit ist zu teilen und auf Gewalt zu verzichten. Gott selbst schafft mit seiner Auferstehung neuen Lebensraum. In einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, wird Jesus Botschaft und Liebe so zum Eckstein, der Stabilität und halt geben kann. Das Überraschende ist am Ende: Gott handelt in Jesus ganz anders, als wir es erwarten. Er könnte so handeln wie der Weinbergbesitzer. Er hätte genug, was er von uns fordern könnte. Aber Gott fordert nicht die Lebensgrundlagen, wie der Weinbergbesitzer. Er bedrängt uns nicht mit Pachten und Schulden, die wir nicht begleichen können. In einer ungerechten Welt ist Gott in Jesus Christus am Ende der überraschend Barmherzige, der neue Lebensmöglichkeiten schafft. Lothar Zenetti hat das einmal in einem Gedicht schön zusammengefaßt:
"Einmal wird uns gewiss
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für alle die Tage,
die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen und
bezahlen;
bitte die Rechnung.
Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
so weit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!"
Amen



Uwe Tatjes
Aurich-Kirchdorf
E-Mail: pastor.paulus@imap.cc

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