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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Quasimodogeniti, 19.04.2009

Predigt zu Johannes 20:19-29, verfasst von Ulrike Voigt

Liebe Gemeinde,

die Wochenzeitung ZEIT erschien in der Woche vor Ostern mit der Schlagzeile auf der Titelseite:
DIE UNGLAUBLICHSTE GESCHICHTE DER WELT
und im Untertitel:
Nichts ist unwahrscheinlicher als die Auferstehung Jesu
Und darunter die Frage:
Warum feiern Milliarden Christen trotzdem Ostern?

Ja, warum feiern wir als Christen Ostern? Die Frage der ZEIT ist nicht nur, was da an Ostern eigentlich passiert ist - und das wird als unwahrscheinlich und unglaublich charakterisiert -, sondern warum sich Christen heute noch, nach bald 2000 Jahren, auf dieses umstrittene Ereignis beziehen. Das ist wirklich eine spannende Frage!

Dass die Auferstehung Jesu von den Toten aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Unbegreiflichkeit ein schwieriges Ereignis darstellt, spiegelt sich schon im Neuen Testament. Hier wird die Auferstehung bezeugt und zugleich gegen Angriffe verteidigt, der Leichnam von Jesus wäre gestohlen worden oder Jesus wäre gar nicht richtig tot gewesen. Wäre nicht vieles einfacher gewesen, wenn sich Jesus nach der Auferstehung nicht nur im Jüngerkreis gezeigt hätte? Schon seine Jünger fragten Jesus (wir haben es in der Lesung gehört): Warum zeigst du dich nur uns und nicht auch der Welt? (Joh 14, 22) Denn dann wäre seine Auferstehung möglicherweise so wie die Kreuzigung auch ein geschichtliches Faktum geworden. Stellen wir es uns einmal vor: der auferstandene Jesus wäre bei Pilatus erschienen, im Rat der Hohenpriester, bei Herodes, ja vor der Menge, die ihn kreuzigen lassen wollte  - was für eine triumphale Demonstration der Macht des Stärkeren! Aber ob diese spektakuläre Demonstration den Glauben an Christus geweckt hätte, darf doch bezweifelt werden.

Nein, das schadenfrohe Auftrumpfen passt nicht zu Jesus. Die Auferstehung ist keine nachträgliche Korrektur einer dramaturgischen Panne, der Kreuzigung, sie ist kein später Triumph eines strahlenden Siegeshelden über seine Gegner. Jesus hat darauf verzichtet, seine Gottessohnschaft hieb- und stichfest zu beweisen. Seine von Gott verliehene Herrlichkeit hat er denen gezeigt, die an ihn glaubten. Er hat seinen Begleitern immer Raum gelassen, sich selbst ein Urteil zu bilden, in der Begegnung mit ihm. Er hat keinen Glauben erzwungen, sondern eine freie Entscheidung erwartet.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag berichtet von einer Begegnung mit dem Auferstandenen und von einem Mann, der diese für unwahrscheinlich und unglaublich hielt.
(Joh 20, 19-29)

„Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und sprach: Friede sei mit euch!
Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und sprach zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!
Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen:
Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.
Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und trat mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!"

Hier wird von zwei Begegnungen berichtet. Die erste findet im Jüngerkreis statt. Die Jünger sitzen nach dem Tod ihres Herrn beeinander, aber aus Angst vor denen, die Jesus der Kreuzigung ausgeliefert hatten, treffen sie sich hinter verschlossenen Türen. Da kommt Jesus zu ihnen mit dem Friedensgruß und zeigt seine Hände und seine Seite als Erkennungszeichen. Er ist der, der gekreuzigt worden war. Freude erfüllt daraufhin die Jünger und Gewissheit, dass Jesus auferstanden ist. So erfüllt sich, was Jesus in seinen Abschiedsworten prophezeit hatte: „ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen" (Joh 16, 22). Nun sendet Jesus seine Jünger als seine Nachfolger in die Welt. Und er stattet sie zu diesem Auftrag mit dem heiligen Geist aus.

Ganz anders fällt die zweite Begegnung, die zweite Hälfte der Geschichte, aus. Im Mittelpunkt steht jetzt ein einzelner Jünger namens Thomas. Er war nicht dabei, als Jesus im Jüngerkreis erschienen ist, aber die anderen Jünger berichteten ihm davon. Doch die Reaktion ist nicht ein freudiges Zustimmen; die Freude, die die anderen Jünger in der Begegnung erfüllte, stellt sich hier überhaupt nicht ein. Thomas blockt ab. „Ich glaube nur, was ich sehe". Was die anderen erlebt haben, will er auch erleben. Er will es mit eigenen Augen sehen, mit den eigenen Händen fühlen, ob es wirklich stimmt, was ihm da erzählt wird. Er kann sich nicht vorstellen, etwas zu glauben, was der alltäglichen Erfahrung widerspricht. So lehnt er es ab zu glauben, - außer, wenn ihm das Gegenteil bewiesen wird - und zwar vom Auferstandenen selbst.

Für diese Haltung hat Thomas den Beinamen „Der Zweifler" bekommen; es existiert die Redewendung vom „ungläubigen Thomas" für jemanden, der nicht wahrhaben will, was doch offensichtlich ist. In unserer Zeit ist Thomas sogar zum Inbegriff für Kirchendistanzierte geworden, da man nach ihm die sogenannten „Thomasmessen" benannt hat, die ein Gottesdienstangebot für die Menschen sind, die der Kirche nicht so nahe stehen.
Aber ist es notwendig oder berechtigt, die Reaktion des Thomas so kritisch zu sehen? Ist es nicht verständlich, ja geradezu notwendig, auf eine so unglaubliche und unwahrscheinliche Nachricht von zurückhaltend zu reagieren? Noch herrschte vermutlich tiefe Trauer über den Tod und das Scheitern Jesu - wie gut ist es nachvollziehbar, dass die unerhörte Freudenbotschaft erst einmal mit Skepsis betrachtet wird. Jetzt nur nicht einer Illusion erliegen! Die Gefühle nicht noch mehr strapazieren oder sich über die Tatsachen hinwegtäuschen, dass Jesus tot ist. Es ist nicht nur verständlich, dass Thomas so reagiert, sondern er steht damit wahrlich nicht allein. Furcht und Entsetzen erfasste die Frauen am leeren Grab, Ratlosigkeit und Zweifel waren meist die ersten Reaktionen. Thomas konnte sich nicht vorstellen, dass die Geschichte des Gekreuzigten so wunderbar weitergehen konnte, nachdem sie so brutal gescheitert war.
Ist es nicht eigentlich positiv, wenn jemand sich nicht mit Informationen aus zweiter Hand zufrieden gibt, sondern selbst der Sache nachgehen will? Ist es nicht richtig, die Begegnung mit der konkreten Person selbst dem Bericht von anderen vorzuziehen? Zeigt dies nicht, wie sehr sich Thomas innerlich engagiert? Schließlich muss jeder einen persönlichen Glauben finden, andere können weder für ihn glauben noch den Glauben wecken.
Also, ich finde, Thomas kommt mit den Beinamen als Zweifler, Ungläubiger oder Patron der Kirchendistanzierten in der Rezeptionsgeschichte zu schlecht weg. Denn Thomas mit seinen Zweifeln hat Platz im Jüngerkreis. Und Jesus selbst kommt dem Verlangen des Thomas nach Beweisen nach.

Als der Auferstandene wieder zu den Jüngern kommt, wendet er sich Thomas zu und geht auf seine Forderung nach Berührung und mit-den-eigenen-Augen-sehen ein. Jesus gibt Thomas die Möglichkeit, auf sinnliche Weise, mit Händen und Augen, die gewünschte Bestätigung der Auferstehung zu erlangen. Aber er schließt seine Forderung an Thomas an: „sei nicht ungläubig, sondern gläubig!"
Es wird interessanterweise nicht berichtet, ob Thomas der Aufforderung Jesu nachgekommen ist und Jesus tatsächlich abgetastet hat. Die Ausleger streiten sich ein wenig darüber, was wahrscheinlicher ist, dass er es getan hat oder dass er es nicht getan hat. Ich finde das nicht wichtig. Es erfolgt jedenfalls ein sofortiger Umschwung in der Haltung des Thomas. Thomas ist in dem Augenblick überzeugt, dass er den gekreuzigten Jesus lebendig wieder vor sich sieht. Er erfüllt die Forderung Jesu nach Glauben, Jesus hat den zweifelnden Jünger gewonnen. Er bricht in ein Glaubensbekenntnis aus: „Mein Herr und mein Gott!" Der Zweifel, der Unglaube, hat sich in Glauben verwandelt. Das Unglaubliche ist glaubhaft geworden.

So hätte die Geschichte enden können. Doch sie ist noch nicht ganz zu Ende, und das ist gut.
Die Geschichte endet mit einer Seligpreisung von Jesus, die gleichzeitig einen Tadel an Thomas formuliert: „Weil du gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!"

Denn die Frage, die den Evangelisten Johannes in seinem ganzen Evangelium beschäftigt, lautet: wie kann man zum Glauben kommen, wenn man Jesus nicht mehr direkt sehen und erleben kann wie die Jünger bzw. Thomas? Wie kann man zu einem Glauben kommen, der kein Schauglaube bleibt, der sich von Zeichen und Wundern nährt? Wie können die nach Jesu Lebenszeit geborenen dem auferstandenen Jesus begegnen, wenn er ihnen nicht mehr erscheinen kann?

Weil du gesehen hast, glaubst du... - wird mit diesem Tadel gefordert, die Augen vor etwas zu verschließen, gar vor den Realitäten, und gegen alle Vernunft zu glauben? Wird hier eine „Augen-zu-und-durch"-Haltung gefordert, die keine Zweifel zulässt? Ist blindes Vertrauen gemeint?

Das Sehen auch in Glaubensfragen wird nicht grundsätzlich kritisiert. Aber das Sehen reicht allein nicht aus. Es grenzt die Wahrnehmung zu sehr ein, sich nur auf die eigene Sinneswahrnehmung zu verlassen. Wer nur glauben kann, was er sieht, legt selbst die Maßstäbe dafür fest, verschließt sich Erfahrungen, die darüber hinausgehen. Und wenn er nichts sieht, bliebe nichts zu glauben. Glaube ist aber viel mehr als Sehen.

Unsere Welt denkt heute in Bildern. Nicht unbedingt die Nachrichten, die vielleicht die interessantesten sind, schaffen es ins Fernsehen und ins Internet, sondern die, von denen es gute - oder schlechte - oder spannende Bilder gibt. Dabei haben wir schon oft erlebt, wie Bilder manipuliert wurden. Der Glaube hat meist keine spannenden Bilder zu bieten. Gottesdienste, die nicht gerade als Massenspektakel gefeiert werden, bieten wenig Unterhaltungswert, das Wort zum Sonntag erst recht nicht. Auch Filme über die Passion, wie vor einigen Jahren der umstrittene Film von Mel Gibson, bleiben an der Oberfläche. Sie können das Geheimnis des Glaubens nicht erklären. Sie sind keine echte Begegnung mit Jesus. Die Verkündigung von Kreuz und Auferstehung verweigert sich häufig unserer bildsüchtigen Gegenwart.

Man kann also diesen Vorwurf von Jesus an Thomas für uns heute auch so formulieren: Glaube ist nicht auf Bilder, auf das Sehen oder auf Beweise angewiesen. Es ist nicht nötig, sich nur auf diese Weise vergewissern zu können. Die Wahrheit findet sich nicht durch das Sehen. Selig, und das heißt glücklich, werden die genannt, die nicht für alles sichtbare Beweise brauchen. Wir müssen den Schritt vom Beweisbaren und Sichtbaren weg wagen. Vertrauen ist gefragt. Und Hören auf das, was andere von Jesus erzählen. Und dies ist lebendig, weil Jesus wirklich vom Tod auferstanden ist und damit seit Ostern Menschen begegnet, bis heute. Es müssen nicht immer Begegnungen sein, die im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend waren, wie bei Paulus oder Martin Luther. Sie können auch eher unspektakulär verlaufen, indem ein Mensch einfach zum Glauben kommt.
Ich bin im christlichen Glauben aufgewachsen. Aber dann als Jugendliche auf christlichen Freizeiten habe ich erlebt, was es für Menschen bedeutet, dass Jesus der Lebendige ist. Dort haben mir Menschen so packend von ihm erzählt und mich damit so beeindruckt, dass ich plötzlich wusste: er lebt und er ruft mich. So ist auch mir Jesus lebendig begegnet.

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" Ein weiterer Gedanke. Weil Jesus auferstanden ist und lebt, ist Glauben sogar gegen das Sehen möglich. Wir sehen viele Bilder und Realitäten, die unseren Glauben nicht fördern, sondern quälen. Vieles, was sich um uns abspielt, scheint nicht mit einem liebenden Gott zusammenzupassen. Dazu gehören Unglücke, Katastrophen, Krankheit, Not, die Ungerechtigkeit in der Welt, aber auch der Unfrieden, den wir in unserer Umgebung und in uns selbst oft erleben. Viel zu wenig ist von der Kraft der Auferstehung in der Welt sichtbar! -- Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Nicht im Sinne von Wegsehen und „die Augen verschließen". Das Beispiel des Thomas ermuntert uns, unsere Fragen und Zweifel daran, wie dies mit der Botschaft von Gottes Liebe zusammenpasst, auch zu stellen. Die Gegenwart Christi kann uns trösten, wenn alles gegen seine Liebe spricht. Dann werden wir auch die fehlende Strahlkraft des christlichen Zeugnisses nicht einfach hinnehmen, sondern mit Gottes Hilfe versuchen, es im kleinen sichtbar zu machen.

Kehren wir noch einmal zu der eingangs zitierten Titel-Schlagzeile zurück: Die unglaublichste Geschichte der Welt. Nichts klingt unwahrscheinlicher als die Auferstehung Jesu.
Ich hatte nun kritische Artikel in dieser Zeitung erwartet, vielleicht über die Unmöglichkeit der Auferstehung oder die angebliche Unvereinbarkeit von Glaube und Wissenschaft. Aber nichts davon, ich fand nur einen Artikel mit der Überschrift „Höher als alle Vernunft", der für Atheisten erklärte, was die Osterberichte eigentlich sagen. Der zweite, viel längere Artikel zu diesem Thema trug die Überschrift: „Warum ich daran glaube. Die biblische Auferstehungsgeschichte ist eine unfassbare Zumutung. Sie verändert unser Leben".
Darin schreibt die Autorin (Sabine Rückert): „Von allen Zumutungen (der Bibel) war für mich als (Kind und Jugendliche) die letzte, die Behauptung der Auferstehung, das stärkste Stück. Und doch: Gerade die Auferstehungsgeschichte ist mir heute, da ich erwachsen bin, die liebste von allen. Ich finde sie so großartig, so unverschämt zuversichtlich..." - und in ihrem letzten Absatz beschreibt sie, was es für sie heißt, nicht zu sehen und doch zu glauben:
„Christen sind Protestleute gegen den Tod in all seinen Varianten. Sie bieten der Bedeutungslosigkei, der Depression, der Feindseligkeit, der Feigheit, der Inhumanität, der Selbstsucht die Stirn. Gegen alles anzustürmen, was klein, hässlich und verzagt macht, das ist ihre Aufgabe. Das ist meine Aufgabe. Und mein Verständnis von Auferstehung."


Ich wünsche Ihnen heute am Sonntag nach Ostern, dass Ihnen der Herr begegnet und dass Sie von Freude erfüllt werden.

AMEN
 
 

Dr. Ulrike Voigt
Stuttgart
E-Mail: dr.u.voigt@web.de

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