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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 31.05.2009

Predigt zu Johannes 14:23-27, verfasst von Reinhold Mokrosch

Erfahrungen mit dem tröstenden Heiligen Geist - Einbildung oder Realität?

  

I.

  

Liebe Gemeinde!

74% der Deutschen wissen nicht, was Pfingsten geschehen ist. In den Neuen Bundesländern sind es 87%, in den Alten 65%. Das ergab eine Umfrage im letzten Jahr.

Und als die Interviewer das Rätsel lösten mit der Aussage „Da ist der Heilige Geist auf die ersten Christen gekommen" reagierten die meisten Befragten: „Kann ich nichts mit anfangen!" „Heiliger Geist - was'n das für'n Quatsch? Ne Taube? Oder wieder so was Kosmisches?" Immerhin, die Symbolik von Pfingsten kannten noch einige. Aber die Sache der „Ausgießung des Heiligen Geistes" war fast allen fremd. War und ist ihnen damit auch der Zugang zu Erfahrungen mit dem Heiligen Geist fremd?

In Schleswig-Holstein hält sich hartnäckig die Mär, dass vor Zeiten ein geistbegabter gläubiger Dithmarscher Pastor seinen ungläubigen Bauern das Pfingstwunder der Geistausgießung plastisch nahe bringen wollte. Vor Beginn des Pfingstgottesdienstes übergab er seinem Küster eine lebende weiße Taube. Er wies ihn an, dieselbe genau dann von der Empore fliegen zu lassen, wenn er am Schluss seiner Predigt charismatisch ausrufe: „Und nu' komm, Heiliger Geist!"  Der Küster zeigte Einverständnis.  -

Nach einer mitreißenden Geistpredigt erhob der Pastor die Arme zum Himmel und rief mit charismatischer Stimme: „Un' nu komm, Heiliger Geist!" Nichts tat sich. Noch einmal rief er. Nichts tat sich. Ein letztes Mal flehte er. Da ertönte die leise, piepsige Stimme des Küsters von der Empore: „Herr Paster, den Hielig'n Giest hat de Kat' freden!"

Ob wahr oder unwahr - die Erzählung zeigt, dass schon vor Zeiten zu beklagen war, was wir heute besonders beklagen: Das Pfingstwunder vom Heiligen Geist wurde früher und wird heute nicht mehr verstanden. Und viele Versuche, es auf sanfte oder wie der Dithmarscher Pastor auf drastische Weise anschaulich zu machen, schlugen und schlagen fehl. Woran liegt das?

 

II

Unsere Alltagssprache ist doch voll von Aussagen über Geist und Geister: Wir reden vom Geist der Freundschaft, der Freiheit, des Friedens, vom Geist der Wahrheit und der Lüge, vom Zeitgeist usw. Wir reden von großen und kleinen, starken und schwachen Geistern, wenn wir betonen: Das ist ein großer und starker, das aber ist ein kleiner und schwacher Geist. Wir reden von Geistesgegenwart und Geisteskraft, von guten und bösen Geistern - und auch vom göttlichen Geist. Aber trotzdem: Das Pfingstwunder und der Heilige Geist bleiben den meisten ein Buch mit sieben Siegeln. Pfingsterfahrungen und Pfingstsymbolik bleiben den meisten verschlossen. Zwar gehört die weiße Taube heute zu den beliebtesten Symbolen. Aber man kennt sie nur in der Version Picassos mit dem Palmenzweig im Schnabel als Symbol des Friedens, nicht des Heiligen Geistes. - Und Kinder assoziieren mit dem Wort „Geist" eher Gespenster als Gottes Geist. Und Jugendliche denken oft an spiritistische Geisterwelten, nicht aber an Christi Geist. Mit dem Heiligen Geist können die meisten nichts anfangen.

Beim Kirchentag in Bremen letzte Woche habe ich das hautnah sogar unter Christen erlebt. Ich kam auf dem „Markt der Möglichkeiten" an meinem Stand von „Religions for Peace (WCRP)" mit vielen Kirchentagsbesuchern über „Feste in den Religionen" ins Gespräch. Himmelfahrt und Pfingsten, gestanden die meisten, sei ihnen gänzlich fremd. Und als ich ihnen von charismatischen und spirituellen Bewegungen und von den Pfingst-Kirchen erzählte, da wurden die meisten auch noch skeptisch. „Solch ein Enthusiasmus ist doch gefährlicher Unsinn! Wie ‚ne Droge. Da sollte man doch lieber gleich besoffen sein!", äußersten manche. Die meisten können mit dem Heiligen Geist und mit Heilig-Geist-Erfahrungen nichts anfangen.

            Woran liegt das? An Spiritualitätssehnsucht fehlt es doch wahrlich nicht. 63% unserer Bevölkerung, das zeigte die gleiche Umfrage, sehnen sich nach Spiritualität. Wie lässt sich, liebe Gemeinde, dieser Widerspruch erklären? Einerseits sehnt man sich nach Spiritualität, andererseits kann man mit dem Heiligen Geist nichts anfangen! Geht das auch Ihnen so? Haben auch Sie Sehnsucht nach Spiritualität, können aber mit dem Heiligen Geist nichts anfangen?

 

III

Könnte uns unser Predigt-Text helfen, dem Heiligen Geist näher zu kommen? Unserer Predigt liegt heute nicht der bekannte Text aus Apg 2 zugrunde, wo die Jünger Jesu vom Brausen des Heiligen Geistes erfasst wurden; sondern ein Text aus Joh 14, 23 - 27, aus den sog. Abschiedsreden Jesu:

(Verlesen des Textes Joh 14, 23 - 27)

Dieser Text ist schwierig, sehr schwierig! Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern, weil er um seine Ermordung weiß. Er hinterlässt seinen Jüngern sozusagen drei Abschiedsgeschenke: Erstens hinterlässt er ihnen Liebe zwischen den Glaubenden und sich selbst; zweitens hinterlässt er ihnen den Heiligen Geist Gottes in der Gestalt eines Trösters; und drittens hinterlässt er ihnen göttlichen Frieden. Liebe, Heiliger Geist als Tröster und göttlicher Friede - das sind die drei Abschiedsgeschenke Jesu. Ich möchte mich besonders dem zweiten Geschenk, dem Heiligen Geist zuwenden.

Wie können und sollen wir uns das vorstellen, Ihr lieben Mitchristen? Ein Heiliger Geist in Gestalt eines Trösters, Beistehers, Helfers und Fürsprechers? Also: Der Heilige Geist als eigenständiges Wesen, das handelt, lehrt und erinnert, wie Jesus sagt. Ist das nicht ein bisschen gespenstisch, ein bisschen gruselig? Der Heilige Geist als Subjekt und Person neben Gott und Christus? Da legt sich doch die Vorstellung von einem unsichtbaren Geist-Gespenst nahe?

Das wäre ein totales Missverständnis. Ja, Jesus hinterlässt einen Heiligen Geist, der ein eigenständiges Subjekt und eine Person, aber kein Geist-Gespenst ist. Was dann? Gibt es Erfahrungen aus unserem Alltag, die uns dem von Jesus geschenkten Geist in Gestalt eines Trösters näher bringen?

 

IV

Ich halte uns drei Alltagserfahrungen vor Augen:

(1)  Der langjährige Leiter eines Forschungsinstituts ist gestorben. Sein Forschungsteam schwört: „Wir werden das Institut in seinem Geist fortführen!" Und zur Bekräftigung haben sie unter sein Konterfei am Eingang des Instituts geschrieben: „In seinem Geist mit neuer Kraft!"  -  Kommt dieses Geistverständnis dem Heiligen Tröstergeist Jesu nahe? Wohl kaum! Hier wird die Leistung des Forschungsteams gefordert, um den Geist des alten Chefs virulent bleiben zu lassen. Das hat mit der Funktion des Heiligen Geistes nichts zu tun.

(2)  Ein zweites Beispiel: Ein Mann hat nach 45 Jahren Ehe seine geliebte Frau durch Krebs verloren. Er begegnet, wie er sagt, ihrem Geist oft - im Traum, tagsüber, allein oder unter Freunden. Ja, er fühlt ihren Trost und lässt sich trösten von ihr. Er führt, wie er sagt, sogar Gespräche mit seiner verstorbenen Frau, bittet sie um Rat und erhält, wie er beteuert, manchmal von ihr Antwort. Von Spiritismus hält er nichts. Er braucht keinen magischen Kontakt zu seiner Frau. Ein geistiger genügt ihm. Seine Frau bleibt seine Partnerin - durch ihren Geist.  -  Kommen wir mit diesem Beispiel dem Tröster-Geist Christi näher? Ich glaube ja! Der Mann erlebt so real den Geist seiner Frau wie Jesus uns auffordert, real den Geist Gottes zu erleben. Außerdem ist die Geisterfahrung des Mannes an den Geist seiner Frau gebunden. Genauso sollte auch unsere Heilig-Geist-Erfahrung an die Person Jesu Christi gebunden sein. Es ist kein frei flottierender Geist, sondern der Geist Jesu Christie und Gottes, den Christus uns da hinterlässt. Das ist entscheidend. Ja, es gibt Parallelen zwischen diesem Alltags-Beispiel und dem Parakleten!

(3)  Ein drittes Beispiel: Ein geachteter und geliebter Bischof hat seine Diözese verlassen, weil er wegberufen worden ist. Seine Gemeinden leben von seinem Geist und wirken in seinem Geist. Sie erinnern sich an seine Ideen, Anweisungen und Vorschläge und fühlen sich, wie sie sagen, oft von ihm direkt angesprochen und herausgefordert; in Notfällen sogar getröstet. - Kommen wir mit diesem Beispiel dem Tröster-Geist Christi näher? Ja, es ist wieder das Gefühl einer realen Geisterfahrung, die nicht auf Einbildung beruht. Aber natürlich spielt die Erinnerungskraft der Gemeindeglieder hier eine große Rolle. Davon kann bei Jesu Tröster-Geist keine Rede sein. In Gegenteil: Der Tröster-Geist erinnert die Jünger und nicht die Jünger erinnern den Tröster-Geist. Die Parallele ist hier nicht so stark wie bei dem Mann und dessen verstorbener Frau.

Tragen diese Alltagsbeispiele etwas bei, um den von Christus geschenkten Heiligen Tröster-Geist besser zu verstehen? Die Beispiele haben uns gezeigt: ((1) Es gibt reale Erfahrungen im Dialog und Gegenüber mit dem Geist eines nicht mehr anwesenden lieben Menschen. Das ist dann keine Einbildung, sondern reale Erfahrung.  (2) Und: Ein solcher Geist eines geliebten abwesenden Menschen kann real trösten, helfen, beistehen, erinnern und lehren. Auch das ist in der Regel keine Einbildung, sondern reale Erfahrung. (3) Ferner: Geisterfahrung ist, das zeigten die Alltagsbeispiele,  immer an den Geist einer bestimmten Person gebunden. Es ist kein frei flottierender, sondern ein gebundener Geist.  (4) Und schließlich: Geisterfahrungen sind in unterschiedlicher Weise an die Erinnerungsaktivitäten der Hinterbliebenen gebunden. Bei dem Forschungsteam und den Bischofsgemeinden erschienen mir die Erinnerungsaktivitäten intensiver zu sein als bei dem Ehepaar nach 45 Jahren Ehe. Hier „erschien" der Geist der verstorbenen Ehefrau dem Ehemann öfters aus eigener Kraft.

Wie verhält es sich mit Heiligen Geist in Gestalt eines Trösters, den Jesus uns hinterlassen hat? Er ist, das möchte ich betonen, eng an Jesus Christus gebunden. Unabhängig von Jesus Christus gibt es m.E. für uns Christen keinen Geist Gottes. Das unterscheidet mich von manchen Pfingstlern, die sich oft von einem frei flottierenden Geist, der nicht unbedingt an die Verkündigung Jesu Christi gebunden ist, ergriffen fühlen. -  Ich möchte ferner betonen, dass dieser Heilige Geist, der Geist Christi, relativ unabhängig ist von unserer Erinnerungsaktivität. Er kommt über uns. Er begegnet uns. Er kommt auf uns zu. - Und weiter: ist mir wichtig zu betonen: Dieser auf uns zukommende Geist Christi und Geist Gottes wirkt als ein von unserer Einbildung unabhängiges Gegenüber. Er ist eine Realität, die uns widerfährt. - Und schließlich: Er tröstet uns! Das ist eigentlich das entscheidende am Pfingstfest: Der Heilige Geist tröstet uns angesichts unserer Fragen, Sorgen, Nöte und vielleicht sogar Verzweiflungen. Er gibt mir die feste Zusage: Ich bin in Gottes Hand geborgen! Was mir auch zustößt: Ich bin nicht benachteiligt, nicht allein gelassen und nicht vergessen. Pfingsten ist das Fest des Trostes!

Liebe Christen! Öffnet Euch für diesen Geist des Trostes, den Jesus Christus uns von Gott geschenkt hat. Er verändert unser Leben.

Der Heilige Geist, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen.

 



Prof. Dr, Reinhold Mokrosch
Osnabrück
E-Mail: Reinhold.Mokrosch@uni-osnabrueck.de

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