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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Misericordias Domini, 22.04.2007

Predigt zu Johannes 21:15-19, verfasst von Irene Mildenberger

15 Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! 16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. 19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

 

Liebe Gemeinde

Jesus ist der gute Hirte. Und dieser Hirte will keine dummen Schafe. Er macht sie klug. Er macht uns klug. Er macht Menschen aus uns, die anderen den Weg zeigen. Die selber Hirten werden.
Die Geschichte von Petrus zeigt uns das. Da können wir sehen, wie der gute Hirte mit uns umgeht, wie er uns nachgeht. Wie er uns vorausgeht, damit wir ihm nachfolgen.

Petrus hat sich selbst sicher nicht für ein dummes Schaf gehalten. Der Beste wollte er sein, der Erste, der den anderen vorangeht. Und war es ja auch oft. Der Mutigste, der, der sich immer wieder an die Spitze wagt. Der als erster den Mund aufmacht, seine Meinung sagt.
Dafür ist er dann auch besonders tief gefallen, hat sich besonders gründlich verrannt, verirrt. Hat Jesus verraten. Hat ihn im Stich gelassen. Als es darauf ankam, fehlte ihm der Mut. Da hatte er Angst um sich selber.
Jesus hatte es ihm vorher gesagt, er wollte es nur nicht hören, nicht glauben. Da sprach Jesus zu ihnen: In dieser Nacht werdet ihr alle Ärgernis nehmen an mir. Denn es steht geschrieben (Sacharja 13,7): »Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.« (Mt 26,31)

Das möchte ja keiner gerne hören, keiner gerne sein, ein Schaf, das in die Irre geht (vgl. Jes 53,6; 1. Petr. 2,25). Und doch, wie schnell passiert das. Den Mund nicht aufmachen für einen, der Beistand brauchen könnte. Wegsehen vom Leid anderer.
Wie schnell geht das erst recht da, wo Recht und Unrecht, Gut und Böse nicht sofort, nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Die Folge unseres Handelns ist ja oft nicht unbedingt vorher abzusehen. Die Zusammenhänge sind oft so kompliziert, dass wir nicht erkennen, was wirklich das Gerechte ist, was wirklich dem Frieden dient, unsere Schöpfung erhält.

In die Irre gehen, wie schnell ist das passiert. - Und Petrus erkennt es und weint bitterlich. Aber es ist zu spät. Und Jesus kann er jetzt auch nicht mehr helfen, nichts mehr für ihn tun, ihm nicht mehr beistehen.
Da schmerzt die Schuld besonders, wo wir nicht mehr die Möglichkeit haben, etwas wieder gut zu machen. Petrus weint bitterlich. Und muss damit weiterleben.

Doch jetzt begegnet er Jesus wieder. Wie wird das werden? Was wird Jesus tun? Gnädig über alles hinwegsehen? Das Versagen nicht ansprechen? Schließlich ist ja alles doch noch gut geworden. Man könnte also so tun, als ob nichts gewesen sei, einfach zur Tagesordnung übergehen.
Schließlich kommt es auf die Zukunft an. Was soll das dauernde Zurückschauen? Kann man nicht die Vergangenheit endlich ruhen lassen? Die Stasi-Akten endgültig schließen? Muss denn unbedingt noch einmal jede Verirrung ans Licht geholt werden? Warum nicht einen gnädigen Schlussstrich ziehen und nach vorne sehen?

Jesus sieht über das Vergangene nicht hinweg. Er sieht zurück. Aber er tut es liebevoll. Er behaftet Petrus nicht direkt bei seinem Versagen. Nicht so, dass Petrus sich wehren, sich verteidigen muss. Doch ohne den Blick zurück geht es nicht. Also spricht er den wunden Punkt an, vorsichtig aber doch deutlich.
Petrus, liebst du mich? Wenn man so nach der Liebe fragen muss, ist sie ja schon nicht mehr selbstverständlich, ist schon in Frage gestellt. Nun gar noch: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Du wolltest doch auch der Mutigere sein. Erinnerst du dich? Wenn sie auch alle Ärgernis nehmen, so will ich doch niemals Ärgernis nehmen an dir. (Mt 26,33) So hast du geredet. Wolltest lieber sterben, als mich verleugnen.
Petrus ist vorsichtig geworden in seiner Antwort. So einfach ist das nicht mit dem vorneweg gehen. Jetzt ist klar, wie viel Mut das braucht. Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Mit den anderen will ich mich nicht vergleichen. Du weißt, dass ich dich lieb habe, obwohl ich dich verraten habe. Obwohl ich feige war. Obwohl ich mich verrannt habe, in die Irre gegangen bin.
Es ist gut, dass du mich fragst, auch wenn es weh tut, meine Fehler anzusehen. Aber so merke ich auch, dass dir überhaupt noch an mir liegt, Jesus. Dass dir an meiner Liebe liegt.
Jesus redet noch weiter: Weide meine Lämmer! Du sollst verantwortlich sein für andere. Du weißt ja jetzt, wie leicht man Verkehrtes tut. Weißt, wie viel einfacher es ist, den Mund zu halten, sich nicht zu bekennen. Du kennst die Gefahren. Du weißt, dass du nicht besser bist als die anderen. Du wirst Fehler leichter erkennen, hast sie ja selber gemacht. Und du wirst gnädig sein, nicht mehr unbarmherzig und vorschnell.

Weide meine Lämmer, sagt Jesus. Damit könnte alles gesagt sein. Aber so schnell geht das nicht mit dem klug werden. So schnell darf nicht abgesehen werden von der Vergangenheit. So schnell kommen wir nicht davon. Erinnerung ist nötig. Noch einmal hinschauen auf den wunden Punkt. Verstehen, wie es dazu kommen konnte.
Nicht an der Vergangenheit festkleben. Aber doch die Frage noch einmal: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Und noch einmal die Antwort: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Dass es mir Leid tut, was ich getan habe. Dass ich bereue. Du hast ja Recht, nachzufragen, schließlich war ich mit meinem Nein zu dir schnell und freigiebig.

Es ist gut, nachzufragen, genau hinzusehen - zu schnell wiederholt sich die Vergangenheit. Das gilt für die gemeinsame Geschichte unseres Volkes. Darum brauchen wir die Erinnerungstage und -orte, darum brauchen wir die, die immer wieder darauf hinzeigen, wenn es Ansätze zur Wiederholung gibt. Wir brauchen auch das Museum in der „Runden Ecke". [Das Stasi-Museum in Leipzig]
Aber das gilt ja auch für mich selbst. Für meine Fehler. Auch die darf ich nicht einfach verdrängen. Wie leicht tappe ich immer wieder in die gleiche Falle. Entdecke Muster in meinem Leben, die sich immer wieder wiederholen.

Du hast recht, Jesus, so schnell können und dürfen wir nicht wegsehen.
Aber es tut gut, dass du auch Veränderungen erhoffst, dass du nicht stehen bleibst bei der Vergangenheit, dem Versagen, der Schuld. Es geht ja um das Leben. Du erwartest noch neues. Gut, dass du mich nicht für einen unverbesserlichen Fall hältst. - Und Jesus bestärkt das mit dem neuerlichen Auftrag: Weide meine Schafe.

Doch jetzt fragt Jesus noch ein drittes Mal. Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Und Petrus wird traurig. Es tut weh, so auf das eigene Versagen gestoßen zu werden, auf die eigene Vergangenheit.
Das kann ich dir nicht ersparen, Petrus. Sonst ändert sich nichts. Sonst geht es nicht besser weiter als bisher. Die Vergangenheit wiederholt sich zu schnell.

Es geht nicht einfach darum, ob du mich liebst. Es geht auch darum, ob du dich selbst wieder lieben kannst. Und nur dann kannst du auch andere lieben. Nur dann kannst du Hirte sein, meine Schafe weiden, denn dafür braucht es viel Liebe.
Aber ich liebe dich ja, meinen erst so vorlauten und jetzt kleinlaut gewordenen Petrus. Da brauchst du keine Angst zu haben. Du brauchst nicht traurig zu sein. Ich liebe dich, sagt Jesus.

Und das ist eine ganz besondere Liebe. Anders als die Liebe, mit der wir Menschen einander lieben. Luther hat das einmal - es war im Jahr 1518, als seine neuen Erkenntnisse über Gott noch ganz frisch waren - er hat es einmal sehr schön und klar auf den Punkt gebracht, wie das ist mit der Liebe Gottes und unserer Liebe: „Die Liebe Gottes findet ihren Gegenstand nicht vor, sondern schafft ihn sich erst, menschliche Liebe entsteht an ihrem Gegenstand."
Gott liebt also nicht etwas, was liebenswert ist, schön, mit makelloser Vergangenheit. Sondern das, was er liebt, wird dadurch liebenswert. Ja es wird überhaupt erst geschaffen. Das ist anders mit unserer menschlichen Liebe. Wir Menschen dagegen können nur lieben, wenn jemand liebenswert ist, schön, angenehm.
Luther fährt fort: „Denn die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt, weil sie schön sind."*

Du, Petrus, sagt Jesus, du bist liebenswert, denn ich liebe dich. Deshalb stelle ich dir ja diese unangenehmen Fragen. Und gerade durch diese Fragen wirst du immer schöner, durch dieses Hinsehen auf deine Vergangenheit. Ich mache dich schön und liebenswert. So kannst du nicht nur mich lieben, sondern auch dich selbst.
Und so wird aus dem Sünder, dem hässlichen Verräter, der schöne Hirte, der den anderen vorangehen kann. Sie in Liebe weiden. So wird aus Petrus der kluge Hirte, der nicht mehr in die Irre gehen muss wie ein dummes Schaf.

Weide meine Schafe! Jesus sagt es noch einmal. Du musst das ja nicht alleine machen. Es wird auch weiterhin nicht einfach für dich sein, das kann ich dir jetzt schon versprechen. Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.
Aber du musst nicht vorneweg gehen. Musst nicht mehr der Erste und Beste und Mutigste sein. Ich gehe voran.
Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

 

* Martin Luther, Heidelberger Disputation, These 28, WA 1, 365, hier zitiert nach Luther Deutsch, hg. v. Kurt Aland, Bd. 1, 393.

Den Hinweis auf die Heidelberger Disputation verdanke ich der Predigtmeditation von Lothar Vosberg zu unserem Text, GPM 55 (2000/2001), 219-224.



Pfarrerin Irene Mildenberger
Liturgiewissenschaftliches Institut der VELKD Leipzig
E-Mail: liturgie@uni-leipzig.de

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