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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Weihnachten, 27.12.2009

Predigt zu 1. Johannes 1:1-4, verfasst von Michael Nitzke

11 Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens - 2 und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist -, 3 was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. 4 Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.

Liebe Gemeinde,

„Frohe Weihnachten gehabt zu haben!", das war früher ein Gruß der mir noch so im Ohr klingt wenn man ein oder zwei Tage nach Weihnachten einen netten Menschen getroffen hat, den man lange nicht gesehen hat. Ja, Weihnachten ist schnell verflogen. Wenn doch so viele Menschen klagen, dass mit den ersten Spekulatius, die Ende August in den Supermarktregalen liegen, Weihnachten viel zu früh anfängt, dann ist doch Weihnachten auf einmal und ganz abrupt wieder vorbei. Am Tag nach Weihnachten werden Geschenke umgetauscht, Geschenkgutscheine eingelöst, und Briefumschläge mit sogenannten bunten Bildchen in die Kaufhäuser gebracht. Dabei sieht man allerorten die Silvesterdekoration, und man freut sich auf das nächste große Fest, wodurch das eben erlebte in den Hintergrund gerät.

Ja, am Tag nach Weihnachten ist das normalerweise so, außer heute. Denn heute fällt der Tag nach Weihnachten auf einen Sonntag. In den meisten Fällen dürften die Geschäfte heute zu haben, je nachdem, wo gerade welche Öffnungszeiten bestehen. Aber vielleicht, gibt es auch noch Menschen, die den Sonntag heilig halten, egal welche Sonderöffnungszeiten gerade gelten.

Heute fällt jedenfalls der Tag nach Weihnachten auf einen Sonntag, an dem traditionell die Geschäfte ruhen. Ich bin selbst in einem Geschäftshaushalt aufgewachsen und habe noch genau in Erinnerung, dass ein Sontag der direkt auf den zweiten Weihnachtag folgte ein wirklicher Feiertag war.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Kind völlig verwirrt war, als auf einmal von einem dritten Weihnachtstag die Rede war. Nach meinen Recherchen im elektronischen Kalender kann es sich bei diesem Ereignis nur um den 27. Dezember 1970 handeln. Der fiel nämlich auf einen Sonntag, und das war das erste Mal, dass ich diese Konstellation erlebte: „Der dritte Feiertag!". Nun da ich im Sommer 1962 geboren wurde hatte ich schon einige Erfahrungen mit Weihnachten. Es war immer schön. Alle Omas waren da, die Eltern waren glücklich, und die neuen Anziehsachen, die man bekam wurden durch das neu geschenkte Spielzeug, auch erträglich. Aber dass Weihnachten aus Heilig Abend und zwei Feiertagen besteht, das wusste man auch schon als Achtjähriger. Warum reden die Erwachsenen plötzlich vom dritten Feiertag? Nun in den Tiefen der Kalendergestaltung habe ich mich erst viel später zurechtgefunden. Manchmal ist das so mit dem dritten Feiertag, es gibt noch nicht mal einen festen Rhythmus dafür. Manchmal sind es elf Jahre, bis sich diese Konstellation wiederholt, manchmal nur sechs oder fünf Jahre. Das Schaltjahr mag da eine Rolle spielen.

Der Sonntag nach Weihnachten auf dem 27.12. das bedeutet Weihnachten-XXL, fast unendliche Weih­nachten eigentlich das Schönste, was man sich vor­stellen kann.

Doch was kommt denn wirklich nach Weihnachten? Was stell man sich vor? Es muss doch mehr sein als die intensive Vorbereitung auf Sylvester und Neujahr.

Das ist das Problem in unserer Zeit, dass wir von Weihnachten in der Vorweihnachtszeit überfüttert wurden, und so dann kaum noch die Kraft haben weihnachtliche Gefühle in unser weiteres Leben hinüber zu retten.

Doch Weihnachten darf nicht so schnell vorbei sein, zwei Feiertage sind da kaum genug, und ein sogenannter dritte alle paar Jahre reicht da kaum. Weihnachten müsste mindestens ein paar Monate lang gehen, vielleicht bis Ostern, denn dann geht es unendlich weiter mit der frohen Botschaft.

Nun, der Kalender hat seinen festen Gang, und die kirchlichen Feiertag haben ihren festen Platz.

Doch etwas vom Weihnachtsfest können wir auch in unser tägliches Leben mit hinüber nehmen: Zu Weihnachten feiern wir, dass Gottes Sohn zur Welt gekommen ist, und dieses Ereignis soll uns nicht kalt lassen.

Gott ist Mensch geworden, dass ist es, was von der Geschichte um die Krippe zu Betlehem bleibt für die kommende Zeit. Nicht Weihnachtslieder und Spekulatius, nicht die Geschenke und der Christstollen: Gott ist Mensch geworden.

Diese Botschaft soll auch nach Weihnachten verbreitet werden, ohne jede Sentimentalität, ohne jede Christkindromantik. Einfach nur die Botschaft vom Mensch gewordenen Gott.

Eine solche Botschaft verkündigt der urchristliche Briefscheiber Johannes. Er schreibt an die Allgemeinheit der Gemeinden, nicht wie Paulus an bestimmte Gemeinden mit bestimmten Problemen, er scheibt an alle.

Und so legitimiert sich auch dem unbekannten Leser gegenüber mit seiner Botschaft, die er zu vermitteln hat.

11 Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens 3 was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

Ich habe den langen Eingangssatz des Johannes um den Einschub verkürzt zitiert, denn so verstehen wir zunächst, worum es ihm geht. Johannes möchte etwas grundsätzliches aussagen, nicht spezifische Probleme wie Paulus, wenn er an die Galater oder an die Korinther schreibt. Johannes schreibt quasi für die Ewigkeit, denn seine Worte sind nicht zeitabhängig, sie gelten immer.

„Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen und unsre Hände betastet haben, das verkündigen wir auch euch", nochmal verkürzt werden die Worte des Johannes deutlicher. Er stellt sich als persönlicher Zeuge des Christusgeschehens dar. Er hat gehört, gesehen und angefasst und nun kann er nicht mehr an sich halten, es muss raus was er erlebt hat, er muss es verkündigen.

Vielleicht würde er es heute in die Kürze einer SMS-Nachricht gießen. Sie kennen es vielleicht. Immer dann, wenn Sie Jugendliche ganz wild in die Tasten Ihres Handys tippen sehen, dann schreiben sie eine Kurznachricht. Darin muss alles enthalten sein, und am besten in 160 Zeichen, denn das ist der Tarif in dem abgerechnet wird. Wie lautet die SMS des Johannes? Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen und unsre Hände betastet haben, das verkündigen wir auch euch. Nun, wenn Johannes heute leben würde und ein sparsamer Mensch wäre, hätte er vielleicht gesagt: „Mhm, ich habe noch siebenunddreißig Zeichen übrig, sollte ich da nicht noch was rein bringen?" Und ihm fallen dann diese Worte ein: „damit unsere Freude vollkommen sei."

Ja, das wären dann mit Punkt und Komma 159 Zeichen, er könnte noch ein „J" dran hängen, um seinen Absender deutlich zu machen. Stellen wir uns vor, Johannes würde heute leben, er hätte keinen Brief geschrieben sondern eine SMS. Es würde sich so lesen:

Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen und unsre Hände betastet haben, das verkündigen wir auch euch, damit unsere Freude vollkommen sei.

Natürlich schickt er dieses SMS an alle seine Freunde, wie sich das heutzutage gehört, Aber einer antwortet vielleicht:

Freude ist ja ganz schön, aber wen hast Du denn da gesehen, gehört und angefasst, sag uns das!

Johannes hätte vielleicht wieder allen genau in 160 Zeichen geantwortet:

Wir verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das uns erschienen ist, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

Mit diesen beiden Nachrichten sollte Johannes die Neugier seiner Freunde geweckt haben. Und genau wie er sich damals an den geltenden Briefstiel angepasst hat, nämlich in ausschweifenden und verschachtelten Sätzen zu schreiben, so hätte er sich heute vielleicht in das durch ökonomische Zwänge vorgeprägte System der 160 Buchstaben eingefunden.

Fassen wir seine beiden Nachrichten zusammen und wir haben die eine gute Nachricht gehört:

Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen und unsre Hände betastet haben, das verkündigen wir auch euch, damit unsere Freude vollkommen sei. Wir verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das uns erschienen ist, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

Was sagt Johannes, das über Geschenke und Plätzchen hinaus geht? Jesus Christus ist Gottes Sohn. Das haben wir Weihnachten erfahren. Später als das Kind größer war, konnten wir den Menschen Jesus erleben, wir sahen ihn konnten ihn anfassen und sein Wort hören. Das hat uns froh gemacht, und es hat uns mit ihm und mit allem, die ihn lieben eng verbunden. Und wenn er nur eine einzige SMS statt seines ganzen Briefes zur Verfügung hätte würde er es vielleicht so schreiben:

Jesus Christus ist Gottes Sohn, er schenkt euch ewiges Leben. Ich habe es von ihm erfahren, denn ich habe ihn selbst gesehen und angefasst.

Im Prinzip würde diese kurze Botschaft reichen, um das Weihnachtserlebnis weiter zutragen. Doch wir sind dankbar, dass die heutigen Limitierungen damals nicht galten. Johannes hat einen längeren Brief geschrieben.

Aber was ihm wichtig war erkenne ich schon in dieser fiktiven Kurzform. Er konnte den Herrn Jesus Christus sehen und anfassen.

Es mag kurz nach dem von mir erstmals erlebten dritten Weihnachtstag gewesen sein, dass wir in der Schule uns den Geheimnissen der Grammatik näherten. Damals galt es nur drei Kategorien auseinanderzuhalten: Hauptwörter, Tu-Wörter, und Wie-Wörter, so nannte man damals kinderfreundlich die Substantive, Verben und Adjektive.

Die Hauptwörter hatten es in sich, denn sie wurden großgeschrieben, daher musste man sie genau kennen, denn es wäre aufgefallen, wenn man ein Hauptwort kleingeschrieben hätte. Unsere Lehrerin beschrieb sie so: ein Hauptwort beschreibt alles, was ich sehen und anfassen kann.

Das half erst mal ein paar Wochen, doch dann gab es Fragen über Fragen. Denn wir erkannten, dass es auch Sachen gab die man eigentlich großschreiben müsste, die man aber nicht sehen und anfassen kann. „Mut" war so ein Wort, oder „Angst", vielleicht auch „Gott".

Nun, an dieser Stelle hat die Lehrerin für uns den Begriff der Hauptwörter erweitert, denn wir hatten ja nun verstanden, um was es geht. Sehen und anfassen war nicht mehr wichtig, ein Hauptwort konnte man auch so erkennen, nach Gefühl halt. Und dennoch scheint das Sehen und Anfassen wichtig zu sein, jedenfalls für Johannes. Er schreibt es an den Anfang seines Briefes oder in unsere virtuelle erstellte SMS. Er beschreibt damit auch die Bedeutung der Weihnacht. Denn in Bethlehem ist Gott Mensch geworden. Seit das Kind auf der Welt ist, kann ich es sehen und anfassen. Das ist etwas ganz wichtiges. Denn wenn mir gleichzeitig deutlich ist, dass das Kid von Bethlehem Gottes Sohn ist, dann kann ich es, indem ich es anfasse und sehe, gleichzeitig ein Stück von Gott berühren.

Johannes ist Realist. Später schreibt er in seinem Brief, die berühmten Worte: „Niemand hat Gott jemals gesehen." (Joh 4,12) Ja, er weiß, dass man Gott selbst nicht sehen kann, umso mehr ist er begeistert davon, dass er selbst Gottes Sohn erlebt hat. Er hat ihn gesehen, er konnte ihn anfassen, er konnte ihn betasten, wie er schreibt. Der Sohn Gottes, Jesus Christus, er wird nun der sichtbare Gott, der berührbare, der betastbare Gott. Dafür ist Johannes dankbar, und deshalb will er es auch in alle Welt hinausposaunen und er nimmt sich dafür Zeit und schreibt nicht nur ein Kurznachrichtsondern einen für uns altmodischen Brief, der aber damals auf der Höhe der Zeit war und die Spitze der Kommunikationstechnik darstellte.

Und warum schreibt Johannes? Warum nimmt er die Mühe auf sich? Nicht nur weil er ein neue Entdeckung gemacht hat, sondern weil dieses Sehen und anfassen sein Leben beeinflusst hat, denn nun hat er eine Hoffnung auf ewiges Leben. Denn Gottes Sohn ist mehr als nur zur Welt gekommen, Johannes schreibt wie alle neutestamentliche Autoren nach Kreuz und Auferstehung, also hat er die Hoffnung, dass Gottes Sohn, uns das ewige Leben eröffnet. Und wir können Johannes nur dankbar sein, dass er diese Hoffnung für uns wachhält.

Nun wenn ich eben den ausführlichen Briefanfang des Johannes auf SMS-Größe reduziert habe, dann habe ich ihn auf der anderen Seite, gar nicht erst richtig zu Wort kommen lassen. Wenn er mit den Worten beginnt: 12Niemand hat Gott jemals gesehen. Dann heißt es direkt weiter: Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Dies ist das Zauberwort der Weihnacht. Gott ist Mensch geworden. Und wer das immer noch nicht erkennt, der kann es an seiner Liebe zu den Menschen erkennen. Die Liebe, die wir miteinander teilen, macht den unsichtbaren Gott sichtbar. Und da wir Menschen oft zu wenig Liebe zeigen, hat sich Gott ein für alle Mal selbst sichtbar gemacht, in dem er als Mensch auf diese Welt gekommen ist. Und diese Geburt Gottes auf Erden ist der Anfang seiner Geschichte mit uns. Weihnachten ist das geschehen, und wir verkünden es mit Johannes, der heutzutage vielleicht diese Kurznachricht gewählt hätte: Jesus Christus ist Gottes Sohn, er schenkt euch ewiges Leben. Ich habe es von ihm erfahren, denn ich habe ihn selbst gesehen und angefasst.

Aber solch eine Kurznachricht erzählt eigentlich ein viel größere Geschichte: Eine Geschichte von Licht in der Finsternis, eine Geschichte von Liebe in einer lieblosen Welt, die Geschichte von Weihnachten, eine Geschichte, die es auch wert ist, sie über den dritten Feiertag hinaus zu erzählen: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. (LK 2,10)                   Amen.



Pfarrer Michael Nitzke
Dortmund
E-Mail: michael.nitzke@philippusdo.de

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