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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sexagesimae, 07.02.2010

Predigt zu Markus 4:26-32, verfasst von Morten Fester Thaysen

Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Korn, das aufs Land geworfen wird. Es geht auf und wächst, zuerst wird es Halm, dann Ähre, dann voller Kern in der Ähre - und niemand weiß, wie. Wir schlafen und stehen auf, Tag und Nacht, und eines Tages ist das Korn plötzlich reif. Das alles geschieht von selbst, ohne dass wir auch nur einen Finger gekrümmt hätten.

            So ist es auch mit dem Reich Gottes - das Reich Gottes wächst und keimt in uns und um uns. Wir wissen nicht, wie es in einer Welt geschieht, in der es sonst so vieles gibt, was Sorgen macht. Wir wissen auch nicht, wie es in unseren Herzen geschieht. Wir wissen nur, dass das Reich Gottes von selbst in uns und um uns wächst und keimt. Das Reich Gottes geschieht mit uns. Das Reich Gottes greift in unser Leben ein. Formt es. Bildet es. Nicht, dass wir sagen könnten, wie und was sein Sinn ist. Denn das können wir nicht.

            Es keimt und wächst ja gerade, ohne dass wir wissen, wie. Und ohne dass wir etwas dafür tun können. Das Einzige, was wir tun können, ist, wie Luther sagt: Dasitzen und Bier trinken und Gott überlassen, dass es geschieht.

            Wir können auch versuchen, mit Hilfe eines Beispiels aus der Geschichte Dänemarks zu veranschaulichen, was sich ereignet.

            Zur Zeit Christians IV. - vor mehr als 300 Jahren - wurden hier von Dänemark aus ein paar Schiffe ausgesandt, um einen neuen Seeweg nach China ausfindig zu machen. Man wollte einen Seeweg nördlich von Amerika finden. Mit Hilfe von verlockenden Versprechungen von Reichtümern, Ehre und Ruhm konnte man eine Besatzung von rauen und abgehärteten Männern anheuern. Sie sollte unter Führung des tüchtigen Jens Munk stehen.

            Nach einem festlichen Abschied mit Fanfaren und Paraden verließen die Schiffe den Hafen von Kopenhagen, schwach und unbequem, wie Schiffe damals waren, und nach ein paar Monaten war man bis hinauf in das eisige Polarmeer gelangt... und da geschah, was geschehen musste, eines schönen Tages saß man hilflos im Eis fest, und man erkannte sehr schnell, dass man den Winter eben dort würde zubringen müssen. Man konnte nur auf die Frühjahrssonne warten, die das Eis zum Schmelzen bringen würde, so dass man weiterfahren konnte. Aber niemand verlor den Mut. Es waren ja abgehärtete Männer, die Jens Munk angeheuert hatte. Und außerdem lagen die Schiffe nicht weit von der Küste. Man konnte tatsächlich zu Fuß dortin gelangen und auf Jagt gehen, Wild gab es mehr als genug, und es schmeckte gut verglichen mit den gesalzenen Fischen und Fleichvorräten an Bord, mit denen man sich sonst begnügen musste. Man bereitete sich auf einen angenehmen Winter vor, bei dem die Tage mit Jagt und Kartenspiel vergehen konnten - und mit so manchem Krug Bier und mit heißem Rum.

            Wie gesagt. Es gab keine Panik. Nicht bis eine merkwürdige Krankheit zu grassieren begann, ohne dass man sie hätte aufhalten können. Der Reihe nach wurden die Männer krank und starben nach unsäglichen Leiden dahin. Heute wissen wir, warum: die Männer aßen nur Fleisch, und deshalb starben sie an Vitaminmangel. Ihnen fehlten die Vitamine, die in Obst und Beeren usw. sind... und die so lebensnotwendig sind. Man nannte die Krankheit Skorbut.

            Einer nach dem andern starben sie, die Leichen wurden an Land geschleppt. Die ersten bekamen noch ein Grab. Aber bald waren alle so geschwächt, dass die Leichen nicht einmal mehr schleppen konnte. Darum ließ man sie einfach liegen. Infolgedessen lagen die Toten, als der Frühling kam, in der gesamten Umgebung verstreut, die einst so starken und mutigen Männer lagen jetzt in den Kojen der Schiffe , auf dem Deck und draußen auf dem Eis, tot. Und nicht einmal ein Grab bekamen sie.

            Das heißt, drei Männer überlebten. Einer von ihnen war der Kapitän Jens Munk. Krank und halbtot kroch er zwischen den Leichen herum und über die Reling des Schiffes an Land. Er glaubte, er müsste sterben. Er erblickte einen Strauch. Der trug einige Beeren. Bloß solche kleinen Beeren. Sie aber sollten seine Rettung sein. Er nahm eine Handvoll und steckte sie in den Mund. Er gab auch den beiden anderen Überlebenden. Ihre kranken Münder sahen aus, als hätten sie ätzende Säure getrunken. Aber sie aßen. Sie empfanden keine Angst, alle Träume und Hoffnungen waren geschwunden. Sie lagen ausgelöscht und verstummt und rollten sich wie ihr Schiffshund zusammen, der ebenfalls noch am Leben war. Sie hatten den Tiefpunkt erreicht, sie waren ohne jede Hoffnung. Sie glaubten, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Krankheit auch sie dahinraffen würde.

            Aber die Beeren halfen ihnen. Langsam, unendlich langsam kamen sie wieder zu Kräften. Ihre Gefühle kamen wieder. Allmählich konnten sie auch wieder gehen. Sie konnten arbeiten. Und nach ein paar Monaten waren sie so weit genesen, dass sie eines der Schiffe wieder seetüchtig machen konnten, und dass sie ihre toten Kameraden, ihre geborstenen Träume, ihre Albträume verlassen und nach Kopenhagen zurückkehren konnten.

            Nichts weiter als einige lächerlich kleine Beeren halfen ihnen und brachten sie wieder zum Leben. Nichts weiter.

            Genauso ist es mit dem Reich Gottes. Einzig ein paar Worte, die in uns gesät werden. Die Worte sind wie die Beeren, die die Männer aßen. Sie scheinen nicht viel herzumachen. Die Worte kommen obendrein von jemandem, der leiden und an einem Kreuz sterben wird. Und zwar wegen dieser Worte. Dennoch helfen die Worte uns, sie keimen und wachsen in uns und geben uns Leben, wie die Beeren den Männern Leben schenkten, so dass sie sich aufrichten und wieder auf's Meer hinausfahren konnten.

            Die Worte, die in uns gesät werden - es sind die Worte, die lauten, wenn die Kinder getauft werden: Siehe, ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende. Es sind die Worte, die lauten, wenn wir zum Abendmahl gehen. Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Nimm es und iss es - alles meinige ist dein. Gehe hin in Frieden. So lauten die Worte. Und wieder: es sind nicht nur Worte - es sind Worte, die in uns wirken. Sie tun etwas an uns. Sie keimen und wachsen und verändern uns - ohne dass wir wüssten, wie.

            Nun kannst du sagen, das klingt ja alles ganz schön. Aber, warum sollte ich eigentlich daran glauben? Eine Veränderung ist doch nicht das, was ich erlebe, wenn ich die Worte höre? Jedenfalls keine Veränderung zum Besseren. Die Verzweiflung und das Leiden sind fortgesetzt da. Die Not und der Terror herrschen weiterhin. Und nichts deutet darauf hin, dass sich das ändern sollte. Nein, so sieht es doch aus.

            Aber hättest du vielleicht erwartet, dass du hättest durchschauen können, wie das Wort Gottes wirkt?

            Luther hat einmal gesagt: Wir sollen das Wort Gottes predigen und es allein wirken lassen. Warum? Weil ich die Herzen von Menschen nicht in meiner Macht habe. Ich kann nicht weiter reichen als bis zu den Ohren. In das Herzen kann ich nicht gelangen. Weil ich also den Glauben nicht ins Herz pflanzen kann, so kann oder soll ich auch niemanden dazu zwingen oder nötigen. Das Wort sollen wir predigen, aber die Wirkung hat allein die Sache Gottes zu sein nach seinem Willen.

            Und, so sagt er, während er sich alles ansieht, was um ihn in den vorangegangenen Jahren geschehen ist: Ich habe allein mit dem Wort Gottes gewirkt, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan. Das Wort hat, während ich schlief, während ich mit meinem Philipp und Amsdorf Wittenberger Bier trank, so viel bewirkt, dass das Papsttum so sehr geschwächt ist. Ich habe nichts getan. Das Wort hat das alles bewirkt und geleistet.

            Glaube ist Vertrauen darauf, dass Gottes Wort von selbst wirkt, ohne dass wir auch nur einen Finger krümmten. Wir können und sollen nichts dafür tun, dass es wirkt. Wir können uns nicht entwickeln - nicht modernisieren, uns nicht effektivieren, optimieren, wir können z.B.nicht das Christentum anziehender und die Kirche nicht moderner machen. Wir können nichts tun. Gott selbst kann etwas tun. Wir können uns auch nicht fromm machen, wir sollen nicht mit Kopftüchern gehen und kein Schweinefleisch essen und was sonst noch tun - damit das Wort Gottes in uns wirken könnte. Wir sollen keinen heiligen Krieg führen, damit das Wort Gottes in der Welt an die Macht käme. Wiederum: Gottes Wort wirkt selbst - es wächst und gedeiht von selbt - Glaube ist das Vertrauen darauf, dass Gott sein Reich von selbst kommen lässt, auch ohne dass wir durchschauen könnten, wie es geschieht. Wir können es vielleicht nicht einmal sehen oder merken. Glaube ist das Vertrauen darauf, dass es dennoch geschieht.

            Gott sorgt für den Gang der Welt. Er hat verheißen, dass einst etwas Großes kommen wird, unabhängig davon, was wir tun oder nicht tun. Es hängt nicht von uns ab, ob alle Leiden und Schmerzen in der Welt eines Tages ganz aufhören werden, sondern Gott hat bestimmt, dass es so sein wird, wenn die Zeit gekommen ist. Wir sollen uns nur Gott anvertrauen - und es Gott überlassen, dass es geschieht.

            Ja, die Erwartung, dass Gott den Gang der Welt lenkt, kann unsere Wartezeit fruchtbar machen. Wir können freimütig leben und Sorge tragen für das, was Gott uns anvertraut hat. Wir können unserer Arbeit nachgehen, unseren Nächsten lieben, dem Schwachen helfen. Wir können das alles freimütig tun - ohne die Besorgnis, ob die Welt mit dem, was wir tun, steht und fällt. Gott nimmt sich der Welt an.

            Das Reich Gottes ist wie ein Korn, das wächst und wächst. Langsam aber sicher wächst es in unsere Welt hinein. Eines Tages ist es groß geworden - so groß, dass es zu einem Lebensbaum geworden ist mit großen Zweigen, in deren Schatten wir und alle Menschen auf der Welt auf ewig ruhen dürfen. Und dann wird aller Unfriede, alles Leiden, aller Schmerz, Sorge und Tod nicht mehr sein.

Amen



Pastor Morten Fester Thaysen
Varde (Dänemark)
E-Mail: mht@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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