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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 14.02.2010

Predigt zu 1. Korinther 13:1-13, verfasst von Eberhard Hitzler

1Wenn ich mit Menschen - und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
2Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
3Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
 4Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht,
 5sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,
 6sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit;
 7sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.
 8Die Liebe höret nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden und die Sprachen aufhören werden und die Erkenntnis aufhören wird. 
9Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk.
10Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.
11Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.
12Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.
13Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe Gemeinde,

Dieses überschwängliche Lob der Liebe  von Paulus ist für mich eines der schönsten und wichtigsten Texte in unserer Bibel. Ermutigend und provozierend zugleich, indem es die Liebe über alles andere in der Welt erhebt, auch über Glaube und Hoffnung und erst recht über vieles andere, was wir heute bewundern und für wertvoll and schätzenswert halten. Ich übersetze Paulus in meine Sprache:

-       Ein begabter und überzeugender Redner mag einer sein, - aber ohne Liebe ist er nur ein Schwätzer.

-       Ein frommer Mensch mag einen festen Glauben, tiefe Glaubenseinsichten und Überzeugungen haben, mag ein Bischof sein oder ein Pfarrer. Doch ohne Liebe ist so ein Glaube nicht der Rede wert, geradezu sinnlos ist so ein Glaube.

-       Kluge Ansichten mag jemand haben, ein profundes Wissen, einen scharfer Verstand, Professorin oder Manager mag er oder sie sein: doch ohne Liebe macht alles Wissen keinen Sinn.

-       Ja selbst Großzügigkeit, Freigiebigkeit, Opfer- und Hilfsbereitschaft sind nutzlos, wenn sie nicht aus der Liebe geboren sind, weil sie den Gebenden über den Epfangenden erhöhen

 Ziemlich steile Aussagen macht Paulus über die Liebe. Sie klingen schön, aber halten sie auch der Realität stand? Paulus ist ja kein pubertierender Jüngling, der zum ersten Mal in seinem Leben Liebe spürt, sondern ein erwachsener, gebildeter und ziemlich kluger Mensch, von dem man erwartet, dass er aus Lebenserfahrung spricht. Wie ist das mit der Liebe im „normalen Leben" in unserem gesellschaftlichen Alltag? Spielt sie außerhalb unser vier Wände und unserer Familienbeziehungen wirklich eine Rolle?

Die Liebe, von der Paulus nach Korinth schreibt, ist nicht ein schönes Gefühl, dem man sich hingibt. Paulus spricht von einer Haltung, von einer inneren Einstellung zur Welt und zu den Mitmenschen. In der Gemeinde in Korinth hat es offenkundig Auseinandersetzungen um verschiedene Ämter, Gaben und Begabungen gegeben. Was war wichtig, wer war der Wichtigste? Paulus hat dieser Debatte  das Bild von dem einen Leib Christ entgegengehalten. Als Gemeinde, als Kirche verkörpern wir gemeinsam Christus, mit verschiedenen Gaben und Begabungen. Jedoch um zu einem solchen Verständnis von Miteinander zu kommen, statt in Konkurrenzdenken zu verfallen, braucht es eine bestimmte Einstellung, eine ganz bestimmte Haltung der Welt und den Menschen gegenüber, nämlich die Liebe.

Ich nehme an, Sie sind skeptisch, ob die Liebe, von der Paulus spricht, wirklich alltagstauglich ist. In einer Wirtschaft, die auf Konkurrenz und Wettbewerb aufgebaut ist, ist für Liebe wenig Platz. Vielleicht ist ja die Kirche und die christliche Gemeinde eine Nische, in der eine solche Liebe gelebt und entdeckt werden kann. Aber selbst da wird zunehmend von professionellem Management gesprochen und von der Konkurrenzsituation mit anderen Konfessions- und Glaubensgemeinschaften oder dem Säkularismus. Im Alltag und selbst in der Kirche und in christlichen Gemeinden scheint es heute wenig Raum zu geben für die Liebe.

Und doch glaube ich, dass Paulus Recht hat. Man muss nur manchmal etwas genauer hinsehen, dann entdeckt man viel mehr Liebe im Alltag als man vermuten möchte. Aber dazu brauchen wir selbst einen liebenden Blick auf die Welt. Das Geheimnis der Liebe fängt bei uns selbst an. Nur wenn wir selbst die Fähigkeit zur Liebe haben, können wir Liebe wahrnehmen und erfahren. Sicher, Liebe kann nicht verordnet werden. Aber wir alle sind liebesfähig. Und wir können und sollen diese Fähigkeit wahrnehmen, trainieren, und nutzen.  Die Liebe, die wir alle in uns haben, sollen wir nicht verkümmern lassen, sondern wir sollen und können sie ausbauen, wie jede andere Begabung und Fähigkeit auch. Lieben kann man zwar nicht auf Befehl. Aber man kann lieben lernen, wie eine Kunst oder wie Klavier Spielen. Einen liebenden, einen empathisch, also mitfühlenden Blick auf die Welt zu haben, kann die Welt verändern. Und vor allem uns selbst und unsere Weltsicht verändern.

Wie sehen Sie denn die Welt zurzeit? Meist blicken wir mit Sorge auf die derzeitigen Entwicklungen. Nicht Liebe, sondern Gier scheint die die Finanzwirtschaft zu beherrschen; eine hemmungslose und rücksichtlose Gier, die den Wohlstand ganzer Staaten gefährdet. Die Armut und das Elend in Entwicklungsländern scheinen trotz schöner Worte nicht abzunehmen, immer mehr Menschen fliehen aus unerträglichen Lebensumständen und suchen ein besseres Leben in Europa.  Wir haben uns in einen nahezu aussichtslosen Krieg in Afghanistan verstrickt und niemand weiß eine Lösung, wie wir uns in einer verantwortungsvollen Weise wieder aus der Affäre ziehen können, oder gar wie wieder Frieden werden kann in Afghanistan. Auch in unserem eigenen Land ist die Stimmung nicht gut und der drohende Klimawandel und die Unfähigkeit der Politik, wirksame Maßnahmen dagegen zu treffen, raubt vielen den letzten Rest von Zuversicht und Hoffung für die Zukunft und trübt unseren Blick auf die Welt.

Und dieser trüben Aussichten zum Trotz, die ich oft genug teile, habe ich In den letzten Wochen wieder einmal erlebt, dass unsere Welt liebesfähig und wir alle voll von Liebe sind. Eigentlich hätten die Zeitungen und die Fernsehnachrichten berichten müssen von einer weltweiten Liebesexplosion. Wie das? Sie haben nichts davon bemerkt? Vielleicht weil unser Blick getrübt war, weil wir uns auf die falschen Dinge konzentriert haben? Vielleicht weil wir nicht nach der Liebe gesucht haben, vor allem nicht angesichts der schrecklichen Bilder von Zerstörung und Leid, die das Erdbeben in Haiti verursacht hat.  

Aber es war gerade das Erdbeben in Haiti, das nicht nur Entsetzten, sondern auch ganz viel Liebe und Mitgefühl ausgelöst. Weil aber gute Nachrichten keine Nachrichten sind, haben vor allen die furchtbaren Folgen des schweren Erdbebens in Haiti die Schlagzeilen und Nachrichten beherrscht. Schreckliche Bilder gingen um die ganze Welt. Port au Prince, die Hauptstadt von Haiti fast völlig zerstört, hunderttausende unter den Trümmern von kollabierten Gebäuden begraben. Über eine Million Menschen obdachlos, ohne Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln, Zigtausende verwundet und ohne medizinische Versorgung.  Berichtet wurde auch von verzweifelten Menschen, die um Nahrung und Wasser kämpften, von Gewalt, Plünderungen und Raub. Berichtet wurde über problematische Fälle, in denen Kinder mehr oder weniger zwangsadoptiert oder verkauft wurden, in denen die Notlage anderer für selbstsüchtige Zwecke missbraucht wurde. Das ist ein Blick auf die Welt, der übliche Blick, den uns die Medien liefern. Aber es ist nicht der einzige Blick auf die Welt und was berichtet wurde, ist nicht die Wahrheit, zumindest nicht die ganze Wahrheit.

Sicher, berichtet wurde auch von den Sensationen und Wundern, dass auch nach vielen Tagen noch Verschüttete lebend geborgen wurden. Aber jenseits dieser Sensationen wurde kaum oder gar nicht berichtet von den zigtausenden Haitianern, die obwohl sie selbst betroffen waren, in den ersten Tagen ganz uneigennützig Verschüttete ausgegraben und geborgen, Verwundete versorgt und transportiert haben. Die ganz selbstverständlich das wenige noch zur Verfügung stehende Wasser und Essen mit anderen geteilt haben. Es waren vor allem, Haitianer selbst, die Tausenden  das Leben gerettet haben und dabei oft ihr eigenes Leben und ihre eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben.

Aber auch die Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit, Freigiebigkeit und Opferbereitschaft von Menschen überall auf der Welt war und ist nach wie vor überwältigend. Viele Regierungen, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, Firmen haben Finanzen, Personal und Hilfsgüter zur Verfügung gestellt. Millionen Menschen aus der ganzen Welt, nicht nur in den reichen Ländern, haben für Haiti gesammelt oder gespendet und haben in vielfacher Weise den Betroffenen geholfen. Hilfe für die Menschen in Haiti kommt auch aus Afrika, aus Latein- und Mittelamerika und Asien. So haben über 2000 Mitarbeitende einer großen Wohlfahrtsorganisation in Bangladesh auf einen Tag Lohn verzichtet zugunsten der Hilfe für Haiti. Spenden wurden gegeben in Südafrika und in Kenia. Sogar in kriegszerstörten Ländern, die selbst auf Hilfe angewiesen sind, wie aus dem Sudan und aus Sierra Leone wurde gespendet. Hilfe geschickt. Gemeinden in Brasilien und in El Salvador haben Helfer und finanzielle Hilfe nach Haiti geschickt. Das sind nur einige  Beispiele, unzählig viel mehr ist beigetragen worden, um den Menschen in Haiti beizustehen, die durch das Erdbeben alles verloren haben. Die ganze Welt hat Solidarität und eine phantastische Hilfsbereitschaft gezeigt in den letzten Wochen.

Zeigt das nicht, dass unsere Welt liebesfähig ist? Dass Menschen überall auf der Welt liebesfähig sind, weit über die eigenen vier Wände und sogar weit über nationale Grenzen hinaus. Nächstenliebe ist global geworden in einer globalisierten Welt, in der Nachrichten in Sekunden um die ganze Welt gehen, in der  der „ferne Nächste" nicht mehr gar so fern ist.  Menschen sind bereit, auch den fernen Nächsten zu helfen, ihnen in der ärgsten Not beizustehen. Es scheint, dass vor allem so schreckliche Ereignisse wie das Erdbeben von Haiti oder der Tsunami in Asien unsere Liebesfähigkeit aufdecken und uns zu dazu bewegen, aus Liebe und Mitgefühl zu handeln. In solchen Situationen gewinnt Liebe Raum, wird Gier und Neid, Gleichgültigkeit und Misstrauen zurückgedrängt. Wir entdecken an uns selbst neu unsere Fähigkeit, und unsere Anlage zu Liebe und Mitgefühl.

Von so viel Liebe und Mitgefühl bin auch ich herausgefordert, mich selbst und mein Weltbild zu überdenken. Ich bin ein professioneller Helfer und leite eine große weltweit arbeitende Organisation für Katastrophen- und Entwicklungshilfe, den Lutherischen Weltdienst. Wir sind stolz darauf, diese Hilfe sehr effizient und professionell zu leisten. Wir müssen sehr professionell arbeiten, denn aus einstmals wenigen Hilfswerken, die in Situationen wie nach dem Erdbeben in Haiti helfen konnten, ist heute ein Hilfemarkt geworden, in denen sich Hilfsorganisationen im Wettbewerb um Spenden und staatliche Mittel befinden und auf dem wir uns behaupten wollen und müssen. Ich bin immer wieder herausgefordert zu zeigen, was die Hilfe, die wir leisten, was unsere Organisation von anderen unterscheidet, was das spezifisch christliche an unserer Arbeit ist.

 

 .... Und hätte der Liebe nicht ..... klingt mir in den Ohren und brennt mir im Herzen: Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Geschieht es aus Liebe, was wir tun? Steht immer noch der leidende Mensch im Mittelpunkt dessen, was wir tun, oder geht es mehr um mich selbst, um den Erfolg unserer Organisation, um unsere Sichtbarkeit auf dem Markt. Und: Schafft unsere Hilfe Abhängigkeit, entmündigt sie, erhebt die den Geber über den Nehmer? Wie kann es uns gelingen, die Würde des Menschen und die Menschenrechte zu wahren und zu fördern?

Genau dabei ist mir das Loblied des Paulus Herausforderung und Zuspruch zugleich und die Zusage, dass Gott uns liebt, bedingungslos liebt. „Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt. Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm" steht im Ersten Johannesbrief.

Darauf wollen wir immer wieder neu bauen und vertrauen. Professionelles Handeln and Liebe ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil! Der Hymnus auf die Liebe ist die Magna Charta aller kirchlichen Dienste, allen kirchlichen Handelns. Selbst der rechte Glaube, selbst die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf eine bessere Welt sind nicht so wichtig wie die richtige, die liebende Einstellung zur Welt und zu den Menschen. Das ist die Schlussfolgerung, die Paulus daraus zieht, dass Gott uns liebt, dass Gott die Liebe ist.  Diese Einstellung, die Fähigkeit zur Liebe muss täglich neu geübt und ausgeübt werden, um sie zu bewahren. Die Liebe über alles zu stellen, das ist für mich die größte und wichtigste Aufgabe beim professionellen Helfen. Aus Liebe die leidenden Menschen in den Mittelpunkt unseres kirchlichen Handelns zu stellen, das ist es letztendlich, was Basis und Maßstab für die Arbeit  des Lutherischen Weltdienstes in Haiti und sonst wo auf der Welt sein soll. Lasst uns darum wetteifern, die Liebe zu den Menschen zum Kern und zur obersten Maxime kirchlichen Handelns zu machen.



Pfarrer Eberhard Hitzler
Direktor der Abteilung Weltdienst des Lutherischen Weltbundes
http://www.lutheranworld.org/Arbeitsfelder/Awd/AWD-Welcome.html
E-Mail: ehi@lutheranworld.org

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