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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 20.05.2007

Predigt zu Johannes 14:15-19, verfasst von Sibylle Reh

15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Liebe Gemeinde,

„Ich möcht, dass einer mit mir geht."

Liebe Gemeinde, in vielen Situationen - geht es mir besonders gut oder besonders schlecht - möchte ich jemanden an meiner Seite haben, mit dem ich diese Erlebnisse teilen kann, dem ich vertrauen kann, vor dem ich mich nicht verstellen muss. In anderen Situationen brauche ich vor allem einen starken Beistand, der mich beschützt, der mich stärkt, zum Beispiel in einer komplizierten Verhandlung mit meinem Chef.

Manchmal brauche ich auch nur Beistand gegen den „kleinen Mann im Ohr", der da sitzt und flüstert: „Du kannst das nicht, das wird sowieso schiefgehen." „Ich möcht, dass einer mit mir geht."

Vielleicht geht es vielen von Ihnen ähnlich.

Von so einem Beistand spricht unser Predigttext. Jesus verspricht uns, dass Gott uns einen Tröster schicken wird. Beistand, Tröster oder Anwalt, so kann man das griechische Wort übersetzen, das der Evangelist Johannes für den Heiligen Geist verwendet.

Der Heilige Geist, den wir so schwer fassen können, den benennt Johannes nach dem, was er für uns tut.

 

Wir sind im Kirchenjahr mal wieder in einer der vielen Zwischen-Zeiten, die es so gibt, einer kurzen allerdings nur. Wir haben Donnerstag Jesu Aufnahme in den Himmel gefeiert, nun warten wir auf seine Wiederkunft am Jüngsten Tage und auf den Heiligen Geist. Den Heiligen Geist feiern wir bereits am nächsten Sonntag, an Pfingsten.

Nun sind wir aber noch vor Pfingsten. Jesus ist in den Himmel aufgefahren, wir können ihn nicht mehr sehen.

In der Bibel heißt es:

Apg. 1, 10 Und als die Jünger ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. 11 Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

 

Ich frage mich: Stehen wir noch immer da und schauen in den Himmel?

Dieses Warten auf die Wiederkunft des Herrn ist ein wichtiges Element unserer Religion, denke ich. Es heißt, es wird auf dieser Welt nicht alles so bleiben, wie es ist. Es wird nicht der Tod, der Hass oder die Einsamkeit gewinnen, es wird einst Jesus regieren. Die Welt wird neu werden, anders als wir sie kennen.

Aber auch:Wir Menschen müssen die neue Weltordnung nicht mit eigener Kraft und Gewalt durchsetzen, Jesus kommt von oben wieder.

Ja, aber in der Zwischenzeit? Bleibt da alles beim Alten, alle Not, alle Ungerechtigkeit, alles Leiden?

Der Evangelist Johannes spricht wie Lukas vom Tröster, dem Heiligen Geist.

 

Eine Geschichte fällt mir dazu ein.

„Ich werde nie wirklich diese Schule verlassen, solange es hier Menschen gibt, die treu zu mit halten" sagte Albus Dumbledor, der Direktor von Harry Potters Zauberschule Hogwarts, als er auf Druck von außen vorübergehend vertrieben wurde. Das war im zweiten Band, in Harrys zweitem Schuljahr. Vier Bände später, also nach Harry Potter Zeit vier Jahre später, in Harrys sechstem Schuljahr, stirbt Albus Dumbledor.

Harry erinnert sich an den Satz seines Mentors: „Ich werde nie wirklich diese Schule verlassen, solange es hier Menschen gibt, die treu zu mit halten." Wichtig zu wissen ist, dass in der ganzen Geschichte Albus Dumbledor derjenige ist, der alles rettet, wenn es zu scheitern droht. Die Vater- bzw. Großvaterfigur, der Harry vertraut, derjenige, der fast alles zum Guten wenden kann, derjenige, in dessen Gegenwart Harry nichts zu fürchten braucht. Damals, in Harrys zweitem Schuljahr wirkte der Direktor von Ferne durch sein magisches Haustier, den Phönix Fawkes . Wie der Direktor im Tode sein Versprechen einhalten will, diejenigen, die treu zu ihm halten, nie zu verlassen, bleibt offen. Der Phönix verlässt die Schule nach dem Tod seines Herrn. Der siebte Band ist noch nicht veröffentlicht. Wir müssen noch etwa zwei Monate auf die englische und noch fast ein halbes Jahr auf die deutsche Ausgabe warten. Also wissen wir noch nicht mehr als der nun fast siebzehnjährige Harry.

Harry hat in jungen Jahren schon viele schmerzliche Todesfälle erlebt: Seine Eltern starben, als er noch ein Baby war, ein Mitschüler wurde seiner Gegenwart ermordet, sein Patenonkel starb im Kampf mit bösen Zauberern. Jetzt der Tod von Albus Dumbledor. Unabhängig von der Zauberwelt wird in den späteren Harry-Potter-Bänden die Frage nach dem Tod aufgegriffen, die Frage, ob die Toten weiterleben, und wenn ja, wie sie unser Leben beeinflussen. Die großen Fragen nach Leben und Tod werden gestellt. Die Autorin J.K. Rowling greift im Gegensatz zu manchen anderen Fantasy-Autoren wie z. B. C. S. Lewis keine christlichen Deutungsmuster auf, um diese Fragen zu beantworten, sondern in der Tradition der klassischen Fantasy bleibt sie bei der heidnischen Mythologie und den einfachen volkstümlichen Vorstellungen, die nicht im Glauben reflektiert werden. Über den Glauben der Autorin erfahren wir nichts.

Und so bleibt uns, für diese Fragen nach Leben und Tod im Licht des christlichen Glaubens, noch die Bibel.

 

Der Predigttext für heute stammt aus den Abschiedsreden Jesu. Jesus sagt: „Ich werde von euch gehen, aber solange ihr mich liebt und meine Gebote haltet, werde ich euch nicht wirklich verlassen."

Und doch zunächst geht Jesus. Und auch wir können ihn nicht so sehen, wie die Jünger ihn vor seiner Himmelfahrt gesehen haben.

„Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten." Das heißt für mich, wenn wir Jesus leben, so leben wir immer, als sei er unter uns.

Spricht Jesus hier als Mensch oder als Gott?

Die Abschiedsreden Jesu werden häufig für Beerdigungen verwendet. Sie sind beinahe eine große Beerdigungsrede, weil sie vom Abschiednehmen und von der Verbindung über den Tod hinaus reden. Eine Beziehung zwischen Menschen hört nicht auf, wenn einer stirbt. Der oder die Verstorbene ist noch immer da, in den Herzen, aber auch in dem Handeln seiner Freunde und Familie.

Soweit kann auch ein Mensch sprechen: Wenn ich sterbe, bin ich nicht wirklich fort von euch, ich bin nur auf der andren Seite.

Allerdings geht das Versprechen Jesu über das Menschliche hinaus.

Jesus verspricht, dass Gott uns einen anderen Tröster senden wird: den Beistand, den Geist.

Das ist mehr, als ein Mensch versprechen kann, hier hört das Menschliche auf, das Unbegreifliche fängt an.

Dieser Geist ist das, was so scher zu begreifen, zu fassen ist. Er ist der Geist Jesu, in dem wir leben, wenn wir versuchen, nach seinen Geboten zu leben, er ist aber mehr. Er ist der Geist, der seit zweitausend Jahren Kirche existieren lässt, in verschiedenen Ausprägungen. Er ist der Geist, den wir im Gebet spüren.

Er ist der Geist, der Gebote Jesu. Das wichtigste Gebot Jesu ist, dass wir einander lieben sollen. Darum ist er auch der Geist, den wir leicht nicht mehr spüren, wenn wir aufhören zu lieben.

 

Liebe Gemeinde, diese Woche ist die Woche, in der uns die Texte der Gottesdienste besonders daran erinnern, auf diesen Geist zu warten und zu hoffen. Uns für diesem Geist zu öffnen.

Christus spricht:

Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Amen



Sibylle Reh

E-Mail: sreh@gmx.de

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