Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 20.06.2010

Predigt zu 1. Timotheus 1:12-17, verfasst von Martina Janßen

I.

Liebe Gemeinde! Vor ein paar Jahren im Predigerseminar in Celle. Ich, eine junge Pastorin in der Ausbildung,  stelle mich auf einen eher trockenen Vormittag ein. „Kirchenrecht" ist das Thema. Irgendwann kommen wir zum Personalrecht und zur Vorbildfunktion des Pfarrers. Jetzt wird es doch spannend. In einem kleinen Kreis entbrennt in der Pause eine heftige Diskussion über die entsprechenden Paragraphen des Pfarrergesetzes. Da heißt es zum Beispiel: „In ihrem Auftreten sollen Pfarrer und Pfarrerinnen stets die Würde des Amtes wahren" (§ 49).  Stets die Würde des Amtes wahren - was bedeutet das eigentlich genau? Ich frage mich:  Wie schmutzig darf ein Fenster sein, damit die Würde des Pfarrhauses nicht unwiderruflich beschmutzt wird?  Darf ich in einer lauen Hochsommernacht nach einer Weinprobe bei Freunden fröhlich vor mich hin summend im Minirock mit meinem Fahrrad über die Felder fahren oder treibe ich es damit zu bunt?

Weiter heißt es im Pfarrergesetz: „Pfarrer und Pfarrerinnen sind auch in ihrer Lebensführung in Ehe und Familie ihrem Auftrag verpflichtet" (§ 51). Meine Kollegen überlegen: Darf ich nicht mal mit meinem Mann streiten, weil es jemand hören könnte? Muss ich mich etwa auch noch für meine Schwiegermutter fremdschämen, weil sie ihre seltsamen Ansichten jedem ungefragt wiederholt und lautstark mitteilt, oder für meine Kinder, weil sie manchmal eine lebendige Horde kleiner Bengel sind? Wie heißt es noch so schön: „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh gedeihen selten oder nie!" Amt und Würde, Druck und Sozialkontrolle, Vorbildfunktion und Versagensangst sind Worte, die durch den Raum schwirren und in den Köpfen rotieren. Ist das nicht eine Bürde mit der Würde?  Einer sagt: „Wir müssen eben professionell gute Menschen sein!" Als ich das höre, hoffe ich, mein Kollege meint das ironisch. Ich will das nicht, „professionell ein guter Mensch sein." Wenn ich mich zwischen Profi und Mensch entscheiden müsste, würde ich immer dem Menschen den Vorzug geben. Und als Mensch bin ich nicht nur gut und da geht es mir auch nicht immer nur gut. Mir wird entgegnet: „Als Pastor musst du eben der gute Hirte sein und nicht das verlorene Schaf!" Geht das? Mir fällt ein Gedicht von Wolfgang Borchert sein: „ Ich möchte Leuchtturm sein // in Nacht und Wind // für Dorsch und Stint // für jedes Boot // und bin doch selbst // ein Schiff in Not." Sicher, auch ich will mein Licht nicht unter den Scheffel stellen, auch ich will ein Vorbild, ein guter Mensch sein und auch anderen zeigen wie das meiner Meinung nach geht.  Aber manchmal komme ich eben vom Kurs ab und manchmal kentere ich auch. „Du musst eben der gute Hirte sein und nicht das verlorene Schaf!" Geht das? Muss ich unter meinem schwarzen Talar immer eine weiße Weste tragen?  Kann ich das überhaupt?  Muss ich als Hirte immer den Ton angeben und die Herde zusammenhalten oder darf ich auch mal Schaf sein und für ein paar Stunden verloren gehen, um an einer Blume am Wegesrand zu schnuppern oder den Schmetterlingen beim Spiel zuzusehen? „Du musst eben der gute Hirte sein und nicht das verlorene Schaf!" Geht das? Außerdem - die Realität ist das wohl nicht. Auch unter den Pastoren und Pfarrern gibt es genug schwarze Schafe. Gerade in den letzten Wochen war davon in den Zeitungen zu lesen, über schwarze Pädagogik in kirchlichen Einrichtungen, über  Missbrauch und darüber, dass sich nicht nur so mancher Wolf im Schafspelz findet, sondern schlimmer noch: dass sich so manch guter Hirte in einen reißenden Wolf verwandeln kann.

II.

Was wir da im Predigerseminar diskutiert haben - das ist ein altes Thema genau wie die Kirchengesetze. Unser Predigttext stammt auch aus einer solchen Kirchenordnung, einer der ältesten. Der erste Brief an Timotheus gehört zu den Pastoralbriefen, den Hirtenbriefen des Paulus. Da steht viel drin über die Aufgaben eines Pastors, über seine Pflichten und sein Selbstverständnis. Dahinter könnte sich Enge verbergen, Gesetzlichkeit gar, aber im Gegenteil: Wenn ich unseren Predigttext lese, entdecke ich keine Fesseln, die mir den Raum zum Handeln rauben und mir die Luft abschnüren. Ich entdecke auch keine einengenden Gebote, die mich auffordern, meine persönliche Freiheit auf dem Altar  obskurer Rollenbilder zu opfern, ganz im Gegenteil - Unser Predigttext sprengt solche Fesseln:

Lesung 1 Tim 1, 12-17

Was für ein tröstlicher Beginn für eine Dienstvorschrift! Paulus sagt, dass die Alternative guter Hirte oder verlorenes Schaf falsch ist. Auch der Pastor - der Hirte - ist im Grunde nichts anderes als ein verlorenes Schaf. Paulus ist nicht deswegen Vorbild, weil er ein besonders frommer, redegewandter Apostel mit hohen Trau- und Taufquoten, hervorragender Publicity  und einer beachtlichen Liste an gottesdienstlichen ‚best - practice - events' ist, sondern weil Gott mit ihm Erbarmen hat. So kann ich mir das mit dem Vorbild auch für mich vorstellen: Ich bin kein Vorbild, weil ich ein besserer Mensch bin als andere, sondern weil Gott mit mir Erbarmen hat. Davon kann ich reden und davon kann ich zeugen. 

III.

Liebe Gemeinde! Paulus ist ein ungewöhnliches Vorbild. Nicht nur für Pastoren, sondern für uns alle. Gar nicht so wie die Menschen, die man uns heutzutage als Vorbilder präsentiert. Die sind stark, cool und schön.  Das beginnt bei DSDS und ähnlichen Sendungen, geht über Bewerbungstrainings, wo man lernt, selbst die Schwächen als Stärken zu verkaufen bis man sich das selber abkauft,  und endet manchmal im Burnout: Vor lauter Strahlen ist man plötzlich ausgebrannt. Bloß keine Schwäche zeigen, immer gut und sicher aussehen, egal wie es tief drinnen in einem aussieht. Aber: „Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle .... (Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung).

Unsere Vorbilder sind stark, cool und schön. In der Welt ist das so gefordert und manchmal auch in der Kirche. Wie ein himmlisches DSDS - „Deutschland sucht das Superschaf"! Und das muss eben das beste sein, keine Fehler haben, immer volle Leistung bringen. Und das wollen alle!  Heraus kommt eine Herde leuchtender Schafe, wollweiß und kuschelweich, die im Gleichschritt schreiten - auf's peinlichste darauf bedacht, nicht aus der Reihe zu tanzen - und im Einklang  korrekte Lieder blöken: „Spiel nicht mit den Schmuddelschafen". Das beste, was mir dazu einfällt, ist: „Was für eine langweilige Truppe!" Aber gefährlich ist das auch. Und verlogen, weil die innere Wahrheit verloren geht. Es liegt nicht alles an mir. Selbst wenn ich ein Engel wäre - wir leben nicht im Paradies. Ob ich will oder nicht, ich mache mich schuldig. Über die schuldhaften Zusammenhänge unseres Systems kann ich mich nicht mit Engelsflügeln hinwegheben. Wenn ich z.B. billig einkaufe, zahlt ein anderer den Preis, entweder weil er einen zu niedrigen Lohn bekommt oder weil gar Kinder in fernen Ländern für meinen Wohlstand arbeiten anstatt zur Schule zu gehen. Auch über mein Menschsein kann ich mich nicht erheben; Engel sind wir eben alle nicht. In mir wohnt immer auch der kleine Bengel, der ängstlich, wütend und trotzig ist und das auch zeigt und andere spüren lässt - auch wenn es ihm hinterher leid tut.

IV. Stark, schön, cool - unsere Vorbilder sind nur die halbe Wahrheit.  Paulus ist da anders. Er entwirft sich nicht als einer, der alles kann und selbst seine Fehler zu Tugenden umdefiniert. Sondern er spricht von sich als einem, an dem sich das Erbarmen Gottes zeigt. Auch wenn dieses Vorbild nicht in unser Bild passt  - für mich ist Paulus ein starker Mann, gerade weil er von seiner Schwäche spricht. Weil ich an ihm sehen kann, wie man als Sünder gerechtfertigt lebt. Das ist besser als ein professioneller Gutmensch im Dauerbetrieb, der ohnehin nur eine Phantasiefigur bleibt.  Paulus stellt mir ein anderes Vorbild vor Augen, eins, zu dem ich nicht bewundernd aufschauen muss, sondern in dem ich mich selbst wie in einem Spiegel wiedererkenne: Auch wenn ich gefangen bin in der sündhaften Verstrickung der Welt, auch wenn meine weiße Weste voller Flecken ist und mein Benehmen nicht immer der Würde eines Kindes Gottes entspricht: Gott hat Erbarmen mit mir. Trotz meiner Fesseln atme ich den Duft seiner Freiheit, trotz meiner Makel gehöre ich dazu und trotz meiner Fehler nimmt mich Gott als sein Kind an und schenkt mir meine Würde neu. Davon zu erzählen ist ein schönes Amt. Und das lässt auch unser Pfarrergesetz in einem anderen Licht erscheinen. „In ihrem Auftreten sollen Pfarrer und Pfarrerinnen stets die Würde des Amtes wahren" (§ 49). 

Meine Lieben, ich bin verloren gegangen und Gott hat mich gefunden, immer wieder. Er hat mich reingewaschen, satt an Leib und Seele gemacht. Davon erzähle ich - jeden Tag neu. Und dieses Amt ist süß, und seine Würde macht mich frei.

Amen


 

Pastorin Dr. Martina Janßen
Jork-Estebrügge
E-Mail: mjansse@gwdg.de

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