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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 01.08.2010

Predigt zu Philipper 3:7-11, verfasst von Lucie Panzer

Liebe Gemeinde,

was wichtig ist, was ein Gewinn und was ein Verlust, darum geht es im Leben.

Darum geht es auch in dem Bibelabschnitt, der für heute als Predigttext vorgegeben ist.

Was also ist wichtig?

Die Kinder, die bei uns in Baden-Württemberg vor ein paar Tagen ihre Zeugnisse bekommen haben, die wissen das genau, und die, die andernorts schon wieder ein neues Schuljahr vor sich haben, die wissen es auch: wichtig ist, was am Ende für eine Zahl vor dem Komma steht. Oft kommt es sogar noch auf die Zahl nach dem Komma an. Das Ergebnis ist wichtig, die Beurteilung, die Zensur. Ob sich die Arbeit eines ganzen Jahres gelohnt hat, oder ob es scheinbar umsonst war - das ist wichtig. War es etwa nicht umsonst, wenn eine Gruppe den Schulhof hergerichtet hat - aber am Ende gab es nur eine 4 in Deutsch und eine 5 in Englisch?

Was ist wichtig?

Erwachsene reden vielleicht noch von der Gesundheit, die das Wichtigste sei. Aber dann kommt meistens auch schon bald der Erfolg, auch wenn die Maßstäbe vielleicht nicht mehr die Zensuren sind, sondern sich in Euro und Cent auf der Gehaltabrechnung oder bei der Bonuszahlung messen lassen.

Was ist wichtig?

Paulus, der Apostel hätte wahrscheinlich noch etwas anderes genannt. Der hätte geantwortet: Wichtig ist, was richtig ist. Dass man auf der richtigen Seite steht im Leben und dass man das richtige glaubt das ist wichtig. Da kann man nicht einfach ein Auge zudrücken. Was Recht ist, muss recht bleiben. Da gibt es auch keine Extrawürste. Wo kämen wir denn da hin? Wenn wir Sondermeinungen dulden und Minderheiten, wenn wir durchgehen lassen, dass die einen den Glauben so verstehen und die anderen es ganz anders sehen: dann herrscht bald eine heillose Verwirrung. Dann weiß niemand mehr, wo er dran ist. Dann weiß niemand mehr, was richtig ist und was deshalb wichtig ist.

Paulus wusste es. Er hatte das ja studiert. Und er war überzeugt, dass es nur so richtig ist, wie er es gelernt hatte und nun richtig fand. Über Jahrhunderte hatte sein Volk so geglaubt, wie die Gelehrten es ihnen predigten. Und sie haben sich so verhalten und getan, was die Gelehrten ihnen gesagt hatten. Und jetzt gab es da so eine Splittergruppe, die vieles anders machte. Das konnte und wollte Paulus nicht dulden. Wehret den Anfängen! Nach dem Grundsatz hat er die neue, die christliche Lehre verfolgt. Das war ihm wichtig.

Dafür hat er getan, was er konnte - so wie alle, die Erfolg haben wollen und denen etwas wichtig ist. Anscheinend war er auch wirklich erfolgreich mit seinen Maßnahmen gegen den vermeintlichen Aberglauben der Christen. Bis auf einmal alles anders war. Gott selbst, hat Paulus später selbst erzählt, Gott selbst hat ihm klar gemacht: Du stehst auf der falschen Seite, mein lieber Paulus. Bei Damaskus, sie kennen die Geschichte vielleicht, da hat Paulus begriffen: Dieser Jesus, dessen Anhänger ich verfolge, der war kein fehlgeleiteter Wichtigtuer, der war auch kein Gotteslästerer. Gott selbst war in ihm und bei ihm. Gott selbst steht auf seiner Seite. Und ich - ich stehe auf der falschen...

Ein paar Jahre später hat Paulus diese Erkenntnis so beschrieben:

7 Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. 8 Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne  9 und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.  10 Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden,  11 damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

Eine schwere Niederlage also für Paulus. Was ich für Gewinn hielt, hat mir nichts als Verlust gebracht, schreibt er. Ein schwerer Fehler, den er gemacht hat, obwohl er Erfolg hatte und obwohl er eigentlich doch Recht hatte, war es nicht richtig, was er bisher gedacht und getan hat. Und nun? Tritt er zurück, beschämt und ein bisschen beleidigt? Oder versucht er, so zu tun, als ob nichts wäre? Versucht er, seinen Irrtum zu vertuschen? Resigniert er und lässt sich hängen? - Sollen doch andere sich ins Zeug legen, ich halte mich in Zukunft raus. Wer sich raushält, der macht keinen Fehler...

Nein, Paulus resigniert nicht. Er tritt nicht zurück. Paulus hat gelernt.

Was ist wichtig? Worauf kommt es an? Was ist ein Gewinn für das Leben, nicht nur für das eigene, ein Gewinn, der nicht zum Verlust wird?

Zuerst einmal fällt mir auf, dass Paulus keine konkreten Angaben macht. Er sagt nicht: Dieses muss man tun und jenes muss man lassen. Er redet nicht von neuen Maßstäben fürs Handeln, nicht von Ritualen und Übungen für den Alltag. Dies darf man essen und jenes nicht, dies darf man sagen und jenes nicht, dies und jenes muss man glauben und weh dem, der das nicht kann. Nur eines ist wichtig, schreibt Paulus. Mit Christus verbunden sein - darauf kommt es an. Das eigene Leben mit seinem verbinden, so dass man sich an ihm orientieren kann, das ist wichtig. Davon, sagt Paulus, davon will ich mich inspirieren lassen in dem, was ich denke, wie ich mich verhalte und was ich glaube. Wie das dann aussieht, was ich dann tue, was ich rede und wie - das kommt auf die Situation an und mit wem ich rede.

Sich mit Jesus verbunden fühlen. Das ist wichtig. So verstehe ich den Paulus - den neuen Paulus.

Wie kann das gehen? Wie kann man Jesus Christus erkennen und wie gewinnt man Orientierung an ihm? Martin Niemöller, ein Mann, der sich in der Nazi-Zeit an Jesus orientiert hat und der im Konzentrationslager am eigenen Leib zu spüren bekam, das das nicht gerade eine Erfolgsgeschichte war, auf die er da gesetzt hat, dieser Martin Niemöller hat empfohlen, sich ab und zu einmal zu fragen: „Was würde Jesus dazu sagen?" Was würde Jesus sagen, wenn er die Gier nach Erfolg sieht, die uns treibt? Was sagt er, wenn Schüler aus sogenannten bildungsfernen Schichten keine Chance haben in unserem Schulsystem, weil wir ganz genau wissen, was wichtig ist und was richtig und was sie lernen müssen und was sie zwar können, aber wir nicht brauchen? Was würde Jesus sagen, wenn er erlebt, wie unsere Generation ausgibt und vervespert, was unsere Kinder und Enkel zum Leben brauchen?

Was würde Jesus sagen? Wer sich das fragt, der hört dann vielleicht auch, was er zu denen gesagt hat, die scheinbar auf der falschen Seite standen und nicht mitgekommen sind in der Gesellschaft der Erfolgreichen und der Rechthaber: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid," hat er gesagt, „ich will euch Kraft geben.". „Fürchtet euch nicht", hat er gesagt, „ich bin bei euch alle Tage" und auch „Steh auf. Lass hinter dir, was du verkehrt gemacht hast. Fang neu an. Nimm dein Bett und geh."

Sich mit Jesus verbunden zu fühlen und sich an ihm zu orientieren, das ist wichtig.

Und was bringt das dann?

Drei Dinge nennt Paulus, die er wirklich wichtig findet. Die möchte ich Ihnen heute Morgen noch weiter geben.

1., schreibt er: Ich bin mit Jesus verbunden, ich erfahre die Kraft seiner Auferstehung

Das ist für Paulus nicht, wie man meinen könnte, eine Vertröstung auf das Jenseits. Ganz im Gegenteil. Die Kraft der Auferstehung, das ist Kraft für das Diesseits. Kraft für das Leben. Das ist die Kraft, die nicht akzeptiert, dass der Tod das letzte Wort hat, der alle Beziehungen zerstört. Überall, wo der Tod das Leben unmöglich machen will, da stärkt einen die Kraft der Auferstehung und Menschen können nach Wegen suchen, die zum Leben führen, statt den Tod auszubreiten.

Die Kraft der Auferstehung hilft, mit Misserfolgen zu leben. War nicht auch das Leben Jesu zuerst einmal scheinbar ein Misserfolg? Wer aus der Kraft seiner Auferstehung lebt, der kann leben trotz seiner Misserfolge und mit seinen Misserfolgen. Der muss nicht resigniert zurücktreten, der muss sich nicht aufgeben, der muss auch nicht zuschlagen aus Frust und alles kaputt machen, was ihm den Erfolg verwehrt. Die Kraft der Auferstehung nimmt einem den Druck, immer alles richtig und alles sehr gut machen zu müssen. Ich muss nicht immerzu um den Erfolg kämpfen und dabei die anderen beiseite stoßen so gut ich kann. Die Kraft der Auferstehung schenkt einem Freude am Leben: auch mit einem schlechten Zeugnis, auch nach einem Fehlschlag. Ich muss nicht immerzu kämpfen, um zu beweisen, das ich die beste bin und die tüchtigste: Es gibt so viel Grund zur Freude, auch wenn es nicht so gut gelaufen ist - dann muss ich mich nicht schamvoll verstecken. Dann kann und darf ich trotzdem fröhlich weiterleben. Und dann werde ich auch neue Kraft finden, es wieder zu versuchen und anders und vielleicht besser zu machen. Neue Kraft - die Kraft der Auferstehung.

2. schreibt Paulus: Ich bin mit Jesus verbunden, ich habe teil an seinem Leiden.

Ich leide mit. Das Leben ist nicht bloß Friede, Freude, Eierkuchen. Man kann und man muss die Augen nicht verschließen vor den dunklen Seiten. Aber Schwäche zeigen und leiden und verlieren - das ist keine Schande, auch wenn viele das meinen. Jesus war auch schwach, er hat gelitten und am Ende scheinbar sogar verloren. Das kann mir vielleicht die Angst nehmen vor dem Urteil anderer. Was andere sagen: eigentlich kann mir das egal sein. Die Leute reden viel - auch über ihn, den leidenden Jesus haben sie viel und Schlimmes geredet.

Wer sich nicht um das kümmert, was die Leute sagen, der findet dann vielleicht auch zu jener Lebenshaltung der Demut, die Jesus hatte: Wer demütig ist, der fragt nicht, was wohl die Leute darüber denken und was sie dazu sagen. Wer demütig ist, der kann sich deshalb auch um die kümmern, wo es nicht viel hermacht, dass ich mich einsetze. Es gibt Aufgaben in unserer Gesellschaft, für die braucht man Demut. Wer sich mit Jesus und seinem Leiden verbunden fühlt - der kann sie finden.

Und das 3.), was Paulus wirklich wichtig findet: ich bin mit Jesu Tod verbunden und deshalb werde ich auch zur Auferstehung gelangen.

Wer sich mit Jesus Christus verbunden weiß, der braucht keine Angst zu haben vor dem Scheitern. Und vor dem Tod eigentlich auch nicht.

Ich muss also nicht immer und auf Biegen und Brechen Recht haben und durchsetzen, was ich für richtig halte. Mit einer Niederlage ist nicht alles aus und vorbei. Gott schenkt neues Leben, auch wenn ich fürchte, nun habe ich endgültig verloren.

Ich muss keine Angst haben zu verlieren. Mir scheint, das entmachtet diejenigen, die so stark scheinen. Was die anderen stark macht, ist meine Angst. Die macht mich unsicher und zögerlich und schwach. Wenn ich keine Angst haben muss, mich lächerlich zu machen, oder zu verlieren: dann kann ich sagen, was ich für richtig halte und was mir wichtig ist. Und wie oft reicht das schon, es finden sich Mitstreiter und man kann anfangen, das zu ändern, was nicht so bleiben kann, wie es ist.

Wer sich mit Jesus verbunden weiß, der wird ihm auch im Tod ähnlich sein, schreibt Paulus. Der muss keine Angst haben vor dem Tod. Nicht, dass dann das Sterben eine Heldentat würde. Jesus selbst hat auch gezittert und war verzweifelt. Aber sein qualvoller Tod war nicht sein Ende. Und mein Tod wird nicht mein Ende sein, sondern der Eingang in ein neues Leben bei Gott. Ich glaube - ich hoffe! - so wird einem der Tod leichter.

Was ist wichtig? Paulus hat eine schwere Krise und einzigartige Erfahrungen gebraucht, um das zu begreifen. Und wir, Sie und ich? Vielleicht können wir von seinen Erfahrungen lernen. Und unser Leben neu gewichten.

Amen



Rundfunkpfarrerin Lucie Panzer
Stuttgart
www.kirche-im-swr.de
E-Mail: Lucie.Panzer@elk-wue.de

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