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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedank / 18. Sonntag nach Trinitatis, 03.10.2010

Predigt zu 2. Korinther 9:6-15, verfasst von Güntzel Schmidt

"Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk; wie geschrieben steht:
'Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.' (Psalm 112,9) Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit. So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott. Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken. Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen. Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch.
Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!"

Liebe Gemeinde,

wir feiern Erntedank.
Die Ernte, für die wir danken, ist vor uns aufgebaut:
Früchte vom Feld und aus dem Garten.
Aber die Erntegaben, die da vor uns liegen, kommen nur aus einzelnen Gärten, von wenigen Feldern.
Die meisten von uns ernten nicht mehr
- jedenfalls keine Feld- oder Gartenfrüchte.
Das lohnt sich gar nicht.
Was wir mit viel Mühe und Arbeit anbauen müssten, gibt es zum Schleuderpreis im Supermarkt zu kaufen.
Für das wenige Geld, das Getreide und Milch, Kartoffeln und Äpfel kosten, können die meisten Landwirte sie gar nicht mehr produzieren.

Und trotzdem ernten auch wir,
und auch für diese Ernte gibt es allen Grund, Danke zu sagen.
Unsere Ernte, das sind Lohn oder Gehalt, die wir verdienen.
Rente oder Pension,
die Zinsen der Spareinlagen,
die Dividende aus angelegten Geldern.
Wir ernten Geld.
Deshalb müssten eigentlich Euros und Cents den Altar schmücken, Aktien und Wertpapiere und die langen Listen der Börsenkurse aus der Tageszeitung.

Auch Paulus, wie wir eben hörten, erntet Geld; er sammelt bei den Mitgliedern der Gemeinde in Korinth.
Bereits am Anfang der Christenheit,
bevor sich Gottesdienst und Kirche überhaupt ausgebildet haben, bevor es Pastorinnen gibt und Pastoren, Bibel und Gesangbuch, wird schon die Hand aufgehalten und die Kollekte eingeführt.
Paulus ist der erste einer seitdem ungebrochenen Kette, der seinen Gemeindegliedern den Klingelbeutel unter die Nase hält.

Und da ist man empfindlich.
Beim Geld hört bekanntlich der Spaß auf.
Und vielleicht hat es Sie bereits kurz irritiert, dass ich Geld und Erntedank in einem Atemzug genannt habe.
Schließlich sprechen wir davon, dass wir Geld verdienen.
Wir verdienen es, das bedeutet: wir haben ein Recht darauf.
Es steht uns zu.
Wir bekommen es für die Arbeit, die wir geleistet haben.
Dahinter steht auch ein gewisser Stolz.
Viele Menschen beziehen ihre Selbstachtung, ihr Selbstwertgefühl daraus, finanziell unabhängig zu sein, ihr Geld selbst verdient zu haben.

Entsprechend misstrauisch werden die betrachtet, die kein eigenes Geld verdienen, sondern auf staatliche Hilfe angewiesen sind:
Die früheren Sozialhilfe- und heutigen Hartz-IV-Empfänger.
Hartz IV: Das ist ein Stigma.
Dazu hat wohl jede und jeder eine Meinung.

Bei Geld hört der Spaß auf.
Oder: "Über Geld spricht man nicht - Geld hat man."
Und genau da tut sich eine Schere auf:
Eine Schere zwischen denen, die Geld haben, auf der einen Seite
- und die niemals jemandem verraten würden, oft nicht einmal der eigenen Familie, wieviel sie besitzen und verdienen.
Da ist eine Scham, die oft größer ist als die, sich nackt ausziehen zu müssen.

Auf der anderen Seite sind die, die kein Geld haben, und alle Einnahmen, jeden Cent, den sie besitzen, offen legen müssen.
Die vor den Behörden gleichsam die Hosen herunterlassen müssen.
Die sich von Politikern belehren lassen müssen, dass Alkohol und Zigaretten nicht zum Grundbedarf gehören, weil sie gesundheitsschädlich sind, und sich unterstellen lassen müssen, sie würden das Geld ihrer Kinder unsachgemäß ausgeben, weshalb man ihnen sicherheitshalber Gutscheine gibt.

Deren Beschämung ist legitim,
auf sie wird keine Rücksicht genommen.
Und es wird auch nicht gefragt,
wie sie Selbstachtung und Selbstwertgefühl entwickeln sollen.
Im Gegenteil.
Die, die etwas verdienen,
blicken von oben auf die herab,
die von Sozialleistungen leben.

Ich möchte mich heute nicht dem Blick von oben herab anschließen.
Denn auch wenn er in bester Absicht geschieht, ist es doch der Blick eines Verdieners, der Blick jemandes, der auf der anderen Seit der Schere sitzt.
Ich möchte heute die anschauen,
die zu den Verdienern gehören,
und fragen, ob wir wirklich verdienen, was wir verdienen.

Ausgehend von dem, was Paulus schreibt,
könnte man das nämlich auch anders verstehen.
Zwar schreibt Paulus nichts von der Verpflichtung des Eigentums
- die kennt er wahrscheinlich noch gar nicht.
Aber er vergleicht das Geld mit Saatgut, das man im Frühjahr aussät.
Und das, was diese Saat hervorbringt,
werden Früchte der Gerechtigkeit sein.

Gerechtigkeit - darum geht es auch in der Debatte um die Höhe der Hartz-IV-Beträge.
Gerechtigkeit zum einem denen gegenüber, die auf diese Hilfe angewiesen sind und die genug zum Leben bekommen müssen.
Genug Geld auch für ihre Kinder und deren Ausbildung, damit die eines Tages auf eigenen Beinen stehen, eigenes Geld verdienen können.

Zum anderen soll aber auch Gerechtigkeit gegenüber denen hergestellt werden, die oft kaum mehr verdienen als ein Hartz-IV-Empfänger.
Der Abstand zwischen Lohn und Sozialhilfe soll gewahrt bleiben.
Und weil man den Lohn nicht anheben will oder kann, darf auch die Sozialhilfe nicht steigen.

Aber von einer dritten Gerechtigkeit spricht kaum jemand:
Von der Gerechtigkeit innerhalb des Lohngefüges.
Ist es gerecht, dass zwischen dem Gehalt einer Putzfrau und dem einer Managerin Welten liegen?
Ist es gerecht, wenn man penibel festlegt, was man mindestens zum Leben braucht, und sich fragt, ob ein Sozialhilfeempfänger einen Farbfernseher besitzen darf, aber niemals selbst gefragt wird, wieviel man höchstens zum Leben braucht:
Ob es zum Zweit- auch der Drittwagen sein muss, zum iMac, iPhone und iPod auch noch das iPad, zum Eigenheim auch das Ferienhaus.

Paulus spricht von dieser dritten Gerechtigkeit.
Er spricht vom Geld als Saatgut.
Das ist ein Bild, das Bankern und Brokern gefallen könnte:
Geld auszusäen wie Samen,
um dann ein Vielfaches an Früchten zu ernten, ein schönes Bild.
Aber die Gewinne aus Aktien- und Kursgeschäften, aus Leerverkäufen und Immobilien sind keine "Früchte der Gerechtigkeit".
Das würden nicht einmal die behaupten, die diese Gewinne erzielen.

Früchte der Gerechtigkeit - das sind überhaupt keine finanziellen Werte.
Früchte der Gerechtigkeit sind Dankbarkeit, Überschwang, Gemeinschaft, der Segen und die Gnade Gottes.
Sie reifen, indem Menschen, die etwas von ihrem Geld erübrigen können, davon an andere abgeben.
Im Falle des Paulus ist es die Gemeinde in Jerusalem, die mit der Kollekte der Korinther unterstützt werden soll.

Paulus verheißt für diese Kollekte eine unglaubliche Rendite:
"Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.
So werdet ihr reich sein in allen Dingen"
Mit anderen Worten:
Das Geld, das man einsetzt, um anderen zu helfen, verschafft den Gebern einen Reichtum, den man mit Geld nicht aufwiegen kann.

Paulus kennt noch keine Verpflichtung des Eigentums.
Er kann die Korinther nicht zwingen,
etwas von ihrem Überfluss abzugeben.
Er kann nur dazu ermuntern:
"Ich meine aber dies:
Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.
Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb."

Wir kennen die Verpflichtung des Eigentums nicht mehr.
Eigentum verpflichtet zu nichts
- höchstens dazu, es zu mehren.
Aber vielleicht fragen wir uns,
ob wir tatsächlich verdienen, was wir verdienen.
Ob unsere Leistung so groß ist,
dass sie ein so großes Gehalt rechtfertigt.
Ob der Unterschied, der Abstand,
der durch ein hohes Gehalt zu anderen entsteht, wirklich so groß zu sein hat.
Ob wir wirklich all das brauchen, was wir besitzen.
Und ob es gerecht ist,
dass manche Menschen alle Möglichkeiten haben und manche keine Chance.

Und vielleicht bekommen wir dann nicht ein schlechtes Gewissen, sondern Lust, es mit einer neuen Art von Geldwirtschaft zu versuchen:
Zu überlegen, ob wir von dem, was wir haben, nicht etwas erübrigen können; das, was wir erübrigen können, mit anderen zu teilen, und Dankbarkeit, Überschwang, Gemeinschaft, den Segen und die Gnade Gottes zu ernten.
Amen.



Pastor Güntzel Schmidt
Klosterkirche Riddagshausen
E-Mail: guentzel.schmidt@lk-bs.de

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