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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Epiphanias, 06.02.2011

Predigt zu Jesaja 40:12-25, verfasst von Uwe Vetter


Kalte Duschen -
oder:  Wenn Glaube Einbildung wäre, sähe Gott anders aus

Jesaja Kapitel 40 (in Anlehnung an die Interlinearübersetzung)

- Erste Lesung:

(1) »Tröstet, tröstet mein Volk!« spricht euer Gott.
(2) »Redet mit Jerusalem freundlich«
(wörtlich: zum Herzen)...

(12) Wer hat mit seiner hohlen Hand Gewässer ausgeschöpft
(gemessen) und
wer wird die Himmel mit der Spanne seiner Hand abgreifen und
mit dem Drittelmaß
(Schaufel) allen Staub der Erde (erfassen)?
Und wer hat Berge mit der Waage gewogen und
Hügel in einem Waagschalenpaar?
(13) Wer wird bestimmen den Geistbraus des HERRN
(wie man Arten bestimmt),
(und belegen) dass Er irgendwen Seinen Ratschluss wissen ließe?
(14) Mit wem besprach Er sich,
dass Er ihn einsichtig machte und ihn einwiese in die Pfade des Rechts
und ihn lehrte Erkenntnis und den Weg der Einsichten ihn wissen ließe?
(15) Seht: Völker sind wie ein Tropfen
(der) vom (Schöpf)Eimer (tropft),
wie Staubbelag auf den Waagschalen werden sie betrachtet.
Seht : Inseln - wie Dunst hebt Er
sie auf!
(16) Im
(ganzen) Libanon gibt's nicht genug Brennholz und
sein Wildbestand reicht nicht für Brandopfer
(die Gott gebracht werden sollten).
(17) All die Völker - wie ein Nichts sind sie im Gegenüber Gottes,
vom Nichtigen und als Leere
(Tohu) gelten sie Ihm.
(18) Mit wem werdet ihr
(nun) Gott vergleichen?
Und welches Gleichnis werdet ihr zuordnen - Ihm?

- Zweite Lesung:

(18) Mit wem werdet ihr Gott vergleichen?
Und welches Gleichnis werdet ihr zuordnen - Ihm?
(19) Das Götzenbild
(Gussform, Schnitzbild) gießt der Handwerker, und der Goldschmied überzieht es mit Gold, dazu gießt er Kettchen von Silber.
(20) Ist vielleicht ein Mesukán-Baum eine
(passende) Weihegabe?
(Nein) Holz, das nicht morscht, zieht man vor.
Einen geschickten Handwerker sucht man sich,
ein Götzenbild zu errichten, das nicht wackelt. -
(21) Halo, wollt ihr nicht erkennen?!
Halo, wollt ihr nicht hören?!
Halo, wurde es nicht kundgetan, euch?!
Halo, habt ihr nicht begriffen, worauf die Erde ruht?
(22) Der
(Mensch, der) auf dem Erdkreis hockt und seine Bewohner gleichen Heuschrecken.
(Gott aber,) der die Himmel dehnt wie ein Flortuch
und sie spannt wie ein Zelt,
(darunter) zu wohnen,
der gibt Prinzen hin dem Nichts!
Und Landesrichter macht Er wie die Leere
(Tohu).
(24) Kaum dass sie gepflanzt
(designiert) sind,
kaum dass sie ausgesät
(auf die Stelle gesetzt) sind,
kaum dass wurzelt in der Erde ihr Reis
(sie die Arbeit aufgenommen haben),
da haucht Er sie auch schon an, dass sie verdorren und ein Sturm sie wie Spreu fort trägt.
(25) Und nun
(frage Ich noch einmal): »mit wem werdet ihr Mich vergleichen
und Ich gliche
(dem wirklich)


I

Es gibt Leute, die meinen, Gott wäre eine Erfindung und Gottesdienste eine Art Wunschkonzert: Der Mensch wünscht sich ein bisschen heile Welt und erfindet einen Heiland. Man wünscht sich Beistand - und erfindet Schutzengel. Jeder möchte geliebt sein und erglaubt sich einen Gott-der-Liebe-ist. Man legt Wert auf persönliche Freiheit, aber wer für seine Fehler grade stehen soll, wünscht sich Gnade und Vergebung. Gott, sagen manche, wäre eine Sprechpuppe. Die Gläubigen lassen ihn sagen, was sie gern hören wollen. - Was sagen Sie dazu?

Sie könnten in derselben Tonlage antworten: ‚Wenn ich mir Gott ausgedacht hätte, dann wär' der aber anders! Dann gäb's keine Misserfolge mehr, nur Glück und Segen. Der Allmächtige würde alles für mich deichseln und alles bezahlen. Dann gäb's keine Kreuze mehr, sondern über den Altären hing ein großer ‚Smiley', der zu allem lächelt, was immer wir anstellten. Der Sohn Gottes wäre nicht in Windeln gewickelt, sondern erschiene uns in Livree. Den ganzen Tag liefe er uns mit Stift und Blöckchen hinterher, um Gebetswünsche zu notieren und umgehend zu bearbeiten. Der Himmel wäre ein riesiges Kaufhaus mit Waren ohne Preisschilder, und im rechten Himmelsflügel gäb's einen Männerbereich mit 72 Jungfrauen, und linker Hand die Frauenabteilung mit 72 Californian Dream Boys. Wenn Glaube Einbildung wäre, dann säh' Gott aber anders aus, das schwör ich euch!', könnten Sie sagen.

Ernstzunehmende Religionskritiker sind klug. Sie wissen, dass man dem Geheimnis Gottes mit Illustriertenpsychokolumnenthesen nicht näher kommt und dass Wunschkonzertreligionen nur Party-Talk sind. Ernstzunehmende Religionskritiker werden die Stammtischebene verlassen und mehr fordern. ‚Wenn euer Gott kein Wunschtraum ist', würden sie fragen, ‚wie ist Er denn dann?' - Wenn ich Ihnen raten darf, sagen Sie erst mal nichts. Halten Sie sich etwas im Hintergrund! Lassen Sie IHN selbst antworten! Durch den Vorhang der Heiligen Schrift, zwischen diesen Zeilen, redet der Himmel. Wenn's Ihr Glückstag ist, geraten Sie an überzeugend schöne Bibelpassagen, an Werbetexte wie Psalm 23 oder das Hohelied der Liebe, zum Dahinschmelzen. Wenn Sie allerdings Pech haben, klappt das Buch auf einer Seite auf wie heute, Jesaja 40:12-25. Du meine Güte, man kann aber auch Pech haben!


II

Was sich da heute aus dem Himmel in die (Johannes-)Kirche ergießt, ist eine kalte Dusche. Hier werden keine Seelen gestreichelt, keine Händchen gehalten und keine Schultern geklopft, da werden Köpfe gewaschen. In unserm Bibelabschnitt heut' wird jemand zur Schnecke gemacht. Der Prophet Jesaja muss dolmetschen, wie Gott Seine Hörer zur Brust nimmt und zusammenfaltet.

Man kann ahnen, was los ist. Es sieht so aus, als hätte etwas überhand genommen, das immer mal wieder wellenartig durch Religionen und Weltanschauungen schwappt. Und je nach Ort, Zeit und Mentalität gibt's das in verschiedenen Geschmacksrichtungen: den Hang zur Gottesverniedlichung. Gott klein machen, um sich selber groß zu fühlen - das gibt's obrigkeitlich (Gott und Kaiser), das gibt es von rotzig-gönnerhaft bis rheinisch-selbstzufrieden. Gottesverniedlichung, das gibt's als fromme Raserei (Mein Wille geschehe im Himmel und auf Erden!) und als süffisanten Kabarett-Gag. Gottesverniedlichung, das gibt's als bibelkundliche Halbbildung (Die Bibel enthält doch nur Märchen!) und als wichtigtuerischen Hokuspokus. Gottesverniedlichung droht, wenn Menschen so tun, als hätten sie eine VIP-Lounge-Mitgliedskarte für den Himmel (ich gläubig, du ungläubig). Gottesverniedlichung droht, wenn Menschen ohne irgend eigene Glaubenspraxis und -erfahrung Gott durch den Filter ihres Verstandes schicken, und dann, wenn zwischen den Ohren nichts ist, in dem sich Geistpartikel verfangen, urteilen: Den gibt's nicht. -

Was denkt ihr eigentlich, wer Ich bin?!, fragt der Himmel in die Runde. Haltet ihr Mich für ein Accessoire aus dem Esoterikladen, als Silberkettchen, um den Hals zu tragen? Oder glaubt ihr, ihr könntet Mich vermessen und bestimmen wie ein neu entdecktes Insekt? Rangiere Ich auf Platz drei hinter Popstars (Prinzen) und hoch gejubelten Politikern? Meint ihr wirklich, zwischen Himmel und Erde gäb' es nur, was ein begrenzter Verstand sich auszumalen in der Lage ist?

(12) Wer hat mit seiner hohlen Hand (die) Gewässer (der Erde) ausgeschöpft (gemessen) und wer wird die Himmel mit der Spanne seiner Hand abgreifen...(13) Wer wird bestimmen den Geistbraus des HERRN (wie man Arten bestimmt),
(und belegen) dass Er irgendwen Seinen Ratschluss wissen ließe?
Eure Großmächte (Völker), eure Idole (Götzen), eure Prinzen, ... mit Blattgold überzogene Holzfiguren (Schnitzwerke) sind es, - ein Tipp unter Freunden: Holz, das nicht morscht, zieht man vor! Wie Tohu (wabohu), wie Leergut sind sie im Gegenüber Gottes.
Haló, wollt ihr nicht erkennen?!
Haló, wollt ihr nicht hören?!
Haló, wurde es nicht kundgetan, euch?!
Haló, habt ihr nicht begriffen, worauf die Erde ruht?
(18) Mit wem werdet ihr Gott vergleichen?
- Und an dieser Stelle schiebt der Allmächtige Seinen Dolmetscher, den Jesaja, beiseite und spricht selbst:
(25) »...mit wem werdet ihr Mich vergleichen
und Ich gliche (dem wirklich)?«

Das war jetzt heftig. Ehrlich gesagt, ich bin nicht gern Zeuge solcher Szenen. Und wer zum ersten Mal in den Gottesdienst kommt und solche Töne hört, ist peinlich berührt und würde sich wohl gern verdrücken: ‚Ich komm später noch mal, wenn das hier vorbei ist!' Und wenn er bliebe, dächte er befremdet: ‚Was ist denn das für eine Religion! Fährt ihre Gläubigen an, wie ein Bootsmann die Kadetten auf einem Segelschulschiff anraunzt. An so einen Gott würd' ich doch nie im Leben glauben. Da würd' ich mir doch eine andre Religion suchen, irgendwas Nettes, beschaulicher, und nicht so ‚sarrazín'. Wenn ich mir einen Gott suche, wär der aber anders, das schwör' ich!', würden Zaungäste denken. ‚Wie kann man nur an einen Gott wie in der Bibel glauben?' - Was sagten Sie dann, liebe Gemeinde?

Eine Antwort wäre: ...weil kalte Duschen eine Spielart des Evangeliums sind.


III

Sagen Sie, gibt es in Ihrem Freundeskreis oder in Ihrer Familie Menschen, die Ihnen die Meinung sagen, weil sie Sie mögen? Gibt's Menschen, die bereit sind, Ihnen den Kopf zu waschen, obwohl das Krach gibt, ja sogar die Freundschaft kosten könnte, und es trotzdem wagen, einfach weil Sie es ihnen wert sind?

In der Seelsorge- und Beraterausbildung lernt man, sich die verschiedenen Wege bewusst zu machen, Partner in einem vertraulichen Gespräch zu sein. ° Man wird zuhören, hinhören und ohne Wertung den andren Gedanken entfalten lassen. ° Manchmal muss man „spiegeln", also das, was man gehört hat, beschreiben und sich (und den andren) vergewissern, dass man richtig verstanden (und sich richtig mitgeteilt) hat. ° Manchmal braucht ein Mensch, den das Leben niederhält und klein macht, Bestätigung, und man wird ihn groß machen und bestärken und alle Kräfte, die in ihm stecken mobilisieren. ° Und in manche Schicksale wird man emotional hineingesogen und wird nicht vertuschen, dass man mit empfindet, sich mit ärgert, mit trauert und zur Seite steht. - ° Es kann aber auch das Gegenteil nötig sein: Nicht Bestätigung, sondern Konfrontation. Statt Zustimmung Befremden. Statt Einverständnis ein ganz nüchternes, kantiges Feedback: Sie machen einen großen Fehler! Partner sind keine privaten Freunde, aber sie haben etwas mit wahren Freunde gemeinsam. Sie sind nicht Buddies, die mit losziehen beim Pferdestehlen. Sie sind nicht immer die, die bei allem zustimmen und applaudieren. Freunde sind Anwälte der Realität. Sie sagen: Was du da sagst, muss dringend befragt werden, ob es wirklich stimmt. Sie sagen: Wenn ich ehrlich bin - du siehst Gespenster. Sie fragen: Ist alle Welt tatsächlich so hinterhältig, wie du tust, oder strickst du dir gerade Bedrohungslegenden? Wenn nötig, sagen sie: Kommt runter auf den Teppich, was glaubst du eigentlich, wer du bist?


IV

Und nun schauen Sie, wie ähnlich unser nasskalter Bibelabschnitt einsetzt. Ganz oben über diesem ganzen Donnerwetterabschnitt steht:

(1) »Tröstet, tröstet mein Volk!« spricht euer Gott.
(2) »Redet mit Jerusalem freundlich«
(wie Martin Luther übersetzt).
»Redet zum Herzen Jerusalems ...« wie es wortwörtlich heißt.

Was ist herzlich? Herzlich ist das, was dem andern zu Herzen geht. Was ist freundlich? Freundlich ist das, was man einem Menschen aus Respekt zu sagen schuldig ist. Behutsam, wenn's geht. Deutlich, wenn nötig. Derb, wenn Gefahr im Verzug ist. Stachelig und elektrisierend, wenn es behäbige Gemüter unter Spannung setzt.

(1) »Tröstet, tröstet mein Volk!« spricht euer Gott. (2) »Redet zu Jerusalem als ein Freund. Schmiert ihr nicht Honig ums Maul, sondern redet zum Herzen ...«

 

Sehen Sie, so haben die biblischen Menschen diesen lebendigen Gott erlebt. Engagiert und leidenschaftlich. Nicht abwartend, sondern um der Menschen willen alles investierend. Nicht lässig-tolerant, sondern kämpfend. Nicht distanziert, sondern mitfiebernd. Nicht in Tempeln einzusperren, sondern überall dabei. Es sind gerade die schroffen Gottes-/Prophetenreden in der Bibel, außen rau und innen evangelisch, die verkünden: Aus irgendeinem Grund sind wir dem Himmel nicht egal. Gott ringt um Seine Kinder, und wenn Gottesverniedlichungen sich ausbreiten wie ein Herpes. Gott denkt, was uns nicht einfällt. Er sieht, was wir ausblenden. Er sagt, was wir uns nicht gern sagen lassen. Ein Freund des Lebens.

Mit dem Glauben ist es wie in vielen Ehen, die ein Leben lang halten: "You divorce and remarry your partner many times" (englische Redensart). Das Schlimmste, was passieren kann, ist nicht der Krach, der manchmal zwischen uns und dem Ewigen herrscht (und bei dem, weil's da keine echte Waffengleichheit gibt, unsereins in der Regel den Kürzeren zieht). Das Schlimmste ist nicht, wenn die Fetzen fliegen. Das Schlimmste ist, wenn Gott sich in Schweigen hüllt. Wenn Totenstille eintritt, als würde der Himmel sagen: ‚Glaub doch, was du willst. Glaub nur an dich, an deine eigene Allmacht, ans Geld oder an das Nichts, es ist Mir gleich.' Das, so sagten die biblischen Menschen, wäre das Schlimmste, wenn der Ewige die Menschen gewähren lässt, sie „dahin gibt" (lesen Sie bitte Römer 1, die Verse 24, 26 und 28 dazu!) und sich abwendet. Wenn es still wird, dann sollten wir unruhig werden. Kalte Duschen - man wünscht sie sich nicht, aber sie wecken die Lebensgeister.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne im Geiste Jesu Christi. Amen.



Pfarrer Dr. Uwe Vetter
Düsseldorf
E-Mail: Uwe.Vetter@evdus.de

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