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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Aschermittwoch, 09.03.2011

Predigt zu Joel 2:12-18, verfasst von Hinrich C. G. Westphal

 

Liebe Gemeinde,

1. In den letzten Wochen und Tagen sangen und schunkelten sie wieder, schnitten Schlipse ab und warfen pfundweise mit „Kamelle“. Und schließlich sangen sie mit einer Mischung aus Wehmut, Trotz und Einsicht: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“. Als Student in Münster hatte ich mit einer gewissen Faszination ein wenig von dieser Karnevals-Stimmung miterlebt, obwohl jene Tradition uns Norddeutschen doch nicht so liegt. Aber dass die feuchtfröhliche fünfte Jahreszeit am kommenden Mittwoch vorbei ist und dann eine nachdenklichere Zeit beginnt, wissen auch wir im Norden.

1983 beschlossen wir mit einigen Hamburger Theologen und Journalisten, in den „sieben Wochen“ bis Ostern auf Alkohol oder Süßigkeiten, auf zu viel Fernsehen oder Auto fahren zu verzichten. Heute testen bundesweit zigtausende ab Aschermittwoch Ihren Standort zwischen Freiheit und Abhängigkeit und fassen Vorsätze für ein anderes Leben. Bei alledem geht es nämlich nicht nur um eine Frühlings-Diät, sondern auch um die Einübung von Freiheit und um ein spirituelles Abenteuer. Fastende begeben sich auf einen Pilgerweg durch die Passionszeit gemeinsam auf Ostern zu, das lichthelle Fest der Auferstehung.

2. Dieses fröhliche freiwillige „Fasten auf evangelisch“ war den verängstigten Einwohnern Jerusalems vor 2500 Jahren unbekannt. Sie hätten auch keinen Kopf dafür gehabt, zu dramatisch traf sie das Unheil, das plötzlich wie eine Strafe des Himmels über sie kam. Millionenheere von Heuschrecken stürzten sich auf Felder und Feigenbäume und verwüsteten Weizen und Weinstöcke. Sie vernichteten die gesamte Ernte und hinterließen Durst und Hunger, Seuchen und Entsetzen. Verzweiflung machte sich breit. Jammernd und klagend zerrissen sie ihre Kleider: Wo war der Gott Israels? Konnte man ihn noch umstimmen? Wo gab es Chancen zur Rettung?

Da trat der Prophet Joel auf mit seiner aufrüttelnden Botschaft: Wacht auf, kehrt um, zu Eurem Gott! Jetzt ist nicht nur die Zeit zum Kleider-zerreißen, sondern zum herzzerreißenden Gebet. Blast in die Posaunen, setzt einen Bußtag an und ruft eine Fastenzeit aus. Das ist nicht nur eine Sache für liturgische Spezialisten, sondern für das ganze Volk: Alte und Kinder, Babies und Brautleute. Alle sollen aufwachen und sich Gott zuwenden und ihn aus ganzem Herzen bitten: „Verschone Dein Volk, lass uns nicht zu Schanden werden, schau uns wieder gnädig an!“ Dann, prophezeite Joel, kehrt Gottes Segen zu den Seinen zurück.

3. Nicht alles, was der Prophet seinen verzweifelten Leuten ins Stammbuch schrieb, trifft auch auf uns zu. Schwärme jener gefräßigen Insekten quälen uns nicht, aber unter maßloser finanzieller Gier oder kapitalistischen „Heuschrecken“, die über das Land herfallen, es abgrasen und weiterziehen, leiden wir heutzutage auch.

Göttliche Strafen fürchten wir weniger. Aber die Sorge, dass sich unsere gottesferne Gesellschaft in Einsamkeit und sozialer Kälte verliert, kennen auch wir. „In Deutschland sind die Menschen so entsetzlich unter sich“ beobachtete schon der Theologe Helmut Thielicke, weil es kein betendes Land sei: Dann würden die Herzen voll Hass, und der Segen beginne zu weichen. Thielicke behauptete: „Wenn wir die Gemeinschaft mit Gott verlieren, zerfallen wir auch untereinander.“

Darum ist es auch heute aktuell, einen Umkehrtag wie Aschermittwoch anzusetzen und eine Fastenzeit auszurufen. Es ist auch für uns wichtig, sich selbstkritisch zu befragen, in welche Abhängigkeiten wir uns begeben haben. Welche Versuchungen verschleiern unseren Blick? Welche eingeschliffen Gewohnheiten hindern uns an einem gelingenden Leben? Sind wir die, die wir sein sollten?

Oder steht etwas zwischen uns und Gott?

Nutzen wir die sieben Wochen der Fasten- und Passionszeit als eine Zeit der Umkehr, des Gebets und der erneuten Hinwendung zu Gott.

4. Beim Fasten geht es nicht um Leistung sondern um Loslassen. Nicht um Demonstration sondern um Meditation. Doch sechseinhalb Wochen Verzicht sind kein Spaziergang und können Fastende ziemlich einsam machen. Darum bieten Kirchengemeinden und Fastenaktionen wie „7 Wochen ohne“ und „7 Wochen anders leben“ Begleitung und den Austausch mit anderen Fastenden an. Die Lyrikerin Rose Ausländer schreibt: „Vergesst nicht Freunde, wir reisen gemeinsam“. Es bestärkt viele Fastende, dass sie sich gegenseitig vergewissern können, mit anderen auf dem Weg zu sein.

Das Santiago de Compostella ihres Pilgerweges, der Sehnsuchtsort, an dem sie sich glücklich in den Armen liegen und feiern können, ist Ostern. Die Luft riecht nach

Verheißung, nach Segen und neuem Leben. Gehen wir voller Tatendrang und Hoffnung darauf zu. 46 Tage durch die Passion, das ist viel, aber Ostern ist groß.

Nun lasst uns froh beginnen

Melodie: Wohl denen, die da wandeln

Nun lasst uns froh beginnen den Weg der Fastenzeit,

in der wir uns besinnen auf das, was uns befreit;

freiwillig suchen den Verzicht

auf Dinge die uns schaden, sie soll’n es länger nicht.

Wo ich in meinem Leben Verhalten ändern kann,

da wird es Hoffnung geben, da fängt die Freiheit an.

Steig ich aus meines Alltags Trott,

da lass mich freudig finden den Weg zu dir, o Gott.

Wenn wir gemeinsam gehen, erhält die Wüste Sinn.

Mit andern widerstehen und schau’n zu Jesus hin.

Wie er ans Kreuz gegangen ist,

das soll mit Ernst bedenken für sich ein jeder Christ.

Wir wollen vorwärts schauen ins österliche Licht.

Auf seine Kraft vertrauen, den Mut verlieren nicht.

Dann können wir zur Osterzeit

in großer Freude singen: Wir sind vom Tod befreit.

Amen



Pastor Hinrich C. G. Westphal
Hamburg
E-Mail: hcgwestphal@t-online.de

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