Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 24.04.2011

Predigt zu Markus 16:1-8, verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

"Tear down this wall!" - "Reißen Sie diese Mauer ein! Herr Michail Gorbatschow." Es sind die berühmten Worte aus der Rede von US-Präsident Ronald Reagan, die er am 12. August 1987 in Berlin hielt, und die Mauer war natürlich die verhasste Berliner Mauer. Am 9. November 1989 wurde sie durchbrochen und entfernt, und eine völlig neue Welt zeigte sich auf der nördlichen Halbkugel. Ein neues großes Kapitel der Weltgeschichte musste geschrieben werden.

Es war eine sehr handgreifliche Mauer, sie war lang, sie war hässlich und sie verursachte körperliche Verletzungen vieler Tausender von Menschen, die in direkten Kontakt mit der Mauer kamen, und Millionen von Menschen, die in ihrem Schatten lebten.

Fast auf den Tag genau zehn Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer (es fehlte nur ein einziger Tag) gab die englische Rockband Pink Floyd ihr legendarisches Album "The Wall" - "die Mauer" - heraus. Alle Nummern auf der Platte hängen thematisch zusammen und entspringen einer langen Geschichte, sie handeln von dem Rocksänger Pink, der nach mehreren zerrüttenden Erlebnissen in seiner Kindheit und Jugend damit anfängt, eine Mauer in seinem Herzen zu errichten. Die Mauer sperrt jeglichen menschlichen Kontakt aus, und der Mensch Pink ist deshalb extrem verschlossen.

Diese Mauer ist eine innere Mauer, aber Pink reagiert sehr gewalttätig physisch auf seine Umgebung und auf sich selbst, weil er denkt, er sei gezwungen gewesen, diese Barriere zu errichten.

Beide Mauern, die Berliner Mauer und Pinks innere Mauer, sind handgreiflich und unmittelbar verständlich, zugleich aber sind sie außerordentlich starke Symbole für Trennung, Distanzierung, Isolation und Unterdrückung. Wie eine Mauer zwischen Leben und Tod.

Viele Menschen, die einen Verstorbenen gesehen und berührt haben, haben diese Barriere erlebt; wo zuvor Leben und Wärme war, hat der Tod mit seiner eisigen Hand eine Mauer errichtet, und was vorher da war, ist jetzt endgültig vorbei.

Karfreitag hörte Simon Petrus den Hahn oben auf der Mauer des Palastes, wo Jesus verhört wurde. Er hörte ihn krähen, und als der Hahn zum zweiten Mal gekräht hatte, hatte Petrus Jesus dreimal verleugnet.

Was bedeutet nun dieser Hahn? Ja, das Krähen des Hahns bedeutet doch, dass ein neuer Tag beginnt. Man hört den Hahn sein Signal geben, und er bestätigt damit, dass nach der Dunkelheit Licht kommt. Im Anfang war Dunkelheit über der Erde, aber Gott sagte, es werde Licht - und es ward Licht, und Gott sah und sagte, es ist gut. Das Licht und der Tag, der auf die Nacht folgt, sind gut. Der Hahn sagt, dass auf Dunkelheit Licht folgt.

Bei dem dänischen Geschichtsschreiber Saxo finden wir ein altes Heldenkönigslied, das von König Hadding handelt. In dieser alten nordischen Sage wird von Menschen erzählt, die an eine Eismauer geraten, die zwischen Leben und Tod scheidet. Niemand wusste, was sich auf der anderen Seite der Mauer befand. War es der Tod? Niemand war jemals zurückgekehrt, um zu erzählen, ob es auf der anderen Seite Leben gab.

Aber dann wird in diesem Haddinglied berichtet, dass einer von ihnen einen Hahn fing, ihm den Hals umdrehte und ihn über die Mauer warf. Er hörte den Hahn auf der anderen Seite krähen, und damit wusste man, dass dort Leben war.

Simon Petrus weinte, als er den Hahn zum zweiten Mal krähen hörte, denn es klang nicht nach Leben, sondern nach seinem eigenen schwarzen Tod, seiner Sünde und Verleugnung. Aber dann denkt er plötzlich an ein Gespräch, das er früher einmal mit Jesus gehabt hatte. Er hatte die Frage gestellt, wie oft man seinem Mitmenschen vergeben müsse. Sieben mal? Und Jesus hatte gesagt: "Ich sage dir, nicht sieben mal, sondern siebzig mal sieben mal." Also unendlich viele Male.

Daran denkt Petrus jetzt, und die Mauer zwischen ihm und dem Reich Gottes, zwischen Mensch und Gott bekommt Risse. Es bricht ein riesiges Loch auf mit großem Lärm in dem Augenblick, da Jesus am Kreuz verscheidet, es klang wie ein Erdbeben mit Donner, und am Ostermorgen, als die Frauen zum Grab kommen, um die Leiche Jesu zu salben, ist die Mauer weg.

Der Tod hat verloren, das Leben hat gewonnen, denn der Stein vor dem Grab - der Stein, der vom Grab weggerollt war - war sowohl eine wirkliche Mauer als auch ein großes und starkes Symbol für alle offenen Gräber, die nach diesem kommen sollten.

Gewiss müssen wir sterben, aber wir werden im Glauben an das WORT GOTTES nie dem Tod unterliegen. Der Hahn kräht "guten Morgen", und es ist ein "Guten Morgen", das die Diener des Kaisers in H.C. Andersens Märchen von der Nachtigall an dem Morgen hören, an dem sie erwarten, ihn tot in seinem Bett zu finden. Aber die lebendige Nachtigall sang für den Kaiser auf dem Sterbebett, auf der Mauer draußen vor dem Schloss, und deshalb kann er seine verwunderten Knechte mit einem "Guten Morgen" empfangen, das bedeutet:

"Christus ist auferstanden" - alles ist neu, nichts ist, wie es war, denn der Tod hat verloren, und die Mauer zwischen dem Reich des Todes und dem Reich Gottes ist abgerissen, und das Licht hat über die Finsternis den Sieg errungen.

Es ist große Evangelienverkündigung aus der Feder des geliebten Märchenschreibers, die von dem kleinen grauen Vogel ausgeht. Und auch Grundtvig hat über die Vögel gedichtet - ja, sie waren bei weitem sein Lieblingssymbol für die Menschenseele. Wie die Vögel singen, so werden auch wir gleich singen.

Gelber Kelch, ich trank aus dir

einen Tropfen, dessen Stärke

mich erhebt, ja schafft in mir

Hoffnung wie durch Wunderwerke!

Hahnenschrei und Morgensang,

scheint es mir aus ihm entsprang,

läßt im Osterlicht mich sehen,

wie die Toten auferstehen. (DDS 236, V. 5)

Wie der Vogel Phönix aus der Asche ist Christus aus dem Grab auferstanden, und auf dieselbe Weise werden wir dereinst wieder auferstehen. Denn die Mauer ist abgerissen. Es sieht aus, wie wenn es immer noch eine Mauer gäbe, aber sie ist nur in uns selbst. Die Berliner Mauer wurde mit Hilfe von Politik und großen schweren Maschinen niedergerissen. Die innere Mauer des Rocksängers Pink wurde vielleicht nie abgerissen, aber sie hätte abgerissen werden können. Mit Fürsorge und mit Wahrheit. Und natürlich mit Liebe.

Aber die Mauer zwischen Leben und Tod, diejenige Mauer, die nach dem Sündenfall entsteht, wo Gottes Gericht an den Menschen lautet: "Erde bist du, und zu Erde sollst du werden!", diese Mauer fällt mit der Wahrheit. Sie fällt, weil die Finsternis nicht über das Licht siegen kann. Sie fällt, weil die Wahrheit über das Verhältnis Gottes zum Menschen Liebe ist, und die Liebe baut ganz gewiss, aber sie baut Brücken und nie Mauern.

Sie kann Schutz um uns errichten, wie Eltern, die sich fürsorglich ihrer Kinder annehmen, aber die Liebe isoliert nie, unterdrückt und isoliert nicht.

Die Mauer ist also gesprengt und der Weg zum Reich Gottes liegt vor dir, ja, das Reich Gottes ist gerade hier. Es ist das Größte im Evangelium, es ist das Leben selbst, und es ist die Botschaft der Liebe und der Wahrheit an uns am Ostermorgen.

Ist das Grab wirklich leer? Ist es nur ein Symbol und ein Trost für die Bangen und die Sorgenvollen? Paulus bekommt das letzte Wort, denn niemand hat es besser gesagt als er:

"Wenn gepredigt wird, dass Christus von den Toten auferstanden ist, wie können dann einige unter euch sagen, dass es keine Auferstehung von den Toten gibt? Wenn es keine Auferstehung von den Toten gibt, so ist auch Christus nicht auferstanden; ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich."

Gott bricht immer wieder die Mauer nieder, und ER tut es mit Vergebung und Versöhnung. Das ist die Wahrheit. Ja, Christus ist auferstanden, wahrlich er ist auferstanden.

Amen



Pastor Michael Wagner Brautsch
Bramming

E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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