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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 13.06.2011

Predigt zu Johannes 3:16-21, verfasst von Helene Dam


Das Christentum ist nicht die einzige Weltreligion, bei der die Liebe im Zentrum steht. Aber im Christentum ist die Liebe nicht nur zentral, es geht um eine Beziehung, eine Liebesbeziehung, Gottes Liebesbeziehung zur Welt. Wir können das auch eine Bewegung nennen: Gott bewegt sich aus der Zone seiner Unberührbarkeit im Himmel in die Welt hinein. Gott bewegt sich, indem er seinen eingeborenen Sohn dahingibt - und so der Welt alles gibt, was er hat. So bewegt ist Gott über die Welt, dass er sich in Bewegung setzt. Und diese Bewegung umfängt die Welt an Pfingsten in einer der Art und Weise, dass die Welt selbst in Bewegung kommt durch Gottes Heiligen Geist.

In dieser Dreieinigkeit gibt Gott sich in der christlichen Religion zu erkennen. Gott offenbart sich, nach weltlichem Maßstab, dreidimensional, nicht wie ein eindimensionales Pappbild. Hier geht es um eine schöpferische Liebe aus Fleisch und Blut und aus Geist. „So hat Gott die Welt geliebt."

Worin aber liegt nun der Unterschied zwischen einer Liebesbeziehung und dem Bezug auf die Liebe, gefasst im Begriff? Eine Liebesbeziehung ist immer eine Begegnung zwischen einem Du und einem Ich. Liebe ist nichts Statisches, wir können sie nicht festhalten, sie wohnt ja gerade in der Begegnung zwischen dem Du und dem Ich. In der Bewegung, im Austausch, zwischen dem Du und dem Ich. Man erkennt sie an dem Geist, der in dieser Begegnung herrscht. Der Geist, der Leben schafft. Der Geist, der bewirkt, dass wir von uns selbst absehen können und einem anderen hingeben.

Der Liebesbegriff dagegen ist etwas völlig anderes. Begriffe lassen sich definieren. Begriffe können wir einem klaren Bezugsrahmen zuordnen, und innerhalb dieses Rahmens können wir in Worte fassen, was, wie wir meinen, Liebe ist. Festhalten, was wir unter Liebe verstehen, wenn wir von Liebe reden.

Aber die Liebe lässt sich so nicht festhalten. Unsere Liebesbeziehungen können vielleicht gerade dadurch erstarren, ja vielleicht sogar daran zerbrechen, dass wir anfangen, die Liebe zu definieren, und meinen, Gott und alle Welt müssten nun just dem Begriff von Liebe entsprechen, den wir voraussetzen.

Kann es nicht gerade in einer Liebesbeziehung zwischen Menschen dazu kommen, dass wir zu definieren trachten, wie die Liebe des anderen zu sein hat? Bis wir dem anderen schließlich vorwerfen, nicht im Besitz der Liebe zu sein, von der wir erwarten, dass Liebe sich so zeigen müsste. Der andere soll um meinetwillen da sein. Die Liebe ist dann kein freier Austausch mehr zwischen uns. Wir bringen sie vielmehr bei dem anderen unter in der Erwartung, dass der andere mir die Liebe geben müsste, die ich brauche.

Unsere Vorstellung von Gott kann oft den Anforderungen zum Verwechseln ähnlich sehen, die wir aneinander richten. Er soll um meinetwillen da sein. Er soll sich in der Art und Weise zeigen, wie ich erwarte, dass Liebe sich zeigt.

Oder wir können versuchen, unsere Beziehung zu Gott in der Religion zu verfestigen, um die freie Bewegung der Liebe aufzuhalten und sie stattdessen in Gesetzen und Normen zu konservieren. Doch die Liebe lässt sich nicht auf diese Weise einfrieren. Wir oft hat Jesus nicht Gesetze und Normen gebrochen, wenn er einem Menschen begegnete. Er brach das Gesetz, um der Liebe Bewegungsfreiheit zu geben. Brach es, um uns zu lehren, unsere Ansichten darüber aufzugeben, wo und wann und wie es angemessen sei, Liebe zu zeigen.

Vielleicht bestand die besondere Kraft des Pfingstwunders darin, dass der Heilige Geist sie dazu brachte, von sich selber loszukommen. Das aufzugeben, was sie für gewöhnlich dachten. Sogar ihre eigene Sprache aufzugeben, so dass sie plötzlich die anderen verstanden. Die verstanden, die nicht sprachen wie sie, und die nicht waren, wie sie selbst waren.

Der Heilige Geist, der Geist der Liebe, ergriff sie mit Macht, so dass sie von ihren festgefahrenen Ansichten darüber abkommen mussten, wem es zusteht und wer würdig ist, Gottes Liebe zu begegnen. Jedenfalls wird in der Apostelgeschichte, der Epistel von heute, berichtet, dass Petrus sich darüber wunderte, dass die Gabe des Heiligen Geistes auch über die Heiden ausgegossen wurde. Der Geist der Liebe setzte ihn in Bewegung, veränderte seine Vorstellungen davon, was er für gegeben hielt im Hinblick auf Gott, die Welt, die anderen und sich selbst.

Es ist das spezifische Merkmal der christlichen Religion, dass sie uns durch den Geist der Liebe in Bewegung setzt, um uns neue Einsichten zu erschließen. Und nur der, der sich nicht einsperren lässt, kann in Bewegung gesetzt werden. Nur der, der sich nicht von festgefahrenen Meinungen und Erwartungen festhalten lässt, gewinnt die Möglichkeit, dass sich ihm neue Einsichten eröffnen. Diese Wahrheit zeigt sich in all unseren Lebensbezügen, in der Beziehung zu uns selbst, in unserer Beziehung zu anderen, unserer Beziehung zu dem Anderen und unserer Beziehung zu Gott.

Vielleicht werden wir uns dessen ganz besonders in der Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen bewusst. Solange wir den anderen auf die Perspektive unserer eigenen Ansichten über ihn und unserer Erwartungen an ihn festlegen, ist es nicht möglich, neuen Einsichten über den anderen Raum zu geben. Und es ist ebenso wenig möglich, durch den anderen zu neuen Einsichten über sich selbst zu gelangen. Die Beziehung stirbt, weil eine jede Beziehung gerade durch die Bewegung lebt, die zwischen einem Du und einem Ich entsteht. Nur wenn wir von uns selber absehen und uns dem anderen vertrauensvoll hingeben, kommt Bewegung in Gang.

Im Vertrauen eben. Vertrauen nicht als richtiges Vertrauen oder wahres Vertrauen, sondern als Hingabe. Vertrauen so, dass man von sich selber absieht, und dass man sein Bild vom anderen aufgibt. Dass man seine eigenen Erwartungen ans Leben aufgibt, an die anderen, an Gott. Aufgibt und sich mit Macht ergreifen lässt von Gottes Geist.

Wir wissen das vielleicht aus einem ganz banalen Beispiel. Gelegentlich haben wir uns allerlei negative Vorstellungen von jemandem gemacht - Von ihm ist nichts Gutes zu erwarten. Sie mag mich nicht. Er ist arrogant und unangenehm im Umgang - und welche Meinungen wir sonst noch so übereinander haben können. Und dann begegnen wir ihm oder ihr und sind angenehm überrascht. Wir haben uns geirrt. Wir müssen unser Bild von diesem Menschen aufgeben.

So einfach kann der Geist der Liebe sich auch zu erkennen geben in unserem alltäglichen Miteinander. Nichts ist so nötig wie das Aufgeben von Vorurteilen. Ein wahrer Lichtschein leuchtet auf, auch an einem grauen Tag. Nehmen wir den anderen in einem neuen Licht wahr.

Die Jünger waren gezwungen loszulassen, und neue Einsichten, neue Wege, ein neues Leben erschloss sich für sie. Wie seltsam für uns Menschen, die wir oft bemüht sind, an uns selbst festzuhalten und am anderen. Festzuhalten an unseren Annahmen und Meinungen über die anderen. Festzuhalten an unseren Ansichten über das Leben. Festzuhalten an der Liebe. Und dies vielleicht ganz besonders dann, wenn die Liebe sich nicht mehr festhalten lässt - durch das Festhalten an Ärger, Wut und verletzten Gefühlen. Einfach Festhalten, um nicht alles zu verlieren und selber verloren zu gehen.

„Das ist aber das Gericht": Wir verlieren uns, wenn wir uns in uns selbst und unseren verletzten Gefühlen verlieren. Wir richten uns selbst, wenn wir die anderen verurteilen. Wir entscheiden uns für ein Leben in der Dunkelheit, wenn wir die anderen nicht mehr sehen wollen in der Liebe Licht.

Wir denken vielleicht, dass das gar nicht anders sein kann. Wir denken vielleicht, wir haben das Recht auf unserer Seite. Vielleicht denken wir sogar, Gott sei dabei mit uns. Wenn wir dabei sind, uns selbst wie die anderen und Gott einzusperren in unsere klar definierten Grenzen dessen, was die Liebe für uns sein soll.

Aber so funktioniert eine Liebesbeziehung nicht. Auch nicht die Liebe Gottes zur Welt. Sie lebt wie jede Liebesbeziehung von dem Vertrauen, das sich von sich selbst abzusehen und sich hinzugeben wagt. Sich hinzugeben und zu spüren, wie es ist, in Bewegung zu sein.

Was für eine Bewegung, da Gott, sowohl Schöpfer als auch als Mensch aus Fleisch und Blut, diese Bewegung begonnen hat! Und mit seinem Heiligen Geist setzt er diese Bewegung fort, so dass wir in Bewegung kommen können. Dann können wir uns über uns selbst hinaus bewegen und in die Welt hinein. Uns dahin bewegen, dass wir unser Urteilen aufgeben, über uns selbst wie über die anderen und die Welt. Ausziehen aus der Dunkelheit ins Licht.

Amen



Pastorin Helene Dam
Kopenhagen
E-Mail: hd@km.dk

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