22 1 Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: 2 Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. 3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen. 4 Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! 5 Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. 6 Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. 7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.8 Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. 9 Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. 10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll. 11 Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, 12 und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. 13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein.
Liebe Gemeinde,
dem österreichischen Dichter Erich Fried verdanken wir das folgende Gedicht:
Die Maßnahmen
Die Faulen werden geschlachtet
Die Welt wird fleißig
Die Häßlichen werden geschlachtet
Die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund
Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung
Die Feinde werden geschlachtet
die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut[1]
Erich Fried war alles andere als ein gewalttätiger Mensch. Er war ein wacher, kritischer Beobachter und Kommentator seiner Zeit. Er enttarnt - hier den Hang zur Simplifizierung. Einfache, eindeutige Lösungen, das scheint für viele der Schlüssel zu sein: Mordkommandos gegen Terroristen, die Kastration von Kinderschändern, Waffen zum Selbstschutz gegen Amokläufer oder Schnellgerichte für jugendliche Gewalttäter. Es klingt so einfach.
Und wenn wir das Gleichnis Jesu vom königlichen Gastmahl hören, dann mag sich der eine oder die andere bestätigt fühlen: auch hier die klare Trennung in „gut" und „böse", in „Freund" und „Feind". Schlüssige Konsequenzen: die Mörder werden umgebracht, der unangemessen Gekleidete wird hinausgeworfen „in die Finsternis". Klare, eindeutige Lösung!
Klare, eindeutige Lösung? Das mögen die meinen, die sich nicht die Mühe machen wollen, die Zusammenhänge anzuschauen. Ich habe Prediger gehört, die mit Hilfe etwa dieses Gleichnisses versucht haben, die Welt zu erklären, Einteilungen vorzunehmen, zu ordnen und zu urteilen. Aber weil ich mit Erich Fried nicht glaube, dass die Welt gut wird, wenn die Bösen geschlachtet sind, weil ich mit Jesus die Sanftmütigen und die Friedfertigen selig preisen möchte, darum will ich mit Ihnen versuchen, diesem scheinbar so rabiaten Gleichnis auf die Spur zu kommen - besser: auf den Grund zu gehen.
Ich habe eigentlich immer lieber gelesen, wie der Evangelist Lukas (Lk. 14,15-24) diese Geschichte aufbereitet hat: Er entwickelt ein gewisses Verständnis für die, die die Einladung ablehnen. Sie haben gute Gründe. Der Hausherr ist enttäuscht, bleibt aber vergleichsweise sanft in seiner Reaktion: er lädt die von den Straßen, von den Hecken und Zäunen ein. Sicher, auch bei Lukas bleiben die zuerst Geladenen am Ende außen vor. Von gewalttätigen Akten wie dem Mord an den Boten oder militärischen Vergeltungsschlägen erzählt Lukas aber nichts.
Warum also diese drastischen Stücke bei Matthäus? Leisten sie nicht einem fundamentalistischen Rigorismus Vorschub? Sind sie nicht der christliche Nährboden für das schon erwähnte „Schwarz-Weiß"?
Der Blick auf den Zuhörerkreis Jesu hilft uns weiter. Mit wem spricht Jesus eigentlich? Unser Abschnitt sagt dazu nichts Genaues. Vorher aber erfahren wir, dass er zu Priestern und Schriftgelehrten spricht. Zu Theologen. Und zwar spricht er zu Theologen, die mit ihm inhaltlich nicht übereinstimmten und ihm keineswegs freundlich gegenüber standen. Jesus führt also ein kontroverstheologisches Expertengespräch, das sich um den Anbruch des Reiches Gottes und die angemessene Reaktion darauf dreht: ein Insidergespräch. Es geht dabei nicht um Gemeindeaufbau oder Missionsstrategie, sondern um die Frage: wie verhalte ich mich als gläubiger Jude, wenn der Ruf Gottes an mich ergeht?
Wie Jesus beteten vermutlich auch seine Gesprächspartner täglich das Shm'a Jissrael:
„Höre Jssrael:
ER unser Gott, ER einer!
Liebe denn
IHN deinen Gott
mit all deinem Herzen,
mit all deiner Seele,
mit all deiner Macht"(Dtn 6,4f)[2].
Dieses Gebet ist ja gewissermaßen das Herzstück der jüdischen Frömmigkeit. In ihm versichert sich der gläubige Mensch seiner Verbindung zu Gott, seiner Herkunft, seiner Identität. Bis in die Körperhaltung, bis in die äußere Vorbereitung hinein drückt sich das aus: Ein Gebet für Herz und Verstand. Was aber, wenn das Gebet, diese Herzensangelegenheit, zum entleerten Ritual verkommt? Was, wenn die Betenden zwar wissen: „wir haben einen Gott - irgendwo", ihn nicht dort hineinlassen, wo sie sind: in ihren Alltag? Sie sind, sagt Jesus, wie Untertanen, die zwar von ihrem König wissen, seine Wohltaten aber nicht erkennen und stattdessen in Ruhe gelassen werden und ihren Geschäften nachgehen wollen? Diese Untertanen aber gehen weiter; sie reagieren in unerklärbar gewalttätiger Weise: sie schrecken nicht zurück vor gewalttätigem Widerstand gegen die Boten, die die Einladung des Königs bringen.
Dabei ist dieser König ja, wenn wir genau hinschauen, kein despotischer Gewaltherrscher. Er ist kein Choleriker und kein Tyrann. Er will mit seinen Untertanen feiern. Trotz der ersten Ablehnung wiederholt er seine Einladung. Ihm liegt daran, dass das Fest stattfindet - und ihm liegt daran, das es mit genau den Leuten stattfindet, die er dafür ausgewählt hatte.
Allerdings - daran lässt Jesus keinen Zweifel - gibt es ein „zu spät". Nicht die Geladenen bestimmen den Zeitpunkt des Festes, sondern natürlich der Gastgeber. Und dass ein König Missachtung sanktionieren wird, daran konnte es keinerlei Zweifel geben.
Gleichnisse, auch drastische Gleichnisse gehörten zur theologischen Diskussionskultur jener Zeit. Die Kunst bestand darin, ein Gleichnis so zu erzählen, dass die Zuhörer die Intention des Erzählers erkennen konnten, dass die Bilder sich ihnen nahelegten, dass das Gleichnis der Spiegel für einen wesentlichen Aspekt ihres Lebens wurde. Unser Gleichnis spricht zu Menschen, die Gott die Ehre geben und geben wollen und das zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben. Jesus nimmt diese Männer und ihre Berufung ernst. Ihnen will er in eindringlicher Weise deutlich machen: es gilt, die Zeit und die Stunde zu erkennen. Es gilt, bereit zu sein. Es gilt, innerlich wie äußerlich auf das anbrechende Himmelreich gefasst zu sein, auf das Fest Gottes, auf die Erfüllung aller Sehnsüchte nach Heilung und Heil. Es gilt, jetzt bereit zu sein.
Jesus ist dabei nicht der Gerichtsprediger, zu dem ihn manche nur allzu gern machen wollen. Er ist nicht jener Einsame, der beim Kirchentag in Dresden nach dem Eröffnungsgottesdienst auf der Augustusbrücke stand und nicht müde wurde, den Passanten vorzuhalten, welch schlimmes Schicksal ihnen bevorstehe, wenn sie sich nicht wirklich bekehren. Jesus ist von solcher Drohgebärde meilenweit entfernt.
Allerdings weist er konsequent darauf hin, dass der Glaube an den lebendigen Gott, dass die Erwartung des Reiches Gottes unsere geistes-gegenwärtige Aufmerksamkeit fordert. Gerade im Matthäusevangelium ist immer wieder davon die Rede, dass man sich nicht in einer Art Herkunftssicherheit wiegen darf: „Ich gehör' ja zur Familie, mir wird schon nix passier'n." Es sind die jüdischen Gelehrten, seine Glaubensgenossen und theologischen Partner, die er mahnt, dass diese Art von Sicherheitsschlaf nicht greift. Es gibt eben nicht nur fünf kluge, sondern auch fünf törichte Jungfrauen (Mt. 25,1-10). Es gibt nicht nur Schafe, sondern auch Böcke (Mt. 25,31-46). Und es kommt darauf an, was du „einem dieser Geringsten unter meinen Brüdern" (Mt. 25,40) getan hast. Es ist nicht dasselbe, ob du Gerechtigkeit und Barmherzigkeit nur im Mund führst und gebetsmühlenhaft wiederholst oder ob du Herz, Seele und dein Vermögen daran setzt, das Gerechte, das Richtige, das Angemessene auch zu tun. Ob du - im Gleichnis gesprochen - die Einladung als Einladung erkennst oder sie geringschätzig ausschlägst. Ob du - wieder im Gleichnis - angemessen gekleidet bist oder nicht.
Nein, liebe Gemeinde, wir werden hier wirklich nicht der Logik der Regenbogenpresse oder mancher rabiater Endzeitprediger ausgeliefert: Schlachtung der Bösen - Anbruch der guten Welt.
Vielmehr wird uns dringlich die Aufmerksamkeit für die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Welt ans Herz gelegt. Die Wachheit von Herz und Verstand. Die Sensibilität für das, was im Augenblick gut und notwendig ist. Ein Verständnis für das Miteinander von Gebet und Arbeit, ganz im Sinn der alten benediktinischen Regel „ora et labora", oder, wie es Dietrich Bonhoeffer seinen Vikaren im Predigerseminar der Bekennenden Kirche zugespitzt sagte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."
Hier liegt der Schlüssel, hier liegt die Mitte unseres Gleichnisses: Es erzählt von einer Wirklichkeit, die unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht.
Ob das Gleichnis „gute Pädagogik" ist, sei dahin gestellt. Es taugt aber ganz sicher nicht dazu, die Welt in Gerettete und Verworfene einzuteilen. Es taugt nicht für rigoros vereinfachende Lösungen komplizierter Zusammenhänge. Reich Gottes heißt nicht, gordische Knoten mit dem Schwert zu zerschlagen, sondern Fäden zu entwirren. Geduldig, beharrlich, aufmerksam. Entschlossen und bereit, uns rufen zu lassen zur Mitarbeit am Reich Gottes und zum Mitfeiern im Reich Gottes.
Es hat übrigens schon angefangen, das Fest. Und wir sind dabei. Gott begegnet uns. Hier in diesem Gottesdienst. Und immer weiter: in der Begegnung mit jedem Menschen, der uns entgegenkommt.
Amen.
[1] Volker Konkoreit, Klaus Wagenbach (Hrsg.): Erich Fried - Gesammelte Werke Bd. 1. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1993; gefunden bei: http://www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/erich_fried.php
[2] Übersetzung von Buber/Rosenzweig, Die fünf Bücher der Weisung, Heidelberg 1987, S. 494
Zur Gestaltung des Gottesdienstes
Als alttestamentliche Lesung könnte das Shm'a Israel (Dtn. 6,4-9) gelesen werden. Schön wäre, wenn als Zeichen des anbrechenden Festes das Abendmahl Teil des Gottesdienstes sein könnte.
Lieder:
Sonne der Gerechtigkeit (EG 262/263)
Gott gab uns Atem, damit wir leben (EG 432)
Anstelle des Apostolicum kann, wo eine solche Änderung eingeübt und möglich ist, das Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer gesprochen werden:
„Ich glaube,
daß Gott aus allem,
auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
daß Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben
müßte alle Angst vor der Zukunft
überwunden sein.
Ich glaube,
daß auch unsere Fehler und Irrtümer
nicht vergeblich sind,
und daß es Gott nicht schwerer ist,
mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube,
daß Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern daß er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten
wartet und antwortet."[1]
[1] Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer#cite_note-13