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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2011

Predigt zu 1. Johannes 3:1-6, verfasst von Friedrich Weber

 

Liebe Gemeinde,

nun ist die Weihnachtsnacht schon vorüber. Wir haben die alte Geschichte gehört und bedacht. Ich kenne sie auswendig, seit 50 Jahren. Im Konfirmandenunterricht habe ich sie gelernt und dann oft vorgetragen. Später habe ich immer wieder über sie gepredigt. Manchmal habe ich tagelang gegrübelt, bin im Arbeitszimmer hin und her gelaufen, habe mich in die Kirche gesetzt und mitunter auch meine Familie genervt, weil mir partout nichts einfallen wollte, was denn jetzt noch Neues zu sagen wäre. Mittlerweile bin ich sehr gelassener. Es sind mitunter nur Aspekte, Momente, die plötzlich wichtig werden und eine neue Bedeutung bekommen.

In diesem Jahr bin ich besonders in den Fußstapfen der Hirten gegangen, die am Morgen danach umkehrten und nach Hause gingen und Gott lobten, weil sie so Wunderbares erlebt hatten. Sie sind wohl noch immer unterwegs und auch wir, die wir heute Morgen hier zusammen sind, beginnen ja eben erst, diese Geschichte weiterzutragen.

Gestern Abend sind die Hirten, wie wir in diesem Kalenderjahr auch, ziemlich unmittelbar aus der Arbeit und dem Alltag zur Krippe gekommen. Wenn Heiligabend auf Samstag fällt, gilt es ja bis zum letzten Moment, Schafe zu hüten, Feuer zu schüren, wach und präsent zu sein. Erst dann haben wir gehört: „Euch ist heute der Heiland geboren!"

Doch wie sind wir gekommen gestern Abend oder heute Nacht? Zuversichtlich, dass UNS dies kundgetan wurde, eilend und mit erwartungsvollem Herzen? Oder fällt es uns schwer, uns einzufinden und unsere Seele für das Wunder der Weihnacht zu öffnen? Können wir glauben, dass dies Geschenk ausgerechnet uns gilt? Ich lese einen älteren Text, ein Zwiegespräch zwischen dem Kind und einem, einer, in der wir uns vielleicht wiedererkennen:

„Nun ist Weihnachten, und ich bin müde. Ich hatte so viel zu arbeiten und musste so viel besorgen auf das Fest. Da ist mir, als ob das Kind antwortete: Gut, dass du es mir sagst. Ich bin für die Mühseligen und Beladenen, für die Abgekämpften da. Ich spreche weiter: Ich weiß, dass du die Hauptsache an Weihnachten bist. Darum schmerzt mich, das ich in diesen Wochen so wenig an dich gedacht habe und bei keinem Gottesdienst recht dabei war. Das Kind antwortet: So hast du doch auch dieses Jahr wieder gehört, dass ich für dich geboren wurde und hast gesungen: Oh du fröhliche.... Ich sage: Es ist alles tot in mir. Als Kind konnte ich mich an Weihnachten noch freuen. Es antwortet: So musst du in deinem Herzen wieder ein Kind werden. Bleib ein wenig bei mir und begreife, dass eben deshalb dein Herr ein Kind wurde. Ich spreche weiter: Ich habe dir nichts schenken können. Ich weiß auch nicht, wie man das macht. Was gebe ich dir? Das Kind antwortet: Du weißt, wie wenig Liebe oft bei solchen Geschenken ist. Hast du denn ein wenig Liebe für mich? Ich bekenne: Ich habe keine großen Gefühle für dich. Ich weiß nur eins und ich weiß nicht einmal, ob das Liebe ist: Ich brauche dich trotz allem. Da spricht das Kind: Ich nehme das an, als ob du mir etwas sehr Liebes gesagt hättest, denn dass du mich brauchst, das ist genug."

Mehr wird von uns nicht erwartet.

Nicht mehr, als die vorsichtige Erkenntnis, dass wir diesen in Jesus Christus menschgewordenen Gott zum Leben brauchen.

Nicht mehr als die Ahnung, dass wir selbst Gottes Kinder sind. Wir brauchen die Begegnung mit einem Kind, um uns daran zu erinnern, wie geborgen und liebevoll angesehen wir längst sind, auch wenn uns das manchmal verloren zu gehen droht. Denn auch das gehört zur Weihnachtsbotschaft. Darum wohl heißt es auch im ersten Brief des Johannes für den ersten Weihnachtstag:

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht.

Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist."

Wir kennen die alte Geschichte und haben sie schon viele Male gehört oder aufgesagt. Wir haben Krippen aufgestellt und reihen uns ein, finden uns wieder in den staunenden Gästen dieser Nacht. Aber dass dies Wunder auch unser Leben umkrempelt und von innen her hell machen kann, müssen wir wohl auch jedes Jahr von neuem durchbuchstabieren oder uns ins Gemüt singen, damit die frohe Botschaft in uns ankommt.

Das muss auch der Verfasser des Johannesbriefes gewusst haben: Wir Menschen müssen manchmal genötigt und gedrängt werden, um wirklich zu begreifen, was uns geschenkt ist:

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! ...

Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder;

Das klingt beschwörend. Da will uns einer die Augen öffnen. So wie es auch damals mit den Hirten nötig war. Himmlische Heerscharen kamen, um sie auf den Weg zu bringen, damit ihnen die Augen geöffnet würden: „Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kind gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich."

Ja, man muss sich, wir müssen uns wundern, denn so ohne Weiteres ist eben doch nicht offenbar, wie grundstürzend das Ereignis der Menschwerdung Gottes für jeden Einzelnen von uns ist. Die Hirten haben den Marsch durch die Nacht gebraucht, um zu verstehen, dass auch ihr Leben verändert, selbst dann, wenn es noch nicht aller Welt offenbar ist. Sie sind wieder zurückgegangen und anders geworden - um die Erfahrung ihres Lebens reicher.

Und wir?

Haben wir etwas Unverwechselbares erlebt? Ist unsere Beziehung zu Gott neu und elemtarer geworden? Sind wir anders als vorgestern?

Vielleicht sind wir etwas empfindsamer, berührbarer und emotionaler als sonst. Und Johannes legt uns nahe, zu verstehen, dass diese Verfasstheit nicht platte Sentimentalität ist, sondern etwas mit Hoffnung und Reinheit zu tun hat. Auch wir sind in dieser Nacht ein bisschen neu geworden. Auch in unsere Hände sind Hoffnung und die Chance zum Neuanfang gelegt worden - eben etwas ganz Reines und Unverdorbenes.

Vielleicht haben wir es mit dieser Nachricht ein bisschen schwerer als die Hirten der Weihnachtsnacht. Denn wir sind weiter weg von diesem Geschehen und oft aufgefressen von allem, was es noch zu tun und zu besorgen gilt. Um uns herum trubeln das Weihnachtsgeschäft und die Jahresrückblicke, wichtige und banale Nachrichten aus aller Welt. Die Boten der Weihnacht dringen nicht unüberhörbar durch unsere Nacht, ihre Stimmen sind heute eher verhalten und leise. Aber der Inhalt ihrer Rede ist der gleiche, wie damals bei den Hirten auf den Feldern, vor den Häusern und Hütten der Stadt Bethlehem: „Euch ist heute der Heiland geboren." Und „ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist."

Darum kann und wird es Weihnachten unter uns sein. Darum erhellen Kerzen an Weihnachten unsere Zimmer, Häuser und Kirchen. Sie nehmen dem Dunkel die Schärfe und die Gefahr. Die leuchtenden Kerzen helfen mir das Geschehen der Weihnacht zu erschließen. So wie sie sich verzehren, damit wir es hell haben, damit dem Dunkel die Macht genommen wird, so verzehrt sich im Kind in der Krippe, im Jesus aus Nazareth, im Mann am Kreuz Gott für uns. So schenkt Gott sich uns. Denn wir können und dürfen seine Kinder sein.

Darum ist alles ein bisschen - nein, sehr! - anders geworden.

Amen.



Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
38300 Wolfenbüttel
E-Mail: landesbischof@lk-bs.de

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