Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Epiphanias, 15.01.2012

Predigt zu Offenbarung 21:1-7, verfasst von Jann Schmidt

 

Liebe Gemeinde,

der Text zur Predigt ist im letzten Buch der Bibel überliefert: in der Offenbarung des Johannes, jenem Buch mit sieben Siegeln. Geschrieben hat es Johannes - ein Presbyter oder Prediger der ersten Gemeinden; Johannes - vielleicht auch nur ein Visionär oder Träumer - auf jeden Fall aber eine Persönlichkeit mit großer Autorität. Knecht Gottes nennt er sich und Bruder der Christen. Dieser ‚Bruder Johannes‘ setzt sich hin und schreibt auf, was in Kürze geschehen soll, hält fest, was ihm ‘vor Augen' kommt, notiert, was ihm offenbart wird. Johannes, Prediger, Presbyter und Prophet schreibt ein Trost- und Hoffnungsbuch.

Er hat in den kleinasiatischen Gemeinden gewirkt und kann darauf vertrauen, dass sein Wort gehört und dass gelesen wird, was er schreibt. Johannes schickt Briefe an die sieben Gemeinden der Provinz Asien, nach Ephesus und Smyrna, nach Pergamon und Laodicea , nach Sardes und nach Philadelphia und nicht zuletzt nach Thyatira, jener Stadt, aus der Lydia, die Purpurkrämerin stammt. Aber das ist eine andere Geschichte, eine Geschichte in der Paulus sich um die frohe Botschaft kümmert.

Hier ist es Johannes, Johannes auf Patmos, jener griechischen Insel vor der Küste der Türkei. Die römischen Behörden haben ihn auf die Insel verbannt. Es ist Sonntag, als Johannes hinter sich eine große Stimme hört, eine Stimme wie von einer Posaune, die zu ihm sagt: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden. Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was danach geschehen soll.

Und Johannes - Knecht Gottes und Bruder der Christen - schreibt von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Er schreibt von der heiligen Stadt, der Stadt Gottes, dem neuen Jerusalem. Er sieht Gott abwischen alle Tränen und hört von der Quelle, aus der das Wasser des Lebens fließt. Und der auf dem Thron sitzt, sagt: Ich bin der Anfang und das Ende. Siehe ich mache alles neu; was früher war, ist vergangen.

Johannes sieht Bilder zwischen Himmel und Erde, Bilder der Sehnsucht nach einer anderen und besseren Welt. Es sind bekannte Bilder, Bilder, die stark an die jüdische Tradition erinnern und hier und da an Texte der antiken Welt. Johannes hört und sieht vom nahen Ende der Welt, er beschreibt den Anbruch einer neuen Welt Gottes, sie wird ihm offenbar - in seiner Offenbarung - und er sieht: das Gegenwärtige ist nicht das Endgültige. Alles wird anders und alles wird neu.

Dieses ganz Andere hat mit der Wirklichkeit auf Patmos nichts zu tun, und dieses ganz Neue hat auch mit dem Alltag der sieben Gemeinden nichts zu tun, denn nach Patmos und in die sieben Gemeinden hat längst der Arm des römischen Kaisers gegriffen, des Kaisers, der sich wie ein Gott verehren lässt. Der Kaiser verlangt die totale Unterwerfung. Als Herr und Gott lässt er sich anreden. Da haben die kleinen Gemeinden kaum eine Chance, ihr Christ-Sein unbehelligt zu leben. Eine Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem hat im übermächtigen Römischen Reich keinen Platz. Und auch dass Gott mitten unter ihnen wohnt, das ist wohl mehr Wunsch als Wirklichkeit angesichts der überraschend lange ausbleibenden Wiederkunft Christi. Der anfängliche Schwung der Gemeinden ist dahin. Dass der Herr bald kommen könnte, bleibt unerfüllte Hoffnung. Die Begeisterung für die Sache des Evangeliums ist ermattet, und jeden Tag wächst die Angst vor Verfolgung.

Ob Johannes auf Patmos sich die Augen gerieben hat, ist nicht überliefert. Das ist doch in den Himmel gemalte Einbildung, was ich da sehe, das ist doch die Sehnsucht eines gequälten Herzens, was sich da vor meinen Augen und Ohren abspielt. Das ist eine Fata Morgana, eine Sinnestäuschung über den blauen Wellen des Mittelmeeres.

Nein, Johannes hat sich nicht die Augen gerieben. Der Knecht Gottes, wie er sich selbst nennt, der vielleicht wegen seiner Predigttätigkeit nach Patmos verbannt ist, hört und sieht und schreibt. Damit öffnet er den Gemeinden ein Fenster, ein Fenster zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Und dieses Fenster lässt das himmlische Licht in die Dunkelheit des Alltags. Dieser Blick aus dem Fenster lässt die Hoffnung der Gemeinden lebendig werden. Dieser Blick aus dem Fenster ist das Fundament des Glaubens, denn Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn unser Herr kommt.

Der Herr wird vollenden, was er angefangen hat. Er ist das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Alles ist zur Erneuerung bestimmt. Damit ist den Gemeinden eine Zukunft eröffnet, die in radikalem Widerspruch steht zu ihrer erlebten Endlichkeit und Vergänglichkeit. Das Leben ist eben mehr als eine durch das Sterben abgeschlossene Episode in der Geschichte.

Der Predigttext malt Bilder der Hoffnung in trostlosen Verhältnissen. Der Abschnitt ist ein unglaublicher Hoffnungstext für den Gottesdienst der kleinen Gemeinden, die allesamt in der Versuchung stehen, schwach zu werden und vor dem Kaiser in die Knie zu gehen. Der Predigttext gewährt einen Einblick in Dinge, die jenseits aller unserer Horizonte liegen.

Doch der Predigttext malt nicht nur Bilder der Hoffnung, er lebt auch von Bildern der Hoffnung. Die Sätze sind Ausdruck einer Hoffnung, die in den Gemeinden lebendig ist. Johannes erträumt keine Bilder aus der Tiefe seiner angefochtenen Seele. Johannes lebt aus den alten Verheißungen, die dem Volk Gottes seit Anbeginn an gelten, und Johannes buchstabiert sie neu für die Gemeinden seiner Zeit. Gegen alle Versuchung und Verfolgung der Gegenwart spricht Johannes vom ‘Dennoch' des Glaubens.

Heute geht in vielen Kirchengemeinden die Allianzgebetswoche zu Ende. Die Woche stand unter dem Motto „Verwandelt durch Jesus Christus". In diesem Motto drückt sich die Hoffnung aus, dass nichts so bleiben muss und nichts so bleiben wird, wie es ist. In den Abendgottesdiensten dieser Woche wurde Gott gedankt für die Perspektive seiner großen, neuen Schöpfung. In den Gottesdiensten war die Hoffnung auf Verwandlung und Vollendung lebendig, die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Eine solche Hoffnung verändert den Umgang mit der Zeit und mit der Geschichte. Eine solche Hoffnung sieht meine Zeit aufgehoben in Gottes Zeit. Und da relativiert sich alle Sorge um Gegenwart und Zukunft. Nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Auch in der Geschichte unserer Kirchen und Gemeinden ist im Laufe der Jahrhunderte nichts so geblieben, wie es einmal war, und es wird auch in Zukunft nichts so bleiben, wie es heute ist, denn hinter dem Horizont geht's weiter. Denn hinter unserem Horizont haben Gottes Horizonte eine andere Perspektive. Und darauf setzen Christen ihre Hoffnung. Und dafür wirbt Johannes in seiner Offenbarung vom neuen Himmel und der neuen Erde.

Zeit und Zukunft werden heute in einem menschlich machbaren und gestaltbaren Horizont gesehen. Politiker skizzieren das in vier Jahren Machbare in einem Koalitionsvertrag. Zukunftsforscher und Demografen denken in Generationen, und Klimaforscher haben apokalyptische Visionen, die in Jahrhunderten und Jahrtausenden gerechnet werden.

Und der christliche Glaube? Der christliche Glaube hofft auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, mehr noch: Er lebt von dieser Hoffnung und mit dieser Hoffnung. Es geht darum, das Leben und die Zeit über den Tellerrand der eigenen Lebensspanne hinaus zu betrachten, den anderen Horizont zu erkennen oder zu erahnen. Und also auch die eigene Zeit, die Zeit der Kirche und die Zeit der Gemeinde in Gottes unendlicher Zeit zu sehen. Wer in dieser Perspektive leben kann, wer in dieser Perspektive hoffen kann, weiß das eigene Leben, weiß Anfang und Ende in Gottes Zeit geborgen.

Die Hoffnung der Gemeinde auf einen neuen Himmel und eine neue Erde verändert den Umgang mit der Zeit, verändert den Umgang mit Gegenwart und Zukunft. Eine solche Hoffnung sieht meine Zeit in seiner Zeit aufgehoben. Und da relativiert sich dann alle Sorge um die eigene Zukunft und auch die Sorge um das neue Jahr.

Wie sicher ist der Arbeitsplatz? Wer wird für die Renten sorgen? Was wird aus dem Euro? Sind die guten Jahre endgültig vorbei? Fragen, die uns klein und ängstlich machen. Manche ungute Ahnung beschleicht uns am Beginn dieses neuen Jahres. Zu tief sitzen Krisen und Enttäuschungen der letzten Monate. Sie haben Spuren hinterlassen - in der Welt, in der Gesellschaft und auch in den eigenen Gesichtern.

Es kann durchaus ein schwieriges Jahr werden - sagt die Kanzlerin. Und in Politik und Gesellschaft scheint man die gewaltigen Herausforderungen zu ahnen. Im eigenen Leben, im persönlichen Bereich kommen die Herausforderungen, kommen Leid, Trauer und Schmerz allerdings meist ohne Vorwarnung und ohne Ankündigung und werfen uns dann häufig genug aus der Bahn.

Wer heute an Morgen denkt, hofft wohl eher, dass es nicht noch weiter bergab geht. Da klammert man sich dann doch lieber an das Alte und entscheidet sich gegen das Neue. Wer weiß denn, ob es nicht mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt. Da liegt die Versuchung nahe, sich an das Vergangene zu halten, um wenigstens das fest zu halten, was noch geblieben ist: Die Erinnerung an die gute alte Zeit.

Doch niemand wird uns unser Christ-Sein in Zukunft abnehmen, wenn nicht deutlich wird, dass unser Gottesdienst ein Aufbruch zum Umbruch ist, der erste Schritt zu mehr Himmel auf Erden. Da ist wohl mehr Glaubenscourage nötig, Glaubenscourage im öffentlichen Leben, im Beruf und in den persönlichen Beziehungen. Als Christen sind wir nur dann glaubwürdig, wenn unser Christ-Sein Alltagskraft hat und nicht in der Festtagsverzierung der Advents- und Weihnachtstage verharrt.

Hören und handeln, beten und arbeiten, Gottesdienst und Menschendienst gehören unlösbar zusammen. Es ist ein Tun aus Glauben und ein Tun im Glauben, wenn wir von der Hoffnung erzählen, der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde

Da ist nichts Neues zu sagen - seit den Tagen des Johannes auf Patmos. Aber das Gesagte ist immer wieder neu zu hören. Und es ist gut für uns, das Gesagte neu zu hören als das, was Zukunft hat: Gottes Eindeutigkeit gegen menschliche Ratlosigkeit am Beginn eines neuen Jahres. Das ist die gute Nachricht, die frohe Botschaft gegen die Übermacht des Alltags. Das Alte, die Welt unserer Erfahrung, unser eigenes Leben - all das muss vergehen, bevor das Neue kommt. Die Hoffnung, die uns durch die Botschaft der Offenbarung eröffnet wird, die gute Nachricht des Johannes, die gute Nachricht von Gottes Zukunft gibt dem neuen Jahr das Geländer.

Einen neuen Himmel und eine neue Erde herbeizureden, ist uns nicht gegeben und auch nicht verheißen. Die Hoffnung auf Gottes Zukunft aber gibt Antrieb und Orientierung für unser Handeln in Kirche und Gesellschaft und für jeden einzelnen Tag, der jedem von uns an jedem Morgen neu geschenkt wird.

Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!, lautet die Losung für das neue Jahr. Es ist ein Bibelwort aus dem 2. Brief des Paulus nach Korinth. Und das heißt auch am 15. Januar immer noch und immer wieder: Sperre deine Hoffnung auf Verwandlung und Veränderung, deine Hoffnung auf den neuen Himmel und die neue Erde nicht in das kleine Quadrat deiner Vorstellungskraft. Nimm Gott nicht gefangen in deinen begrenzten Hoffnungen. Gottes Horizonte haben einen größeren Radius als Menschen sich das denken und vorstellen können; denn seine Kraft ist selbst in den Schwachen mächtig.

Das neue Jahr mag noch hinter unserem Horizont liegen, doch den neuen Himmel und die neue Erde hat Johannes auf Patmos schon mal für uns gesehen. Die Hoffnung darauf ist eine gute Voraussetzung, um mit großer Gelassenheit in das neue Jahr zu gehen.
Amen



Kirchenpräsident der Evang.-reformierten Kirche Jann Schmidt
26789 Leer
E-Mail: jann.schmidt@reformiert.de

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