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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 29.01.2012

Predigt zu Offenbarung 1:9-18, verfasst von Heinz Behrends

 

Dies ist der Sonntag der Geheimnisse, der Offenbarungen.

Mose begegnet Gott im brennenden Dornbusch. Jesus wird vor den staunenden Augen seiner Jünger auf dem Berg verklärt. Als Predigttext die Berufung, die Offenbarung des Sehers Johannes, der noch viele geheimnisvolle Bilder in seinem Prophetenbuch folgen.

Wir versetzen uns in seine Bilderwelt und hören aus Off 1, 9-18.

Textlesung

Es ist als wenn ich an meinem Schreibtisch am Fenster sitze und auf die Straße schaue. Ich beobachte wie die Menschen vorübergehen, bis plötzlich einer stehen bleibt. Ich sehe wie er zum Himmel schaut, sein Gesicht sich verändert, geradezu verklärt. Aber ich sehe nicht, was er sieht. Ich sehe nur die Wirkung. So geht es mir mit dem Text der Offenbarung.

Ich versuche drei Zugänge über drei Bilder: Auge und Ohr, Schlüssel und Insel.           

     1.  Auge und Ohr

Was war zuerst da? Das Auge oder das Ohr, das Hören oder das Sehen?

Ich sehe einen Baum und lerne über das Hören meiner Mutter. „Das ist ein Baum".

Ich höre Wasser, aber ich bekomme vom Wasser erst eine Vorstellung, wenn ich das Wasser fließen sehe.

Ich habe einen Ohrenarzt aus unserer Gemeinde gefragt, dessen Frau als Augenärztin tätig ist.

Was war zuerst da? Das Sehen, antwortet er. Als erstes sieht der Mensch, wenn auch schemenhaft.

Das Ohr bildet sich erst nach drei Lebenswochen ganz aus. Das Auge ist der einzige Körperteil, das schon bei der Geburt seine Originalgröße hat.

Zuerst bekomme ich Bilder.

So legt sich von Beginn an eine Fülle von Bildern auf unsere Seele. Wohl dem, der schon als Kinder die vielen guten Bilder sammeln kann.

Das Hören korrigiert das Sehen. Seitdem ich das vom Arzt gehört habe, sehe ich vieles anders. Das Auge bildet sich sein eigenes Bild, das Ohr setzt es in Beziehung. Das Auge ist ein subjektives Organ. Darum sagt jemand „Das sehe ich aber ganz anders". Das Ohr ist das soziale Organ. Der Blinde kann sich noch orientieren, der Taube ist völlig rausgenommen aus allen Beziehungen. Darum oft leicht irritiert bis aggressiv.

So arbeiten Sehen und Hören zusammen, Auge und Ohr.

So fängt ein Mensch sehr früh an, erst einmal Bilder zu sammeln. Sie legen sich auf die Seele und sind jederzeit abrufbar. Sie kommen aus unserer Vergangenheit, aus unserer Erfahrung.

Darum sieht der Prophet das große Bild hinter sich, nicht vor sich wie man bei einem Seher und Propheten vermuten könnte. Er sieht, indem er sich umdreht. „Er wandte sich um, zu sehen." Um seine Vision zu empfangen, muss er hinter sich schauen. In seine Vergangenheit, sein Unbewusstes wie die Psychologen sagen würden.

Er dreht sich um und sieht eine große Gestalt. Sie hat alle Mittel und Zeichen der Macht: Gewand, Gürtel, weißes Haar, goldenen Schemel für die Füße, Schwert und Stern in der Hand.


Was er sieht, muss ihm durch das Hören gedeutet werden. Eine Stimme spricht. „Dieser hat die Macht der Hölle und des Todes". Er kann alle Bedrohungen wegschließen.

Mit der Berufung eröffnet sich Johannes ein großartiges Szenarium, die Sinne sind erfüllt. Sinn erschließt sich ihm in Schritten. „Schreibe auf, alles was du siehst", so beginnt das Buch der Offenbarung, „Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung", so schließt es in Kapitel 22.

Ich werde ganz still, schaue mich um, wie mein Auge meinen Glauben stärkt. Ich sehe den Sonnenaufgang am Morgen und schaue in das Gesicht eines geliebten Menschen, ich höre den frühen Klang des Vogels, als ich heute morgen Brötchen hole, ich höre die Stimme meiner vertrauten Frau. Ich bin zu Hause und bereit für die Welt.

     2.  Schlüssel

Schlüssel sind Macht.

Das war eine besondere Erfahrung, als ich noch auf dem engen Lebensraum der City von Hannover wohnte und arbeitete. Alle Türen waren abgeschlossen. Nicht jeder sollte überall reinkommen können. Nachts liefen die Nachtwächter mit dem großen Schlüsselbund um die Häuser.

Ich selber war still in mich vergnügt, dass ich einer von dreien war, der den Universalschlüssel für die große Marktkirche und die vielen Gemeinderäume und Büros hatte. Den Schlüssel habe ich nie aus der Hand gegeben.

Und nicht jeder konnte dort parken. Ich schon, ich hatte den Schlüssel, der den Poller in der Straße versenkte und den Weg in die Fußgängerzone frei machte. Oft, wenn ich vor dem Poller hielt, ausstieg, und mit meinem Schlüssel den Senk-Mechanismus bediente, blieben Fußgänger stehen und staunte als aufmerksame Zuschauer. Ich zwinkerte ihnen selbstbewusst zu. „Ha, so einen Schlüssel hättet Ihr wohl auch gern. Habt Ihr aber nicht", sprach ich in mich hinein. Schlüssel ist Macht.

„Er hat die Schlüssel der Hölle und des Todes".

Hölle steht hier für alles Zerstörerische. Wo kommt diese Kraft her?

In einer Welt der vielen möglichen Deutungen sehnt sich der Mensch nach Eindeutigkeit. Menschen sind so sehr verschieden, dass man sich gar nicht auf alle einstellen kann. Meinungen, Rassen, Religionen.

Da wünscht man sich eine eindeutige Haltung zu den Dingen, möchte wissen, was gut und was böse ist. Wunsch nach Richtigkeit.

Menschen allen Alters wurden in ein Labor geladen, um an einem Experiment teilzunehmen.

Später benannte man es nach dem Erfinder Stanley Milgram den Milgram-Versuch. Jemand sollte als Lehrer einem Schüler auf einem elektrogeladenen Stuhl immer dann einen Stromstoß geben, wenn er zwei Worte falsch zusammensetzte. Auf dem Stuhl saß ein Schauspieler, ohne das der „Lehrer" es wußte. Ein Versuchsleiter, auch ein Schauspieler, forderte auf, die Stromdosis immer mehr zu erhöhen. 65 % der Versuchspersonen erhöhte die Dosis bis auf 450 Volt. Was heißt das für die Höllenkräfte in uns?

Der Wunsch nach Eindeutigkeit ist groß. Das ist die Chance der Rechtsradikalen. Wer ohne Ziel und Sinn lebt, der sucht Eindeutigkeit in der Gewalt. Gewalt ist eindeutig. In einer Gruppe entscheidet die Bereitschaft zur Gewalt darüber, ob ich dazu gehöre oder nicht.

Oder kommt das Böse aus der Angst wie Eugen Drewermann immer wieder belegt. Wie auch immer, das Böse muss in der Hölle verschlossen werden. Erst Christus, wenn er wiederkommt, macht ihm ein Ende. Auf dem Passionsaltar der Marktkirche tritt Christus mit der Siegesfahne aus der Hölle, hinter ihm der nackte Adam, die nackte Eva mit schulterlangem Haar. Die Türen sind gefallen, die Schlüssel liegen auf dem Boden.

Für den Seher wird es ein Schlüsselerlebnis. Ein ganzer Film über den End-Lauf der Geschichte läuft vor seinen Augen und Ohren ab. Diese große Sicht werden wir nicht haben.

Die Bilder und Töne kommen dem Propheten nicht bei Tisch. Er ist auf einer Insel.

     3. Insel

Die großen Reisen zur Entdeckung der Welt gingen von vorgelagerten Inseln aus. Insel ist nicht der Ort der Verbannung, sondern des weiten Blicks.

Um mich herum das trennende Element, die Unterbrechung zum festen Land. Ich habe Sehnsucht, den Abstand zu überwinden.

In diesem Abstand wachsen die Bilder und Gedanken.

Sie tragen ihn weit hinaus in die künftige Welt Gottes. Dem Horizont weiß er sich so nahe.

Ich sitze immer noch an meinem Schreibtisch am Fenster, stehe auf und verlasse meine Beobachterrolle. Ich will Augen und Ohren offen halten für alles, was Gott mir sagen will.

An jedem der sieben Tage der letzten Woche. Ich sehe den siebenarmigen Leuchter und höre: „Fürchte dich nicht."

 



Superintendent Heinz Behrends
37154 Northeim
E-Mail: Heinz.Behrends@evlka.de

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