Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 19.02.2012

Predigt zu Amos 5:21-24, verfasst von Udo Schmitt

 

I.

Wenn wir die Kritik des Amos hören, heute, dann hören wir sie mit unseren Ohren und wir hören sie gern.

Als evangelische Christen stimmen wir zu: Ja, Gott braucht keine Tieropfer, keinen Weihrauch, keine Kerzenopfer, keine Ablassbriefe, Heiligenbildchen, Voodoo-Püppchen, und auch kein großes Tamtam, darauf können wir uns schnell einigen.

Denn: Man lobt dich in der Stille, du hocherhabner Zionsgott (EG 323).

Da ist nichts, was uns stört, aufstört, aus der Ruhe bringt an einem schönen Sonntagmorgen. Den Leuten damals aber müssen die Ohren geklungen haben, was dieser Amos in seiner Zornesrede da behauptet, muss sie tief beunruhigt haben.

Der Mensch der Antike dachte und empfand ganz anders als wir heute. Im Alten Orient war der Kult am Tempel nicht nur wichtig, er war von staatstragender Bedeutung.

Der Gottesdienst war das Bindeglied zwischen Erde und Himmel und überhaupt der Grund, warum die Götter den Menschen geschaffen hatten.

Nämlich - wie es in der Schöpfungsgeschichte der alten Babylonier heißt -, um den Tragkorb der Götter zu tragen.

Gottes Dienst, also der Dienst für die Götter im Kult, das Versorgen mit frischen Speisen und Opfern, täglich, das war die Aufgabe und Bestimmung von uns Menschen.

So war es im Anfang der Welt gedacht und zunächst ging auch alles gut.

Doch - wie so oft - schon bald kam es zum Krach. Kurz: Die Götter wurden böse, und einer von ihnen versuchte, die freche Menschheit mit einer Sintflut zu vernichten.

Ein anderer Gott fand die Idee etwas übereilt und rettete einen von uns Menschen in einem kastenförmigen Schiff, worin der auch Tiere mitnahm, also eine ganz ähnliche Geschichte, wie wir sie aus der Bibel kennen, nur dass der Gerettete hier nicht Noah sondern Atraḫasis hieß.

Als dieser dann nach der Flut wieder aus seiner Arche stieg, da opferte er allen Göttern. Und die Götter rochen den lieblichen Geruch des Opferfeuers. Und ausgehungert, wie sie waren, versammelten sie sich wie die Fliegen über dem Altar.

(Na, da schau her: Wer hat hier nun Macht über wen?) Der Kult war im Alten Orient also mehr als nur eine lästige Pflicht, so wie es das vielleicht für die Konfirmanden heute ist, er war eine Chance, ja, es war die Ermächtigung des Menschen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Er hatte es in der Hand. Die Götter waren irgendwie auch doch von ihm abhängig. Sie waren natürlich nach wie vor mächtige Wesen, und man verärgerte sie besser nicht, aber sie ließen sich auch beeinflussen, manipulieren, bestechen durch Gelübde, durch Geschenke, durch das richtige Ritual und - Simsalabim! - waren sie einem großzügigen Spender gerne gnädig.

Kurz: Die antiken Götter waren käuflich.

II.

Alle Götter? Nein. Nicht alle.

Der Gott eines kleinen Volkes irgendwo am Rande der großen Reiche sieht das ganz anders. Er hat genug davon, wie die Reichen sich bereichern, wie die Amtsträger sich bestechen lassen und wie auch im Volk jeder tut, was er will und wie es ihm passt.

Und er schickt einen einfachen Mann vom Lande, der sich selbst einen Hirten und Maulbeerfeigenzüchter nennt, um seinem Volk dies zu sagen: Ich kündige.

Von mir aus könnt ihr den ganzen Kultbetrieb einstellen, ich kann sie nicht mehr riechen, eure Gottesdienste, eure Taten stinken zum Himmel, eure Gewalt, eure Selbstgerechtigkeit, und verschont mich auch mit dem Geplärr eurer Gebete. Ich hab die Nase voll! Ich kündige.

Das ist mehr als wir heute darin sehen. Das ist nicht nur so ein bisschen Kultkritik, wo man sich als moderner Mensch zurücklehnt und denkt:

Wem's gefällt. Soll doch jeder nach seiner façon selig werden, der eine geht halt gerne in die Kirche, der andere nicht, so what? - Was kümmert‘s mich?

Nein. Gott selbst kappt hier die Verbindung zwischen Erde und Himmel, durchtrennt die Nabelschnur die uns Menschen mit ihm verbindet.

Man stelle sich das vor: Das Tor der großen Kathedrale findet sich an einem Sonntagmorgen fest verschlossen und daran hängt ein Schild mit der Aufschrift:

Ich bin dann mal weg! gezeichnet Gott.

Zunächst hält man es für einen schlechten Scherz und macht so weiter wie bisher, erst nach und nach bemerkt man den Schmerz, das Fehlen, die Lücke und weiß: Es geht nicht mehr.

ER ist fort und hatte sich ganz unbemerkt zur Hintertür hinausgeschlichen, während wir noch Partys feierten, Korken knallen ließen und meinten, wir hätten alles hier im Griff.

Doch nun ist es zu spät. Oder doch nicht?

Die Wissenschaft, insbesondere die, die das Alte Testament erforscht, ist seit langem schon und tief zerstritten, ob die Unheilsprophetie, wie die des Amos hier, den Menschen noch eine Chance einräumt zur Umkehr - oder nicht.

Wird die kommende Katastrophe angekündigt, um die Menschen vielleicht doch noch zur Rückkehr auf den richtigen Weg zu bewegen? Oder soll bloß dies gesagt werden, dass die Katastrophe kommt, so oder so, da gibt es keinen Ausweg, kein Entrinnen, ihr sollt nur jetzt schon wissen, dass es die Richtigen trifft, nämlich euch!

III.

Was meinen Sie? Ist es zu spät? Oder ist noch Hoffnung für unser Volk, unsere Welt, die Menschheit?

Wenn wir heute so eine Botschaft erhielten, wie würden wir wohl reagieren? Manchmal bin ich geneigt, an der Lernfähigkeit des Menschen zu zweifeln. Da zeigte uns der Unfall von Fukushima, wie klein wir doch sind, wenn erst einmal die Elemente dieser Erde entfesselt, sich gegen uns verbünden, uns hinwegfegen mit all ihrer Kraft und Wucht.

Und doch machen wir weiter, als wäre nichts geschehen, - das heißt nicht wir sondern unsere Nachbarn gleich hinter der Grenze - planen, ein neues Atomkraftwerk zu bauen. Und man meint, man ist sich sicher, ja, diesmal alles fest im Griff zu haben.

Einfach weiter, als wäre nichts geschehen? Nanu? Liegt denn etwa Holland nicht mehr am Meer?

Oder bedenkt dies: Da trifft man sich auf Konferenzen, um zu verhindern, dass sich die Erde weiter und weiter erwärmt.

Man redet und redet nächtelang und geht auseinander mit dem Ergebnis, dass man sich vertagt, dass man weiter reden will, demnächst vielleicht.

Was soll‘s. Geht doch mich nichts an. Oder?

Und wir machen weiter wie bisher. Der eine trägt die Bedenken. Der andere die Konsequenzen. Denn für unsere Gegend hier am Niederrhein plant die Landesregierung derweil schon mal neue Überschwemmungsgebiete, blau schraffiert geht die Linie quer durch unser Dorf, links die Häuser, die trocken bleiben sollen, und rechts die mit den nassen Füßen und den schlechten Karten (falls sie ihr Haus noch mal verkaufen wollen). Natürlich nur rein theoretisch.

Das, was wir da planen, gibt es nur ganz selten, alle paar Jahrhunderte oder so. Kein Grund zur Sorge. Wir haben alles im Griff. Es ist ja noch Zeit. Aber wenn doch: Liegen dann auch wir bald am Meer? Und Holland gibt's nicht mehr?

Ich weiß es nicht. Ich hoffe aber. Ich hoffe aber doch, dass nicht die recht behalten, die sagen, die Weltgeschichte sei das Weltgericht.

Ich hoffe und glaube zusammen mit denen, die sagen: Gott wirkt doch in dieser Welt.

Auch wenn wir es nicht sehen und manchmal sogar meinen, er habe sich längst daraus verabschiedet und uns allein gelassen mit unseren Fehlern und Irrtümern.

Bonhoeffer hat einmal gesagt: Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es für Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal 1 ist, 1[U.S. wörtlich: Fatum] sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

Ja, das glaube auch ich, dass Gott unsere Gebete hört und dass er unsere Taten sieht. Und dass er darauf wartet.

Und es ist ihm nicht egal, was wir reden, was wir tun. Weil wir ihm nicht egal sind. Er ist ein liebender, eifernder, zorniger und verzeihender Gott.

Wir sind ihm nicht egal. Und selbst wenn er uns droht, und selbst wenn er uns schlägt mit Schicksal, dann verfliegt sein Zorn schon bald darauf, lässt uns nicht liegen, sondern hilft uns wieder auf. Er will nicht das Blut fließt. Und auch nicht Tränenflut.

Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Amen. Ja. Dazu helfe uns Gott. Dass wir das Gute sehen, auch wenn es im Verborgenen geschieht, und dass wir dann das Richtige auch tun, dazu gebe er uns die Kraft.



Pfarrer Udo Schmitt
46499 Hamminkeln
E-Mail: uschmitt@kirche-wertherbruch.de

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