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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 25.03.2012

Predigt zu Numeri 21:4-9, verfasst von Michael Plathow

 

I. Wüstenwanderung

Liebe Gemeinde, auf den Weg nimmt uns die Geschichte des heutigen Predigttextes. Die Geschichte erzählt vom Weg - und der Weg ist bekanntlich das Bild für unsere Lebenszeit und die Zeit der Kirche - durch Sonne und Sturm, durch fruchttragende Grün und trockensteinige Wüsten.

Es ist nun fast geschafft. Das Ende der vierzigjährigen Wanderschaft, wie es da heißt, nähert sich. Das Volk Israel steht kurz vor dem Ziel: vor dem verheißenen Land. Immer wieder hatte es erfahren: die Lebenssorge um das Alltägliche, um Essen und Trinken, Brot und Wasser, Räubern und Feinden - und eben Gottes Fürsorge: Manna, Wachteln, Wasser, Lebensmittel für den "heutigen Tag", Gottes Hilfe und Bewahrung. Aber dennoch: die Wanderung war zu ermüdend geworden,; viele waren schon gestorben, auch Mirjam, die Schwester des Mose; viele waren durch Überanstrengung oder durch eigenwillige Wege der Selbstsorge oder des Aufruhrs gegen Mose dahingerafft worden.

Der Weg durch die Negev-Wüste ist eben voller Beschwernisse: ein Leben in Extremen - glühende Hitze am Tag und bittere Kälte über Nacht; das Gefühl befreiender Weite und das Erschrecken vor der Einsamkeit bedrängender Stille. Und nun noch der weite Umweg um das Gebiet der Edomiter.

Da bricht s heraus, die Verdrossenheit, der Unmut und auch der Kleinmut. Sie murren, wie sie es in unzufriedenen Stunden schon häufig getan hatten; sie hadern und murren gegen Gott und gegen Mose. "Warum? ..." In leiblicher und seelischer Erschöpfung klagen sie Gott an und machen Öse für ihr Elend verantwortlich. "Uns ekelt vor die mageren Speise". Hatten sie anfangs noch das Mannawunder bestaunt, so fragen sie jetzt: "Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir denken an die Fische, die Zwiebeln und den Knoblauch. Nun aber ist unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als Manna" (4. Mose 11, 4ff) Immer nur Manna und jeden Tag die gleichen Handgriffe: gleich morgens die Tagesration des gehärteten Saftes der Mann-Tamariske vom Boden auflesen, sich immer wieder bücken, sodass der Rücken schmerzt; dann das Manna zerkleinern in Mörsern; schließlich das Mehl in Töpfen kochen und zu Kuchen backen. Das ist der Alltag. Und das verheißene Land, von dem die Kundschafter die prachtvollen Früchte mitbrachten, entschwindet in immer weitere Ferne. War in Ägypten nicht alles besser?

Auch wir kennen Tage und Wochen, da sieht alles festgefahren aus. Wir treten auf der Stelle; Sorgen türmen sich wie Berge auf, alles grenzt uns ein; wir drehen us in und um uns selbst zwischen Last und Frust, unzufrieden wie wir sind.: Wüstenzeiten, leere Zeiten. Selbst Gott scheint fern: "Warum ...?" In solchen Zeiten geht der Blick gern zurück. War nicht früher alles besser, hoffnungsvoller? Der Ehepartner, die Kinder, die Freunde offen und zugewandt? Die Gesundheit gut? Und auch unser Vertrauen auf Gott erfuhr Bestätigung. Es gibt Augenblicke, jeden überfallen sie wohl dann und wann, da sehen wir alles, was war, in einem verklärten Licht. Und die Gegenwart scheint ohne Perspektive , ohne Hoffnung. Jeder kennt seinpersönliches Ägypten, aus dem - in Erinnerungen gefangen - wir heraus müssen, um wieder voran zu kommen im Horizont der Hoffnung, um Vertrauen zu leben und erfüllte, weil gefüllte Zeit zu erfahren, um die Wunder des Alltags wieder wahrzunehmen mit Dank.

Verdämmert war das Vertrauen und die Hoffnung der Volkes auf der Wüstenwanderung. Trostlos sind sie, sind nun nicht bei Trost. Das Bekenntnis: "Jahwe hat uns aus Ägypten geführt, m uns zu retten" verkehrt sich in die Verdächtigung: "Jahwe hat uns herausgeführt, dass wir sterben in der Wüste". Die Zuversicht, der Glaube ist geschwächt, fast erstorben. Da nehmen sie auch nicht mehr wahr, dass Gott Tag für Tag unauffällig aber wirksam wirkt, ihnen hilft und so bei ihnen ist und sie begleitet.

"Warum ...?" - auch wir kennen die klagend anklagende Frage. Wir starren dann auf alles, was misslang; wir wissen das Wichtige vom Unwesentlichen nicht mehr zu unterscheiden; wir übersehen Gottes Fürsorge und seine Hilfe auf unserem Lebensweg.

II. Kehre

Da greift Gott ein. Gar nicht wie ein "lieber Gott". Der Geduldsfaden - menschlich ausgedrückt - ist gerissen. Es ist der eiferheilige Gott. Das ständige Murren, das Zweifeln, der Unglaube des Volkes hat ihn verletzt. Und er nimmt uns Menschen ganz ernst, auch dann, wenn wir uns seinen Wohltaten verweigern, seine Gemeinschaft und Nähe ausschließen, uns seinen Verheißungen verschließen. Der heilige Gott kann von sich stoßen; denn Gott lässt sich nicht spotten durch unseren Undank und unseren Unglauben. Glauben und Danken aber gehören zusammen.

Der eiferheilige Gott lässt den Serafen - eine religionsgeschichtlich ungemein interessante Erscheinung - freien Raum. Es handelt sich um jene gefährliche Schlangenart mit Flügeln, die in dämonischer Weise Leben vernichtet und Zukunft unmöglich macht. Diese Mächte aus den bösen Abgründen menschlichen Herzens, die Leben zerstörend wirken, machen die Beziehung zu Gott unmöglich. Durch sie verwirkt der Mensch sein Leben vor und mit Gott. Das ist die Macht der Sünde.

Es geht um mehr als um harte Schläge gegen den, der sich vor Erschöpfung einfach hinlegen will, obwohl dann - sei es Kälte oder Hitze - der Tod ihn packen wird. Die Verneinung Gottes bringt den Tod; die Verdächtigung der erfahrenen Güte Gottes führt in die Leere.

Da besinnen sich einige; sie kehren in sich und kehren um zu Gott: "Wir haben gesündigt". Sünden erkennen, anerkennen und bekennen spricht sich hier aus vor Gott. Gegen die eigene Selbstverschließung gegen Gott und seinen Willen öffnet man sich wieder seiner Verheißung und Zusage; gegen die selbst gemachte Gemeinschaftslosigkeit mit Gott, die die Leere bewirkt, sucht man die Nähe Gottes. Sünde erweist sich als das ver-rückte oder kaputte Verhältnis zu Gott mit den fratzenhaften Zerstörungskräften für das Verhältnis des Menschen zu sich, zu anderen Menschen und zur Mitwelt. "Wir haben gesündigt, sind vom Weg abgekommen haben den Weg verfehlt, weil wir gegen Gott und gegen dich geredet haben", bekennen diese Menschen in der Kehre.

Fehler eingestehen, Schuld erkennen und anerkennen, Sünde bekennen fällt uns nicht leicht. Dabei ist dies der erste Schritt zur Vergebung und damit zu einer Heilung der Beziehung in der Ehe, in der Kollegenschaft, im politischen Leben eines Volkes und von Völkern, grundlegend im Verhältnis zu Gott. Vor 67 Jahren erklärten nach den tödlichen Schrecken des II. Weltkrieges, die Nazi-Deutschland über die Welt gebracht hatte, Vertreter der "Evangelischen Kirche in Deutschland" in Stuttgart (19. 10. 1945) vor Vertretern der Ökumene: "Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher Geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Nun soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden ...". Mit diesem "Stuttgarter Schuldbekenntnis" - keine Kollektivschuld wurde bekannt - öffnete sich die weltweite Gemeinschaft der Christen und Kirchen für unsere evangelischen Kirchen. Sündenbekenntnis und Bekenntnis zu Gott, dem Vater Jesu Christi, gehören zusammen in der "Freude der Buße".

"Wir haben gesündigt", kennen die Israeliten im biblischen Bericht. Sie gehen in die Kehre hin zu Gott und wollen sich seiner Fürsorge neu anvertrauen. "Bitte den Herrn, dass er die geflügelten Schlangen von uns nehme". Mose soll ihr Mittlersein. Sie meinen selbst keinen Zugang zu Gott mehr zu haben. Das Reden gegen Gott kann eben das Reden mit Gott erschweren oder unmöglich machen. Mose bittet Gott. Aber der heilige Gott ist kein Automat, der nach unseren Vorstellungen menschliche Wünsche und Sehnsüchte einfach zu erfüllen hätte. Gott tut nicht schlicht das, was uns als möglich oder sinnvoll erscheint. In einer Freiheit und Liebe weiß er "viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod" (EG 302, 5).

III. Lebens-Zeichen

Auf dem todbringenden Wüstenweg lässt Gott ein Zeichen aufrichten. Mose bildet eine Schlange aus Erz den gefährlichen Serafen nach und hängt sie an eine Fahnenstange wie bei Äskylapstab. "wer gebissen wurde und sieht sie an, der soll leben". Was den Tod brachte, wird nun zum Lebens-Zeichen - allerdings verborgen unter den Schmerzen, denn die Schlangen beißen weiter; zugleich wird das Leben schenkende Handeln Gottes in diesem Zeichen deutlich: Gott überlässt sein Volk nicht dem Verderben. Gott führt es durch Wüstenzeiten, finstere Täler, ängstigende Beschwernisse; sein Schlangenstab leiten es. Gott begleitet es, ist bei und mit ihnen.

Wer auf Gottes Zeichen schaut, kommt mit dem Leben davon und empfängt neues Leben. Aber eines ist notwendig und Not wendend: die Menschen müssen hinschauen auf dieses Rettungs- und Lebens-Zeichen. Nicht der Blick auf einen Talisman ist gemeint. Ein Zeichen weist über sich hinaus auf etwas, das es darstellt; hier weist es auf Gottes liebende Hingabe in seinem Mitsein und Begleiten seines Volkes durch Tod bringende Mächte hindurch hin zu Leben schenkender Kraft. Mit Gott.

Wer ständig wie hypnotisiert auf seine Sorgenberge starrt, verpasst das Leben. Wer ausschließlich das Finstere in seinem Alltag sieht, erleidet eine Blickverengung und nimmt bald nur noch das Finstere wahr, in und um sich kreisend in Angst. Nein! Wir können, wir sollen unseren Blick erheben. Nein! Wir dürfen auf das Lebens-Zeichen und die Zeichen des Lebens blicken. Wir dürfen uns die Kraft der Hoffnung und Zuversicht schenken lassen aus dem, was Gott mit diesem Zeichen uns verheißt.

Wir Christen erkennen in diesem Zeichen einen Hinweis auf das Symbol des Kreuzes, richtiger auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Jesus selbst hat Nikodemus in einem nächtlichen Gespräch klar gesagt, wo wir dieses Lebens-Zeichen finden: "Wie Mose in der düste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben2 (Joh 3, 14ff). Ja, er ist es, der "der Schlange den Kopf zertreten wird" (Gen 1, 15).

Unser Lebens-Zeichen begegnet uns im Kreuz von Golgatha. Für uns starb der gekreuzigte Christus. Er nahm auf sich, was uns eigen ist: unsere Verweigerung der Gemeinschaft mit Gott, unsere Selbstverschließung gegen den guten Willen Gottes, eben unsere Sünde und Schuld, und zugleich unser Leid, unsere Sorgen, unser "Kreuz", alles Elend, ja, den Tod. Gottes liebende Selbsthingabe zeigt sich im Menschensohn, der aber nicht im Tod blieb, sondern mit der Auferstehung am dritten Tag allen Rettung und neues Leben brachte: gelingendes Leben und ewiges Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Das Symbol des Kreuzes ist für die Glaubend nicht das Zeichen des Endes und des Tods. Gottes Liebe, seine Zuwendung hat es umgekehrt in das Lebens-Zeichen, das schenkt, wofür es steht: Vergebung, d. h. Leben und Seligkeit durch unsern gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Wer auf ihn schaut, der wird leben; er wird leben, auch wenn er stirbt.

In seinen Trostschriften gibt M. Luther den von Krankheit und Leid, Sünde und Schuld, Sterben und Tod Angefochtenen den geistlichen Rat und die geistliche Weisung: stier nicht auf das Dunkle, das dich bedrängt und äugstet; schau auf das Helle, au Christus, auf sein Sterben am Kreuz für dich und auf seine Auferstehung, an der du im Glauben durch deine Taufe Anteil hast. Da bist du bei Trost. Wörtlich sagt der Reformator in einer Trostschrift: "Selig sind die in Christus friedlich sterben" und das gilt ebenso für die in Frieden leben vor und mit Gott - "Das ist gesagt in 4. Mose 21. Als die Kinder Israel, von den geflügelten Schlangengebissen, sich nicht mit den Schlangen abgeben, sonder die Tote eherne Schlange ansehen mussten, da fielen die lebendigen Schlangen von ihnen ab und vergingen. Also musst du dich auf den Tod Christi allein richten, so wirst du Leben finden. Und wo du den Tod anderswo ansiehst, so tötet er dich mit großer Unruhe und Pein. Darum sagt Christus: In der Welt habt ihr Angst, wie auch in euch; in mir aber habt ihr Frieden" (M. Luther, Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben (1519), Cl I, 165, 26ff). In diesem Sinn lässt uns Paul Gerhardt singen:

"Erscheinemir zum Schilde, zum Tost in meinem Tod

Und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot.

Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll

Dich fest an mein Herz drücken" (EG 85, 10).

Liebe Gemeinde, so wie das Volk Israel i der ehernen Schlange seiner Sünde und Schuld ins Auge sehen musste, so werden wir, jeder einzelne und die Gemeinde, im gekreuzigten Christus konfrontiert mit unserem Widerspruch gegen Gott und mit unserer Gemeinschaftslosigkeit mit Gott. So wie das aufgestellte Schlangebild von Gottes Heilung und seinem Leben schenkenden Erbarmen erzählt, so spricht der auferstandene Christus zu uns von Gottes vergebender Liebe und von seinem Willen, uns Heil, neues Leben im Sog des ewigen Lebens zu schenken. "Gelobt sei Gtt, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns wiedergeboren Hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten" (1. Petr 1, 3).

Gewiss, auch wir gehen unsere Wege weiter durch manche Wüstenzonen; unsere Sorgen, Leiden und Bedrückungen verschwinden nicht. Viele Menschen um uns her sind so bedrückt, dass sie ihren Blick kaum mehr erheben können. Für uns und für sie ist das Lebens-Zeichen aufgerichtet. Machen wir als einzelne und als Gemeinde auch andere darauf aufmerksam. Zeigen wir durch unsere Achtsamkeit und unsere Fürsorge: Wir sind gemeinsam unterwegs; wir werden gemeinsam ankommen am Ziel. Denn Gott lässt uns nicht; er ist da für uns und bei uns mit seiner Fürsorge und seinem Erbarmen.

Durch Gottes Verheißungswort hat für uns die acht der Sünde und des Todes den letzten Schrecken schon verloren. Mit erhobenem Haupt gehen wir weiter. Wir schauen auf unser Rettungs- und Lebens-Zeichen. Es hilft uns auszuhalten, was uns beschwert an Leid und Tränen. Es lässt uns die Lebenszeichen im trüben Alltag wahrnehmen und aufstellen für andere. Es schenkt dankbare Freude und führt zu gelingenden Leben im Sog des ewigen Lebens. Es trägt uns durch unseren Tod hindurch in die vollendete Gemeinschaft mit Gott. So singen wir mit P. Gerhardt, dass uns der in unserem Lebens-Zeichen begegnende Christus auf unseren Wegen beistehe und begleite:

"Das soll und will ich mir zunutze zu allen Zeiten machen:

im Streite soll es sein mein Schutz, in Traurigkeit mein Lachen,

in Fröhlichkeit mein Saitenspiel

und wenn mir nichts mehr schmecken will, soll ich dies Manna speisen.

Im Durst soll's sein mein Wasserquell,

in Einsamkeit mein Sprachgesell

im Haus und auch auf Reisen" (EG 83, 6).

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre euch, eure Herzen und Sinne und euer Tun in dieser Weggemeinschaft mit Gott, dem wir als unserem Helfer und Begleiter im Kreuz Christi begegnen. Amen.

 



Prof. Dr. Michael Plathow
Heidelberg
E-Mail: michael@plathow.de

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