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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 01.04.2012

Predigt zu Jesaja 50:4-9, verfasst von Michael Nitzke

 

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.

5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.

6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.

7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.

8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir!

9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.

 

Liebe Gemeinde,

am Palmsonntag hören wir im Evangelium die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem. „Hosianna" rufen sie im begeistert zu. „Herr Hilf" heißt das. Sie nennen ihn ihren König und jubeln, aus vollem Halse. Doch wir kennen die Geschichte, wir wissen, wie sie weiter geht. Wie die Szene eines Films, den wir schon mal gesehen haben, entsteht vor uns das Bild, wo die gleiche Menge ein paar Tage später aus genauso vollem Halse schreit: „Kreuzige ihn". Zuerst himmelhochjauchzend über den neuen Star, der in die Stadt kommt, und dann noch nicht mal zu Tode betrübt, als sie ihm den Tod wünschen.

Was in diesen Menschen vorgegangen ist, fragen wir uns. Ist es eine verführbare Masse, die einfach sein Fähnchen nach dem Wind hängt? Haben sie ihn in Wirklichkeit gar nicht richtig verstanden? Die Fragen werden bleiben. Aber wer fragt den, der da erst bejubelt und dann verspottet und getötet wurde?

Der Text aus dem Alten Testament, den ich eben verlesen habe, führt uns in die Gedankenwelt eines gequälten und gepeinigten Menschen ein, der diesen Menschen, doch nur seine ganze Liebe schenken wollte.

Er hat das Positive noch im Ohr, er denkt noch an das Gute, was er Menschen geben konnte. Doch er hat auch erfahren, zu was anderen Menschen fähig sind. Er sagt:

6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.

Der diese Worte spricht, hält viel aus.

Wer ist das, der so spricht? Es ist der „Knecht Gottes", so können wir aus den umliegenden Texten erfahren. Aber wer ist dieser Knecht Gottes? Die Wissenschaft ist sich nicht einig, wer genau damit gemeint ist. Ist es Mose oder David? Ist es der Prophet selbst, der diese Worte schreibt, oder ist gar das ganze Volk Israel damit gemeint? Die christliche Tradition hat diese Texte immer auf den Messias bezogen, der damals, als die Texte geschrieben wurden, erwartet wurde, und der in Jesus Christus gekommen ist. Bleiben wir bei dieser Annahme. Christen können nicht umhin, in den Beschreibungen vom leidenden Gottesknecht, den leidenden Sohn Gottes zu sehen.

Wenn wir bei diesen Worten Jesus vor Augen haben, dann schmerzt uns sein Leiden, aber es mag auch manche Reaktion uns befremden.

Da heißt es weiter: 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.

Solche Härte kennen wir kaum von Jesus. Wer sein Gesicht verhärtet, der strahlt wenig Liebe aus. Wie kann man das mit Jesus in Verbindung bringen, der doch seine Widersacher noch heilte, und seine Peiniger ertrug? Ist hier der Schlüssel, den alttestamentlichen Gottesknecht doch nicht mit Jesus in Verbindung zu bringen? Aber sehen wir es einmal menschlich, wer kann so etwas ertragen, ohne dabei nicht zumindest sein Gesicht zu verhärten? Vielleicht lässt sich nur mit den angespannten Gesichtsmuskeln die Schärfe der Schläge ertragen.

Eine andere Übersetzung führt uns weg von dem verhärteten Gesicht zu einer anderen menschlichen Reaktion. In der „Hoffnung für alle" heißt es: Ich hielt ihren Beschimpfungen stand und verdeckte mein Gesicht nicht, als sie mich anspuckten. 7 Und doch werde ich mich ihnen nicht beugen, denn Gott, der Herr, verteidigt mich. Darum habe ich auch die Kraft, ihnen die Stirn zu bieten. Ich weiß, ich werde nicht in Schimpf und Schande dastehen.

Ja, er hat die Kraft, den Peinigern die Stirn zu bieten. Er hat die Kraft auszuhalten, dass sie „Kreuzige ihn" riefen, denn er weiß, er trägt keine Schuld und hat diesen Tod nicht verdient, und dennoch kann er ihn tragen, weil er weiß, dass Gott ihn freispricht und ihm das ewige Leben gibt, dass er mit den Menschen teilen will.

Mit den Menschen will er es teilen, die ihn zuvor mit Lobeshymnen überdeckten, die ihm zujubelten wie einem Helden. Warum taten sie das? Warum jubelten sie ihm überhaupt zu? Weil er ihnen mit Liebe und Freundlichkeit entgegen kam. Weil er vor den Menschen, die von ihm Hilfe erwarteten, nicht sein Gesicht verhärtete.

Im Gegenteil wesentliche Bestandteile seines Gesichtes wenden sich dem Menschen zu. Sie bauen eine wichtige Verbindung zu dem Menschen auf, denen der Gottesknecht begegnet.

Wir werden hier zu dem ersten Teil des Textes geführt. Das ist der Teil, der nicht geprägt ist von Härte und von Schlägen, von Kampf und Auseinandersetzung, der Teil dieses Gottesknechstliedes, den ich am ehesten mit dem Palmsonntagsgeschehen in Verbindung bringen kann. Denn hier ist die Verbindung von dem Knecht Gottes zu den Menschen noch in Ordnung. Was immer sie auch zum Umschwung bewegt haben mag, hier ist davon nichts zu spüren.

Hören wir noch einmal den Anfang dieser Worte:

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.

5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.

Die wesentlichen Bestandteile seines Gesichtes sind hier deutlich genannt. Es sind die Zunge und das Ohr. Es geht darum, miteinander zu reden.

Eine Zunge, wie sie Jünger haben, ein Ohr, das hört, wie Jünger hören.

Was meint der Prophet mit diesen Worten? Bei Jüngern, denken wir eigentlich immer gleich an die Zwölf, die Jesus umgaben. Das Wort ist ansonsten fast außer Gebrauch gekommen. Wie haben die Jünger Jesu gehört? Wie haben sie gesprochen?

Wir haben da doch oft die Situationen vor Augen, in denen die Jünger nichts verstehen. Wo sie also gar nicht richtig zuhören. Sie verstehen nicht, warum Jesus heilen kann. Und sie kommen nicht klar mit seiner Ankündigung, dass er viel leiden und dann sterben muss.

Jesus schildert im Johannesevangelium wie er sich selbst versteht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. (Joh 6,35) Seine Jünger können das nicht verstehen. Sie bezichtigen ihn sogar der Härte, die wir im Text vom Gottesknecht so anstößig fanden: Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? (Joh 6,60)

Warum also schreibt Jesaja, vom Hören, wie ein Jünger hört?

Jesaja hat hier noch ein ideales Bild von einem Jünger vor Augen. Es ist das Bild des wissbegierigen Schülers. Dieses Bild gerät ja nicht erst in den heutigen Tagen ins Wanken. Nein, ein Schüler ist nicht der, der gelangweilt in der Bank sitzt und seine Ohren nur spitzt, um das Klingeln nicht zu verpassen. Der Schüler, der hier gemeint ist, ist jemand, der ein echtes Interesse hat, der dankbar ist, dass er etwas lernen darf und der nicht auch nur ein Wörtchen verpassen will. Solche Ohren hat der Gottesknecht, Ohren denen nichts entgeht. Ohren, die morgens den Weckruf hören, und dann aufmerksam sind. Und genau so ein Zunge hat der, den Jesaja schildert. Die Zunge ist das Organ der Sprache. In manchen Ländern gibt es für Sprache und Zunge nur ein Wort. Diese Zunge ist nicht zu müde, sich zu bewegen. Der Jünger ist nicht maulfaul. Genauso wie er nichts überhören will, nutzt er jede Gelegenheit, mit seinen Mitmenschen ins Gespräch zu kommen. Denn der gelehrige Schüler lernt nicht nur beim Hören, er lernt auch, wenn er selbst spricht, er erfährt, wie sein Wort beim Mitmenschen ankommt. Und er spürt, wenn sein Wort seinem Gegenüber hilft.

Ich muss zugeben, es nicht immer leicht zu zuhören, und im rechten Augenblick die richtigen Worte zu finden. Ich muss mich einlassen auf die andere Lebenswelt dessen, mit dem ich rede. Ich muss auch damit rechnen, dass mein Wort, das ich mit meiner Zunge forme, beim Zuhörer nur Unverständnis weckt. Aber es wäre die falsche Reaktion, nun aufzugeben und den Mund zu halten. Das ist rechte Jüngerschaft und rechter Gehorsam, wenn ich versuche die richtigen Worte zu finden, auch wenn das nicht immer leicht ist. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Jesaja schreibt, was den Gottesknecht aufrecht erhält. Gott hat ihm das Ohr geöffnet, das heißt, er hat ihm die Möglichkeit gegeben, zuzuhören. Und diese Gabe, will er nicht ungenutzt lassen.

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.

Aber die Gabe Gottes zu hören und zu reden, ist nicht nur dafür da, um im Small-talk zu verbleiben, sondern darum, in manchen Situationen zu erkennen, dass wir in solchen Gesprächen auch gefordert sind, zu spüren, was der Andere gerade benötigt. Es geht darum, mit den Müden zu reden, und zwar dann, wenn sie es brauchen.

Der Gottesknecht ist hier geradezu prädestiniert, mit den Müden zu reden, denn er ist Frühaufsteher. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.

Er hat die Kraft von Gott, er ist aufgeweckt im doppelten Sinne und er kann den Müden sein Ohr leihen. Den Lebensmüden spricht er Lebensmut zu, den Traurigen versucht, er etwas Tröstendes zu sagen. Und dieses Tröstende ist nicht nur das ewige „wird schon wieder!". Es ist auch nicht das immer gleiche: „Die Zeit heilt wunden!". Es ist etwas wirklich Tröstendes und nicht nur etwas irgendwie Aufmunterndes. Und wirklich trösten kann nur das, was dem Gottesknecht selbst die Kraft gibt, durchzuhalten. Das was in hart macht gegen Angriffe, aber nicht abhärtet gegen das Leid der Mitmenschen. Es ist der Glaube an Gottes Hilfe.

7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. (...) 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen?

Er vertraut auf die Hilfe Gottes. Die Kraft dazu bekommt er im Vertrauen auf das ewige Leben, das Gott schenkt. Aber dieses Vertrauen gibt ihm auch die Kraft zu glauben und zu bezeugen, dass Gott, der ewiges Leben schaffen kann, auch die Möglichkeit hat, in diesem Leben die Dinge zu ändern, die Menschen traurig und müde machen.

Gott hilft auch schon in diesem Leben. Wer nicht nachlässt im Gebet und sich vertrauensvoll an Gott wendet, der wird auch seine Hilfe erfahren. Es wird nicht immer gleich, ein Blitz vom Himmel herabkommen, der alles sofort ändert. Aber allein, dass Gott einen Menschen dazu bewegt mit mir zu reden, wenn ich müde bin, dass zeigt schon, dass Gott am Werke ist. Das ist es was Bestand hat, der Mensch, der dem anderen ein lebensstärkendes Wort schenkt. Alles andere, was lieblos ist, und gegen die Liebe unter den Menschen zu Felde zieht, das wird untergehen oder zerfallen, wie ein altes Kleid, das den Mottenfraß hat.

Wenn die Menschen, die damals mit den Palmen gewedelt hätten, sich dieses Worte des Jesaja verinnerlicht hätten, dann hätten sie nicht kurz darauf „kreuzige ihn" geschrien. Dann hätten dann wären sie nicht müde geworden, sich zu ihm zu bekennen.

Mit den Müden zu rechter Zeit zu reden", das kann auch der Leitspruch sein für eine Gemeinde, die nicht nur an Festtagen zusammenkommt, sondern gerade dann Gemeinde, also wirkliche Gemeinschaft ist, wenn sie sich um die Hoffnungslosen kümmert. So kann eine Gemeinde entstehen, die geprägt ist von der seelsorglichen Zuwendung zu den Menschen in ihren eigenen Reihen und auch darüber hinaus.

5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Stellen wir uns unserer Verantwortung. Lassen Sie uns die Gaben, die Gott uns gegeben hat, einsetzen, für den Mitmenschen, den Gott an unsere Seite gestellt hat. Und wenn wir selbst ein tröstendes Wort brauchen, dann dieses: 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.

Amen.



Pfarrer Michael Nitzke
Dortmund
E-Mail: michael.nitzke@philippusdo.de

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