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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 09.04.2012

Predigt zu Johannes 20:1-18, verfasst von Marianne Frank Larsen

 

Liebe Gemeinde,

"Wer stirbt, wird umgehend in Vergangenheit verwandelt. Es ist einerlei, wie wichtig ein Mensch war, wie viel Güte und Willensstärke er besessen hat und wie undenkbar das Leben ohne diesen Menschen ist: der Tod greift zu, das Leben ist in Sekundenschnelle ausgelöscht, und der Mensch ist in Vergangenheit verwandelt." Der Junge denkt so in meinem Lieblingsbuch, Himmel und Hölle (von Jón Kalman Stefánsson, deutsch 2009 erschienen),  und er denkt so, als sein bester Freund vor der Küste Islands auf dem eisblauen Meer erfroren ist. Der Freund ist ein Mann, dem man alles erzählen konnte, und er erzählte auch alles. Er war der einzige Halt, den der Junge hatte. Darum ist das Leben ganz einfach undenkbar für ihn ohne diesen Menschen. Aber das ist einerlei für den Tod. In Sekundenschnelle ist der Freund in Vergangenheit verwandelt, kein Herzklopfen mehr, keine Gedanken und Erinnerungen mehr, die wie Blitze in seinem Kopf aufleuchten. Der starke, weiche Körper mit seiner Wärme und seinem Duft ist eiskalt geworden, und alles, was ihn zu dem gemacht hatte, was er war, ist nicht mehr. Und der Junge weint, als Andrea ihm seine Hand auf die Schulter legt und sagt: „Die Tränen lindern und tun gut". Er steht da und antwortet: „Aber sie tun dennoch nicht gut genug. Denn man kann die Tränen nicht auf eine Schnur ziehen und sie dann in die dunkle Tiefe versänken wie ein funkelndes Tau und die, die tot sind, aber leben müssten, heraufziehen".

            Das ist er Grund, warum Maria im heutigen Evangelium weint. Es mag wohl sein, dass die Engel das nicht wissen, aber jeder, der einmal an einem offenen Grab gestanden hat, kennt den Grund genau. Weil der Tod den, den sie liebte, zu Vergangenheit gemacht hat. Der Mann, der ihr alles erzählte und dem sie alles erzählen konnte, ist fort. Sein Blick, sein Körper, seine Stimme, alles was ihn zu dem machte, was er war, ist verschwunden. Und damit auch alles, was sie zu dem gemacht hat, was sie war. Denn solange er lebte, war sie nicht nur irgendeine beliebige Maria, sondern sie war diejenige Maria, für die er Blick, Ohr und Worte hatte, sie war kostbar in seinen Augen. Aber er existiert nicht mehr. Damit ist ihr Leben undenkbar geworden. Wie unser Leben undenkbar wird, wenn wir die Menschen verlieren, die wir nicht entbehren können. Wie der Junge und wir an unseren Gräbern weinen, so weint auch Maria. Und die Tränen lindern und tun gut, aber auch ihre Tränen tun nicht gut genug, denn sie lassen sich nicht auf eine Schnur ziehen und in die Tiefe versänken wie ein funkelndes Tau und den, der tot ist, aber leben müsste, heraufziehen.

            Es ist Ostermorgen, aber in Marias verweinten Augen ist immer noch Karfreitag. Da haben Petrus und Johannes es leichter. Sie sehen in das leere Grab, wo die Leichentücher zusammengefaltet liegen. Sie sehen und glauben - steht da -, und dann gehen sie nach Hause. Maria aber bleibt, und sie sieht gar nichts. Und doch: sie sieht, dass das Grab leer ist, sie sieht Engel in weißen Gewändern, sie sieht obendrein Jesus selbst, aber die Erscheinung bewirkt nichts. Durch die Tränen gesehen ist es ganz selbstverständlich, dass das Grab leer ist, weil die Leiche entfernt worden ist, und der Mann, dem Maria begegnet, kann nur der Gärtner sein. Es ist denn auch nicht die Erscheinung, es ist die Stimme, die ihre Wirklichkeit verwandelt. Es ist die bestimmte geliebte Stimme. Er sagt nicht irgendetwas. Er ruft sie mit ihrem Namen, wie nur er ihn aussprechen kann. Und da wird es Ostermorgen für Maria. Als sie hört, dass sie wiederkannt ist, dass sie nicht mehr irgendeine beliebige Maria ist, da erkennt sie ihn im selben Augenblick. Eine neue Wirklichkeit öffnet sich. Die Wirklichkeit des Ostermorgens. Es ist nicht mehr Karfreitag. Er ist nicht mehr Vergangenheit. Er steht vor ihr von Angesicht zu Angesicht und ist Gegenwart. „Einen Frühlingsmorgen schön" (Den Danske Salmebog  241,5, Grundtvig). In den schönsten Versen dieses Liedes geht die Morgensonne milde aus den funkelnden Tränen in Marias Augen auf (V. 3).

            Matthäus und Markus und Lukas stimmen darin überein, dass Jesus in ein Grab gelegt wurde, das in den Fels gehauen war. Johannes aber fügt noch etwas hinzu. An diesem Ort war ein Garten, sagt er als einziger von den Evangelisten, und ich denke, das ist kein Zufall. Ein Grab, das in den Fels gehauen ist. Das klingt genauso unfruchtbar und hart wie die nackten Tatsachen. Ein Garten dagegen: das ist ein Wort, das wir mit Fruchtbarkeit, Schönheit, Farben, Drosseln, Schwalben, neuem Leben verbinden, das beginnt, wenn der Frost uns loslässt. Mit diesem Wort legt Johannes eine Spur, einen kleinen Funken von Hoffnung mitten im Untergang und Grauen des Karfreitags. Als Maria den Auferstandenen wiedererkannt, entfaltet sich das Bild. Sie steht auf dem Friedhof. Es ist der Garten der Toten. Ihr gegenüber aber steht der Tote, der lebendig geworden ist, und nennt sie beim Namen. Er ist nicht Vergangenheit. Der Tod ist Vergangenheit. So gesehen befinden wir uns im Garten des Paradieses. An dem Ort, wo neues Leben fortgesetzt beginnt. So gesehen ist er tatsächlich der Gärtner.

            Marias erster Gedanke ist, ihn zu umarmen, was denn sonst? Seine Zurückweisung klingt schroff, ist es jedoch nicht. Denn Maria soll lernen, dass er nicht mehr der bestimmte Mensch aus Fleisch und Blut ist, dem sie gefolgt ist. Sein Tod und seine Auferstehung liegen zwischen Ihm und Maria. Die haben ihr Verhältnis verändert. Er ist nicht mehr der Jesus, der seinen Platz auf der Erde hat, sondern der auferstandene Christus. Er gehört zu seinem Vater im Himmel. Und aus dem Grunde verschwindet er nicht. Darum nennt er Maria, die Jünger und uns andere seine Brüder und Schwestern, und seinen Vater im Himmel nennt er unsern Vater. Wenn er also als unser Bruder im Himmel ist, dann ist er überall, wo Maria und wir anderen hinkommen. Genauso nah ist er bei ihr, wie er war, als er auf Erden lebte, nun aber unsichtbar, und doch wahrnehmbar. Er kann mit seinen Worten gehört und erkannt werden, wie Maria ihn am ersten Ostermorgen gehört und erkannt hat. Sie soll ihn nicht mehr mit ihren Armen umarmen. Sie soll ihn und alles, was er sagt und ist, mit ihrem Herzen, mit ihrem Glauben umarmen. Mit dem Klang seiner Stimme im Herzen und mit seinen Worten auf ihren Lippen soll Maria den Garten verlassen, in die Stadt gehen und auf die neue Wirklichkeit alle hinweisen die, die suchen. Der Tote ist von den Toten auferstanden. Er ist Gegenwart geworden. Der Tod Vergangenheit ist geworden ist. Der Tod soll nicht mehr in Sekundenschnelle Menschen in Vergangenheit verwandeln können.

            Das tut er dennoch. Wenn es jemanden gibt, den wir lieb haben, dann werden an unseren Gräbern stehen wie der Junge in dem Roman und Maria im Evangelium, und wir werden merken, dass die Tränen gut tun. Aber sie tun nicht gut genug. Sie sind nicht wie funkelnde Taue, die die Menschen heraufziehen können, die leben müssten. Das aber kann ein Anderer. Wir stehen nicht allein am Grab. Bei uns steht er, der den Tod zu Vergangenheit gemacht hat. Wir können ihn nicht sehen. Genauso wenig wie Maria haben wir Freude an dem, was wir sehen, wenn wir auf dem Friedhof stehen. Aber wir können ihn hören. Und darum gehen wir in die Kirche. Um durch die vielen Worte hindurch ihn zu hören, wie er sich unseren Bruder nennt, wie er seinen Vater Vater nennt, wie er uns beim Namen nennt. Er ruft uns mit unserem Namen, mit dem wir genannt wurden, als wir  getauft wurden. Darum können wir darauf vertrauen, dass wir nicht irgendwer sind, sondern die bestimmten Menschen, für die er Augen und Ohren und Worte hat. Ja, wir sind kostbar in seinen Augen.

             Wir haben keine Freude an dem, was wir sehen, habe ich gesagt, aber das stimmt natürlich nicht. Mit dem Ton seiner Stimme im Sinn können wir möglicherweise sehen, was wir vorher nicht gesehen haben. Wir können sehen, dass der Friedhof Farben bekommt, wenn der Frost uns wieder loslässt. Zartgrüne Triebe auf Beeten und in Hecken, blaue Stiefmütterchen, gelbe Osterglocken - Schönheit, Fruchtbarkeit neues keimendes Leben beginnt. Und der Gesang der Lerchen. Es ist der Garten der Toten, aber er spiegelt die Hoffnung wider, die der Auferstandene in Maria am ersten Ostermorgen geweckt hat. Er lässt uns einen Blick werfen in den Garten, in dem er uns das Ende der Geschichte verheißt. Im Bunde mit diesem besonderen Gärtner wird unsere Wirklichkeit eine andere. Auf uns warten nicht nur Verlust und Tränen und Eiseskälte im Leib. Vor uns liegt als der äußerster Horizont ein Morgen voller Sonnenschein in dem Garten, in dem der Tod Vergangenheit wird und in dem wir die bestimmten, geliebten Stimmen wieder hören werden. Seine und die unsrigen.

Amen

 



Pastorin Marianne Frank Larsen
Taulov, DK-7000 Fredericia
E-Mail: mfl@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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