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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 17.06.2012

Predigt zu 1. Korinther 14:1-3,20-25, verfasst von Martin Dutzmann

 

Liebe Gemeinde,

ein bisschen paradox ist es ja schon. Da ermahnt der Apostel Paulus die Korinther, in ihren Gottesdiensten nur ja verständlich von Gott zu reden. Wenn bei den Zusammenkünften der jungen Gemeinde einer von Gott spricht, sollen es alle anderen verstehen können. Paulus selbst drückt sich allerdings so aus, dass wir Mühe haben zu begreifen, was er eigentlich will. Die Korinther werden ihn unmittelbar verstanden haben, wir heute lebenden Christen müssen einige Augenblicke darüber nachdenken. Deshalb ein paar kurze Vorbemerkungen.

Paulus unterscheidet in seinen mahnenden Worten an die Korinther zwei Weisen von Gott zu reden: die Zungenrede und das prophetische Reden. Woran haben wir bei dem einen und woran bei dem anderen zu denken?

Zungenrede gab es nicht nur in den ersten christlichen Gemeinden. Es gab sie auch bei den Juden und in anderen Religionen. In bestimmten christlichen Kirchen - wir nennen sie „charismatisch" - reden Menschen auch heute noch in Zungen. Sie tun das, wenn sie vom Geist Gottes überwältigt sind. So überwältigt, dass sie sich nicht mehr verständlich machen können sondern nur unartikulierte Laute oder Satzfetzen hervorbringen. Tatsächlich ist ja Gott so groß und tatsächlich tut er so große Dinge an uns, dass es uns die Sprache verschlagen kann. Deshalb verurteilt Paulus die Zungenrede nicht. Im Gegenteil: Er zählt sie - ebenfalls im ersten Brief an die Korinther - zu den Gaben, die der Heilige Geist in seine Gemeinde gelegt hat. Möglicherweise auch in unsere. Wichtiger aber als die Zungenrede ist dem Apostel die prophetische Rede. Sie soll in der Gemeinde und besonders im Gottesdienst möglichst oft zu hören sein. Dabei denkt Paulus nicht daran, dass Gemeindeglieder im Gottesdienst den anderen die Zukunft vorhersagen. Das war schon bei den Propheten im alten Israel nicht so. Propheten hatten - und haben! - vielmehr einen besonderen Sinn für das, was gerade jetzt im Namen Gottes zu sagen ist. Das kann ein aufbauendes Wort sein wie dieses: „Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein." So tröstet ein Prophet das Volk Israel, als es aus seinem Land vertrieben worden ist und an Gottes Liebe und Treue zweifelt. Seine Worte finden sich im hinteren Teil des Jesajabuches. Ein anderer Prophet, Amos, schlägt andere, scharfe Töne an, weil es zu seiner Zeit in Israel ungerecht zugeht und er dadurch Gottes Willen missachtet sieht: „Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. (...) Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

Prophetisch sollen die Korinther und sollen wir also von Gott reden. Auch diese Gabe hat der Geist Gottes in seine Gemeinde gelegt. Eine prophetische Rede ist daran zu erkennen, dass jeder sie verstehen kann. Sie soll ja etwas bewirken. Deshalb kann man die Mahnung des Paulus an die Korinther und an uns so auf den Punkt bringen: „Redet um Gottes, der Menschen und der Welt willen verständlich von Gott!"

I

Redet verständlich von Gott - um Gottes willen. In der Bibel heißt es an einer Stelle: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen." Allen Menschen soll geholfen werden. Alle Menschen sollen die Wahrheit erkennen. Dieser Wille Gottes zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel. Schon im 1. Buch Mose lesen wir davon. Da ruft Gott Abraham in seine Nachfolge und verspricht ihm: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden." Auch im Neuen Testament wird das Wort „alle" vielfach betont: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Das ist der Leitvers für das Weihnachtsfest. Oder der Wochenspruch für diese Woche: „Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken."

Gott will, dass allen Menschen geholfen werde. Weniger als alle, das gibt es bei Gott nicht. Gott ist nämlich die Liebe. Er ist - wie Martin Luther es einmal gesagt hat - „wie ein glühender Backofen voller Liebe". Gott erträgt es nicht, dass auch nur ein einziges seiner Menschenkinder verloren geht. Es zerreißt ihm das Herz, wenn auch nur ein einziger Mensch mühselig und beladen ist. Das sollen wir wissen. Das sollen alle wissen. Das müssen alle wissen. Alle müssen wissen, dass Gott die Liebe ist, die niemanden übersieht. Deshalb muss so von Gott geredet werden, dass alle es verstehen können. Eine geheimnisvolle Rede oder eine Rätselrede ist keine Rede von Gott. Jedenfalls ist darin nicht die Rede von dem Gott, den uns die Bibel bezeugt.

II

Redet verständlich von Gott - um eurer Glaubensgeschwister willen. Wer prophetisch und damit verständlich vom Glauben redet, tut etwas für die anderen Gemeindeglieder. Das macht Paulus den Korinthern eindringlich klar, wenn er schreibt: „Wer ...prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung."

Wer verständlich von Gott redet, der baut andere Menschen auf. Denn alle verstehen dann: Gott ist die Liebe. Er liebt auch mich ohne Wenn und Aber. Ich bin sein kostbares Geschöpf, begabt mit einer Würde, die mir kein Mensch nehmen kann. Und selbst wenn ich in die Irre gegangen bin, ruht Gott nicht, bis er mich gefunden hat. Auf diesem Fundament kann ich mein Leben aufbauen. Auf diesem Grund kann ich erhobenen Hauptes mutig meinen Weg gehen.

Wer verständlich von Gott redet, der ermahnt andere Menschen. Denn alle verstehen dann: Gott ist die Liebe. Aber er ist die Liebe nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen Menschen. Deshalb habe ich darauf zu achten, ob alle Menschen Gottes Liebe auch spüren können. Das können sie nicht, wenn ihnen das Nötigste zum Leben fehlt. Wenn sie ungerecht behandelt werden, wie das täglich in vielen Ländern der Erde geschieht. Wenn sie im Krieg sind oder auf der Flucht. Deshalb werde ich mich dafür interessieren, wie die Menschen leben. Auch die in anderen Ländern und Erdteilen. Und ich werde alles tun, damit die Mühseligen und Beladenen unterstützt und erquickt werden.

Wer verständlich von Gott redet, der tröstet andere Menschen. Denn alle verstehen dann: Gott ist die Liebe. Und diese Liebe ist größer als alles, was uns in dieser Welt Angst macht. Angst macht uns vor allem der Tod. Der eigene Tod und der Tod von Menschen, die uns nahe sind. Dass wir selbst sterben müssen, macht uns traurig. Die meisten von uns leben ja gern und hängen am Leben. Dass wir sterben müssen, bringt uns zugleich ins Fragen und Zweifeln: Bin ich mit meinem endlichen, begrenzten Leben auf dem richtigen Weg? Werde ich einmal sagen können, dass ich ein erfülltes Leben gelebt habe? Auch der Tod anderer macht uns traurig und unsicher. Wenn wir einen nahen Angehörigen oder Freund verlieren, fragen wir: Wie soll ich ohne ihn oder ohne sie weiterleben? Aber nun begreife ich, dass Gott die Liebe ist. Und ich verstehe, dass diese Liebe noch stärker ist als der Tod, der mir solche Angst macht. Dass Gott den Tod überwunden hat. Wenn das kein Trost ist!

Wir sollen also, was in Gottes Namen zu sagen ist, so sagen, dass alle es verstehen können, denn: „Wer ...prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung."

III

Redet verständlich von Gott - um der Welt willen. Im Mai 1934 versammelte sich in Barmen im Bergischen Land die Synode der Bekennenden Kirche. Die Synodalen redeten prophetisch. Im Namen Gottes wiesen sie mit ihrer Theologischen Erklärung die Übergriffe des totalitären Hitlerstaates auf die Kirche zurück. Die letzte der sechs Thesen dieser Erklärung schärft ein, dass die Kirche nicht für sich selbst existieren darf sondern an die Welt gewiesen ist: „Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk..." An alles Volk. Das bedeutet: Die Botschaft muss verständlich ausgerichtet werden. Auch jene, die nichts vom Evangelium wissen, müssen begreifen können, worum es geht. Besser noch: Sie sollen von der Verkündigung ergriffen werden und ihre Lebensweise im Licht des Willens Gottes überprüfen. Wie schreibt doch Paulus an die Korinther? „Wenn sie aber alle prophetisch redeten (und das bedeutet: verständlich von Gott redeten) und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, ...so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist."

Liebe Gemeinde, wir sollen also verständlich von Gott reden - um Gottes willen, um unserer Glaubensgeschwister willen, um der Welt willen. Vielleicht fragen Sie sich schon die ganze Zeit, warum das ausgerechnet Ihnen, den Gemeindegliedern, heute Morgen so eindringlich gepredigt wird. Gehört diese Mahnung nicht viel eher dort hin, wo die professionellen Verkündiger des Evangeliums ausgebildet werden: an die Universitäten, an die Predigerseminare und an die Ausbildungsstätten für die Prädikantinnen und Prädikanten? Dort sollen künftige Predigerinnen und Prediger lernen so von Gott zu reden, dass Sie, die Gemeindeglieder es verstehen können. Einerseits stimmt das. In der theologischen Ausbildung muss tatsächlich großer Wert darauf gelegt werden, dass die Auszubildenden verständlich von Gott reden. Andererseits ist aber zu bedenken, was Paulus den Korinthern schreibt. Prophetisch und somit verständlich von Gott reden zu können, so der Apostel, ist nicht nur das Ergebnis einer theologischen Ausbildung. Vielleicht ist es das nicht einmal in erster Linie. Prophetisch und also verständlich von Gott zu reden ist zuerst und vor allem eine Gabe, die der Heilige Geist in seine Gemeinde gelegt hat. Eine Gnadengabe Gottes. Dann aber ist jede und jeder von uns gefragt: Habe ich diese Gabe? Bin ich mit der Fähigkeit ausgestattet, so von Gott zu reden, dass andere es verstehen? Habe ich das überhaupt schon einmal ausprobiert? Bei meinen Kindern vielleicht oder im vertrauten Kreis in der Gemeinde? Und wenn ich diese Gabe in mir entdecke - kann ich sie dann vielleicht weiterentwickeln? Kann ich an einem Glaubenskurs teilnehmen, wie sie jetzt in vielen Gemeinden angeboten werden? Das würde mein Wissen über den Glauben vertiefen. Oder kommt für mich sogar eine Ausbildung zur Prädikantin bzw. zum Prädikanten in Frage? Letztlich geht es bei allen diesen Fragen um das Eine: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen." Dabei lässt Gott sich helfen, und zwar von uns. Amen.

 



Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann
32756 Detmold
E-Mail: dutzmann@web.de

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