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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 07.10.2012

Predigt zu 1. Timotheus 4:4-6, verfasst von Georg Freuling

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen. 

Liebe Gemeinde

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und Gebet.“

 Das liebe Gemeinde, ist der Predigttext für diesen Erntedankgottesdienst. Er steht im 1 Tim 4,4+5. Weil es so schnell ging, lese ich die beiden Verse direkt noch einmal: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und Gebet.“

Das ist kurz, knapp - und irgendwie passend. Passend zum Gottesdienst heute: Erntedank. Wer hinhört, findet genau das, was er an und für diesen Tag erwartet:

Gottes Schöpfung ist gut. Und wir Menschen dürfen ihre Gaben genießen. Eine Mahnung steckt auch noch drin: Wir sollen nur das Beten vorher nicht vergessen! Na gut – daran lässt sich denken. Das kann zur Gewohnheit werden wie das Händewaschen: „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür...“ Und dann – guten Appetit!?

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut...“ „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt o Gott von dir, wir danken dir dafür.“ Ist all das wirklich so einfach? Dieses „alles“ drängt mich, aufs Ganze zu gehen, „alles“ in den Blick zu nehmen: Uns Menschen, Gott und seine Schöpfung. Und prompt stoße ich auf Fragen. Ich stolpere ich Schwierigkeiten, die mich dazu drängen unser dieses Tischgebet umzuformulieren.

Denn müssten wir unser Tischgebet nicht verändern, wenn wir ganz ehrlich sind? Eigentlich müsste unser Tischgebet hierzulande so lauten: „Alle guten Gaben, a lles,was wir haben, macht uns dick und rund, das ist nicht gesund!“

Was für einen Lebensstil leisten wir uns eigentlich? Manchmal habe ich den Eindruck: Wir stopfen uns den Bauch voll – bis zum Überdruss. „All you can eat.“ Oder mit den Worten des Tischgebetes: „Alle guten Gaben – her damit!!!“

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes ist jeder zweite Erwachsene in Deutschland übergewichtig. Damit ist unser Land nicht nur in Sachen Wirtschaft ein Schwergewicht in Europa. Besonders nachdenklich stimmen sollte: Das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen nimmt drastisch zu – „Generation XXL“ heißt es schon. Die Ursachen sind zu wenig Bewegung, zu unausgewogene Ernährung, zu viel Frust und Langeweile, die schon Kinder und Jugendliche mit sich selbst ausmachen müssen und dann in sich hineinfressen.

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut...“ Ja, aber es muss doch nicht alles auf einmal sein! Diese einfache Einsicht gilt für mich nicht nur fürs Essen, denn damit begnügt die „All you can eat-Mentalität“ sich nicht. Es muss immer mehr sein -  in jeder Hinsicht. Und ohne Rücksicht darauf, ob die Menschen, die es herstellen, von ihrer Arbeit leben können oder ob die Umwelt dabei ruiniert wird.

Darin liegt für mich ein trauriger Irrtum: Unser Leben hat seinen Sinn nicht darin, dass wir fressen – auch wenn Genießen unbestritten etwas Schönes ist, aber eben etwas ganz anderes! Unser Leben bekommt ebenso wenig seinen Wert durch das, was wir haben – sei es Auto, Smartphone oder Spielkonsole. Es kommt nicht auf das an, was wir uns leisten können. Wer sich diese Einsicht nicht leistet, ist aus meiner Sicht wirklich arm dran!

Und umgekehrt: wer darum weiß, dass alles auf einmal nicht geht und auch nicht sein muss, kann zufrieden sein. Wer sich mit dem begnügen kann, was er hat, der kann sich daran freuen. Genau darum geht es, wenn wir Gott danken: Dann werden wir solche Menschen, die darum wissen, dass sie sich mit allem, was sie sind und haben, nicht sich selbst verdanken, sondern Gott: „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür.“

So weit, so gut – aber prompt stoße ich auf die nächste Frage und dann müsste unser Tischgebet hierzulande so lauten: „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, spachteln wir schnell rein, ganz oft auch allein.“

Auch damit provoziere ich ganz bewusst. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme - und das sehen die meisten so. Wenigstens wünschen sich die meisten Familien gemeinsame Mahlzeiten.

Gemeinsam essen – das ist etwas, was uns Menschen miteinander verbindet. Gemeinsam essen – das ist sogar etwas, was uns Menschen ausmacht; Tiere kennen das nicht, die streiten sich nur ums Futter. Aber obwohl es sich die meisten anders wünschen: die gemeinsame Mahlzeit ist auf dem Rückzug. Die Arbeitswelt hat sich verändert.

Familiensituationen auch. Da kommt es vor, dass man nicht mehr zusammen am Tisch sitzt. Wer heimkommt und Hunger hat, stellt sich gerade etwas in die Mikrowelle. Oder isst unterwegs etwas – alleine. Gerade mal. Soziologen nennen das „Verzehrsituation,“ um es von der „Mahlzeit“ zu unterscheiden!

Jede und jeder kann nun im Rahmen der jeweiligen „Verzehrsituation“ sicherlich sein Dankgebet sprechen: „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür.“ Aber passt das wirklich? Schließlich heißt es hier: „wir danken dir dafür!“ Ich denke: Das ist kein Zufall. Beim Tischgebet geht es auch um Gemeinschaft, es ist ein Ritual, das Gemeinschaft stärkt. Wie das gemeinsame Essen im Anschluss.

Unsere Gemeinschaft als Christinnen und Christen  - die feiern wir übrigens ausgerechnet, indem wir miteinander essen – beim Abendmahl. Essen hat etwas mit Gemeinschaft zu tun. Eine Mahlzeit verbindet Menschen, wenn der eine dem anderen etwas anreicht, wenn Essen geteilt wird. Diesem Gedanken möchte ich noch nachgehen, ich möchte da noch einen Schritt weiter gehen:

Stellen Sie sich einen Esstisch vor, auf den Menschen verschiedener Länder, arme und reiche Menschen ihre Mahlzeiten gestellt haben: ein Schälchen Reis auf der einen Seite, ein großer Teller mit Schnitzel, Kroketten und Gemüse auf der anderen Seite, dazwischen ein leerer Blechtopf. Das ist die Situation an der globalen Tafel: Die einen essen sich krank, die anderen verhungern. Und das ist ein Skandal!

Wenn ich vor der Mahlzeit bete, dann verpflichtet mich das, nicht nur mit denen zu teilen, die mit mir am Tisch sitzen. Im Tischgebet wird mir der Fernste zum Nächsten, weil ich mich daran erinnere: Was ich habe, verdanke ich nicht mir selbst, das ist mir geschenkt. Und wer beschenkt ist, kann auch teilen.

 

Auch wenn das jeder einsieht – vielleicht müsste unser Tischgebet hierzulande trotzdem noch anders lauten. Ich stoße auf eine letzte Frage – und die klingt so mit an: „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, steckt von Gift und Dreck, dass es nicht mehr schmeckt.“

Ich denke: Auch da liegt ein Problem, wenn ich mich dem Predigttext stelle. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut...“ Aber dann kamen wir Menschen!

Ist da wirklich noch alles gut? Sind die Pilze nicht verstrahlt, die Tomate genmanipuliert? Stecken im Salat auch wirklich keine Keime? Ist das Schnitzel nicht voll Antibiotika gepumpt?

Auch wenn Gott alles gut geschaffen hat, wir Menschen gehen nicht gerade gut damit um. Da liegt für mich eine bittere Wahrheit, wenn wir das Erntedankfest feiern. Generationen vor uns waren froh, wenn die Ernte genug eingebracht hatte, wenn man entspannt dem Winter entgegen gehen konnte. Wir machen uns Sorgen, wie gesund unser Essen ist, ob wir es ohne Bedenken essen können. Manchmal wünsche ich mir da mehr Besonnenheit,weniger Hysterie. Realistisch gesehen leben wir nicht so ungesund, dass uns unser Essen direkt umbringt. Ich frage mich auch manchmal, ob alles, wo „Bio“ draufsteht, auch wirklich gut für uns und unsere Umwelt ist. Bei den „Bio“ Frühkartoffeln aus Ägypten im Frühjahr leuchtet es mir zum Beispiel nicht ein.

Ich möchte die Probleme nicht kleinreden, nur Besonnenheit – etwas Besonnenheit täte gut. Und ich denke: Genau das liegt im Sinne des 1 Tim. Der richtet sich an Menschen, die der Welt mit ganz viel Misstrauen begegnen, die hinter allem und jeden, was ihnen auf dieser schönen Erde begegnet, böse Geister und Dämonen sehen. Manchmal frage mich, ob es diese Geister und Dämonen heute auch noch gibt: Für uns sind es die möglichen Zusatzstoffe im Essen, die Giftrückstände in den Textilien, die Abgase in der Luft, die wir atmen. Vielleicht sollten wir uns lieber stattdessen sorgen, wie wir diesen schönen Stern unseren Kindern hinterlassen. Diese Sorge halte ich für realistischer. Und weniger egoistisch ist sie außerdem. 

 

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut...“ antwortet unser Predigttext auf solche Ängste. Bei allen Schwierigkeiten, die es gibt: Ja, Gottes Schöpfung ist gut. Und wir Menschen dürfen uns dran freuen. Wenn ich dieser Welt so begegne, als Schöpfung, als Geschenk Gottes, dann drängt mich das auch, zu fragen: Wie können wir Menschen das bewahren, vernünftig damit umgehen? Nicht aus schlechtem Gewissen heraus oder weil es politisch korrekt ist, sondern schlicht aus er Freude über das, was Gott uns anvertraut hat.

Für eine solche Haltung, für einen solchen Lebensstil werben die Worte des Predigttextes heute: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und Gebet.“

Ja: Gottes Schöpfung ist gut. Und wir Menschen dürfen uns an ihren Gaben freuen, sie genießen. So gut meint es Gott mit uns. Erntedank – das bedeutet dann: Wir Menschen stellen uns dem, freuen uns daran! Wir danken Gott. Nicht nur heute, sondern mit jedem Tischgebet. Doch eines sollten wir dabei nicht vergessen: solch ein Dankgebet verpflichtet. Zum Handeln!

Amen.

 

 

 



Pfarrer Dr. Georg Freuling
Lahr
E-Mail: georg.freuling@web.de

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