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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 21.11.2012

Predigt zu Offenbarung 3:14-22, verfasst von Rudolf Rengstorf

 

Schreibe diesen Brief dem Engel der Gemeinde in Laodizea. Das ist die Botschaft dessen, der das Amen ist - der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 

Ich weiß alles, was du tust und dass du weder heiß noch kalt bist. Ich wünschte, du wärest entweder das eine oder das andere! 

Aber da du wie lauwarmes Wasser bist, werde ich dich aus meinem Mund ausspucken! 

Du sagst: »Ich bin reich. Ich habe alles, was ich will. Ich brauche nichts!« Und du merkst nicht, dass du erbärmlich und bemitleidenswert und arm und blind und nackt bist. 

Ich rate dir, von mir Gold zu kaufen, das im Feuer gereinigt wurde. Dann wirst du reich sein. Und kaufe auch weiße Kleider, damit du dich bekleiden kannst und dich wegen deiner Nacktheit nicht schämen musst. Und kaufe Salbe für deine Augen, damit du sehen kannst. 

Wen ich liebe, den weise ich zurecht und erziehe ihn streng. Bleibe nicht gleichgültig, sondern kehre um! 

Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand mich rufen hört und die Tür öffnet, werde ich eintreten, und wir werden miteinander essen. 

Ich werde jeden, der siegreich ist, einladen, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, so wie ich siegreich war und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe 

Wer bereit ist zu hören, der höre auf das, was der Geist den Gemeinden sagt!«  Offenbarung 3,14-22

 

Liebe Gemeinde!

Heiß oder kalt - ja oder nein - lauwarm dürfen wir niemals sein! So haben wir als Pfadfinder gesungen. Und auch wenn ich nach Jahrzehnten gelernt habe, dass das nicht geht mit dem Kopf durch die Wand, dass ich nicht darum herumkomme, Kompromisse zu suchen zwischen dem, was ich mit heißem Herzen will, und den kalten Fakten und Gegebenheiten - bis dahin, dass ich in unterschiedlichen Positionen geradezu verpflichtet bin, zu vermitteln, zu beschwichtigen, zu temperieren und die Kunst der vorsichtigen und behutsmanen Rede zu üben und damit so manchen Heißsporn zu enttäuschen: Lau und lasch, Softie oder Weichei möchte ich dennoch nicht sein. Und ich bin sicher, Ihnen geht es nicht anders. Und eine solche Kirche wollen wir natürlich auch nicht. Genausowenig übrigens wie die Gemeinde im kleinasiatischen Laodicea im ausgehenden ersten Jahrhundert nach Christus. An die ist dieses Schreiben aus der Offenbarung des Johannes ja gerichtet.

Das einzige, was bei uns lauwarm ist, hätten die damals gesagt, sind die Heilquellen, die in der uns gegenüberliegenden Stadt Hierapolis heiß aus dem Boden schießen und bei uns nur noch lauwarm ankommen. Wer die hier trinkt, dem wird speiübel. Aber sonst sind wir eine Stadt und eine Gemeinde zum Vorzeigen.

Der Wohlstand unserer Stadt - so hieß es in Laodicea - beruht auf der Tüchtigkeit seiner Bürger. So haben wir uns, als wir vor einigen Jahren von einem verheerenden Erdbeben getroffen wurden, nicht in Selbstmitleid geübt, haben, nicht nach allen Seiten hin die Hände aufgehalten. Tatkräftig haben wir angefasst, haben statt Zuschüsse in Anspruch zu nehmen, unsere stillen Reserven investiert und aus eigener Kraft alles wieder aufgebaut - schöner als je zuvor. Unsere Textilindustrie boomt, und unsere pharmazeutischen Erzeugnisse, besonders unsere Augensalbe, ist in der ganzen Welt bekannt.

Und uns, der christlichen Gemeinde, ist es binnen weniger Jahrzehnte gelungen, nicht nur Fuß zu fassen, sondern ein geachteter Bestandteil dieser Stadt zu werden. Und wenn wir die Leute fragen, was sie von uns halten und von uns erwarten, bekommen wir zu hören: Gut macht ihr eure Sache. Ihr passt hierher. Ihr kommt an bei den Leuten

Womit in aller Welt - so haben die Christen in Laodicea damals gewiss gefragt - womit haben wir das verdient, dass uns vorgeworfen wird, wir seien lauwarm wie ein Brechmittel und Christus werde im Blick auf uns genauso übel wie uns, wenn wir das lauwarme Wasser aus Hierapolis trinken?

Der Grund für diesen Vorwurf springt nicht ins Auge, wird erst beim zweiten Hinsehen deutlich. Denn es geht nicht darum, dass die Gemeinde nicht genug getan, zu wenig Engagement gezeigt hätte, die Amtsträger zu träge und einfallslos und die Gemeindeglieder zu passiv, zu sehr der Erwartungshaltung verhaftet gewesen wären. Im Gegenteil, es geht darum, dass die Gemeinde in Laodicea prächtig zurechtkommt - so prächtig, dass sie ihren

Herrn dabei draußen vor gelassen hat. Es geht darum, dass die Gemeinde drinnen ist - drinnen in der Stadt, etabliert und profiliert, drinnen in ihren gut besuchten Gottesdiensten und vielbeachteten Aktionen und Projekten - und Christus draußen ist. Das widert ihn an, dass sie ihn im Munde führen, von ihm selbst aber nichts zu spüren ist: nichts davon, dass er durchs Feuer des Leidens gegangen ist und die Leidenden sich um ihn versammeln, um an seinem Sieg teilzuhabenn; nichts davon, dass er arm und bloßgestellt war und die Armen und Bloßgestellten in dieser Gemeinde zu Ehren kommen; nichts davon, dass die Gemeinde ein besonderes Augenmerk hat für die Kranken und die Behinderten. Denn ihre Rechen- und Wertmaßstäbe nehmen sie von dem, was sie selbst für richtig halten und womit sie bei den Leuten ankommen. Eine christliche Gemeinde ohne Christus, - das - so steht es hier in aller

Deutlichkeit - findet Christus zum Kotzen.

Und was hat das mit uns zu tun?

Nun, von Selbstgefälligkeit sind wir heute doch weit entfernt. Wir sagen ja nicht wie die Gemeinde in Laodicea: Bei uns ist alles in Ordnung, und wir brauchen nichts. Nein, uns ist bewusst, dass mit unserem Christentum kein Staat zu machen ist und wir ein eher

kümmerliches Bild abgeben. Wir üben doch ständig Selbstkritik und bitten unsere "Kunden", uns zu sagen, was sie an uns auszusetzen haben, was sie bei uns vermissen. So wurden am Reformationstag die Passanten vor einer Innenstadtkirche aufgefordert, wie Luterh ihre Kritik an der Kirche in Thesen an die Kirchentür zu schlagen. Die unbewegliche und autoritäre Amtskirche hat ordentlich was abgekriegt. Flottere Musik wurde gefordert, mehr Diskussion, aber bitte auch weniger Politik, und die Jugend muss besser angesprochen werden, und Schluss mit den weltfremden Predigten und bitte wieder mehr Einkehr und Besinnung...

Doch Augenblick mal: Haben wir vergessen, dass Luthers berühmte Thesen nicht aus dem

bestanden, was seine Zeitgenossen an der Kirche auszusetzen hatten. Allein darum ist es ihm gegangen, Christus in seiner Kirche wieder Herr sein zu lassen und umzukehren zu ihm. Sind wir demgegenüber mit unserer Kritikoffenheit, unserer Bußfertigkeit nicht bei uns und unseren Kritikern geblieben? Und haben Christus draußen vor gelassen? Müsste man von Christen nicht erwarten, dass sie die Frage nach dem, was sie falsch machen, zuerst an ihren Herrn selber richten? Und zwar an einen Herrn, der uns nicht mit Forderungen ins Haus fällt, sondern der uns etwas zu bieten hat:

 

 

Unansehnlichkeiten überstrahlt. Wo ist in unseren Gemeinden etwas davon zu spüren, dass es die Rechfertigung des Sünders allein aus Gnade ist, mit der die Kirche steht und fällt? - Warum führen wir nicht Anlässe ein, zu denen die Gottesdienstbesucher alle in Weiß erscheinen - als ein Zeichen dafür, wie wir vor Gott dastehen? Anlässe an denen die Freude für einander - und nicht nur für die eigene Gruppe - im Vordergrund steht und alles überstrahtl, was wir aneiner auszusetzen haben?

 

 

In Laodicea hat man mit Sicherheit die Eucharistie bzw. das Abendmahl gefeiert, Und dennoch musste die Gemeinde sich von Christus sagen lassen: Bei euren Feiern stehe ich, den ihr mit eurer Liturgie und euren dogmatisch richtigen Formeln fest unter euch zu haben glaubt, da stehe ich draußen vor der Tür und warte drauf, dass ihr mich hereinlasst. Können wir heute sicher sein, dass er auf das Herrenmahl mit uns nicht auch vor der Tür wartet?

Er schenke uns Ohren, die ihn hören, und Herzen, die ihn haben wollen. Amen.

 



Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf
31141 Hildesheim
E-Mail: Rudolf.Rengstorf@online.de

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