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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2012

Predigt zu Johannes 7:28-29, verfasst von Sven Evers

 

Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin.

Vorbemerkung:

Christvesper. Weihnachtliche Gemütlichkeit. Der Gottesdienstbesuch gehört irgendwie dazu. Er möge den Vorstellungen der Besucherinnen und Besucher von einem schönen Heiligen Abend doch bitte nicht widersprechen. Und dann solch ein Text. Ein Abschnitt aus Jesu Rede auf dem Laubhüttenfest. Wie das eine mit dem anderen verbinden: die Erwartungen der Besucherinnern und Besucher, die Stimmung der Weihnachtsgeschichte. Die Krippe. Die Lieder. - Und dann die so tiefen wie kurzen Worte des Predigttextes? Ich möchte nicht predigen über den Einbruch der Transzendenz in die Immanenz. Ich möchte nicht erzählen von der Fleischwerdung des göttlichen Logos. Ich möchte nicht den V. 29 des Predigttextes predigen. Nicht, weil ich ihn für unwichtig halte, ganz gewiß nicht. Aber weil ich glaube, daß diese ganz kleine, im Anfang des Predigtabschnittes beschlossene Frage: Wer bin ich? nicht nur leichter mit der Situation der Christvesper zu vermitteln ist, sondern weil ich schon diese Frage mehr als reich und reizvoll finde. Wer ist Jesus? Gerade - wenn auch ganz sicher nur nur - zu Weihnachten stellt sich diese Frage in besonderer Form. Wer ist dieser Jesus, der Verkehrsstaus und volle Kassen verursacht für all jene, die am Heiligen Abend Gottesdienst feiern? Ich habe Petrus, Maria und - indirekter - Lukas antworten lassen. Ich hätte Herrn Müller und/oder Frau Meier ergänzen können. Oder vielleicht auch den Konfirmanden Fritz oder die Kindergottesdienstbesucherin Erika. Ich hätte auch von mir selber erzählen können. Die/der Prediger/in möge ergänzen, wen oder was sie/er für sinnvoll und in der Situation der Predigt angemessen hält. Die Predigt ist weniger eine Predigt als vielmehr Anregung für eine solche, die fortgeschrieben werden will. Enden würde ich aber wohl immer mit der Eingangsfrage bzw. mit dem Predigttext: Ihr wisst, wer ich bin. Weiß Du, wer ich bin?

Allein schon das ernsthafte Stellen dieser Frage ist ja vielleicht nicht das wenigste, das eine Predigt am Heiligen Abend anzustoßen vermag.

 

Johannes 7, 28-29

28 Jesus sprach zu ihnen: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt.
29 Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Ihr kennt mich und wißt, woher ich bin. Sagt Jesus zu seinen Jüngern. Zu denen von damals und irgendwie heute Abend ja auch zu uns, die wir hier in seinem Namen Gottesdienst feiern.

Wissen wir, wer Jesus ist? Weißt Du, wer Jesus ist?

 

Petrus

Jesus ist der Heilige Gottes! Wohin sollte ich gehen, wenn nicht zu ihm. Wo soll ich das Leben finden, wenn nicht bei ihm! Und verdient habe ich das ganz bestimmt nicht. Klar, ich war mehr oder weniger von Anfang an dabei. Ich erinnere mich noch, wie Jesus mich in seine Gruppe aufgenommen hat. Damals, als er mich aufs Meer hinaus schickte, nachdem ich eine ganz Nacht lang nichts gefangen hatte. Ich weiß nicht, warum ich auf sein Wort hin noch einmal ausgefahren bin. Irgendetwas lag in seinen Worten, das mir Vertrauen und Zuversicht gegeben hat. Und was war das dann für ein Fang! Die Netze sind fast zerrissen. Die Kollegen aus den anderen Booten mußten mithelfen, die unsagbar große Menge von Fischen an Land zu ziehen. Und seitdem bin ich Menschenfischer, wie Jesus mich genannt hat. Seine Kirche will er gar auf mich gründen. Auf mich! Ich weiß nicht, ob das ein wirklich solider Grund werden kann. Wie oft habe ich gezweifelt, wie oft habe ich vollkommen daneben gelegen mit meiner Einschätzung Jesu und der Lage, in der wir waren. Ich wollte ihn beschützen vor den Nachstellungen der religiösen Autoritäten und habe dabei nicht verstanden, daß der Weg, den Jesus gewählt hatte, ihn in genau die Konflkte führen mußte, in die er ging. Wer dafür einsteht, daß es keine Vermittlung braucht zwischen Gott und Mensch, der kann nur in Konflikt geraten mit jenen, die sich ihrerseits für Mittler halten. Am meisten schmerzt mich noch heute, daß ich ihn verleugnet habe. Damals, als sie ihn verhaftet hatten. das Schwert wollte ich nehmen, um ihn zu verteidigen - aber wie gesagt, manche Konflikte müssen durchgestanden werden, um sie zu überwinden. Manches Leid muß erlitten werden, um es zu überwinden. Man kann ihm nicht aus dem Weg gehen. Ich habe es versucht. Ich hatte Angst. Als sie mich fragten, ob ich nicht auch zu diesem Jesus gehören würde habe ich ihn verleugnet. Ich kenne ihn nicht, habe ich gesagt. In gewisser Weise sogar die Wahrheit. Nichts hatte ich verstanden von dem, was ihm wichtig war. Nichts hatte ich verstanden von dem, was er wollte. Nichts hatte ich verstanden von der bedingungslosen Liebe, die er gepredigt und gelebt hat. Bis er dann vor mir stand nach meinem Verrat. Er sagte nichts. Er stand einfach da und schaute mir in die Augen. Nie hat ein Blick mich so sehr getroffen. Nie hat ein Schweigen so viel zu mir gesagt; so viel über mich gesagt. So viel Wahrheit lag in seinem Blick - und so viel Liebe. Er wußte von meiner Schwäche - die ganze Zeit über. Trotz meiner Schwäche, trotz meiner Zweifel, trotz meiner oftmals so arroganten Selbstsicherheit, trotz meines So-oft-mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Wollens ist er bei mir geblieben, während ich so oft nicht bei ihm bleiben wollte, sondern bei dem, was ich für richtig hielt.

Als er uns fragte, ob wir ihn verlassen wollten, wie so viele ihn verlassen haben, da habe ich gesagt: Herr, wohin sollen wir gehen. Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt ubnd erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Damals habe ich wohl gar nicht wirklich verstanden, was ich da an wahrem ausgeprochen hatte. Hielt Jesus für den Heiland Gottes - ja, aber so, wie ich mir einen Heiland Gottes vorstellte. Heute bin ich bescheidener geworden. Viele Zweifel habe ich durchlebt. Viel Scheitern habe ich durchlebt. In manche Sackgasse bin ich gelaufen, als ich mich von meiner Blindheit leiten ließ. Er ist bei mir geblieben. Wäre ich bei mir geblieben, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre?

 

Maria, die Mutter Jesu

Ob ich weiß, wer Jesus ist und woher er kam? Ich weiß es nicht. Ich habe ihn aufwachsen sehen. Er war ein Kind wie jedes andere. Dann wurde er - wie soll ich sagen - religiös? Nein, das stimmt nicht, religiös sind wir schließlich alle. Ich kann mir ein Leben ohne unseren Gott nicht vorstellen. Und doch wurde Jesus auf einmal so anders. Er ging in die Wüste und schloss sich einer radikalen Sekte an. Dann kam er wieder, predigt plötzlich in unserer Synagoge, scharte Menschen um sich, sprach von sich als von Gottes Sohn. Er ist von Sinnen - war unser erster Gedanke. Nicht nur meiner. Auch Josef und auch seine Geschwister dachten so. Wir wollten ihn wieder nach Hause holen. Doch er wies uns schroff zurück. Wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist meine Mutter und mein Bruder und meine Schwester - sagte er. Es ging mir wie ein Schwerthieb mitten durchs Herz. Wie konnte er nur! Wie konnte er mich so von sich weisen. Wie konnte er seine Familie so verleugnen! Es hat mir fast das Herz gebrochen, ihn seinen Weg gehen zu sehen. Ja, er hat Menschen geheilt. Er hat Menschen von der Liebe Gottes gepredigt und ihnen Hoffnung in Hoffnungslosigkeit gebenen und Trost in tiefstem Dunkel. Aber wie sollte ich glauben an einen Gott, der nur um den Preis zu haben sein sollte, daß man seine Heimat, seine Familie verleugnet. Lange haben wir uns gar nicht gesehen. Eigentlich erst, als er dann nach Jerusalem kam. Zum Passahfest. Es sollte sein letztes werden. Als ich von seiner Verhaftung hörte und von seiner Verurteilung, da habe ich mich auf den Weg gemacht. Wie weggeblasen waren alle Verletzungen der Vergangenheit. Alle Tränen, die ich um ihn geweint hatte und um mich, die ich ihm doch so gerne Mutter gewesen wäre. Noch einmal habe ich um ihn geweint. Unter dem Kreuz von Golgatha. Jesus von Nazareth, König der Juden - stand da hoch über ihm geschrieben. Mein Sohn! Er schaute von Kreuz herab zu mir. Zu Johannes, einem seiner Jünger, der auch dort stand. Er sagte nicht viel. Das ist Dein Sohn, sagte er. Und zu ihm: Das ist Deine Mutter.

Ob das der Moment war, in dem ich verstand? Ich kann es nicht genau sagen. Aber diese wenigen Worte machten alles anders; machten alles neu. Erklären kann ich das nicht. Manchmal kann man Verstehen, das sich ganz plötzlich ereignet, nicht erklären.

Heute gehöre ich zur Schar derer, die sich „Christen" nennen, hinzu. Anhängerin des Christus, als den wir meinen Sohn glauben. Noch immer ist mir der Gedanken merkwürdig, daß dieser Christus mein Sohn war und noch immer ist. Ich habe ihm die Brust gegeben. An meiner Hand ist er die ersten Schritte gelaufen. Meine Tränen haben seinen Weg begleitet, als er sich von mir entfernte und eigene Wege ging. Ich habe um ihn geweint, als er starb. Ich habe gestaunt - ja, wie sehr habe ich gestaunt! - als er aus Gott neu geboren selbst von seinem Tod sich nicht aufhalten ließ auf seinem Wege. Sich selbst vom Tod nicht aufhalten ließ, die Liebe unseres Gottes zu verkündigen.

Ob ich weiß, wer er ist, wer er wirklich ist? Er ist mein Sohn. Das weiß ich. Und er ist sehr viel mehr als das. Er hat mir das Leben gezeigt. Er hat mir Gott gezeigt. Nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Nicht so, wie ich es mir gewünscht habe. Aber - was im Leben ist schon so, wie wir es uns vorstellen oder wünschen?

 

Der Evangelist Lukas

Lukas legt den Stift zur Seite. Gerade hat er die letzten Zeilen der Geschichte von Jesu Geburt geschrieben. Ihr habt sie eben vor der Predigt gehört. Die Hirten läßt er die Geschichte kund tun, die er erzählt. Maria läßt er sie in ihrem Herzen bewahren...der letzte Satz noch...: Und die Hirten kehrten zurück, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Lukas liest noch einmal. Ja, so konnte es bleiben. Ob Ihr, liebe Leserinnen und Leser, verstehen werdet, was ich geschrieben habe? Ob die Menschen, die später, weit weit nach mir, der Geburt dieses Gottesmannes auf Erden gedenken, verstehen werden, worauf es mir angekommen ist - oder besser: worauf es Gott angekommen ist? Mögen alle, die diese Erzählung lesen und hören, in ihr mehr sehen als die Erfindung eines alten Mannes. Gut, an der ein oder anderen Stelle habe ich ein wenig geflunkert - ich habe die Geburt Jesu nach Bethlehem verlegt, ich habe Jesus einen Krippenplatz zugewiesen und sogar einen Engelschor habe ich auftreten lassen. Aber all das doch nur, um die Bedeutung dessen, was geschehen ist, umso deutlicher zu machen. Wer nur wert legt auf historische Genauigkeit, der mag mir das übel nehmen. Aber liebe Leserinnen und Hörer späterer Zeiten, schüttet nicht gleich das Kind mit dem Bade aus. Jede Geschichte, die ihr erlebt, ist immer auch das, als was ihr sie erzählt. Und alles, was ihr erzählt, prägt auch immer das, was Ihr erlebt. Lest meine Geschichte zu Ende, seht Anfang und Ende und auch das Dazwischen. Seht das Kreuz schon in der Krippe und die Krippe noch im Kreuz. Manches Rätsel werdet Ihr vielleicht lösen können oder schon gelöst haben. Freut euch, aber vergeßt nicht: das Geheimnis der Geburt Jesu, das Geheimnis dieses Gottes, der uns Menschen so nahe kommt, näher als wir selber uns manchmal nahekommen zu vermögen; der uns nicht aufgibt, uns nachgeht und mitnimmt auf den Weg des Lebens, wird immer Geheimnis bleiben. Geht nicht achtlos daran vorüber. Es ist nicht weniger als das Geheimnis Eures Weihnachtsfestes, ja nicht weniger als das Geheimnis des Lebens selber.

 

28 Jesus sprach zu ihnen: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt.
29 Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.

Kennst Du diesen Jesus, der hier vorne in unserer Krippe liegt?
Weißt Du, woher er ist und wer er ist?

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 



Landesjugendpfarrer Dr. Sven Evers
26121 Oldenburg
E-Mail: Sven.evers@ejo.de

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