Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 30.12.2012

Predigt zu Johannes 12:44-50, verfasst von Uland Spahlinger

 

44 Jesus aber rief: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.
45 Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.
46 Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.
47 Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern daß ich die Welt rette.
48 Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage.
49 Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll.
50 Und ich weiß: sein Gebot ist das ewige Leben. Darum: was ich rede,
das rede ich so, wie es mir der Vater gesagt hat.

 

Liebe Gemeinde,

wer in diesen Tagen des Jahres in St. Petersburg oder Helsinki oder Stockholm wohnt, kann wahrscheinlich die Worte Jesu aus dem Johannesevangelium gut verstehen, die wir eben gehört haben. Du verlässt morgens im Dunkeln deine Wohnung und gehst zur Arbeit, und lange bevor du Feierabend hast, ist es schon wieder dunkel. Daran ändern auch Straßenlaternen oder Schaufensterbeleuchtung nichts. Menschen sehnen sich nach dem Licht, nach der Wärme.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Licht und Dunkelheit die Metaphern sind, mit denen wir über den Glauben sprechen. Wir sind Augenmenschen, zumindest die allermeisten von uns. Im Dunkeln sind wir unsicher und hilflos. Wir müssen tasten, um nicht irgendwo anzustoßen, eine Stufe zu verfehlen oder zu stürzen. Zur Orientierung benötigen wir zumindest eine kleine Lichtquelle.

Und so fällt es uns auch nicht schwer, die Symbole des Advents und des Weihnachtsfestes zu verstehen: die Kerzen am Adventskranz, von Woche zu Woche eine mehr, jedes Mal etwas mehr Licht - gegen die zunehmende Dunkelheit der Welt - und dann, am dunkelsten Tag des Jahres, der Lebensbaum des Paradieses mit den vielen Lichtern. Es mag sein, dass in unseren Zeiten der neonleuchtenden Tag-und Nachtgleiche das Symbol sich nicht mehr ganz so leicht nahelegt: aber am Weihnachtsabend leuchten nicht nur die Augen vieler Kinder im Glanz der flackernden Kerzen. Wir verstehen, was gemeint ist. Und wir ahnen vielleicht sogar, dass das Bild vom Licht und der Dunkelheit in unseren elektrifizierten, 24 Stunden leuchtend hellen Städten stimmt und gilt. Denn - und daran erinnert uns die Rede Jesu eindringlich - es geht um mehr als um die Reflexe beleuchteter Gegenstände auf der Netzhaut. Es geht tatsächlich um die Frage: Woran orientiere ich mein Leben?

Jochen Klepper - er lebte vom 22. März 1903 bis zum 11. Dezember 1942 - war evangelischer Theologe, Publizist und Dichter. Weil er mit einer Jüdin verheiratet war, gerieten er und seine Familie unter den Druck der nationalsozialistischen Gestapo. Der Druck verschärfte sich von Jahr zu Jahr. Im Dezember sah die Familie keinen anderen Ausweg mehr als den Suizid. Die letzten Worte in seinem Tagebuch sind ein beklemmendes Zeugnis der Verzweiflung wie des Glaubens: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott - Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben."1.

Die dunkelsten Stunden: das sind nicht die Stunden im tiefsten Winter. Es sind die Stunden der Angst, der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit. Es sind die Stunden der Abschiede und des Todes. Es sind die Stunden, in denen du dich fragst: wie soll es morgen weitergehen?, und in denen du die Hand vor den eigenen Augen nicht erkennen kannst - viel weniger noch den Weg, auf dem du weitergehen sollst. Zu Menschen in solchen Stunden ist Christus gesandt.

Im Gesangbuch finden wir ein Gedicht von Jochen Klepper vertont, ein Adventsgedicht, das fast wie ein Kommentar zu unserem Predigttext erscheint. Die Nacht ist vorgedrungen, Lied Nr. 16. Singen wir von diesem Lied zunächst die erste und die zweite Strophe:

 

1. Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

2. Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.2

 

Eine seltsame Aufforderung: Aus der Trauer, aus der Schuld und der Lebensnot heraus in Lobgesänge einstimmen? Warum sollten wir das tun? Jochen Klepper antwortet: Weil Gott, der Schöpfer der Welt, sich zu unserem Verbündeten macht. Was uns trennt von Gott, ist Schuld, Sünde, die selbstverantwortete Trennung des Menschen von Gott. Klepper hat das erfahren müssen in seinem Leben, wie es ist, wenn Menschen für sich selbst die totale Verfügungsgewalt über andere in Anspruch nehmen. Der nationalsozialistische Herrenwahn endete im Tod für Millionen, in millionenfachem Leid, in Not und Elend und Trauer.

Dagegen hält Jochen Klepper seine Hoffnung - eine Hoffnung gegen alle Hoffnungslosigkeit: Gott ist bei den Menschen, die sich ihm anvertrauen. „Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt," heißt es im Lied; nur wenige Jahre später schreibt er: „Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt."

 

Und das kommt den Worten Jesu in unserem Predigttext denn doch sehr nahe: „Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern daß ich die Welt rette" (V 46f). Jesus hat einen Auftrag mitgebracht. Die Menschen sollen gerettet werden.

Was aber heißt das eigentlich genau: Rettung? Mir fallen als erstes die Seenotrettung, die Sanitäter, die Bergwacht und ähnliche Hilfsdienste ein, wenn ich an Rettung denke, oder psychologische Kiseninterventionsteams, wie sie bei Attentaten oder Großkatastrophen zum Einsatz kommen. Rettung heißt: Ich tue alles, damit du aus der lebensbedrohenden Lage herauskannst, aus der du dich selbst nicht befreien kannst. Ich versuche, dein Leben, deine Gesundheit, deine Seele zu bewahren. Nicht weniger. Dazu, so erzählen uns die Geschichten des Neuen Testamentes, ist Jesus in die Welt gekommen, um uns als Botschaft Gottes zu sagen: Du sollst gerettet werden. Und du musst das Angebot nur annehmen.

 

Singen wir die Strophen 3 und 4:

3. Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

4. Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

 

Es ist ein theologisches Gedicht und Lied, natürlich. Dunkelheit ist für Jochen Klepper gekennzeichnet durch Sünde und Schuld, durch die Kennzeichen und die Folgen der Gottesferne. Der Mensch wird dem Menschen zum Feind. Leben wird nicht geachtet, sondern zum Spielball wissenschaftlichen Ehrgeizes oder kommerzieller Gewinninteressen. Kinder werden nicht unter den Schutz und die Weisheit der Erwachsenen gestellt, sondern sich selbst überlassen, zum Betteln geschickt oder als Kindersoldaten zu Mordmaschinen ausgebildet. Oft genug werden Täter, ohne es zu merken, zu Opfern anderer Täter. Die Liste der Illustrationen ließe sich leider fast beliebig verlängern. Und am Ende steht immer Tod, Elend und Verzweiflung - zerstörtes und beschädigtes Leben.

 

Gott schlägt nicht dazwischen, erzählt die Bibel. Gott zeigt seine Allmacht nicht destruktiv. Er macht sich den Gottesfernen nicht in der Weise gleich, dass er Gleiches mit Gleichem vergilt. Gott wählt einen anderen Weg, einen sanften Weg: den Weg der Heilung und der Versöhnung, den Weg der Rettung. Dieser Weg klingt so harmlos, aber er fordert die ganze Ernsthaftigkeit und den ganzen Einsatz: Gott sendet seinen Sohn. An einer anderen Stelle im Johannesevangelium sagt Jesus in sehr bekannten Worten: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben" (Joh 3,16). An Jesus können und sollen wir erkennen, wie Gott es mit uns meint.

 

Und eines noch: Die Folgen der Gottesferne sind in der ganzen Welt sichtbar. Viele Kennzeichen der „Dunkelheit" finden wir in den Strukturen und großen Zusammenhängen des Lebens. Trotzdem sagt uns die Bibel: Du bist ganz persönlich gefragt. Sage nicht: die Verhältnisse sind eben so. Die Strukturen waren stärker als ich. Was kann der Einzelne schon tun? Nein, sagt Jesus, schleich dich nicht so davon. Es kommt auch auf dich an. Auf dich ganz persönlich. Es ist nicht egal, wie du selbst dich verhältst. In unserem Text findet er dafür überaus starke Worte: „Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage."

 

Wie auch immer wir im Einzelnen über den Jüngsten Tag denken mögen, eines ist deutlich: Das Urteil über dein Leben ist in dir selbst begründet. Du hast die Wahl: Selbstbetrug oder Aufrichtigkeit, Egoismus oder Nächstenliebe, „nach mir die Sintflut" oder „Zukunft für unsere Kinder", mit unserem Text: Dunkelheit oder Licht.......

Es handelt sich dabei nicht nur um pragmatische Fragen. Es geht nicht um eine Art „alternativer Macher-Gesellschaft". Es geht um die Wegweiser deines Lebens, um die Orientierung - vielleicht sogar dort, wo du selbst nicht mehr viel „machen" kannst.

 

Und auch wenn das Leben keineswegs immer im schwarzweißen Entweder-Oder aufgeht, Entscheidungen stehen jeden Tag an. Für jede und jeden von uns. An dem Ort, an dem wir leben. Mit oder ohne Christus. Und auch das ist ja schon eine Entscheidungsfrage: Mit oder ohne Christus? Zu Weihnachten lädt Gott uns ein, es mit seinem Sohn zu versuchen. Amen.

 

Singen wir miteinander die fünfte Strophe des Liedes von Jochen Klepper.

5. Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der läßt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.

 



Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine, Uland Spahlinger
65023 Odessa, Ukraine
E-Mail: spahlinger.uland@gmx.de

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