Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 12.08.2007

Predigt zu Johannes 4:19-26, verfasst von Ralf Hoburg

Von Göttern und Ikonen.
Oder: Die wahren Anbeter

 

Liebe Gemeinde,

an wen soll man sich halten oder woran soll man glauben? Auch wenn das öffentliche Bekenntnis zur Religion und zum Glauben heute wieder deutlicher zum Lebensalltag gehört als noch vor etlichen Jahren, bleibt dies doch die eigentliche "Gretchen"-Frage. Nicht: "Wie hältst Du es mit der Religion?", wie sie klassisch in Goethes Faust begegnet, sondern: Was glaubst Du eigentlich? Es ist die Sehnsucht nach einem inhaltlichen Fixpunkt oder mit den Worten des Heidelberger Katechismus gesprochen: Nach dem, woran man sich halten kann im Leben und im Sterben. Das ist nach wie vor und immer wieder des Pudels Kern.

Und die Antwort auf diese Frage fällt in der christlichen Tradition immer wieder gleich aus: Jesus Christus. Das ist eigentlich nicht besonders originell, nicht ganz einfach zu vermarkten, aber durch die dauernde Wiederholung auch wieder einprägsam. Nicht Frodo, nicht Harry Potter, und leider auch nicht Käpt'n Jack Sparrow, sondern eben Jesus von Nazareth. Und was sie alle vier wieder sympathisch macht gegenüber einem eher calvinistisch nüchtern und spröde wirkenden Gesellen wie dem Dalai Lama ist ihre charmante Jungenhaftigkeit... Mit diesen Helden kann man trotz aller Ernsthaftigkeit ihrer Heilssuche lachen, beim Dalai Lama kann man nur noch staunend schweigen. Und das ist auf Dauer etwas langweilig oder nur was für die intellektuell verdorrte Welt der Hamburger Edel-Kundschaft, die vor lauter Luxus den Sinn des Lebens verloren hat. Und nun suchen sie in Asien Trost, weil der Glanz des europäischen Christentums verloschen zu sein scheint. Aber: sie sind fasziniert von der Religion der einfachen Wahrheiten so als ob sie solche noch nie gehört hätten. Komisch, dass immer nur das kulturell Fremde einen magischen Reiz ausübt. Hauptsache aus Asien und am besten aus Tibet mit ein bisschen Moschusgeruch und Geklimper... das reicht für das religiöse Gefühl der Postmoderne. Glaube an die innere Mitte in Dir und die Stille der Erleuchtung! Das reicht. Die Gretchen-Frage moderner Religion: "Was glaubst Du eigentlich?" fällt für mich da ein bisschen intellektuell dürftig aus! Inmitten der hochtechnisierten Moderne blüht die Sehnsucht nach Mythos und der Reinheit religiöser Erleuchtung. Alles, was nur den leisesten Hauch von Einfachheit und Eremitentum aufweist, wird zwischen High-Tech Autos und Multimedia-Welt vergöttert und auf magische Weise angebetet. Und vor allem: asiatisch muss es aussehen und klingen. Die gegenwärtige Documenta, die immerhin zu Glanzzeiten den Anspruch erhob, eine repräsentative Leistungsschau moderner Gegenwartskunst zu sein, verkommt zu einem volkloristischen Asien-Shop mit dem Charme eines bürgerlichen China-Restaurants.

Aber finden wir das nicht alle unglaublich spirituell? Und noch viel wichtiger: Ist das nicht richtig chick und auch ein bisschen religiös? Denn man muss halt dran glauben! Das ist eine Variante des modernen Glaubens, nämlich an die höhere Macht: in mir, an die Kraft des Universums oder einfach nur an die schöpferische Kraft. Reine Form, reiner Geist - für meinen Geschmack ein bisschen wenig Inhalt... Und wenn dann ganz nichts mehr hilft, flüchtet sich der moderne Zeitgeist-Reisende einfach ins mittelalterliche Pilgern bis die Füße brennen! Aber es fasziniert die Massen, die den gewöhnlichen evangelischen Gottesdienst am Sonntagmorgen zu unspirituell finden, zu "uncool" und ohnehin beim Thema Glauben nicht auf intellektuelles Verstehen angesprochen werden wollen, sondern auf die innere Erleuchtung. Ach lieber Martin Luther! Was machen wir bloß mit diesen Leuten? In diesen Sekunden meiner theologischen Existenz möchte ich dann Harpe Kerkeling sein und einfach sagen können: "ich bin dann mal weg".

 

I)

Die Einfachheit des Gespäches

Dass nun auch biblische Texte einfache Wahrheiten gelassen, aber mit einer gewissen Tiefe für Lebenssinn aussprechen können, dass wird völlig übersehen. Und diese alten Texte sind nicht weniger spirituell, wenn ich sie abends bei Kerzenschein und einem guten Glas württembergischen Rotweins lese und darüber sinniere. Ganz ohne Moschus, aber mit ein bisschen katholischen Räucherstäbchen, die mir als Protestant sicher keinen Schaden zufügen. Der Predigttext aus dem Johannesevangelium (Joh 4,19-26), der die längere Erzählung um die Begegnung mit der Samaritanerin so seltsam unterbricht, geht auf eine solche Lebenswahrheit ein, nämlich die Sinnstiftung des Glaubens. Das ist auch wieder nicht so furchtbar originell, ebenfalls schlecht zu vermarkten, aber dennoch immer wieder faszinierend. Garantiert nicht asiatisch, denn - und da sind wir schon mitten in der Geschichte: "Das Heil kommt von den Juden". (Joh 4,22) Eine einfache Wahrheit, ganz unspirituell und gelassen ausgesprochen und dennoch mit einer religiösen Tiefenwirkung. Die Frage: "Was glaubst Du eigentlich?" findet hier schon eine überaus klare und deutliche Antwort. Manche Textauslegungen vermuten deshalb in diesen Versen Joh. 4,19-26 auch einen geschickten Einschub in eine ältere Erzählung, der getragen ist von dem Motiv, den Aspekt der göttlichen Wahrheit zu beweisen. Heil, Errettung und die Erlösung des Menschen kann demnach nur von einem "Messias" ausgehen, der der Davidssohn ist und als "Knecht Gottes" (Jes. 9) gleichzeitig auch als Sohn Gottes bekannt wird. Es hilft alles nichts: Das ist die Wahrheit! Ying und Yang hin und her...

Die Passage des Predigttextes aus Joh. 4,19-26 ist Teil der größeren Erzählung, die sich um die Begegnung zwischen Jesus und der Samariterin entspannt. (Joh. 4) Anders als die sog. synoptischen Evangelien verzichtet das Johannesevangelium auf eine Erzählung der Taufe Jesu. Von Anfang an ist deutlich, dass Jesus von Nazareth die Offenbarung Gottes ist. Er ist der Sohn Gottes, der vom Vater gesandt ist, die Welt zu erretten. (Joh. 1,14). Seine Autorität als Sohn Gottes steht fest und es ist klar, wer ihm begegnet, der begegnet Gott. Unter diesem Vorzeichen steht die Erzählung von der Begegnung zwischen Jesus, dem Sohn Gottes und der Samaritanerin am Brunnen. Glaube liegt hier von Anfang an in der Luft. Und um die Bedeutung der Erzählung zu unterstützen, wird am Anfang erklärt: "Er musste durch Samarien reisen." (V. 4) Was ist an Samarien so wichtig, dass der Bibeltext dem Verlassen Judäas und der Reise nach Samarien zu große Bedeutung zumisst? Die Samaritaner gelten als streng gläubige Juden. Und gleichzeitig wird in der Erzählung interpretierend festgehalten: "Die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern". (V. 9) Ein ganz besonderes Zeichen für die Gläubigkeit der Samaritaner ist uns in der synoptischen Erzählung vom barmherzigen Samariter erhalten geblieben. (Lk 10,25-37) Der fromme Wanderer auf dem Weg geht nicht an dem Kranken vorüber, sondern die Not und das Leid des gebrechlichen und kranken Menschen am Wege rühren ihn. Er kümmert sich um den Notleidenden und bringt ihn in eine Herberge, wo er dem Wirt Geld für dessen Pflege gibt. Eine biblische Erzählung, die wohl wie kaum eine zweite Geschichte gemacht hat und den Gedanken von sozialer Fürsorge in Europa maßgeblich geprägt hat. Eine einfache Wahrheit, ganz spirituell, ganz in jüdisch-christlicher Tradition, bekannt und immer wieder vergessen, und vor allem: nicht weniger erleuchtet als der karge Dalai Lama auf der Matte im Hamburger Tennisstadion. Und vor allem ein bisschen charmanter, aber nur nicht ganz so werbeträchtig!

Bei alledem zeichnet sich in der inneren Gelassenheit dieser Szenerie ein höchst merkwürdiger, abgestufter und dabei dramatischer Gesprächsgang ab. Jesus und die Frau am Brunnen. Wer nur denkt, was man denken könnte, irrt sich. Jesus bittet die Frau ihm aus dem Brunnen Wasser zu trinken zu geben. Erschöpft vom Wandern hatte er sich niedergelassen - wissend was ihn erwartet. Und das Gespräch verläuft von Anfang an in einer für den Leser offensichtlichen Doppeldeutigkeit. Von vornherein ist klar: es geht nicht um das Wasser als solches, sondern um seine tiefere Bedeutung. Nicht die Erschöpfung oder das Trinken stehen im Vordergrund, sondern die geistige Erneuerung des Menschen. Die falsche Spur, auf die die Samaritanerin geführt werden soll, ist offensichtlich. Und so stellt sie nüchtern fest: "Herr, hast Du doch nichts, womit du schöpfen könntest". Sie lässt sich scheinbar auf das Missverständnis ein, weiss doch aber, dass es um mehr geht. Sie selbst legt die Spur vom "lebendigen Wasser" (V. 11). Zwischen ihr und Jesus von Nazareth besteht ein seltsam spürbares Einverständnis, ein Verstehen ohne Worte oder besser: zwischen den Zeilen. Es geht um nicht weniger als: "Das Wasser des Lebens" und dieses wird näher beschrieben als das Wasser, das im Menschen zu einer Quelle des Wassers werden wird, das in das ewige Leben quillt.(V. 14) In allen Religionen verfügt das Element Wasser über die spirituelle Dimension der Reinheit. Das Wasser wäscht von den Sünden ab. Das Eintauchen des Menschen in Flusswasser ist ein religiöses Symbol für Umkehr und innere Lebendigkeit.

Im Gespräch erkennt die samaritanische Frau: Der, der ihr am Brunnen begegnet ist, verfügt über eine besondere Autorität. Und nachdem Jesus seine Autorität unter Beweis gestellt hat, weil er sie auf ihr Leben anspricht, ihre Vergangenheit und ihre Biographie, antwortet sie in der Geste eines Bekenntnisses: "Herr, ich sehe, dass Du ein Prophet bist". (V. 19) Und die Erzählung endet in der religiösen Aufforderung: "Glaube mir Frau..." (V. 21)

 

II)

Die wahren Anbeter

Es gibt in der Erzählung aber noch einen zweiten Strang, der sich neben der bildhaften Sprache vom lebendigen Wasser wie ein innerer Faden durchzieht, nämlich die Frage nach der wahren Anbetung. Auch dieser Erzählstrang spielt mit dem Übergang von "einst" und "jetzt" und unterstreicht damit das Neue, das im Kommen Jesu von Nazareth als dem Sohn Gottes angebrochen ist.

Der Ort der religiösen Verehrung ist der Tempel. So beruft sich Jesus von Nazareth auf den jüdischen Glauben, wonach das Volk Israel auf dem Berg Sinai die Gesetze erhalten hat und auf dem Berg anbetet. Erst später, als das Volk zu einem Staat geworden war, wie es in der jüdischen Tradition der Geschichts- und Prophetenbücher beschrieben wird, wurde die Anbetung in den Kult-Tempel nach Jerusalem zentralisiert. Auch hier gleichen sich die Religionen: Der Tempel in Tibet, das Orakel von Delphi, der Petersdom in Rom: zentrale Orte religiöser Vergewisserung. Tempel und hlg. Stätten sind Orte der Anbetung. Dort wird mit der Gegenwart des Göttlichen in besonderer Weise gerechnet.

Jesus von Nazareth setzt sich davon ab. Die wahren Anbeter werden den Vater im "Geist und in der Wahrheit" anbeten (V. 23). Damit hat die Erzählung wiederum eine neue, tiefere und man kann sagen spirituelle Dimension erreicht. Die biblische Erzählung spiegelt hier die Deutung der urchristlichen Kirche wieder, denn es wird das Bekenntnis der Gottessohnschaft vorausgesetzt. Das Osterereignis hat bereits stattgefunden. Im Glauben hat diese Zeit begonnen. Gleichzeitig liegt hier das Unterscheidende: Denn der Glaube an Jesus Christus als Sohn Gottes setzt das Bekenntnis der Auferstehung voraus. Und so folgt was folgen muß: Die Samaritanerin legt aus der lebendigen Begegnung mit Jesus von Nazareth heraus ihr Bekenntnis ab: Sie erkennt das lebendige Wasser, das Heil, das ihr Leben von Grund auf verändert aus der Selbstoffenbarung Jesu heraus, der ihr sagt: "Ich bin's, der mit dir redet". (V. 26) Mit dieser Wendung wird der Ort der Anbetung zur Gemeinschaft der Anbetenden. Denn das Bekenntnis zum auferstandenen Jesus Christus ist die Mitte der christlichen Gemeinde. In ihr ist durch das Mittel der Verkündigung der Geist der Wahrheit lebendig.

Diese innere Bewegung vom Erkennen zum Glauben oder anders der Weg zum Bekenntnis führt über das Verstehen hat einen Grund: Die Wahrheit der Gottessohnschaft. Die wahren Anbeter sind demnach in der Auffassung des Johannesevangeliums diejenigen, die nicht allein auf die innere Erleuchtung hoffen, sondern die sich zum Bekenntnis führen lassen, weil sie eine Wahrheit verstanden haben. Glaube und Vernunft gehen im Christentum einen gemeinsamen Weg. Das ist hin und wieder intellektuell überaus anstrengend und nicht so spirituell aufregend wie die innere Erleuchtung. Das Besondere des Glaubens ist es daher, dass er nicht nur zu Buße und innerer Einkehr führt, sondern mitten in die Welt hinein, um die Welt aus dem Geist der Wahrheit heraus zu gestalten. Gemeinsam mit dem Islam und dem Judentum zählt das Christentum zu denjenigen Weltreligionen, aus deren Glaubensmitte heraus ein eminent ethischer Anspruch erwächst. Der Glaube verändert das Leben.

 

IV)

Was glaubst Du eigentlich?

Der Glaube - das ist bis hierher deutlich geworden - ist nicht zum Anfassen. Die Faszination des Glaubens und gleichzeitig einer der Gründe für die permanente Bestreitung seiner Wirklichkeit ist seine Immaterialität. Aber - das war die Frage am Anfang - "Was glaubst Du denn eigentlich?" In der Moderne werden hier ganz unterschiedliche Antworten gegeben, die sich in drei Gruppen zusammen fassen lassen: Zum einen gibt es den Glauben des Menschen an sich selbst, seine Selbstverwirklichung und Freiheit. Die Autonomie des Menschen hat den Glauben an sich selbst zur Folge. Zum Anderen existiert der Glaube an die Werte: an Gerechtigkeit, Liebe, Moral und Sittengesetz. Zum dritten lässt sich der Glaube ein auf Mächte und Gewalten: auf Volk und Vaterland, eine Idee, den göttlichen Funken in mir.

Der Glaube des Christentums beruft sich auf den Namen eines Menschen: Jesus Christus, der das Reich Gottes verkündigte, der Menschen in den Begegnungen mit ihm faszinieren konnte und der selbst der Sohn Gottes war. Die Frau aus Samarien ist ihm am Brunnen begegnet und aus der lebendigen Begegnung erwächst ihr Glaube, der ein tiefes Vertrauen darüber in sich birgt, dass das, was er sagt, die Wahrheit ist und zwar die Wahrheit, die im Leben Heil und Erlösung bringt. Aus der Begegnung am Brunnen hat sie lebendiges Wasser geschöpft, weil sie vertraut. Und sie geht ins Dorf und stellt die Frage der Fragen: "Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob er nicht der Christus sei! (V. 29) Aber sie weiß es ja schon. Wissen wir es auch? Vielleicht denken wir gemeinsam in der vor uns liegenden Woche darüber nach und begleitet uns die Frage bei allem was wir tun. Ich finde das auch ohne Schneidersitz und Meditationsübung ganz schön spirituell und auf jeden Fall religiös. Amen



Prof. Dr. Ralf Hoburg

E-Mail: ralf.hoburg@t-online.de

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