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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 28.03.2013

Predigt zu Markus 14:12-42, verfasst von Sibylle Rolf

 


Der Predigttext wird in Abschnitten, unterbrochen von Musik, gelesen.


An diesem letzten Abend sitzen sie zusammen. Schwer ist es ihnen. Sie wissen, dass sie Abschied nehmen müssen. Seine Worte klingen wir ein Vermächtnis. Das Mahl, das er mit ihnen teilt, deutet auf seinen Tod. Schwere Worte fallen. Tränen sitzen in ihren Augen. In ihren Herzen macht sich Verzweiflung Raum. Der Wunsch, es möge nicht wahr sein. Sie bemühen sich, tapfer zu sein und die Fassung zu bewahren. Sie hoffen, sich in diesem Abschied zu bewähren. Und ahnen doch, dass jeder von ihnen es sein könnte, der ihn verrät und verlässt.

Lassen wir vier von ihnen zu Wort kommen. Maria, seine Mutter, Judas, Simon Petrus und Maria von Magdala.

Maria, die Mutter Jesu: Ich habe es schon lange geahnt. Aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Wie viele Sorgen habe ich mir seinetwegen gemacht! Es begann bei seiner Geburt, vielleicht sogar schon vorher. Als der Engel mir sagte, Gott hat mich auserwählt. Mich, ein junges Mädchen, arm, noch nicht einmal verheiratet. Ich war verwirrt und beglückt, verunsichert und verängstigt - alles auf einmal. Was würde Josef dazu sagen? Und was sollte das bedeuten - auserwählt?

Dann der Weg von Nazareth nach Bethlehem, die Geburt in einem armseligen Stall. Er war mein erstes Kind. Ich wusste nicht, wie es sein würde. Niemand konnte mir helfen. Und Josef war ja noch viel unsicherer als ich. Als die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland kamen, begriff ich, dass ich ein besonderes Kind zur Welt gebracht hatte - in allem Elend. Und er war ein besonderes Kind, das habe ich gemerkt, immer mehr. So viele Sorgen um seinetwillen. Aber ist es nicht so, dass man gerade die Kinder am meisten liebt, die einem am meisten abverlangen?

Schon früh ging er auf Distanz. Als er als Zwölfjähriger einfach im Tempel in Jerusalem blieb und mit den Lehrern dort diskutiere. Wir hätten es da schon ahnen können, aber wir begriffen es nicht. Vielleicht wollten wir es auch nicht begreifen. Jedenfalls nicht, worauf es hinauslaufen würde. Stolz waren wir schon auf ihn. Auf unseren besonderen Sohn. Aber er war uns auch fremd.

Und dann, als er mich und seine Brüder abkanzelte vor vielen anderen. Seine Jünger seien jetzt seine Familie. Das tat weh. War ich es nicht, die ihn unter Schmerzen zur Welt gebracht hatte? Oder hat er mich bewusst so behandelt - um mir zu zeigen, dass ich ihn loslassen musste? Immer wieder hat er mir Abschiede zugemutet. Alle Eltern müssen das erleben. Kinder gehen ihre eigenen Wege. Und mein besonderer Sohn...

Jetzt muss ich ihn ganz loslassen. Ich spüre es. Es gibt keinen anderen Weg mehr. Er wird sterben. Ich will es nicht. Aber ich weiß es. Gibt es etwas Schlimmeres für eine Mutter, als ihren Sohn zu verlieren? Ich hätte mein Leben für ihn gegeben, für meinen besonderen Sohn. Jetzt gibt er seines. Verstehen kann ich das nicht. Aber sein Blick eben, als er das Brot und den Wein nahm. Schmerz. Abschiedstrauer. Liebevolle Hingabe. Mehr als Worte ausdrücken können.

Musik

Judas: Die Spannung am Tisch war kaum zu ertragen. Schon in den letzten Tagen und Wochen nicht. So viele Hoffnungen hat er geschürt. So viele Erwartungen geweckt. Macht er wohl endlich ein Ende mit der römischen Herrschaft über uns? Ich habe es gehofft. Gehofft mit jeder Faser meines Wesens. Ich habe viel von ihm erwartet. Wie er dann in Jerusalem eingezogen ist. da hätte es geschehen können, da hätte es losgehen können. Die Menschen haben gewartet. Sie brauchen doch einen starken Anführer. Sie wären ihm gefolgt, die vielen, die da standen und Hosianna riefen. Aber auf einem Esel kam er geritten, wie ein Schwächling.

Dann seine Vorstellung im Tempel, als er die Tische der Händler umgeworfen hat. Peinlich war das. Und hat unserer Sache garantiert nicht gedient. Mit solchen Aktionen macht man sich keine Freunde. Ich spüre, wie der Groll von mir Besitz ergreift. Nicht nur mir geht es so. Auch andere auf der Straße murren. Enttäuschte Erwartungen. Geplatzte Träume. Abschied von Hoffnungen. Ich habe meinen Entschluss gefasst. Ich kann ihm nicht mehr in die Augen sehen, so enttäuscht bin ich von ihm. Ich bin nicht sicher, ob ich das richtige tue. Das weiß man ja nie. Aber ich kann das Geld gut gebrauchen.

Und er? Er scheint es zu ahnen. Einer unter euch wird mich verraten, hat er eben gesagt. Aber hat er uns nicht schon längst verraten? Unsere Hoffnungen und Träume? Ich habe meine Entscheidung getroffen. Auch wenn ich eben noch mit ihm das Mahl geteilt habe. Auch wenn ich eben noch mit ihm gegessen und getrunken habe. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Mit der muss ich leben oder sterben. Aber so ist es ja immer. Die enttäuschten Hoffnungen tun zu weh.

Musik

Simon Petrus: Als er mich damals am See Genezareth berufen hat. bin ich Jesus sofort gefolgt. Keine Sekunde habe ich gezögert. So bin ich: ich treffe meine Entscheidungen schnell. Ich bin spontan. Wenn ich eine Sache gut finde, dann bin ich sofort dabei. Und dann geht eben ab und zu der Gaul mit mir durch. Dann sage ich Dinge, die ich hinterher bereue. Oder ich mache Zusagen, die ich nicht einhalten kann.

Ich bin sicher, ich bin einer der treuesten Jünger. Warum würde er mich sonst Petrus nennen, den Fels? Das klingt gut. Aber manchmal stehe ich auch mit leeren Händen da. Obwohl ich so viel will. Als ich auf dem Wasser laufen sollte, bin ich eingesunken. Ich hatte ihn aus dem Blick verloren, und da stieg mir das Wasser bis zur Kehle. Ich wollte der erste sein, und ich war ja auch der erste, der das Boot verließ. Und dann verließ mich der Mut. Wenn er mich herausgezogen hätte... ich mag gar nicht daran denken.

Jetzt hat mir Jesus vorausgesagt, ich würde ihn verleugnen. Niemals würde ich so etwas tun! - Und wenn es doch stimmt? Habe ich mich nicht schon oft so erlebt - wenn's ernst wird, dann schreit die Angst so viel lauter als der Glaube? Dann ist auf einmal anderes wichtiger, und ich sage und tue Dinge, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte?

Wenn Jesus jetzt geht - was bleibt dann? Wofür habe ich meinen Beruf aufgegeben? Ich weiß, dass Jesus viel von mir erwartet und mir viel zutraut. Werde ich seinen Erwartungen gerecht werden? Oder werde ich jämmerlich versagen? Wie kann er gerade mir vertrauen, mir, der ihn doch auch schon enttäuscht hat?

Vielleicht brauche ich das ja gerade: Dass ich immer wieder gedemütigt werde, um einzusehen, dass ich mit leeren Händen dastehe. Meine Kraft kommt nicht aus mir - das habe ich damals gespürt, als ich versucht habe, übers Wasser zu gehen. Die Kraft kommt aus ihm, aus dem Glauben an ihn. Nur wenn ich einsehe, dass ich mit leeren Händen dastehe, kann ich sie mir von ihm füllen lassen.

Beim Mahl vorhin, da habe ich gespürt: Das gibt mir Kraft. Die Gemeinschaft gibt mir Kraft. Und der Gedanke, dass wir in seinem Sinne weitermachen werden. Und hat er nicht gesagt, er sei bei uns? Und hat er nicht auch mit Judas gegessen, der kurz darauf den Raum verlassen hat? Und mit mir, dem er vorausgesagt hat, dass ich ihn verleugnen werde? Verräter und Verleugner schickt er nicht von seinem Tisch. Er schenkt sich uns, obwohl er unsere Fehler kennt. Er vergibt mir, obwohl er weiß, dass ich ihn im Stich lasse. So sehr mich das beschämt, es erfüllt mich auch mit Dankbarkeit.

Musik

Maria von Magdala: Was soll aus mir werden, wenn er geht? Habe ich nicht durch ihn erst leben gelernt? Bevor er mir begegnet ist, ging es mir schlecht. Die Dämonen hatten mich fest im Griff. Ich fürchtete jeden Tag. Die Angst war mein ständiger Begleiter. Ich konnte nicht mehr allein leben, war so abhängig von anderen.

Da kam er und sprach mich an. Er sprach meinen Namen. Und ich wusste plötzlich: Ich bin jemand. Ich bin geliebt, ich habe einen Namen. Meine Person zählt, nicht die Dämonen, die mich besetzen. Und auf einmal waren die Dämonen fort. War es verwunderlich, dass ich ihm nachfolgte? Mein Leben hat sich seitdem vollkommen verändert. Was wird geschehen, wenn er jetzt gehen wird? Was wird aus mir? Wie kann ich ohne ihn sein? Wer wird für mich sorgen? Das Leben mit ihm war so gut, so sicher, so vertraut. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Und doch fühle ich: die Zeit mit ihm hat mich stark gemacht. Es gibt so viele Hoffnungszeichen, die bleiben werden. Wir werden aus der Erinnerung leben. Sie wird uns Mut machen für die Gegenwart. Und ich fühle es tief in mir: Es wird ein Wiedersehen geben. Und dann ist die Erinnerung Gegenwart, dann ist alles eins, Zeit und Ewigkeit. Vielleicht gibt es Leben im Tod. Vielleicht geht seine Gegenwart über seinen Tod hinaus. Dafür könnte dieses Mahl an seinem letzten Abend ein Zeichen sein.


Lied: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr, EG 382

 



Pfarrerin PD Dr. Sibylle Rolf
69117 Heidelberg
E-Mail: sibylle.rolf@wts.uni-heidelberg.de

Bemerkung:
die Predigt verdankt wesentliche Anregungen der Liturgie von S. Rosskopf, Abschied. Mit Frauen erarbeitete Liturgie am Gründonnerstag, in: Gottesdienstpraxis, Serie B, Passion, 2009, S. 91ff.


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