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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 09.05.2013

Predigt zu Johannes 17:20-26, verfasst von Sibylle Rolf



Liebe Schwestern und Brüder,

Christi Himmelfahrt ist ein leichtes Fest. Endlich hat sich nach dem langen Winter der Himmel wieder geöffnet. Die Natur grünt und blüht, es gibt endlich wieder etwas anderes als Kohl zu essen. Viele von Ihnen sind mit dem Fahrrad hier, und viele werden nach dem Gottesdienst eine Fahrradtour anschließen. Christi Himmelfahrt ist ein leichtes Fest, weil die Zeit im Jahr eine leichte ist. Christi Himmelfahrt ist aber auch ein schweres Fest, das sich in seiner Bedeutung nicht so schnell erschließt wie Weihnachten oder Ostern. Darum ist es über die Jahre zum Vatertag geworden. Christi Himmelfahrt ist Vatertag. Ich glaube: gar nicht zu Unrecht. Der Predigttext ist ein Vatertags-Text. Hören Sie selbst.

 

Joh 17,20-26

20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. 24 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war. 25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. 26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.

 

Christi Himmelfahrt ist Vatertag. Der Text ist ein Vatertags-Text. Er stammt aus dem Ende der Abschiedsreden Jesu bei Johannes, kurz vor dem Bericht über Kreuz und Auferstehung. Ein langes Gebet steht da im 17. Kapitel des Johannes-Evangeliums, in dem Jesus sich stellvertretend, fürbittend für seine Jünger und für alle Menschen - auch für uns - an seinen Vater wendet. Kurz vor seinem Tod sagt Christus: Ich bitte aber nicht allein für sie, die Jünger, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden - durch die vielen Jahrhunderte bis zu uns am Feldkreuz in Eppelheim. Christi Himmelfahrt ist Vatertag, weil wir Zeugen der Liebe zwischen Vater und Sohn werden, und mehr noch: weil wir in diese Liebe hineingenommen werden, die zwischen dem Vater und dem Sohn herrscht. Vatertag, weil sich für jeden von uns Gott als der Vater Jesu Christi zeigt, der auch unser Vater ist.

Christi Himmelfahrt ist ein leichtes und doch ein schweres Fest. Es ist die Gegenbewegung zu Weihnachten. Haben wir am Christfest gefeiert, dass Gott zu uns kommt, in einem kleinen Kind im Stall, so feiern wir an Himmelfahrt, dass Christus zum Vater zurückkehrt. Haben wir an Weihnachten gefeiert, dass Gott sich restlos auf uns Menschen einlässt mit allem, was unser Menschsein ausmacht, so feiern wir heute, dass der Mensch gewordene Gott ganz und gar vom himmlischen Vater aufgenommen wird. Wahrer Mensch und wahrer Gott. Mit dem Bekenntnis von Nicäa und Konstantinopel werden wir das gleich nach der Predigt bekennen: für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen - und wieder aufgefahren zum Himmel, zur Rechten des Vaters. Sein irdischer Weg von der Krippe ans Kreuz offenbart sein Einssein mit uns Menschen, am Himmelfahrtstag geht es um sein Einssein mit dem Vater. Ein echter Vatertag!

Er lebt ganz mit dem Vater, und betend tritt Jesus für seine Jünger ein. Über viele Generationen reicht sein Gebet bis zu uns, die durch das Wort der Jünger an ihn glauben. Betend und fürbittend tritt Christus für uns ein. Der Inhalt seines Gebets ist ein einziger Wunsch: sie alle sollen eins sein. Zu einem ökumenischen Gottesdienst gibt es keinen passenderen Wunsch als das Gebet um die Einheit der Glaubenden und Nachfolgenden. Angesichts der Unterschiede, ja der Spaltungen, die unsere Kirchen immer noch trennen, ist die Bitte um Einheit mehr als ein frommer Wunsch. Sie spricht all den Menschen in konfessionsverschiedenen Ehen aus dem Herzen, die darum ringen, ihren Glaubensweg miteinander zu gehen. Die Bitte um die Einheit des Glaubens findet einen Widerhall bei denen, die darunter leiden, dass evangelische und katholische Christen nicht gemeinsam das Abendmahl feiern können, und bei denen, die sich eine größere Einigkeit bei den kirchlichen Ämtern wünschen. Dass alle eins seien, das ist mehr als ein frommer Wunsch, es ist die Bitte Jesu Christi selbst.

Was heißt das, Einheit? Der Wunsch nach Einheit ist hochgradig missbrauchbar. Im Namen des einen Gottes und der einen Wahrheit sind Festungen errichtet worden, die Menschen gefangen nehmen. Im Namen der einen Kirche sind Kriege geführt und Menschen ausgegrenzt worden. Hexen verbrannt und Ketzer verfolgt worden. Der Wunsch nach Einheit kann in die Sucht nach Harmonie umschlagen. Die Sucht nach Harmonie kann einen falschen Frieden nach sich ziehen. Nicht nur in der Kirche.

Eine Familie, die um der Einheit willen Angst vor Konflikten hat, kehrt Spannungen unter den Teppich und verschanzt sich in einer Festung, in die niemand hinein und aus der niemand herauskommt. Eine Wissenschaft, die keinen Streit um die Wahrheit verträgt und zulässt, wird totalitär. Ein Staat, der seinen Bürgern und Bürgerinnen keine Meinungsvielfalt erlaubt, wird zum Terrorregime. Eine Kirche, die ihre Einheit mit Mitteln der Ausgrenzung und der Verfolgung sichert, hat sich vom Evangelium Jesu Christi weit entfernt. Unsere gemeinsame Kirchengeschichte vor der Reformation, aber auch die Geschichte unserer beiden Konfessionen ist voll von solchen Beispielen. Beispielen, in denen für die eine Wahrheit schreckliche Verbrechen begangen worden sind. Aber wir haben die Wahrheit noch nicht, wir ringen um die Wahrheit, und zu diesem Ringen gehören die Auseinandersetzung und der Konflikt - in unseren Familien und Ehen genauso wie im Beruf, in der Gesellschaft, in der Politik und auch in der Kirche. Wer sich dem Konflikt nicht stellt, missachtet die Wahrheit, denn der Streit um die Wahrheit wird ihm oder ihr gleichgültig. Dass alle eins seien, ist kein Wunsch nach Friede, Freude, Eierkuchen.

Sich auf Spaltungen zurückzuziehen, ist aber auch nicht der richtige Weg. Das nimmt die Autorität des bittenden Christus nicht ernst. Damit sie alle eins seien, bittet Christus bei seinem Vater für seine Jünger und für uns alle, von Jerusalem bis Eppelheim. Und Jesu Satz geht weiter: damit sie alle eins seien. Wie du, Vater in mir bist, und ich in dir, so sollen auch sie, Vater, in uns sein. Himmelfahrt ist Vatertag. Die Einheit unter uns spiegelt die Einheit zwischen Vater und Sohn, und diese Einheit zwischen Vater und Sohn ist keine Einheit der Festungen und Mauern, keine Einheit der hochgezogenen Zugbrücken und des Ausgrenzungszwangs. Die Einheit zwischen Vater und Sohn ist die Einheit der Liebe, die sich für die Geliebten ganz hingibt und sich verschenkt. In der Bewegung von Weihnachten bis Karfreitag und von Ostern bis Himmelfahrt spiegelt sich die menschenfreundliche und gottoffene Einheit des Vaters mit dem Sohn, die verbunden sind durch das Band der Liebe, den Heiligen Geist.

Die Einheit zwischen Vater und Sohn zeigt sich im Weg, den Gott selbst nimmt. Im Weg zu uns Menschen in diese Welt und im Weg aus dieser Welt zu Gott dem himmlischen Vater: das ist die Bewegung, die Gott in Jesus Christus geht. Eine Kirche, die um Einheit bittet, vollzieht diesen Weg der Weltzugewandtheit und der Gottoffenheit nach. Es ist nicht die organisatorische Einheit und nicht die Einheit unter einem Leitungs-Amt, sondern die geistliche Einheit, die uns verheißen ist, indem wir gemeinsam auf die Stimme des einen Hirten hören, der uns ruft. Die geistliche Einheit, in der wir uns miteinander vom bittenden Christus beim himmlischen Vater vertreten lassen. Die Einheit, die letztlich Gott selbst stiftet und um die wir bitten, die wir nicht auf Kosten von anderen gewaltsam selbst durchsetzen.

Die Bitte um die Einheit, die Christus für uns ausgesprochen und gelebt hat, macht Mut zu ökumenischer Weite. Unsere Einheit wird gestiftet von der Liebe zwischen Vater und Sohn. Sie steht und fällt nicht mit unseren ökumenischen Gehversuchen. Vielmehr ist es umgekehrt: in der Liebe zwischen Vater und Sohn wurzelt unsere Kirche. Unsere gemeinsame Kirche, die größer ist als die voneinander getrennten Konfessionen. Denn unsere gemeinsame Kirche wurzelt in der Kraft des dreieinigen Gottes. Das macht Hoffnung. An einem Tag wie heute, an einem Feiertag wie Christi Himmelfahrt und in kleinen oder größeren gemeinsamen Schritten, die sich an dem, was uns im Glauben verbindet, mehr freuen als an dem, was uns in der Lehre und der Organisation trennt. In kleinen und größeren gemeinsamen Schritten gleichwohl, die der Hoffnung Raum geben, dass wir eines Tages wirklich gemeinsam um den Tisch des Herrn stehen und miteinander die Eucharistie, das Heilige Abendmahl feiern können. Das Gebet Jesu macht Mut zum Neubeginn, in unserer ökumenischen Gegenwart in Eppelheim, heute an diesem Tag und immer mehr. Gott sei Dank. Amen.

 

 



Pfarrerin PD Dr. Sibylle Rolf
68535 Edingen-Neckarhausen
E-Mail: sibylle.rolf@wts.uni-heidelberg.de

Bemerkung:
Ansprache im ökumenischen Gottesdienst am Feldkreuz in Eppelheim


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