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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 12.05.2013

Predigt zu Johannes 14:15-19, verfasst von Stefan Knobloch

 

 

Österliche Zeit, für immer

Liturgisch gesehen neigt sich die österliche Zeit ihrem Ende zu. Liturgisch gesehen, nicht aber faktisch. Mit ihr ist es nicht - um in einem Bild zu sprechen - wie mit dem Glockenspiel am Münchener Marienplatz oder wie mit der berühmten Ankeruhr in Wien, wo zur vollen Stunde Figuren vorbeiziehen, um dann im Hintergrund zu verschwinden. Das war's. Nicht so die österliche Zeit. Sie bleibt, sie hat Bestand. Für immer. Das will uns das Evangelium nach Joh 14,15-19 am Sonntag Exaudi sagen.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Und so einfach war es schon damals nicht, als die christlichen Gemeinden in dem ihnen geschenkten Evangelium nach Johannes einen gültigen und orientierenden Ausdruck ihres Glaubens erkannten. Nämlich die Deutung ihres Lebens und ihrer Zeit als einer österlichen Zeit. Das soll heißen, als einer vom Licht des Auferstandenen und seiner Gegenwart erfüllten und durchwalteten Zeit. Eine Selbstverständlichkeit war diese Deutung nicht. Von Gott her freilich ja. Er hatte die Wirklichkeitsverhältnisse so geschaffen. Daran hatte es keinen Mangel. Anders war es auf Seiten der Menschen. Und das gewissermaßen von Anfang an. Die Menschen hatten offenbar, im Sinn eines ihnen anhaftenden Handicaps, Schwierigkeiten damit, Gottes Spuren in ihrer Lebenswirklichkeit wahrzunehmen. Darauf verweist schon der Prolog des Johannesevangeliums. Das Wort, das bei Gott war, kam in die Welt. „Er war in der Welt, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf" (Joh 1,10-11).

An der Verbesserung dieses menschlichen Handicaps versucht der Herr im heutigen Evangelium zu arbeiten. Das Szenario ist das des Abschieds Jesu von seinen Jünger vor seinem Leiden, vor seiner Hinrichtung. Nur, mit welchen Worten das in Szene gesetzt wird, das dürfte für unsere Ohren, für unser Gemüt wenig Erregendes, eher etwas Einschläferndes an sich haben: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten." Das kennen wir schon, könnten wir einwenden. Was soll uns daran aufhorchen lassen? Und vielleicht wird die Enttäuschung noch größer, wenn wir einen anderen Satz, der vorausgeht, hinzunehmen: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben" (Joh 13,34).

Der Satz liefert wenigstens eine Begründung. Vielleicht ist das ein Ansatzpunkt. Wir sollen einander lieben, wie und weil er uns geliebt hat. In diesem Satz rutscht dann doch mehr nach. Sozusagen das ganze Gewicht, die ganze Wucht, nicht, die ganze Last, seiner Botschaft: Gottes Liebe, Gottes voraussetzungs- und bedingungslose Liebe als das Prinzip unserer Wirklichkeit.

Für unser Empfinden mag das das Johannesevangelium etwas ungeschickt verpackt haben: die Liebe Gottes als Prinzip unserer Wirklichkeit verpackt im Begriff des Gebotes. Gemeint ist, in diesem Prinzip verdichtet sich alles. Dieses Prinzip ist der Knackpunkt. Dieses Prinzip ist der springende Punkt, an dem etwas wie eine Sprungfeder aufspringt: Die Liebe Gottes als unser Lebensprinzip, aus der heraus wir leben sollen! Sie will die Sprungfeder zur Tiefenerfahrung unseres Lebens als eines geliebten Lebens sein, vor der alle abträglichen und belastenden Erfahrungen, die wir uns selbst und andere uns antun, verblassen. Also bedeutet der Satz, wenn ihr mich liebt, wenn ihr euer Leben aus dem Grund der Liebe heraus lebt, dass wir dann aus Gott und aus der Gegenwart des Auferstandenen leben. Liebe ist das Prinzip ihrer Beziehung zu uns. Liebe ist der Kern der Offenbarung an unser Leben!

Das Liebesgebot will uns nicht an die Kandare nehmen, es will keine uns erdrückende Überforderung sein. Es will so etwas wie unser Grundwasser sein, von dem her wir das Leben beziehen und es gedeihlich entfalten. Gott weiß, dass wir dazu von uns her nicht in der Lage sind. Wir können nicht einfach - wie Parteien - ein neues Programm auflegen und sagen: Ab jetzt nur noch Liebe! Dazu reicht es bei uns nicht. Aber, so sagt das Johannesevangelium, uns wird, uns ist Hilfe an die Seite gestellt. Ja, nicht nur an die Seite gestellt, sondern sie ist in uns, ohne damit einfach unsere eigene Kraft geworden zu sein. Ein Beistand, sogar ein anderer Beistand, den Jesus von sich unterscheidet, wird da sein. Nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer, für immer.

Genannt wird dieser Beistand der Geist der Wahrheit. Wieder könnten wir sagen, abstrakter gehe es wohl nicht mehr. Was sollen wir mit einem Geist der Wahrheit anfangen? Sollen wir uns womöglich mit einander übertrumpfenden Wahrheitsansprüchen gegenseitig die Köpfe einschlagen? Nein, mit dem Geist der Wahrheit sind keine abstrakten Wahrheitsansprüche gemeint. Nach Joh 16,13 ist der Geist der Wahrheit eine Instanz, die uns in das Leben einführt, in die Weisheit des Lebens, in die richtige Lebenspraxis, konkret und alltagssatt. Wir dürfen hier an Röm 8,26 denken. Dort erläutert Paulus den Geist der Wahrheit als einen Geist, der sich unserer Schwachheit annimmt, der uns aufbaut, wo wir abbauen und einreißen. Wir wüssten oft nicht, was für uns das Beste sei, worum wir bitten sollten. Da tritt der Geist für uns ein mit einem Seufzen, das wir nicht in Worte fassen könnten.

Doch dann spricht das Evangelium davon, dass die Welt diesen Geist der Wahrheit nicht empfangen könne? Wofür ist er dann da? Nur für einige Wenige? Nein, hier ist noch einmal an den Prolog des Johannesevangeliums zu erinnern: „Er war in der Welt, aber die Welt erkannte ihn nicht." Das gilt auch von seiner bleibend österlichen Präsenz. Man übersieht ihn, man erkennt ihn nicht, urteilt das Johannesevangelium ziemlich rigoros. Im Gegensatz dazu kennen ihn und sehen ihn die Jünger. Sie sehen ihn, erfahren ihn - nach seiner Hinrichtung - als lebend, als präsent und beziehen daraus ihr Leben.

Hebt damit das Johannesevangelium nicht einen doppelt fraglichen Graben aus? Doppelt fraglich insofern, als schon die Jünger und auch die Glaubenden aller Zeiten bis heute nicht einfach nur Glaubende waren und sind. Sie zweifeln auch, sie werden schuldig, sie verrennen sich. Fraglich aber darüber hinaus auch insofern, als auf der anderen Seite die Wege der „Welt" in ihren eigenen Werten unterschätzt werden. Werden sie vom Johannesevangelium nicht pauschal als Abwege, als Irrwege abgetan, wo sich Gott doch den Menschen an allen Orten und sozusagen auch Un-Orten zeigen kann? Denn der Geist Gottes weht, wo er will. Zumal in Zeiten, in denen die kirchliche Rede von Gottes Heil in Jesus manchmal wie ausgebrannt, wie formelhaft erstarrt erscheint.

Der Geist weht, wo er will. Nicht selten in einem leisen Säuseln, wie es zum Beispiel der Prophet Elija erfuhr, als er verängstigt und entmutigt war (1 Kön 19,11-12). Es ist österliche Zeit. Gott spricht in vielen Zeichen, Gesten und Sprachen. Zu uns. Richtiger gesagt, zur Welt, zur - im johanneischen Sinn - gottverschatteten, gotttauben Welt. Denn der Erhöhte zieht alle an sich. „Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen" (Joh 12,32). Es ist österliche Zeit, für immer.




Prof. Dr. Stefan Knobloch
94036 Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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