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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Epiphanias, 19.01.2014

Predigt zu Hebräer 12:12 –18 und 22–25a, verfasst von Hans-Otto Gade



Liebe Gemeinde,

die Familie sitzt enttäuscht um den Kaffeetisch. Immer wieder blickt einer zum Fenster hinaus; bei jedem Türklappen im Treppenhaus springen alle erwartungsvoll auf - doch wieder nichts. So oft, so oft hatten sie sich vorbereitet, so oft mit Spannung und Freude darauf gewartet, dass er zurückkommt. Doch es war wie immer: Vergeblich hatten sie gewartet. Jetzt wieder. Angekündigt war seine Rückkehr - doch nun war er wieder nicht angekommen.

„Ich warte nicht mehr länger! Der soll bleiben wo der Pfeffer wächst!" Verärgert schlägt der Mann mit der Faust auf den Tisch. Seine Frau räumt still den Kaffeetisch ab und bringt den Kuchen in die Küche. „Warum bereite ich das alles vor? Diese Warterei ist doch sowieso vergeblich! Der kommt sowieso nicht mehr. Unsere Nachbarn lachen uns ja aus, weil wir immer wieder vergeblich warten!"

Diese Familie, liebe Gemeinde, diese Familie ist ein Bild für die Christen am Ende des ersten Jahrhunderts nach der Geburt des Weltenheilands. Der Apostel Paulus hatte doch immer wieder davon gesprochen, dass Jesus Christus trotz Kreuzigung und Tod lebt. Er hatte doch immer wieder gesagt und geschrieben: „Jesus Christus kehrt zurück auf die Erde und er wird sein ewiges Reich des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe aufrichten!" Diese Versprechungen sind nun auch schon gut 30 Jahre her - und was ist passiert?

Paulus und Petrus waren auf Befehl des Kaisers Nero vor 25 Jahren hingerichtet worden, und nun gerade hatte der aktuelle Kaiser Domitianus die Christen wiederum verfolgt.

Und Christus? Er schweigt, er greift nicht ein, er kommt nicht zurück. Das Warten ist vergeblich. Das Feuer des Glaubens wird von der Asche der Enttäuschungen überdeckt.

Manche Christen dieser Zeit mögen gedacht haben: War es wirklich richtig, dem Jahrhunderte alten jüdischen Glauben den Rücken zu kehren und Christ zu werden? Ist nicht doch vielleicht besser, in die Synagoge zurück zu kehren?

Da erreicht diese müden Christen ein Brief, der an mehrere Gemeinden gerichtet ist. Im 12. Kapitel dieses Briefes heißt es:

12 Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie
13 und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.
14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird,
15 und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden;
16 dass nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.
17 Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.
18 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter.

22 Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zu der Versammlung 23 und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten
24 und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut.
25 Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet.

Einiges bleibt im Gedächtnis haften: "Stärkt die müden Hände und die wankenden Knie, und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde". Und: "Jagt dem Frieden nach mit jedermann und eurer Heiligung..."

Das bleibt im Gedächtnis haften, aber was war da noch? Eine bittere Wurzel.... Ein Abtrünniger wie Esau.... Der Berg mit Feuer, Finsternis und Gewitter.... Der Berg mit den Geistern der vollendeten gerechten... Das Blut der Besprechung, das besser redet als Abels Blut...???

Das sind Geschichten und Ereignisse quer durch die Bibel. Da ist die Rede von Esau, der sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht an seinen Bruder Jakob verkauft hat. Und weil der eigentlich als Erstgeborener von Gott ausersehen war, den tragenden Segen des Vaters zu erhalten, deswegen wird er als Abtrünniger bezeichnet, als Negativbeispiel, als einer, der gegen Gottes Willen gehandelt hat.

Da ist die Rede vom Berg Sinai, der im Volk Israel nur Angst und Schrecken verbreitet habe. Warum? - Weil am Berg Sinai dem Volk Israel die Gesetze, das sind die 10 Gebote mit allen ihren Ausführungsbestimmungen, gegeben worden sind, diese Gesetze, die das Leben der Juden so sehr einengen und Gott nur als rächenden, richtenden Gott erscheinen lassen. Durch die Gesetze des Berges Horeb-Sinai ist der Blick auf den liebenden Gott verstellt.

Da ist die Rede von der Gemeinde der Heiligen, also der Christen, die durch Taufe und Abendmahl schon jetzt dem himmlischen Jerusalem, dem „Berg Zion" nahe gekommen sind, und zum Schluss wird das Blut des von seinem Bruder Kain getöteten Bruder Abel mit dem unschuldigen Blut Jesu Christi verglichen.

Schließlich soll die Gemeinde den nicht abweisen, der redet - gemeint ist Jesus Christus - die Gemeinde erwartet Tod und Verderben, wenn sie Jesus Christus und seine in jeder Beziehung himmlische Botschaft abweist.

Eine Gemeinde wird angesprochen, eine Gemeinde, die offensichtlich müde geworden ist, eine Gemeinde, in der die Resignation stärker war als die Hoffnung. Und diese Gemeinde wird gewarnt: „Fallt nicht von dem Glauben an Jesus Christus ab! Verlasst nicht den Weg, der ins Himmelreich führt. Trotz aller Enttäuschungen und trotz der äußeren Gefahren müsst ihr als Gemeinde Christus treu bleiben. Wenn ihr jetzt diesen Weg des Glaubens verlasst und zurückkehrt zu eurem früheren Leben, dann wird euch diese Sünde nicht vergeben werden!"

Eine Gemeinde, die müde geworden ist. Eine Gemeinde, in der die Resignation mehr Gewicht hat als die Hoffnung, eine Gemeinde, in der die Langeweile jede Aktivität lähmt.

Das gab es sicherlich nicht nur in den Gemeinden damals vor 1900 Jahren, sondern das gibt es heute genauso! Das Leben unserer Gemeinden wird ja heutzutage nicht bedroht durch irgendwelche staatlichen Verfolgungen, wie es damals zur Zeit des Hebräerbriefs der Fall war. Unsere Gemeinden leiden an steter Auszehrung - nicht nur wegen der sinkenden Mitgliederzahlen, sondern auch, was die innere Bereitschaft zu einem jeweils neuen und doch so alten immer wiederkehrenden Bekenntnis anbetrifft.

Wir hören ständig den Ruf zu neuen Wegen in der Gemeindearbeit. Aber diese Wege müssen bestimmt und geleitet sein von unserem Glauben. Denn: die Mitte und der Grund unserer Arbeit und unseres Lebens in der Gemeinde ist und bleibt das Vertrauen auf die Liebe des Gekreuzigten und Auferstandenen.

Im Glauben an Jesus Christus und im Vertrauen auf den Dreieinigen Gott Bewährtes bewahren und Neues wagen, das muss unser Gemeindeleben bestimmen. Dann wird das Leben in unserer Gemeinde nicht müde und langweilig, sondern lebhaft und interessant - auch für Außenstehende! - Warum? Weil dann für alle sichtbar wird, von welcher ewigen Hoffnung und Zuversicht wir getragen werden!

Die Gemeinden zur Zeit des Hebräerbriefes waren von außen bedroht durch die Verfolgungen der Römer. Und sie waren von innen bedroht durch ihr vergebliches Warten auf den wiederkehrenden Christus.

Wir sind in unserem Bestand bedroht durch die Interesselosigkeit der modernen Gesellschaft. Und das haben wir zum größten Teil selbst verschuldet: Wir sind eben oft nicht interessant genug - dann taucht die Frage auf: Was habt ihr Christen denn zu bieten in der Welt von heute? Was habe ich davon, wenn ich in der Kirche bin und Kirchensteuern zahlen?

Vielfach wird dann mit den Aktivitäten der Kirche und Gemeinde geantwortet; wir zählen Kindergärten und Altenkreise, Weißrussland-Hilfe und Büchertisch, Kindergruppen und Hauskreise, Obdachlosenfrühstück und Eine-Welt-Laden auf und vieles andere mehr. Wir geben uns immer wieder Mühe, nicht in Routine und Gewohnheit zu verfallen, damit wir für die da draußen und uns hier drinnen nicht langweilig werden, nicht müde und unsicher.

Aber all das was wir aufzählen, all unsere Bemühungen, in der Gemeinde und in der Welt aktiv zu bleiben und zu werden, sind nur zweitrangig.

Allein entscheidend für den Bestand einer Gemeinde ist das Leben in Heiligung, wie es der Hebräerbrief nennt. Ein Leben in Heiligung, so ein Leben wird nicht erreicht durch Aktivitäten und Betriebsamkeit einer Gemeinde. Unser Leben wird nicht heilig durch strenges befolgen irgendwelcher Gebote und bestimmter Verhaltensweisen.

Unser Leben wird heilig, unser Leben ist heilig, weil da einer JA zu uns gesagt hat. Unser Leben ist heilig, weil vor 2000 Jahren einer im Auftrag Gottes seinen Weg gegangen ist bis zum Kreuz und in die Auferstehung.

So gehören wir, wie wir es im Glaubensbekenntnis beten, zur Gemeinschaft der Heiligen, zu der Gemeinschaft, die immer wieder Fantasie und Ideen entwickelt, um als christliche Gemeinde heute in unserer Welt zu leben und zu arbeiten - und zu hoffen und zu vertrauen!


Ame



Pastor i. R. Hans-Otto Gade
21614 Buxtehude
E-Mail: hans-otto.gade@ewetel.net

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