Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 09.06.2014

Wie kann ich ohne Angst in die Zukunft hineinleben
Predigt zu Apostelgeschichte 2:22-23. 32-33. 36-39, verfasst von Hellmut Mönnich

 

Liebe Gemeinde,

wie kann ich leben - ohne Angst vor der Zukunft? Was gibt mir überhaupt Sicherheit im Leben? Und worauf kann ich vertrauen? Auch am Lebensende, im Sterben?

Sind es nur wenige, unsichere, ängstliche Menschen, die so oder ähnlich fragen? Und - sind das nur Fragen von heute - oder fragten Menschen auch früher schon so, zur Zeit der ersten Christen etwa?

Ob sich vielleicht im heutigen Predigttext Antworten finden lassen auf solche Fragen? Darum soll es uns jetzt gehen: herauszufinden, was Lukas damals mit seinem Apostelgeschichte-Text seiner Gemeinde, seinen Lesern gesagt hat. Und ob wir - im Hören auf den vorgeschlagenen Text - für uns heute, für unser Leben mit unseren Fragen heute, davon etwas mitnehmen können.

Bevor ich den Predigttext jetzt gleich vorlese, sollte ich zunächst noch kurz etwas vorausschicken. Damit der vorzulesende Text besser zu verstehen ist.

Das erste, was auffällig ist: Der Predigttext aus dem Anfang der Apostelgeschichte besteht nicht aus einem fortlaufenden Text, sondern vielmehr aus mit Bedacht ausgewählten einzelnen Versen, genauer: aus Versen einer Predigt! Und zwar einer Predigt des Apostels Petrus. Aber diese Predigt hat unerwarteter Weise Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte, selbst entworfen. Er hat sie dem Apostel - der ja Jahre früher lebte als Lukas - in den Mund gelegt. Wozu? Durfte er das? Kurz gesagt: ja! Aber wozu hat er das getan?

Lukas erzählt. Er erzählt die Geschichte der frühen Christen, der Zeit nach der Kreuzigung und Auferweckung. Er erzählt die Geschichte des neuen Gottesvolkes der Christen - das nämlich ist die Apostelgeschichte. Und er erzählt und schreibt als theologischer Historiker. Genauer: Er schreibt so, wie Historiker damals schrieben. Das heißt: Er hat nicht nur nachprüfbare Fakten aufgeschrieben. Er hat auch seine Vorstellungskraft, seine Phantasie gebraucht - und es war damals z.B. durchaus nicht selten, einer historischen Person eigene Gedanken in den Mund zu legen. Heute weiß man: Historiker damals hatten tatsächlich andere Vorstellungen davon, wie man Vergangenes darstellt. Historiker heute schreiben anders. Gleichwohl: Es ist unangemessen, solche alten Darstellungen mit unseren heutigen Vorstellungen von Geschichtsdarstellungen zu bewerten. Und da Lukas über eine Zeit schreibt, die für ihn schon über 50 Jahre zurück liegt, ist die entscheidende Frage für uns heute: Was hat Lukas mit dieser ganzen Predigt - einer typischen Missionspredigt seiner Zeit - seinen Lesern damals gesagt und: was hat er besonders in den für die Predigt heute ausgesuchten Versen gesagt?

Dies nun ist der vorgeschlagene Predigttext: (Apostelgeschichte 2:22-23.32-33. 36-39. Ich nutze gern die „Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift - Das Neue Testament" oder die „Basisbibel - das Neue Testament", in diesem Fall ohne Vers 32a alpha):

Bevor wir uns jetzt dem zuwenden, was Lukas seiner Gemeinde hier sagen wollte, muss noch etwas klargestellt werden: Da heißt es doch gleich im zweiten vorgelesenen Vers: „ihn" - nämlich Jesus - „habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen (damit sind die heidnischen römischen Soldaten gemeint) ans Kreuz geschlagen und umgebracht" (Vers 23). Stimmt das und darf man das so heute noch sagen, nach allem, was passiert ist? Ist das nicht antisemitisch?

Wissenschaft heute stellt fest: Die Rechtsverhältnisse und die Hinrichtungsart erweisen eindeutig die römische Besatzungsmacht als entscheidend verantwortlich für den Tod Jesu. Und Pontius Pilatus war es, der der damaligen römischen Besatzungsmacht als Präfekt vorstand.

Aber es ist auch festzuhalten: Das Verhör Jesu durch den Hohepriester und Mitglieder des sog. Hohen Rates - so wurde damals die jüdische Verwaltungs- und Gerichtsbehörde in Jerusalem genannt - also das Verhör Jesu diente offenbar der Vorbereitung einer Anklage vor Pilatus. D.h., die Jerusalemer Tempelaristokratie ist zwar als erste Instanz mitverantwortlich für die Verurteilung und dann die Hinrichtung Jesu. Letztlich verantwortlich aber ist die römische Besatzungsmacht. Und das heißt: Der Vorwurf seit Jahrhunderten, „die Juden" hätten Jesus Christus umgebracht, „die Juden" seien Gottesmörder trifft schlicht nicht zu! Aber solche Vorwürfe haben über viele Jahrhunderte eine schreckliche Spur hinterlassen.-

Nein, Lukas war kein Antisemit. In den Versen vor unserem Predigttext lässt er Petrus zu den jüdischen Zuhörern auch sagen: „ Brüder, ich weiß, ihr habt aus Unwissenheit gehandelt, ebenso wie eure Führer." Für Lukas übrigens steht die Trennung von Juden und Christen nicht von vornherein fest.

Zurück zu unserer Frage: Was wollte Lukas seiner Gemeinde sagen? Um Antwort zu finden, müssen wir unseren Blick zunächst in die Petruspredigt vor unseren, ja ausgewählten, Versen werfen. Da finden wir: die Petruspredigt richtet sich an „fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel" (Apg. 1:5). Gemeint sind damit griechisch sprechende Juden in Jerusalem und wohl auch aus dem Mittelmeerraum, die zum jüdischen sog. Wochenfest nach Jerusalem gekommen sind, einem Wallfahrtsfest 50 Tage nach dem Passahfest. Und das ist ja auch der Termin unseres Pfingstfestes! Und an diese Hörer wendet sich die Petruspredigt! Lukas legt seine Gedanken dem bedeutenden Apostel Petrus in den Mund, um den Gedanken größeres Gewicht zu geben. Das konnte man damals wie gesagt machen.

Und in der Predigt lässt Lukas Petrus aus der Heiligen Schrift zitieren, aus dem Prophetenbuch Joel. Dort hört der Prophet Joel Gott sagen: „Und danach werden ich meinen Geist ausgießen über alle Menschen" (Joel 3:1a). Mit dem Wort „danach" ist in diesem Satz gemeint: Wenn Gott in der Zukunft ins Weltgeschehen eingegriffen hat. Dann wird Gott allen Menschen seinen göttlichen Geist schenken. Und die Gemeinde des Lukas wusste zusammen mit den Christen damals: Mit der Auferweckung Jesu Christi hat Gott ins Weltgeschehen eingegriffen und nun den Christen seinen Geist geschenkt!

Aber Lukas hat noch mehr im Joel-Prophetenbuch gefunden. Da heißt es auch: „... und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet" (Joel 3:5a). - Darf ich schnell erklären: „Gott anrufen" bedeutet: Gott ernst nehmen, glaubend mit Gott leben. - Und noch etwas zum Verstehen Wichtiges verbirgt sich in diesem Joel-Zitat: Die Christen nannten Jesus Christus „Herr". Entsprechend verstanden sie das Zitat aus dem Joel-Prophetenbuch nun so: „Jeder, der den Namen Jesu Christi anruft, wird gerettet werden." Obwohl in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel hier mit „Herr" Gott gemeint ist. (In der hebräischen Bibel steht nämlich an dieser Stelle der Name Gottes: „JHWH". Und an der Stelle dieses Namens steht in der Übersetzung ins Griechische das Wort „Herr"). Für die Christen ist Jesus Christus die entscheidende, im Blickpunkt stehende göttliche Person. Und entsprechend verstehen sie das Prophetenzitat so: Wer Jesus Christus als Herrn hat, der wird gerettet werden.-

Auf die dem Petrus in den Mund gelegten Predigtversen fügt Lukas - sozusagen als Historiker- die Wirkung der Predigt hinzu wie folgt:

Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz. Und sie fragten Petrus und die übrigen Apostel: „Was sollen wir tun, Brüder?"

Petrus antwortete ihnen: „Kehrt um, ändert euer Leben! Lasst euch taufen auf den Namen Jesus Christus. Dann wird Gott euch eure Schuld vergeben und euch den Heiligen Geist schenken." (Apg.2: 37f)

Die Petrusantwort ist die entscheidende Aussage der Predigtverse! Was sie sagt, das galt den Hörern und Lesern der vorgelesenen Predigt zur Zeit des Lukas. Damals, im ersten Jahrhundert, gab es mehr als nur eine Religion mit ihren Anworten für Suchende. Und dazu kamen quasireligiöse Philosophien, die richtiges Leben vorstellten, und religiös wurde oft auch eine Zukunft nach dem Tod versprochen .-

Als ich das las: „Kehrt um! Ändert euer Leben"! habe ich einen Moment vom Text hochgeblickt. Mir stand eine Bücherwand in einer Bahnhofs-Buchhandlung vor Augen, vor der ich letzte Woche stand. Titel wie: „ So befreien Sie sich von alten Mustern, Ängsten, und Selbstzweifeln"; „Finde Deine Lebenskraft"; „Zur Stunde des Weltgerichts" aber auch: „Glaube an dich und werde reich" sind mir in Erinnerung. Solche Buchtitel gab es natürlich nicht zur Zeit des Lukas. Aber auch damals suchten die Menschen Ängsten zu entkommen. Für ihr Leben Boden unter die Füße zu bekommen. Und sie fragten sich: Was wird aus mir am Lebensende? Ihnen sagt Lukas: Ändert euer Leben! Und er meinte damit: Vertraut nicht falschen Versprechungen, nicht den religiösen Versprechungen etwa der aus dem Osten kommenden Kulte mit ihren Geheimnissen! Vielmehr: „Kehrt um!" Wendet euch Gott in Jesus Christus zu!

Und dann dachte ich: Wie ist das heute? Wo suchen Menschen unter uns heute Antworten auf ihre Lebensfragen? Im Buddhismus - erzählte mir im Urlaub ein suchender Lehrer glücklich. In Indien, sagte mir ein Student. „Er brauche keinen Glauben", sagte mir ein Geschäftsmann und zählte mir auf, was er alles erreicht hatte, von einer tollen Villa bis zum Boot in Travemünde. „Ich glaube an mich!" fasste er seine Erfolge zusammen. „Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt - das ist eigentlich dein Gott" hat vor langer Zeit Luther formuliert. Und das schoss mir bei dem erfolgreichen, stolzen Geschäftsmann durch den Kopf.

Lasst euch taufen!" schlug Lukas seinen Hörern, die ja keine Christen waren, vor. Mit anderen Worten: Kommt zu uns Christen! Kommt zu Jesus Christus! Werdet Christ!

Das heißt: Orientiert euch an Jesus Christus! In allem.

Was das heißt, hatte Lukas in seinem Evangelium ausgeführt, als er Jesus, seinen Weg, seine Besonderheit und sein Schicksal beschrieb als den Weg des Christus, des „Gott Vertretenden".

Was heute Chris- zu- sein bedeutet, kann man z.B. so kurz zusammenfassen: Lebt und orientiert euch an Jesus Christus. Lebt in der Nachfolge Jesu Christi.

Der Theologe Hans Küng sagte das so: Christ sein bedeutet: in der Nachfolge Jesu Christi in der Welt von heute wahrhaft menschlich leben, handeln, leiden und sterben - in Glück und Unglück, Leben und Tod gehalten von Gott und hilfreich den Menschen. Um diese - fast kann man sagen: - Definition von „Christ-sein" abzugrenzen, sagt Küng: Christ ist nicht einfach der Mensch, der human oder auch sozial oder gar religiös zu leben versucht. Christ ist vielmehr nur der, der seine Menschlichkeit, Gesellschaftlichkeit und Religiosität von Christus her zu leben versucht. Und an anderer Stelle sagt Küng: Jesus Christus ist der Maßgebende(n) für die Beziehungen des Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen.

Dann wird Gott euch eure Schuld vergeben" - nämlich: wenn ihr euch taufen lasst, hatte Lukas in seiner Petruspredigt gesagt. Und Lukas hatte damit gemeint: Wenn ihr euch Gott zuwendet und Jesus Christus - der ihn repräsentiert - und damit euer Leben ändert; wenn ihr euch abwendet von dem, was bisher für euch Gott war - dann wendet sich Gott, wie wir ihn verstehen, euch zu. Lasst ihn in euer Leben hinein!

Vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere: Was heißt das alles in einfachen Worten für mein alltägliches Leben? Und für meine Fragen nach Sicherheit im Leben, danach, worauf ich letztlich vertrauen Kann? Und wie es einmal sein wird, wenn ich sterbe?

Ich würde so zu antworten versuchen: Wenn ich mich Gott, wenn ich mich Jesus Christus zuwende, dann wendet sich Gott, dann wendet sich Jesus Christus mir zu! Dann ist mir Gott in jeder Sekunde gegenwärtig als - so möchte ich es ausdrücken - als das große „Du". Mit dem ich sprechen kann. Dann bin ich nicht allein. Dann brauche ich letztlich vor nichts und vor niemandem mehr Angst zu haben. Denn auf ihn kann ich bauen. Ihm vertrauen. Auch im Sterben - denn er wird mich nicht ins Nichts fallen lassen, sondern mich in seine Gegenwart nehmen.-

Und dann predigte Lukas in der Petruspredigt weiter: „Dann wird Gott ... euch seinen Geist schenken." Tatsächlich wird in den Schriften aus der Zeit der Urgemeinde eine erstaunliche Vielfalt von Geisterfahrungen berichtet. „Jesus und die erste urchristliche Generation gehen darin zusammen, dass sie die Gegenwart zum Ort der Erfahrung göttlicher Nähe machen" schreibt ein Ausleger des Neuen Testaments. Paulus und später Lukas berichten, dass die erste urchristliche Generation nach den Ostererlebnissen der Jünger vielfältige Erlebnisse und Erfahrungen machte: Diese Erfahrungen sind ein „Sehen", ein „Hören", sind Prophetie, sind Zungenreden, sind auch Heilungen. Die frühen Christen wussten diese Phänomene als von Gott gewirkt, von Jesus Christus gewirkt, von ihm ermöglicht, von ihm geschenkt. Göttliche Kraft, göttlichen Geist, Heiligen Geist erkannten die ersten Christen in den genannten Phänomenen. Für uns Christen der Gegenwart hier in Europa sind derartige Erfahrungen schwer verständlich, denn derartiges erleben wir kaum.

Aber auch heute erleben Christen, die sich Jesus Christus ohne Vorbehalt „öffnen", sich ihm - nicht zuletzt im Gespräch, im Gebet - hingeben, dass sie geschenkte Kraft, geschenkte Ruhe, geschenkte Zuversicht, geschenktes Vertrauen erfahren. Eben: dass Gottes, dass Christi Geist und Kraft auch in unserer modernen Welt heute wirken.

Es lohnt sich, dem Prediger Lukas zuzuhören, nicht zuletzt heute am Pfingstfest. „O Heilger Geist, kehr bei uns ein und lass uns deine Wohnung sein" will ich heute bitten und lade ein, mit mir zu bitten.

Amen

 



P.i.R. Hellmut Mönnich
37075 Göttingen
E-Mail: moennich.goettingen@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)