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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 15.06.2014

Streit und Segen
Predigt zu 2. Korinther 13:11+13, verfasst von Rudolf Rengstorf

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Der heutige Predigttext steht am Ende eines Briefes, der in erbittertem Streit geschrieben wurde. Heftig und verletzend waren die Vorwürfe, die den Apostel Paulus aus Korinth erreicht hatten. In deinen Briefen, so hatte man ihn wissen lassen, da spielst du dich als überlegener Gemeindegründer auf. Und dem, was du da schreibst, kann man sich kaum entziehen. Aber wenn du dann persönlich kommst, gibst du eine ganz armselige Figur ab. Deine Predigten sind stümperhaft, Dein Auftreten ist mickrig, und von Leitungskompetenz keine Spur. Wo bleibt denn da der Geist und die Kraft des Auferstandenen? Was sollen wir mit einem Apostel, der ständig den Herrn im Munde führt - aber wenns drauf ankommt, den Kopf einzieht und feige das Maul hält?

Paulus setzt sich zur Wehr: Ich will und brauche meine Schwäche nicht zu überspielen. Weil ich doch den Gekreuzigten zu bezeugen habe. Er ist in den Schwachen wirksam. Ihr seid es, die mit geistlichen Kraftmeierei vom Evangelium abgefallen und, des Satans Diener geworden sind.

Da hat man sich auf keiner Seite was geschenkt. Und die Auseinandersetzung ist gerade deshalb so bitter, weil es beiden Seiten ums Eingemachte geht - darum, warum einer Christ ist, worum es ihm im Leben geht, woran er sich hält, wo er sich festmacht und wofür er sich auch in der Gemeinde einsetzt. Und jeder meint natürlich, die Wahrheit und den Herrn Jesus Christus auf seiner Seite zu haben.

Wir kennen solche Konflikte doch auch. Einer davon ist mir noch besonders lebhaft in Erinnerung. Er war gleich nach einer Kirchenvorstandswahl aufgebrochen: Die Neuen sagten: Das kann doch nicht angehen, dass hier bei uns in dieser Kirche so wenig los ist. Ist ja auch kein Wunder, wenn man diesen ganzen weiten Raum, einen der schönsten, den wir in Norddeutschland haben, mit Bänken vollstellt und in der Kirche kaum etwas anderes möglich ist als Sitzen und Zuhören. Raus mit den Bänken zumindest an den Seiten, damit wir die Kirche auch für Ausstellungen und Gottesdienste nutzen können, die von Bewegung und Kommunikation leben.

Doch dann kamen die andern, die - wie es hieß - Bedenkenträgerund Traditionalisten: So geht das nicht, sagten sie. Ihr könnt doch nicht traumtänzerisch so tun, als beginne die Kirche mit euch. Lange vor Euch sind eindeutige Prioritäten gesetzt worden für die Erhaltung unserer historischen Orgel. Und die braucht nun mal all das Holz in der Kirche, sozusagen als Resonanzboden.

Augenblick mal, sagten die anderen: Meint ihr wirklich, eine Kirche sei für die Orgel da? Ist es nicht genau umgekehrt? Es geht ums Leben in der Gemeinde und nicht um viel Holz für alte Pfeifen!

Nein, so die anderen, es geht um Treue gegenüber unserem Erbe, Und es geht um den verantwortlichen Umgang mit knappen Geldern, die wir für Stellen und Menschen brauchen und nicht in die Umwandlung völlig intakter Kirchenräume verschleudern dürfen.

Stellen Sie sich vor, in dieser Situation, wo es keine Brücke zu geben schien zwischen den gegensätzlichen Positionen, da wäre einer aufgestanden und hätte wie Paulus am Ende seiner Streitschrift, im 13. Kapitel seines zweiten Korintherbriefes, gesagt:

Freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen; habt einerlei Sinn, haltet Frieden. So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.

Ich glaube nicht, dass solche Appelle uns geholfen hätten, obwohl sie natürlich völlig richtig sind. Eine Gemeinde, die sich vor lauter Streit nicht mehr freuen kann, der man nicht mehr anmerkt, dass das Evangelium, die frohe, Freude verbreitende Botschaft in ihr lebendig ist, sie hat aufgehört, christliche Gemeinde zu sein. Und natürlich ist es notwendig, dass der Friede in der Gemeinde gewahrt wird und alle sich einig sind darin, worauf es ankommt. Aber bitte schön, wie geht das? Und wenn der Gott der Liebe und es Friedens erst dann bei uns ist, wenn wir selber soweit sind - dann Gute Nacht!

Paulus hat offenbar selber gemerkt, dass dieses Briefende nicht überzeugt. Auf Befehl kann man sich nicht freuen - vor allem dann nicht, wenn diese Aufforderung von einem kommt, der einen mit seinen Argumenten und Urteilen bis aufs Blut gereizt hat. Deshalb nimmt er seine Person im abschlieáenden Satz ganz zurück und überlässt einem anderen das Feld:

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen.

Für uns ist das schon so etwas wie eine abgegriffene Formel geworden, weil wir das als Kanzelgruß oft gehört haben. Und doch - lässt man sie wieder an sich herankommen - eröffnen diese Worte einen weiten Raum, in dem beide Konfliktpartner Platz haben. Sie, schaffen eine Atmosphäre, in der es beide trotz aller Gegensätze miteinander aushalten können. Ganz anders als der Appell, als das: Nun freut euch mal! Das engt ein, verstärkt noch die Aggressivität.

Statt dessen nun: die Gnade - wörtlich: die Freudenmacht - unseres Herrn Jesu Christi...Was tut sich da auf! Die Engel haben das zu Weihnachten gesungen: Große Freude, weil

Gott ein Wohlgefallen an uns hat. Er, aus dessen Hand wir kommen, und der zugleich die letzte Instanz unseres Lebens ist: Er wendet sich nicht enttäuscht ab, sagt nicht, Erst räumt ihr auf und bringt in Ordnung, was ihr kaputt gemacht habt! Nein, er wendet sich uns zu, würdigt uns seines freundlichen Blickes, weil er Freude hat an seiner Welt und seinen Menschen, Freude hat an Ihnen dir und mir. Stellen Sie sich das vor! Und diese Freude zielt darauf ab, und ist erst vollkommen, wenn sie auf uns überspringt und auch wir uns freuen können - freuen an ihm, freuen an unserer Welt, freuen aneinander und an uns selbst.

Für diesen Gott steht Jesus Christus. Er gehört er mit in unser Bekenntnis, weil wir uns den allmächtigen Schöpfer nicht vorstellen können und das auch nicht brauchen ohne diesen Menschen, der uns bis in Ohnmacht und Leiden hinein vor Augen führt und ins Herz schreibt: Gott hält nicht nur im Himmel, sondern hier unten auf der Erde und selbst noch in der Hölle daran fest, dass er dich haben will. Nicht aus Herablassung - wie der gnädige Herr das in feudalen Zeiten seinen Leibeigenen gegenüber auch tun konnte. Nein, ob du's glaubst oder nicht - und manchmal brauchst du ein Leben dazu und noch mehr - er nimmt dich wahr, will dich haben aus Liebe. Kann nicht und will nicht ohne dich. Meinst du denn, es ist ein Zufall, dass du ohne Liebe gar nicht leben kannst, gar nicht auf dieser Welt wärest ohne sie? Und, wenn du sie nicht hast, dich vor Sehnsucht nach ihr verzehrst - ist das Zufall? Was dich im Tiefsten zum Menschen macht, ist im Herzen Gottes begründet.

Und dann die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Sie kleistert die Vielfalt unter uns nicht zu, und auch nicht die Konflikte und die Spannungen - im Gegenteil: Gott will die Welt nicht einfarbig und die Menschen nicht uniform. Er liebt die Buntheit und die Vielfalt und die Spannungen so sehr, dass wir auch von ihm nicht reden können, ohne Gegensätzliches nebeneinander stehen zu lassen: der allmächtige Gott, der sich zugleich in dem ohnmächtigen Mann am Kreuz zeigt. Den Gegensatz zwischen Himmel und Erde, zwischen Tod und Leben hebt er nicht auf, sondern er trägt und überspannt ihn. Der Friede, der uns in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes geschenkt wird und den wir auch in Konflikten erfahren, das ist der Friede zwischen nach wie vor grundverschiedenen Menschen, die dennoch die Zusammenarbeit suchen, weil Gott jeden von ihnen nicht nur gelten lässt, sondern haben will.

Der weite Raum, der sich in diesen Worten auftut: Gott kann er nicht fassen, aber er bringt ihn so nahe, dass wir unbefangen, fröhlich und frei miteinander leben und streiten können.

Ach ja, wie der Streit in meiner Gemeinde ausgegangen ist? Die Kirche wurde nicht verändert. Dafür aber haben wir uns eng mit der Nachbargemeinde, die über einen modernen Gottesdienstraum mit beweglichem Gestühl verfügte, zusammengeschlossen, haben dort viel Neues ausprobiert und uns gemeinsam an der Klängen der historischen Orgel gefreut.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 



Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf
31141 Hildesheim
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