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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 31.08.2014

Von Sünde, Scham, Liebe und einer gut erzählten Geschichte
Predigt zu 2. Samuel 12:1-15, verfasst von Angela Rinn

1Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter. 4Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.7Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. 10Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. 11So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause und will deine Frauen nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei ihnen liegen soll an der lichten Sonne. 12Denn du hast's heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne.13Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. 15Und Nathan ging heim. Und der HERR schlug das Kind, das Urias Frau David geboren hatte, sodass es todkrank wurde.

 

Liebe Gemeinde,

es ist gefährlich, den Mächtigen der Welt die Meinung zu sagen. Offene Worte können leicht den Kopf kosten, das war schon immer in der Geschichte so. Die biblischen Propheten hatten daher keine gesundheitsfördernde Aufgabe, das gilt auch für Nathan, den Propheten am Hof des Königs David. Wie sagt man dem König, dass er dieses Mal zu weit gegangen ist? In einer Angelegenheit, die seine Amtskollegen im Umkreis keine schlaflose Sekunde gekostet hätte. Welcher mächtige Mann lässt sich durch Gesetze davon abhalten, seine Lust auszuleben? Moral, das ist doch stets etwas für die kleinen Leute gewesen. Die Fürsten aller Zeiten nehmen sich, was sie wollen und halten sich Mätressen, ohne dass jemand etwas daran auszusetzen wagt. Und jetzt soll der Prophet ausgerechnet dem König den moralischen Zeigefinger zeigen? Nur weil der König Bathseba, die Frau des Uria geschwängert hat und den Ehemann, als der sich dem entlastenden Beischlaf während des Fronturlaubs verweigert, mehr oder weniger elegant als Kollateralschaden erledigen lässt? Am Ende könnte es so aussehen, als ob die Autorität des Königs angezweifelt würde durch das Prophetenwort, am Ende stünde der König lächerlich da vor den Kollegen in Babylon oder Ägypten. Konnten die sich nicht auch jede Frau nehmen, die sie begehrten? Eine riskante Aufgabe.

Die Propheten aller Zeiten waren große Redner. Sie beherrschten die Kunst der metaphorischen Sprache, sie fanden Bilder, die sich einprägen. Vergleiche, die treffen. Und wehtun. Wer möchte schon gerne als versoffene Kuh bezeichnet werden, wer freut sich darüber, mit einer Hure verglichen zu werden? Nathan ist auch ein großer Redner. Doch in seiner Ansprache an David setzt er weniger auf die Kraft sprachlicher Bilder als auf einen Effekt, den uns heute neurowissenschaftliche Erkenntnisse erläutern: Menschen sind äußerst soziale Wesen. Sie sind in der Lage, sich in andere Menschen hineinzufühlen, sie können mitleidig sein. Wenn jedoch eine Person die Gruppe schädigt oder die Regeln der Gruppe verletzt, dann fühlen Menschen kein Mitleid dieser Person gegenüber. Mitgefühl und Schadenfreude können offenbar nicht gleichzeitig aktiviert werden. Sie schließen sich gegenseitig aus. Wenn der Fußballspieler, der zuvor meinen Mitspieler gefoult hat, anschließend selbst gefoult wird, dann habe ich kein Mitleid mit ihm. Seine Schmerzen berühren mich nicht. David fühlt mit dem armen Kerl, dem das einzige Schaf genommen wird. Und er hat kein Mitleid mit dem, der den armen Schafbesitzer so übel foult. Der muss sterben. Der König fällt ein Urteil. Und richtet sich selbst.

Hätte Nathan dem König die 10 Gebote vorgehalten - er wäre sicher nicht weit gekommen. Mächtige Leute sind häufig der Ansicht, dass Gesetze von ihnen gemacht werden, nicht für sie. Darüber hinaus ist es - außer für Juristen aus Leidenschaft - für Normalsterbliche nicht sonderlich attraktiv, sich mit Paragraphen und Gesetzbüchern zu beschäftigen. Nathan referiert kein Gesetzbuch, er erzählt eine Geschichte. Und weil die Menschen aller Zeiten gut erzählten Geschichten gerne zuhören, öffnet auch der König seine Ohren. Und hört die Geschichte von einem, dem sehr übel mitgespielt wird. Und der König fühlt mit dem Leidtragenden, ganz so wie die meisten Menschen, denen so etwas erzählt wird. Und reagiert gerade so, wie es Nathan erwartet hat. Er verurteilt den Übeltäter.

Jetzt wird Nathan David die Geschichte nicht im stillen Kämmerlein erzählt haben. Könige führen kein privates Leben. Der Sonnenkönig hielt Hof im Bett. Heute gibt es Paparazzi. Nathans Geschichte werden noch mehr Leute außer dem König gehört haben. Leute, die sehr genau registrierten, wie der König sein Urteil fällte. Das Urteil über sich selbst.

Eine wunderbar schlichte Geschichte erzählt Nathan, eine Geschichte, die jeder versteht. Das ist das Geheimnis jeder guten Geschichte. Nathan erzählt eine Geschichte, deren Rezept noch heute die Zeitungen mit den großen Buchstaben auf der Titelseite lehren: Kids, tits und pets verkaufen sich am besten: Ein Mann hatte ein kleines Schaf - Stichwort pets, zu deutsch: Haustiere. Er zog es auf wie ein Kind - kids, zu deutsch: Kinder. Und tits, das muss ich wohl nicht übersetzen. Bathseba war eine schöne Frau. Das hatte David schließlich dazu bewogen, sich die Frau des Uria in den Palast zu bestellen. Obwohl in seinem Harem eine Menge anderer Damen warteten. Doch, das weiß die Lebenserfahrung, und die Neurowissenschaften erläutern uns die biologischen Ursachen: Menschen sind immer auf der Suche nach der neuen Erregung. Das, was sie schon kennen, führt zu keiner Dopaminausschüttung im Gehirn. Da hatten die anderen Damen im Harem eben Pech. Sie waren bekannt. Nicht neu. Aber etwas läuft schief mit Bathseba. Nicht nur, weil sie schwanger wird. Denn die Sache mit den immer neuen Damen kommt an eine Grenze, wenn Mann sich wirklich verliebt. Und David liebt. Das war nicht eingeplant. Sicher nicht einmal, als er sich Bathseba in den Palast bringen ließ. Er liebt diese Frau eines anderen Mannes. Und er liebt das Kind, das sie von ihm erwartet. So stößt er, nicht zum ersten Mal in seinem Leben, an Grenzen. Dieses Mal jedoch an Grenzen, die er aus eigener Kraft nicht überwinden kann. Weder mit der Steinschleuder, mit der er Goliath besiegte, noch mit der Harfe, mit der er Sauls Herz besänftigten konnte, noch mit dem Schwert, mit dem er seine Gegner in die Knie zwang, noch mit der List, die ihn immer wieder einen Ausweg finden ließ, wenn die Situation eigentlich völlig verfahren war. David stößt an die Grenze der größten Macht, die es auf der Welt gibt. Wer liebt, ist machtlos.

Aber es gibt Spielregeln. Auch für die Liebe. David ist für seine Liebe über Leichen gegangen. Mag sein, dass das für die Fürsten der Welt kein Problem ist. Für Gott ist es ein Problem. Nicht, weil Gott ein Paragraphenreiter und Gesetzesfetischist ist. Aber Gott liebt seine Menschen. Auch Uria, den Hethiter. Den hat David um die Frau gebracht und umbringen lassen. Mit seiner Tat hat David Gott selbst beschämt. Und: Gott lässt sich nicht verspotten.

Du bist der Mann. Der König hat sich selbst das Urteil gesprochen. Was er dem anderen angetan hat, das soll nun ihm zugefügt werden. Er soll beschämt und betrogen werden und die Schärfe des Schwerts fühlen. Uria wurde von seinen eigenen Leuten beschämt und in den Tod geschickt, und auch David soll von seiner eigenen Familie angegriffen werden. Auge um Auge, Zahn um Zahn.

David ist ein kluger König. Er weiß, wann er verloren hat. Das Spiel ist aus. Sein Schuldeingeständnis ist so schlicht wie es die Geschichte des Nathans war. Keine Ausreden, keine Beschönigungen: Ich habe gesündigt gegen den HERRN.

Mit seinem Schuldbekenntnis rettet er sein Leben. An den Folgen seiner Tat ändert das nichts. David wird es erleben, dass sein ältester Sohn eine Revolte gegen ihn anzettelt und vor aller Augen mit den Frauen seines Vaters Verkehr hat, die der bei seiner eiligen Flucht aus dem Palast zurückgelassen hat. Er wird den Tod dieses ältesten Sohnes dann nicht verhindern können, so wenig wie den Tod seines ersten Kindes mit Bathseba. Es wird sterben. David wird alles tun, was in seiner Macht steht, doch retten kann er es letztlich nicht. Mit seiner Tat hat er den Untergang eingeläutet. Die glanzvollen Zeiten des Königs David sind vorbei. Sünde hat Konsequenzen. Aber: David wird leben. Und er darf lieben. Das zweite Kind, das er mit Bathseba bekommt, wird dann sein Nachfolger werden. Aus und von Gottes Gnaden. Sünde hat Konsequenzen, aber sie hat nicht das letzte Wort. Auch die Scham und die Beschämung haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat Gott. Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Wie auch immer es ausgesprochen wird, selbst wenn der König dabei den Kopf gesenkt haben sollte: Es ist ein Bekenntnis, das Gott ansieht. Und es aushält, das Gott hinsieht. Gerade so eröffnet es Leben. Für den König. Und für alle anderen Sterblichen auch
Amen.



Dr. Angela Rinn
Mainz
E-Mail: AngelaRinn@t-online.de

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