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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 31.08.2014

Perspektivwechsel
Predigt zu 2. Samuel 12:1-10, 13-15a, verfasst von Birgit Weyel

Liebe Gemeinde

diese Geschichte hat kein Happy End. Wir werden uns nicht die Augen trocknen und gerührt nach Hause gehen können. Und dennoch bietet der heutige Predigttext ganz großes Kino. Es geht - wie bei allen großen Erzählungen um Schuld und Sühne, Verbotene Liebe, Recht und Gerechtigkeit. Das ist der Stoff aus dem antike Dramen für die Bühne ebenso gemacht sind, als auch moderne Seifenopern, die im vorabendlichen Fernsehprogramm dem Gesetz der Serie folgen. Aber eben diese Geschichte, die Nathanerzählung, die wir heute hören, legt uns Identifikationen nahe, die wir lieber vermeiden würden, die uns aber gerade, weil sie ungewöhnlich, weil sie unbequem sind, etwas zu verstehen geben.

 

Der Predigttext, die Nathanerzählung, steht im Alten Testament im 2. Buch Sam 12,1-10.13-14:

1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. 11 So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause und will deine Frauen nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei ihnen liegen soll an der lichten Sonne. 12 Denn du hast's heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne. 13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.

 

Das ist wahrlich kein Happy End. Ein ungeborenes, unschuldiges Kind wird sterben. David, der den Tod verdient hätte, soll weiter leben dürfen, aber sein Kind, das noch gar nicht auf der Welt ist, wird sterben. Der Tod des Kindes wird stehen für das, was David getan hat: den Ehebruch mit Bathseba und die Schuld, die er sich durch die intrigante Ermordung Urias auf sich geladen hat. Sieht so Gerechtigkeit aus? Ist das Gottes Wille?

Tatsächlich kann man sich empören, wenn man die Geschichte so hört oder liest, man könnte, so wie dies von David selbst berichtet wird, in großen Zorn über diesen Mann geraten. Das ist sicher eine Textstrategie, dass wir uns über die Gier und den Mord des Königs aufregen und die unschuldigen Opfer dieser Geschichte betrauern: das ungeborene Kind, Uria, dessen Mitstreiter, die ebenfalls umgekommen sind, und Batseba, deren Mitschuld oder Nichtmitschuld an der verhängnisvollen Geschichte die Phantasien der - meist männlichen -Ausleger beflügelt haben. War es weibliches Kalkül? Hat sie David willentlich verführt und ist damit die eigentliche Übeltäterin, während David nur das männliche Opfer war? Oder hat David sie vergewaltigt und lädt sich damit noch mehr Sünde auf? Der Text schweigt sich an dieser Stelle aus und verweist die Zuschauer an ihre eigene Deutung und ja, das auch, erotische Phantasie.

Wir werden in diese Geschichte hineingezogen: durch Mitgefühl mit den Opfern, durch Empörung über den gewissenlosen Akteur der Handlung und die Spekulation über die Niedertracht der Motive, die ihn bewegen und die Handlung in Gang halten.

Dabei fällt auf, dass diese Erzählung von David, Bathseba und Uria kunstvoll eingebettet ist in größere Erzählzusammenhänge der Entstehung des Königtums in Israel und der Befestigung der Staatsgrenzen, zu denen auch kriegerische Auseinandersetzungen gehören. Das Volk Israel kämpft gegen die Ammoniter, einem benachbarten Volk im Ostjordanland. Während Uria im Krieg steht, verführt David dessen Frau. Weltpolitik und Liebesleben sind miteinander verquickt. Es geht um Leben und Tod auf allen Ebenen, die das Leben umfasst, das Politische wie das Private.

Und doch bleibt die Geschichte nicht bei Empörung und Mitleid stehen. Es gibt einen Perspektivwechsel, der David, aber auch der Leserin oder dem Hörer der Geschichte noch einmal etwas anderes zu hören und zu sehen gibt.

Der Schlüssel für diesen Blickwechsel ist eine Geschichte, die Nathan erzählt und die so etwas ist wie eine Geschichte in der Geschichte und die zunächst einmal gar nichts mit David und seinem wirklichen Leben - dem Krieg, dem Ehebruch und seinen Folgen - zu tun zu haben scheint.

Es ist die Geschichte vom einem reichen Mann und einem armen Mann und ihren Tieren. Und Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.

Die Geschichte in der Geschichte beginnt scheinbar harmlos. Sie klingt stellenweise für uns heute ein bisschen übertrieben, fast niedlich, wie aus einem Bilderbuch für Kinder, etwa dass das kleine Schäflein vom selben Bissen aß und aus dem selben Becherchen trank, aus dem auch der arme Mann trank. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Schaf alles war, was der arme Mann besaß, seine alleinige Lebensgrundlage war und damit für sein Leben und das Leben seiner Familie selbst steht, dann ist die Idylle gründlich zerstört, als der reiche Mann, der unzählige Tiere sein eigen nennt, dieses eine Tier dem armen Mannes einfach so wegnimmt und schlachten lässt. Auch hier, bei der Geschichte in der Geschichte, scheint sonnenklar zu sein, wer der Täter und wer das Opfer ist. Und so reagiert dann auch David. Er fühlt mit dem armen Mann und empört sich gegen den Reichen. Ganz so wie wir. Er soll, so David selbst ein Kind des Todes sein, vierfach soll er bezahlen.

Eine Pointe der Erzählung ist, dass der große Zorn, der in ihm gegen die namenlose literarische Figur in der Geschichte entflammt, ihn selbst trifft. Du bist der Mann. Sagt Nathan. Und das harte, aber emotional nachvollziehbare Urteil, das David selbst gegen den reichen Mann in der Geschichte gefällt hat, soll über ihn selbst ergehen. Das wäre die - ich zögere das zu sagen -, aber so scheint es doch: die Strafe. Die Geschichte könnte hier auch zu Ende sein. David hat sich selbst gerichtet. Die Strafe, die er für einen anderen vorgesehen hatte, trifft ihn selbst. Auf Schuld folgt Sühne. Der Vorhang fällt. Der Abspann läuft.

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. David erkennt im selben Augenblick: Das bin ja ich. Er streitet nichts ab, er spielt nicht auf Zeit, er ruft nicht nach seinem Anwalt, er gibt nicht erst nach der Salami-Technik preis, was ihm sicher nachgewiesen werden kann. Er versucht nichts zu beschönigen, sondern er erkennt sich selbst im Spiegel der Geschichte über den anderen Mann, über den er das Urteil gesprochen hat: „Das bin ich. Ich stecke in der Haut des zu recht Verurteilten."

Und David spricht nur einen einzigen Satz. Noch einmal könnte er versuchen auszuweichen, sein Bedürfnis nach Liebe, die Strapazen des Amtes, eine schwere Kindheit in Anschlag zu bringen. Aber David sagt nur: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Und dieser eine Satz ist die Wahrheit. Er ist kein Kalkül, sondern Selbsterkenntnis, Buße, so etwas wie eine Auseinandersetzung mit seinen Taten. Und dieser Satz ist nicht leichthin dahinzusagen, denn das, was geschehen ist, lässt sich nicht wieder gut machen. Rache ist keine Möglichkeit, Vergeltung nicht, Wiedergutmachung hat enge Grenzen. Die Gräueltaten lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Für den Täter nicht und für das Opfer nicht.

Diese Geschichte hat, wie so viele andere, kein Happy End. Sie hinterlässt uns vielleicht ratlos, aufgewühlt, traurig? Jedenfalls sind es keine eindeutigen Gefühle. Es ist keine Geschichte mit einer schlichten Moral, sondern eine, die uns zum Nachdenken bringen und uns etwas zu Verstehen geben will.

Wir bekommen mit aller Deutlichkeit den Spiegel vorgehalten, dass wir bereit sind, über andere Urteile zu sprechen, vierfache Strafe zu fordern. Dass wir immer trefflich zu wissen meinen, was gut oder böse ist. So lange es uns nicht selbst betrifft, sind wir mit Empörung und Verurteilung oft schnell dabei. Auf andere zu zeigen und sie - wie David dies tut und heute vielfach geschieht - zum Tode zu verurteilen, entspricht jedoch nicht der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. David hat über sich selbst das Todesurteil gesprochen. Aber Gott schenkt ihm das Leben. Grenzenlos und unbedingt ist das von Gott geschenkte Leben. Erst vor diesem Hintergrund wird es eigentlich möglich, sich mit den eigenen Taten auseinanderzusetzen, was uns sicher immer nur ansatzweise gelingt. Nicht ängstlich bemüht, Fehler zu vermeiden, aber doch bereit zur Selbsterkenntnis und dieses geschenkte und nicht verwirkbare Leben fröhlich zu gestalten.



Prof. Dr. Birgit Weyel
Tübingen
E-Mail: birgit.weyel@uni-tuebingen.de,

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