Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres - Ewigkeitssonntag/Totensonntag, 23.11.2014

Wenn ein Mensch stirbt, dann geht eine ganze Welt unter.
Predigt zu 2. Petrus 3:10-13, verfasst von Sven Keppler

I. „Wenn ein Mensch stirbt, dann geht eine ganze Welt unter." Liebe Gemeinde, so hat es einmal eine Frau in einem Trauergespräch ausgedrückt.

„Mein Mann, das war für mich der Mittelpunkt der Welt. Sicher, ich habe auch noch die Familie und meine Freundinnen. Aber mit ihm habe ich über 60 Jahre gelebt. Meine Eltern sind früh gestorben. Da bin ich zur Familie meines Mannes gekommen. Wir haben nicht gleich geheiratet, dafür war ich noch zu jung. Aber seitdem waren wir unzertrennlich."

Eheleute empfinden das ganz besonders stark. Aber auch die junge Frau, Mitte dreißig. Als einzige Tochter hat sie bis vor kurzem bei ihren Eltern gelebt. Hat geholfen, den über achtzigjährigen Vater zu pflegen. Jetzt ist er verstorben. Auch für sie ist ihre bisherige Welt untergegangen. So lange sie denken kann, war ihr Vater ein wesentlicher Teil ihres Lebens.

Wenn ein Mensch stirbt, dann geht eine ganze Welt unter. Dieser Satz gilt auch für den verstorbenen Menschen selbst. Jeder ist ja für sich eine ganze Welt. Ich sehe alles mit meinen eigenen Augen, so wie es kein anderer sieht. Wachse in ein Netz von Beziehungen hinein, das es so nur einmal gibt. Und ich habe ein ganz persönliches, unverwechselbares Verhältnis zu Gott. Wenn ich sterbe, dann geht meine Welt unter. Die Welt, die in meinem Kopf und in meinem Herzen mit den Jahren gewachsen ist.

 

II. Liebe Gemeinde, in der Bibel ist immer wieder davon die Rede, dass die Welt untergehen wird. Dass Himmel und Erde vergehen werden. Meistens ist uns das eher gleichgültig. Denn es wird ja wohl noch ein Weilchen dauern. Was interessieren mich solche Spekulationen?

Im Neuen Testament werden wir ermahnt, wir sollen wachsam sein. Das Ende komme wie der Dieb in der Nacht. Aber seit 2000 Jahren ist die Welt nicht untergegangen. Ist das nicht ein Grund, entspannt zu sein?

Oder geht es dabei gar nicht um unseren Planeten? Wenn mit jedem Sterbenden eine Welt untergeht, dann rückt uns das Thema ganz nahe. Wenn in der Bibel die Rede davon ist, dass Himmel und Erde vergehen, dann geht es dabei um Sie und um mich. Um alle, die einen Menschen verloren haben. Und um jeden von uns, der einmal sterben muss.

Auch im heutigen Predigttext ist davon die Rede, dass Himmel und Erde vergehen. Aber die Aufmerksamkeit zielt über das Ende hinaus. Ich lese aus dem 2. Petrusbrief. Im dritten Kapitel heißt es dort [lesen 2. Petr. 3,10-13]

 

III. Der Himmel ist zergangen und die Elemente sind vor Hitze geschmolzen. Ein Gefühl der Leere breitet sich aus. Alles, was mir vertraut war, ist fort. Nichts mehr, woran ich mich festhalten kann. Keine Orientierung mehr. Keine Heimat. Keine Geborgenheit.

Liebe Gemeinde, dieser Vers drückt das Lebensgefühl eines verwaisten Menschen aus. Einen unendlichen Verlust. Wie eine große Depression: Die Welt hat ihre Schönheit verloren. Kein weiter, blauer Himmel mehr, kein flammendes Abendrot. Kein fruchtbarer, satter Duft der Erde. Nicht mehr das gewaltige, ewige Rollen des Meeres.

Stattdessen unendliche Einsamkeit. Was soll da Trost geben? Gute Ratschläge, wie: Das Leben wird schon weitergehen? Welches Leben denn, wenn Himmel und Erde nicht mehr da sind? Man hat leicht reden, wenn nicht die eigene Welt untergegangen ist.

Und dann kommt die kirchliche Trauerfeier. Die Bestattung. Wenige Tage schon nach dem großen Verlust. Wahrscheinlich ist sie viel zu früh, um wirklich Trost geben zu können. Wer einen Menschen verloren hat, steht dann oft noch wie unter Schock.

Hat oft sogar noch gar nicht richtig begriffen, was er oder sie alles verloren hat. Ob der Pfarrer oder die Pfarrerin dann überhaupt die Herzen erreichen kann, wenn er von dem neuen Leben spricht, das Gott schenkt?

Dann kommen die Tage, die Wochen. Die Trauer hat die Seele im Griff und legt sich schwer auf den ganzen Körper. Die einen versuchen, wieder ins Leben zu gehen. Hinein in eine Welt, die nun anders aussieht. Die anderen finden nicht wirklich zurück und bauen sich eine eigene kleine Welt.

Und irgendwann kommt dann hoffentlich der Zeitpunkt, wo ein Mensch sich wieder öffnen kann. Offen wird für die Frage, wie es nun weitergehen soll. Offen für das Nachdenken, was mit dem verlorenen Menschen geworden ist. Offen auch für Trost.

 

IV. Ich stelle mir vor, wie jemand in dieser Situation unseren Predigttext hört. Sich wieder öffnen, frei werden von der völligen Umklammerung durch die Trauer - das ist ja nicht nur ein bestimmter Moment. Das kann ein langer Vorgang sein.

Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, nach seiner Verheißung. Das heißt: Es gibt wieder eine Perspektive. Um mich herum ist nicht nur das Nichts. Nicht nur die Dunkelheit der Trauer. Das Fehlen alles dessen, was früher mein Leben ausgefüllt hat.

Sondern eine neue Welt darf an die alte treten. Anders wird sie sein, diese neue Welt. Manches, was mir an der alten lieb war, wird ihr fehlen. Aber diese neue Welt wird nun meine Welt sein, ich darf mich auf sie einlassen. Auch die neue Welt birgt ihre Geheimnisse, die das Leben lebenswert machen. Ich darf offen für sie sein.

 

V. Das gilt für die Angehörigen, die einen Menschen verloren haben. Aber um wieviel mehr gilt es für den Verstorbenen selbst! Seine Welt war ja wirklich vollständig untergegangen. Auch er selbst war nicht mehr.

Und das ist die ungeheuerliche Verheißung unseres Predigttextes: Auch für die Verstorbenen soll es eine neue Welt geben. Gott, der lebendige, wird sie hineinnehmen in sein unzerstörbares Leben.

Gott selbst hat seinen Sohn verloren. Er selbst musste diesen Schmerz ertragen. Aber er hat ihn nicht dem Tod überlassen. Sondern ihm ein neues Leben geschenkt. Durch den Tod hindurch in ein neues Leben.

Und das hat Gott auch mit uns vor. Er will uns in dieselbe Lebensbewegung mit hineinnehmen, wie seinen eigenen Sohn. Durch den Tod hindurch in ein neues Leben, in einen neuen Himmel und eine neue Erde. Gott will uns behandeln wie seinen eigenen Sohn. Deshalb sagt Gott in der Offenbarung des Johannes, die wir eben als Brieflesung gehört haben: Wer überwindet, der wird alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

 

VI. Was können wir sagen über dieses neue Leben? Über diese neue Welt, den neuen Himmel und die neue Erde? Ist es unsagbar, unbeschreibbar für uns? Ein verschlossenes Geheimnis, das sich erst nach unserem Tod eröffnen wird?

Gewiss, aber dennoch erlaubt uns die Bibel, etwas darüber zu sagen. Denn sie spricht selbst in ganz konkreten Bildern von diesem neuen Leben. Mehr als Bilder können es nicht sein. Aber immerhin, wir haben diese Bilder.

Das erste Bild haben wir ebenfalls in der Lesung gehört: In dieser neuen Welt gibt es die heilige Stadt, das neue Jerusalem. Geschmückt wie eine Braut für ihren Mann.

Für mich heißt dieses Bild: Nach unserem Leben tauchen wir nicht ein in ein Nirwana. Auf uns wartet kein unbestimmtes All, in das wir aufgehen. In dem wir eintauchen und letztlich verschwinden.

Sondern auch im neuen Leben wird es so etwas wie Heimat geben. Die Geborgenheit einer Stadt. Ein festes Zuhause. Wir werden nicht verloren sein in den Weiten des Nichts. Sondern geborgen an einem menschenfreundlichen Ort.

Das zweite Bild ist: Gott selbst wird mitten in dieser Stadt wohnen. So wie bei uns die Kirchen, die Gotteshäuser mitten im Ort stehen. Die Petri-Kirche in Versmold. So wird Gott in der neuen Stadt selber gegenwärtig sein. Ganz unvermittelt, ganz unmittelbar.

Die Gemeinschaft mit Gott wird eine ganz neue Qualität bekommen. Gott wird nicht mehr unsichtbar sein. Gegenwärtig nur in den Worten, die von ihm sprechen. Sondern Gott wird mit den Seinen in eine unmittelbare Beziehung treten. So, wie vielleicht auch unsere Welt einmal gemeint war. Am Anfang, als Gott im Paradies spazieren ging.

 

VII. Und das Dritte ist: In der neuen Welt wird Gerechtigkeit wohnen. Dieses Wort ist offen für viele Deutungen. Bei Gott wird es keine Ungleichheit geben, zum Beispiel. Oder: Gott wird einen gerechten Ausgleich finden für das Unrecht, das Menschen in ihrem ersten Leben erlebt haben.

Für uns Christen heißt Gerechtigkeit aber vor allem: Recht, richtig ist allein Gott. Und Gott will uns mit hineinnehmen in sein Wesen. Will uns teilhaben lassen an einer tröstlichen Welt. Es wird kein Tod mehr sein. Kein Leid. Kein Geschrei. Kein Schmerz.

Alles was unser Leben einschränkt, wird untergegangen sein mit der alten Welt. Die neue wird so sein, wie Gott seine Schöpfung einmal gewollt hat: Frei von Trennung, Zwietracht und all ihren Folgen. Amen.



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

(zurück zum Seitenanfang)