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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 01.03.2015

Brauchen wir Gott?
Predigt zu Markus 12:1-12, verfasst von Marion Werner

Gnade sei mit euch und Frieden, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,

im Jahr 2013 gründeten Sanderson Jones und Pippa Evans in London die sogenannte „Sunday Assembly“, eine Sonntagsversammlung ohne Gott. Das Gründerpaar konnte mit Gottesdienst und Gebet nichts mehr anfangen, fanden aber, an der religiösen Praxis sei „viel, was zu retten ist“: Das Zusammensein am Feiertag, das gemeinsame Singen, das Gefühl, Teil einer Gemeinde von Gleichgesinnten zu sein. „Wenn du Schuhe hast, die du sehr magst, und in einem ist ein Stein, der dich stört, schmeisst du doch nicht die Schuhe weg, sondern den Stein“, ist ihre Devise. Also wurde Gott einfach aus der Sunday Assembly eliminiert. Dafür aber eine Liturgie erarbeitet, die gottesdienstähnlich ist. Mit Band werden beliebte Lieder nach Karaoke –Manier gesungen, der Text dabei mit Beamer an die Wand geworfen. Anstatt Predigt, wird eine viertel Stunde über ein interessantes weltliches Thema gesprochen. Statt Glaubensbekenntnis illustriert ein Gemeindemitglied die Umsetzung des „Evangeliums der Gruppe“ im eigenen Leben. Und dies „Evangelium“ besteht aus drei Geboten „Live better. Help often. Wonder more“. Besser leben, oft helfen, mehr staunen. Schweigeminuten gibt es auch und im Anschluss Tee und Gebäck. Es wird sogar für Bedürftige gesammelt.

Der Hauptartikel der Zeitschrift Geo aus dem Januar dieses Jahres berichtete darüber und fand, diese Religion ohne Gott, würde wohl den Nerv der Zeit treffen, da sich zur Sunday Assembly bis zu 350 Leute treffen und diese Nicht-Kirche inzwischen in 60 Städten weltweit existiert. Das Fazit der Geo „Brauchen wir Gott? Eher nicht, befinden immer mehr Menschen. Ihren Glauben geben sie deshalb nicht auf. Sie suchen für ihn nur neue Formen: als spirituelle Atheisten, als Erfinder von Ritualen, in Gemeinden ohne Religion“.

 

So einen Artikel liest man als Christ mit Sorge, weil sich berechtigterweise die Frage bemerkbar macht: Wohin wird das in unserer Welt alles einmal führen? Welche Konsequenzen wird das haben, wenn Menschen Gott einfach ausklammern, sich vor ihm nicht mehr verantwortlich wissen? Und wieso tut Gott nichts? Wieso zeigt er sich nicht als der Lebendige?

 

Ein Blick in die Bibel lässt uns erkennen, dass es dieses Phänomen bereits im Alten Testament gab. Menschen wollen die Wohltaten Gottes geniessen und auch die Gemeinschaft der Gleichgesinnten. Gott kann jedoch ausgeklammert werden.

Wir hörten als Schriftlesung das ebenso schöne wie traurige Lied vom unfruchtbaren Weinberg (Jesaja 5,1-7). Gott, verglichen mit einem Liebhaber, tut alles nur erdenklich Gute für seine Geliebte, für seinen Weinberg, hier ein Symbol für das Volk Israel. Der Weinberg wird gegraben, entsteint, edle Reben darin gepflanzt, ein Turm gebaut, eine Kelter gegraben. Die Erwartung der guten Trauben wurde jedoch nicht erfüllt. Gott, ein Liebhaber, dessen Herz am Volk Israel hing, der ihnen so viele Wohltaten erwiesen hat, Grosse und Kleine, ist enttäuscht. Denn sein Volk hat die Wohltaten zwar angenommen, aber Gott selbst und seinen Willen hat es nicht geachtet. „Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit“. Und nun kann Gott nicht mehr. Er will seinen Weinberg aufgeben, den Zaun wegnehmen, so dass der Weinberg verwüstet und zertreten wird. Mit einer furchtbaren Drohung eines enttäuschten Gottesherzen geht dieses Lied zu ende. Erschreckend für die Menschen, die ihn nicht ernst genommen haben.

 

Eine ähnliche Situation finden wir auch im Neuen Testament. Jesus erzählt ein Gleichnis von den bösen Weingärtnern. Wir hören den Predigttext bei Markus im 12 Kapitel.

 

Markus 12,1-12

In dem Gleichnis von Jesus übernimmt Gott die Rolle des Besitzers, der einen wunderbaren Weinberg anlegt mit allem was nötig ist, damit er reichen Ertrag bringt. Er verpachtet seinen Weinberg, wobei die Abmachung offenbar einfach nur vorsah, dass die Pächter von der Ernte einen Teil an den Besitzer abgeben sollten. Ansonsten war der Weinberg offenbar mit allem ausgestattet, was nötig war. Sie mussten also nicht zusätzlich investieren, sondern nur besorgen und geniessen. Diesen tollen Weinberg wollen die Pächter jedoch selber besitzen. Also scheuen sie keine Gewalt, um sich der Knechte des Besitzers zu entledigen. Nicht zuletzt ermorden sie den Erben, um sich den Besitzer und seine Forderungen vom Hals zu  schaffen. Bei Markus nehmen die Propheten die Rolle der Knechte des Besitzers ein und Jesus die Rolle des Erben, der ermordet wird. Die bösen Pächter, gehören zu der Menge der Zuhörer Jesu, denn sie fühlen sich ertappt. Sie lassen Jesus für dieses Mal laufen, trachten ihm aber weiter nach dem Leben.

In diesem Winzergleichnis wird ein Konflikt um Besitz zum Gleichnis für die Beziehung zwischen Mensch und Gott. Der Weinberg ist auch hier ein Bild für Israel. Darüber hinaus aber, ein Bild für die Erde, das Land, das Leben, das Heil. Gott, der seinen Menschen so viele Wohltaten erweist, hat Anspruch auf „Ernte“. Im Gleichnis jedoch wollen die Pächter die Abhängigkeit beenden. Sie wollen selber die Erben sein. Denkt man den Gedanken zu Ende, wird klar, diese Pächter wollen eigentlich auch den Tod des Besitzers, denn anderswie können sie das Erbe doch gar nicht antreten. Ein undenkbarer Gedanke.

Und doch, wenn wir uns an die Sunday Assembly erinnern und die religiöse Entwicklung unserer Welt betrachten, dann kommt man nicht umhin zu sagen: in unserer modernen Welt ist der Mensch sein eigener Herr. Er will Erde und Menschen nicht im Auftrag eines anderen „hüten“. Der Mensch will in Freiheit seine eigenen Entscheidungen treffen. Er will die Wohltaten Gottes geniessen, handelt aber so, als sei Gott abwesend. Und das Gleichnis im Markusevangelium bringt in erschreckender Weise ans Licht, welch Egoismus, und Hang zur Zerstörung und Gewalt in der menschlichen Natur präsent ist. Mit Bitten und moralischen Apellen kann man dem nicht einfach entgegen wirken. Und was Gott anbelangt, umbringen will man Gott sicher nicht, aber man lässt ihn hier und dort „lautlos aussterben“.

„Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?“ Jesus stellt die Frage laut in den Raum? Was wird Gott tun? Wie wird er reagieren? Wird er kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben? Das wäre ja nur all zu verständlich. Gleichzeitig aber eine furchtbare Drohung für uns Menschen.

Die Antwort die von Jesus gegeben wird, führt ein anderes Bild ein: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen“ (Psalm 118,22.23). Mit diesem Bild bricht plötzlich und völlig unerwartet eine Lösung, Erlösung und Rettung in die bedrohliche Stimmung des Weinberggleichnisses. Gott macht Jesus, den Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein, also zum zentralsten Stein seines Bauwerkes. Und das heisst: Der Mensch ist mächtig im Zerstören, Gott aber ist mächtiger darin, Leben zu geben. Der Mensch verwirft den Stein, Jesus. Gott aber macht ihn zu Christus, dem Eckstein. Ohne Jesus, ohne diesen Eckstein, fällt ein Bau in sich zusammen. Der Eckstein hält die Steine jedoch in einem wunderbaren Bauwerk zusammen, die grossen und kleinen Steine, die geschliffenen und die rohen.

Jesus lässt das Gleichnis befreiend und rettend ausgehen. Gott, ist und bleibt der Liebende. Er erlebt Enttäuschung, Wut und Zorn. Aber er bleibt der Liebende, der die Seinen nicht aufgeben kann und will. Daher macht er aus dem Kreuz, dem schlechthinnigen Symbol für die zerstörerische Macht des Menschen, ein letztgültiges Symbol des Lebens. Dort wo Menschen das Ende herbeigeführt haben, setzt Gott einen neuen Anfang, schenkt Gott neues Leben und streckt uns Menschen seine Hand entgegen. Gott selbst ist es, der durch Jesus die Trennung von Gott überwunden hat. Als Weingärtner und Pächter von Gottes Weinberg haben wir Menschen versagt. Jedoch sind wir eingeladen uns selbst als lebendige Steine in Gottes Bauwerk einbauen zu lassen, dessen Eckstein Christus ist. „Das ist vom Herrn geschehen und ein Wunder vor unsern Augen“.

Amen

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen in Jesus Christus unserm Herrn

 

 

 



Pfarrerin Marion Werner
Zürich
E-Mail: pfarrerin@luther-zuerich.ch

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