Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Lätare, 15.03.2015

Der Punkt, ab dem uns Gottes Leidenschaft aufhilft
Predigt zu Johannes 12:20-26, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

darf ich mit einer ungewöhnlichen Frage beginnen? Die Frage lautet: Wo begann Gottes Leidenschaft? Wo und wann entflammte Gottes Leidenschaft für uns? Diese Frage stelle ich durchaus individuell, aber auch als Mitglied der ganzen  Menschheitsfamilie. Wo also, wann und wie brach Gottes Leidenschaft zu uns durch? Hat Gott für uns Partei ergriffen, als uns unser Leben richtig gut gelang? Nein, daran können wir uns nicht gut erinnern. Ist Gott Feuer und Flamme für uns geworden, als wir allen andern überlegen waren? Nein, es wäre eventuell peinlich geworden.

Gott hat seine Leidenschaft für uns, seine Geschöpfe, zu einem anderen Zeitpunkt entzündet. Nicht an einem unserer Triumphtage, sondern an einem Datum, an dem für ihn „die Zeit erfüllet war“. Nicht wir setzten den Zeitpunkt, sondern Gott selbst. Nicht während eines Hocherfolges, sondern mitten im Untergang. „Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen!“ so zitiert der Prophet Jesaja den Gott Israels; und davor sagte er: „Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen …will!“ (Jesaja 54, Schriftlesung)

 

Liebe Gemeinde,

mit den „Wassern Noahs“ ist die Sintflut gemeint. Im kritischen Punkt dieser Sintflut hat Gott seine positiven Willen wieder nach vorne gestellt. Das war der Punkt, ab dem Gott seine Leidenschaft fürs Leben neu sprudeln ließ. So schon in der Urzeit, als das Tohuwabohu alles lahmlegte, da errichtete Gott seine Liebe als Lebensordnung. Als die Assyrer ihr Kalifat in Israel erzwangen, als die Babylonier sie in Internierungslager steckten; inmitten dieser verheerenden Katastrophen kehrte Gott um zu seiner Retterkraft und Leidenschaft.

Diese historischen Vorgänge haben Entsprechungen in unserem Lebenslauf. Wir befürchten in den Fieberkurven unseres Lebens ja die „kata-strophä“, die Knickstellen zum Absturz. Doch im Tiefpunkt vollzieht Gott eine positive Knickstelle. Anstelle seines Zorns wirft er die Kräfte seiner Retterliebe an. Dieses Ereignis brauchen wir, wenn wir in tiefster Not sind. Unser Leben wird wieder erträglich, quicklebendig und seelenstark, weil Gott uns nicht weiter abstuft, sondern uns wunderbar ins Leben zieht.

Für jeden von uns wird es zum Schlüsselerlebnis, dies bei Jesus, Gottes Sohn und Gesandtem, minutiös zu verfolgen. Denn als Jesus provozierte, als er Gott ganz anders erklärte und in den Alltag einflocht, gingen sie ihm an die Kehle. Sie peitschten ihn aus, krönten ihn mit Dornen und hängten ihn ans Kreuz. So geschändet sollte er auch als Verbrecher entsorgt werden. Doch Gott drehte den Trend zur Verwesung um und auferweckte ihn zu neuem Leben im Himmel und auf Erden.

Bei Jesus können wir sogar auf den Tag genau sagen, wann Gott seine Leidenschaft wieder ins Positive kehrte: Es war zwischen Karfreitag und Ostersonntag, es war am Ausgang der Osternacht. Als alles zerbrach, brach Gottes Leidenschaft neu auf. So wie bei Jesus, so auch bei jedem, der sich an ihm dranhängt, zuordnet, nachfolgt. Die Auferstehung Jesu löste Verwirrung aus, bis er selbst einschritt und aus der Katastrophe der Ängste den Urknall des Glaubens machte. Dazu half ein bildstarker Vergleich, wenn er von sich selber sagte:  Falls ein Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Seine Zuhörer kannten diese Lebensweisheit, denn Jesus hatte sie bei einem großen Pilgerfest auf sich bezogen. Pilger aus allen Sprachen, Ländern und Kulturen hörten zu, wobei jeder für sich auch nach einer Dauerlösung seiner Lebenskrisen suchte.

Auffällig war dabei eine Pilgergruppe aus Hellas, dem heutigen Griechenland. Sie hatten diverse Philosophenschulen absolviert. Sie hatten sich abgewandt von den vielen Göttern, die an jeder Straßenecke vor ihren Altären eine spirituelle Verbeugung verlangten. Sie waren entschlossen zum Moseglauben konvertiert, inklusive Lebensführung und Beschneidung und Pflicht-Wallfahrt. Und nun spürten sie im und um den Tempel herum den Aufruhr, den Jesus entfachte mit seiner radikalen Leidenschaft für nur einen Vatergott, nur eine messianische Weltordnung, nur eine klare Lebensbündelung, nur ein einziges Doppelgebot.

 

Davon berichtet der Evangelist Johannes so: Einige Griechen waren nach Jerusalem gekommen, um Gott anzubeten auf dem Passahfest. Die baten Philippus, den Jesusjünger mit griechischer Herkunft: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter. Jesus aber antwortete ihnen: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wem sein eigenes Leben über alles geht, der verliert es. Wer aber in dieser Welt sein Leben loslässt, der wird es für das ewige Leben gewinnen. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. (Johannes 12, 20-26)

 

Liebe Gemeinde,

die neuen Juden aus Hellas wollen Jesus sehen; Jesus stellt sich ihnen aber nicht dar, sondern stellt etwas klar, und zwar für seine Jünger. Die Neujuden wollen Anschauungsunterricht; Jesus spricht dagegen von Unsichtbarem. Sie möchten infiziert werden von Jesu Radikalität; er aber weicht in eine jenseitige Verherrlichung aus. So hat es den Anschein, aber es ist anders. Das verstehen wir gefühlsmäßig besser, wenn wir uns selbst befragen, welche Ideale wir in Jesus verstärkt verherrlichen, also bewundern würden.

Ein verborgener Wunsch wäre, dass er nicht so parteiisch für die Armen auftritt. Und dass er uns unsere diakonischen Gaben großzügiger anrechnet. Ein ungehöriger Vorschlag wäre, dass Jesus mehr die Eventkultur bedienen sollte. Er könnte uns helfen, unsere Kirche zu füllen durch einen sonntäglichen Bungee-Sprung vom Glockenturm. Ein weiterer Marketing-Tipp wären moderne Therapieangebote. Mehr Atemschulung, innere Wüstenwege und Aromamassagen gegen unseren Streß. Das kommt uns auch zu kurz in den Berichten der Evangelisten.

 

Liebe Gemeinde,

hat die Imagekrise unserer Kirche auch ihre Wurzeln in einer Undeutlichkeit unserer Jesus-Bilder? Es ginge uns gemütlicher, wenn Jesus nicht so radikal wäre. Das griechische Wort dafür wäre die „Apathie“. Während wir also unterwegs sind zu den apathischen Gottesbildern der Griechen, hatten sich die Neujuden aus Hellas aufgemacht, Jesus zu sehen, um tiefer von ihm geprägt zu werden. Unser Ruhebedürfnis mag ja gesundheitlich gut sein, aber Gott schreckt davor zurück, Jesus in die Todesverschlafenheit zu entlassen. Es bewirkt einen

heilsamen Schreck, wenn wir hören: Es ist bereits die Zeit angebrochen, in der Gott seine wahre Leidenschaft in mir, dem Christus Jesus, aufdeckt. Ihr wisst doch: Das Weizenkorn muss sich in den Tod fallen lassen, dann erweckt Gottes Sonnenflut und Erdwärme hundertfache Frucht.

Jesus selbst verzichtete bei seiner Kreuzigung auf die Engel, die ihn an der Schmach vorbei direkt auf einen himmlischen Thron hätten heben können. Er ließ sich fallen. Mit ihm lernen wir, uns ebenso fallen zu lassen, uns nicht nur „autonom“ selbst zu verwirklichen. Anstelle dessen weckt Gott bei uns Knospen neuen Lebens mit charismatischen Begabungen. So verstehe ich die „Früchte“. Gott weckt in uns eine Entschlossenheit, so dass wir die Ablenkungsmanöver regelrecht zu hassen lernen, die uns einen stressfreien Direktzutritt zur Götterwelt versprechen. Gott weckt in uns eine ungeahnte Heiterkeit, mit der wir bereits begonnen haben, in einer eher bescheidenen, aber unbeirrbaren Weise die Nachfolge Jesu Christi auszuprobieren. Demzufolge gehen wir auch gelassener mit unseren Erfolgsstories um. Vielmehr konzentrieren wir uns nur noch auf die Knickpunkte, an denen Gott seine Menschen rettet und begabt und in die Pflicht nimmt, seine Absichten auszubreiten. Denn wer Jesus dienen will, der folge ihm nach; und wo Er ist, da passt jeder seiner Diener auch hin. So sagt Jesus Christus jedem von uns und seiner Kirche zu, schon da zu sein und da zu wirken, wo wir durch die Nachfolge noch hinkommen werden. Wir werden dies nicht als weiteren eigenen Karriereschritt inszenieren. Wir werden uns zielstrebig und fruchtbringend einbringen. Dazu sieht Jesus schon im Voraus, dass dann Ehre und Verherrlichung geschehen werden, aber in anderer Ausrichtung und Bündelung. Denn der Vatergott ehrt jeden, der seinem Sohn Jesus Christus dient. Nicht wir schöpfen dann unsere Ehre als Mehrwert ab, sondern Gott verehrt und vermehrt unsere Leidenschaft im Dienst für seine gute Sache. Amen.



Pfarrer Manfred Mielke
Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

(zurück zum Seitenanfang)