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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmsonntag, 29.03.2015

Gespenstischer Jubel
Predigt zu Johannes 12:12-19, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde! Auf den ersten Blick ist das eine so strahlende Szene, wie es nur wenige gibt im Evangelium. Jesus zieht in Jerusalem ein. Bisher war er in Galiläa umhergewandert, also in der tiefsten Provinz, von einem unbedeutenden Dorf zum nächsten. Jetzt aber kommt er in die Hauptstadt. Man spürt: er sucht die Entscheidung, die nur hier fallen kann. Die Gelegenheit dafür ist günstig. Das große Passahfest steht bevor. Dazu sind Menschen aus dem ganzen Land zusammengekommen, um es zu feiern. Das verspricht Jesus nicht nur ein wirklich großes Publikum, sondern auch bisher ungeahnte Wirkungsmöglichkeiten. Diese Menschen sind ja um eines religiösen Festes willen gekommen. Da kann Jesus mit erhöhtem Interesse für seine Sache rechnen. Und der tatsächliche Empfang übersteigt alle Erwartungen. Da ist nicht nur die Schar, die mit Jesus in die Stadt einzieht, sondern ihnen begegnet eine andere, viel größere Menschenmenge. Die hat nicht abgewartet, bis Jesus in der Stadt ist, sondern sie holt ihn feierlich ein und streut Palmenzweige auf seinen Weg. Dabei jubelt sie ihm zu, wie bisher noch nie jemand ihm zugejubelt hatte. Alles deutet auf einen großartigen Höhepunkt hin. Wer die Fortsetzung noch nicht kennt, ist höchst gespannt darauf, wie es weitergehen wird.

Wir müssen heute wohl eine Weile suchen, bis wir eine ähnliche Begeisterung für die Sache Jesu in unserer Welt finden. Am ehesten kann man vielleicht an junge Menschen denken, denen zum ersten Mal aufgeht, was es mit Jesus wirklich auf sich hat. So war es wohl bei manchem von uns Älteren, als die Schrecken des Krieges vorüber waren und als uns Christen mitten in dem Elend einen glaubwürdigen Weg aufzeigten, der nicht von der verlogenen Nazi-Propaganda infiziert war. Das hat uns genauso gepackt wie damals die Leute vor Jerusalem. Als nüchterne Norddeutsche sind wir zwar nicht jubelnd auf die Straße gezogen, aber unsere Begeisterung war nicht minder echt. Umso beklemmender ist freilich die Frage, was denn in den seither verflossenen Jahren daraus geworden ist.

Die Menschen damals in Jerusalem, die Jesus entgegenzogen, waren größtenteils Erwachsene. Da kann man also nicht von einem jugendlichen Strohfeuer der Begeisterung sprechen. Aber Strohfeuer sind eben nicht auf Jugendliche beschränkt. Jedenfalls wissen wir aus der Fortsetzung der Geschichte Jesu, wie erschreckend schnell es gegangen ist, bis genau die Menschen, die eben noch aus voller Kehle „Hosianna dem Sohn Davids“ gerufen hatten, ebenso laut und dazu auch noch hasserfüllt schrien: „Kreuzige ihn!“ Davon ist in unserer Geschichte zwar noch nicht die Rede, aber wir hören davon in den Passionsmusiken, die in diesen Tagen überall hier in Göttingen aufgeführt werden. Heute in diesem Gottesdienst haben wir versucht, dieser Spannung dadurch Ausdruck zu geben, dass wir zuerst das Adventslied „Wie soll ich dich empfangen“ gesungen haben, dann aber ein Lied folgen ließen, das vom Leiden Jesu am Kreuz spricht. Das eine ist uneingeschränkter Ausdruck der Freude über das Kommen Jesu, das andere eine Erinnerung an sein bitteres Leiden und Sterben.

Man hat sich zu allen Zeiten gefragt, wie denn so ein Stimmungsumschwung möglich ist. Aber so unerklärlich ist der gar nicht. Wir sollten auch nicht so tun, als ob es so etwas unter uns gar nicht gäbe. Wie mancher Mensch, der damals nach dem Krieg begeistert in einem christlichen Jugendkreis mitgemacht hat, ist dann später zum Atheisten geworden oder zumindest im Glauben stark abgekühlt. Die Gründe dafür sind ganz verschieden. Beim einen war es der verführerische Einfluss eines bewunderten Menschen mit großer persönlicher Autorität, beim anderen war es die Erprobung durch eine harte Lebenserfahrung, für die der Glaube zu schwach war.

Wie war das bei den Leuten damals in Jerusalem? Wenn wir genau hinhören, dann merken wir in der Geschichte selbst, wie sich da etwas zusammenbraut. Die Leute, die mit Jesus ziehen, so steht es im Johannesevangelium, sind bewegt von der Auferweckung des Lazarus, die kurz zuvor erzählt worden ist, und sie berichten ganz angetan davon. Auch die vielen Menschen, die Jesus entgegenkommen, haben davon gehört. Diese Geschichte von Lazarus ist nur bei Johannes überliefert. Er will mit ihr auf das Geschick Jesu selbst hinweisen: Jesus wird am Kreuz sterben und dann zu Gott eingehen. Auf so einen Gedanken kommt aber die Volksmasse überhaupt nicht. Für sie ist das Wunder ein Zeichen dafür, dass Jesus der erwartete Messias ist, der König, wie sie sagen. Sie erwarten also, dass Jesus in Kürze die verhassten Römer aus dem Land vertreiben und Israel zu der alten Herrlichkeit verhelfen wird, die es vor Jahrhunderten unter David einmal hatte. Wie das zugehen soll, darüber machen sie sich keine Gedanken, so wenig wie viele Menschen gegen Ende des II. Weltkrieges sich Gedanken darüber machten, wie denn die vermeintlichen Wunderwaffen das Kriegsglück im letzten Moment noch wenden sollten. Die Leute haben sich Illusionen gemacht. Religiöse Illusionen, aber das macht sie nicht besser. Sobald sie daraus aufwachten, folgte die grenzenlose Enttäuschung.

Die Leute aus dem Volk waren nicht die einzigen, die von Jesus nichts verstanden hatten. Es heißt hier, selbst die Jünger Jesu hätten nicht begriffen, was da vor sich ging. Sie hatten nämlich nicht erfasst, was es bedeutete, dass Jesus auf einem friedlichen Esel und nicht auf einem kriegerischen Schlachtross in die Stadt ritt. Auch sie waren maßlos enttäuscht, als er nicht über seine Gegner triumphierte, sondern sich widerstandslos kreuzigen ließ. Da schienen ihnen all die Entbehrungen, die sie um seiner Sache willen auf sich genommen hatten, umsonst zu sein. Erst nach dem schrecklichen Geschehen auf Golgatha ging ihnen durch die Erscheinungen Christi auf, dass er nun ganz bei Gott sei und dass sie selbst ausgesandt würden, seine Botschaft weiterzutragen. Erst da haben sie verstanden. Einstweilen aber wollen sie sich in dem Glanz sonnen, der Jesus von dem Volk bereitet wird. Schließlich haben sie auf so etwas schon lange gehofft.

Die Geschichte vom Einzug in Jerusalem hat also einen doppelten Boden. Auf der Oberfläche ist alles Jubel und Begeisterung. Unter der Oberfläche aber erkennt man, auf wie schwankendem Boden alle diese Menschen herumlaufen. Die Szene ist gespenstisch, voller Vorahnung auf die Katastrophe. Dazu gilt auch von dem, was die Pharisäer am Schluss sagen. Auf der Oberfläche sieht es so aus, als ob sie resignierten: „Da können wir gar nichts machen, es läuft ihm ja alle Welt nach.“ Aber auf der Ebene darunter ist schon zu ahnen, dass sie das nicht auf sich sitzen lassen werden. Sie haben Jesus dann bei den Römern angeschwärzt, damit die ihn kreuzigen sollten.

Es steht uns nicht zu, über die Menschen in dieser Geschichte die Nase zu rümpfen. Wie die Volksmenge damals, so denken auch wir nur zu oft, dass Gott dazu da ist, unsere Hoffnungen auf eine Zukunft ohne Probleme zu erfüllen. Vergleichbar mit den Jüngern möchten wir uns am liebsten in den Ehrungen sonnen, die Jesus empfangen hat. Bei uns sind das die großen Entwicklungen zu mehr Menschlichkeit, die das Christentum in der Geschichte geschaffen hat und für die es zu Recht auch von Gegnern Anerkennung bekommt. Wir möchten genau wie die Menschen damals einfach bestätigt werden in dem, was wir denken und tun. Würden wir uns nicht auch wohler fühlen, wenn Jesus ein richtiger Siegertyp wäre? Würde es uns nicht auch gut tun, wenn die Geschichte des Christentums eine einzige große Erfolgsstory wäre? Stattdessen gibt es Widerstände, heute mehr als zu den Zeiten, da man noch von einer ganz überwiegend christlichen Welt des Abendlandes sprechen konnte. Der christliche Glaube ist nicht dabei abzusterben, das ist Unsinn. Aber er kann sich nicht einfach sonnen. Er muss mit Unwettern fertig werden, bis in den privaten Bereich hinein. Christliches Leben ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Oder anders ausgedrückt: Ostern ist nicht zu haben ohne Karfreitag, ohne unrühmliche Niederlagen, ja ohne Leiden, auch wenn heute bei uns in Deutschland niemand um seines Glaubens willen körperlich gequält oder getötet wird.

Doch wenn wir das aus der Geschichte lernen, die wir heute betrachtet haben, dann kann unser Glaube die Prüfungen bestehen, die er zu durchlaufen hat. Dann ist unsere Geborgenheit bei Gott nicht mehr eine solche Illusion, wie die Menschen in unserer Geschichte sie sich gemacht haben, auch wenn viele Kritiker das heute vom Christentum insgesamt behaupten. Unser Glaube ist nicht die Ruhe, die man genießen kann, wenn man es allen recht macht, sondern er ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Und der ist heute so aktuell wie eh und je.

                                                                                                                              Amen.



Prof. a.D. Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzclange@online.de

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