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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 03.04.2015

Predigt zu Johannes 19:16-30, verfasst von Hellmut Mönnich

Tatsächlich war die Kreuzigung Jesu viel schrecklicher, liebe Gemeinde, als es die eben vorgelesene Kreuzigungserzählung erkennen lässt. Denn für die Hinzurichtenden – entlaufene oder aufständische Sklaven und besonders politische Unruhestifter, die als Verbrecher galten, –  war die Kreuzigung eine sich über Stunden hinziehende schreckliche Qual. Beendet war sie erst mit dem Erstickungstod. Abschreckend, unmissverständlich abschreckend sollten die Kreuzigungen im römischen Imperium ja wirken.

Für die Jünger Jesu und alle, die ihm bisher nachgefolgt waren, war seine Kreuzigung eine Katastrophe. Und eine ungeahnte Enttäuschung! Denn als Verbrecher war der gekreuzigt worden, dessen Botschaft sie gehört, dessen Taten sie gesehen und – ja! – mit dessen Wirken sie den Beginn der alles verändernden, nur noch vom Willen Gottes bestimmten  neuen Zeit  erwartet hatten – der Herrschaft Gottes. Zuerst: Schweigen des Entsetzens. Dann kamen die Fragen: Warum nur war ihr Rabbi gekreuzigt worden? „Warum nur, Gott?“ mögen sie gefragt haben. Und vielleicht auch: „Wie sollen wir damit fertig werden?“

Karfreitag – das ist heute für die Jesus-Nachfolger, für uns Christen, der Tag im Jahr, an dem wir an die Kreuzigung Jesu Christi denken. Manchen mag das fragen lassen: Was habe ich davon, wenn ich mich heute an die Kreuzigung damals erinnern soll? Wenn mich jetzt  jemand so oder so ähnlich fragen würde - wie es Konfirmanden und kritische Schüler schon getan haben -  würde ich antworten: Im Neuen Testament folgt auf die Kreuzigung noch etwas, das für die Anhänger Jesu damals  unvergesslich wichtig wurde! Und der Kreuzigung voraus ging auch etwas für das Verständnis Jesu und der Kreuzigung unverzichtbar wichtiges: sein ungewöhnliches Leben!

 Denn von einigen Anhängern wurde nach der Kreuzigung berichtet, sie hätten  „den Herrn gesehen“, lebend! Das hieß doch, dass Jesus gar nicht unter den Toten zu suchen,  sondern offenbar irgendwie lebendig war! Gott musste ihn aus dem Tod geholt haben! Und so führte diese - einigen  - zuteil gewordene Gewissheit, dass Jesus lebt, dazu, dass geflohene Jünger und Anhänger nach Jerusalem zurückkehrten und  sich dort wieder sammelten. In dem „Sehen Jesu“ ist die Aussage in unserem Glaubensbekenntnis begründet: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten.“ Kreuzigung und Auferstehung gehören zusammen – nicht nur im Erinnern am Karfreitag! Und sein Sterben ist nicht von seinem Leben zu trennen!

Zum Karfreitag gehört allerdings auch die Frage, auf  die die Anhänger Jesu schon damals eine Antwort suchten:  Wozu hatte Jesus, der dann von Gott Auferweckte, sterben müssen? Beim Suchen nach einer Antwort wurde den frühen Christen damals klar, dass eine Antwort nur gefunden werden konnte, wenn sie sich deutlich machten, dass die entscheidende Rolle bei der Kreuzigung Gott gespielt hatte! Aber wie sollten sie das alles richtig verstehen?

Wie einem heute nach dem Tod vielleicht der Mutter oder des Vaters, einer wichtigen Freundin oder eines für einen selbst wichtigen Freundes erst richtig deutlich wird, was für ein Mensch das war – so verstanden die Anhänger  Jesu  nach seinem Tod ihn erst richtig als „Messias“! Messias: das hieß „Gesandter“ Gottes, „Beauftragter“ und „Stellvertreter“ Gottes, des nicht Sichtbaren. Ihnen war jetzt endgültig klar, dass seine Verkündigung und sein Handeln im Auftrag Gottes geschehen waren. Das hieß, dass Jesus tatsächlich der Messias war, und sie verstanden sich nun als Messias-Anhänger. Und als Messias-Anhänger wurden sie später mit dem entsprechenden griechischen Wort benannt, denn in den Missionsgebieten, z.B. in Antiochien, dem heute türkischen Antakya, wurde damals ja Griechisch gesprochen!  Und dieses griechische Wort wandelte sich dann zu dem für uns gebrauchten lateinisch-deutschen Wort „Christen“.

Noch etwas sollte kurz angemerkt werden: Als die frühen Christen  nach dem richtigen Verstehen der Kreuzigung in der Heiligen Schrift suchten – genauer: in ihrer aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzten Heiligen Schrift, unserem Alten Testament, - fanden sie dort mehrere, unterschiedliche Bibelstellen, mit denen sie die Kreuzigung Jesu endlich verstehen konnten. So konnte sein Sterben am Kreuz z.B. als Opfer verstanden werden.

Jedenfalls: 60 oder 70 Jahre nach der Kreuzigung erzählt der Evangelist Johannes in seinem Evangelium die Kreuzigung Jesu, wie wir sie eben gehört haben. Dass er in seiner Erzählung nicht an einer historischen Darstellung nach heutigem Verständnis interessiert war, muss sicherlich nicht extra gesagt werden. Johannes verstand und zeichnete Jesus Christus in der Kreuzigungs-Erzählung  - wie überhaupt in seiner ganzen Evangeliums-Erzählung – vielmehr entsprechend seinem Verstehen und seiner Theologie und zwar durchaus im Unterschied zu den anderen, früher schreibenden Evangelisten. Wie nun verstand Johannes die Kreuzigung? Das ist jetzt zum eben vorgelesenen Predigttext zu fragen und zu beantworten. Was wollte er seinen Gemeinden sagen? Und dann: Was heißt das für uns heute?

 Die Christen in den Gemeinden, für die er damals schrieb, waren selbstverständlich davon überzeugt, dass Jesus der von Gott geschickte Messias war – und zwar im Unterschied zur großen Mehrheit ihrer Landsleute. Letztere hielten am überlieferten Glauben unverändert fest und bedrängten die vom überlieferten Glauben abweichenden Messias-Anhänger – wie man das ja schon von Paulus vor seiner Bekehrung weiß. Das also ist die Situation, in der Johannes sein Evangelium schrieb. Und in dieser Situation wollte Johannes - mithilfe seiner Evangeliums-Erzählung - seine Gemeindeglieder in ihrem Glauben stark machen und sie zugleich trösten. Um jetzt auf die Frage antworten zu können, wie Johannes die Kreuzigung versteht, dürfen wir allerdings nicht nur die Kreuzigungserzählung in den Blick nehmen, sondern müssen die ganze Evangeliums-Erzählung dazu nehmen.

In der Kreuzigungs-Erzählung lesen wir: „Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er -  damit die Schrift erfüllt würde -  <mich dürstet>.“ Und dann erzählt Johannes weiter, dass Jesus etwas zu trinken bekommen und nach dem Trinken gesagt habe: „Es ist vollbracht!“ Darauf habe er sein Haupt geneigt und sei gestorben.

 Was hat der Sterbende mit dem ersten Wort „Es“ in diesem kurzen Satz „Es ist vollbracht“ gemeint? Es ist vollbracht, alles ist vollendet, jetzt, da er in den Augen der Welt gescheitert ist! Was ist mit „es“ gemeint? Um darauf antworten zu können, müssen wir unseren Blick zunächst in die Evangeliums-Erzählung vor der Kreuzigung richten.

Viele Seiten vor der Darstellung der Kreuzigung erzählt Johannes das Gespräch Jesu mit einer Frau am Jakobsbrunnen. Dort sei die Frau nach dem Gespräch in den Ort gelaufen, habe von dem Gespräch mit Jesus berichtet und am Ende gefragt: „ … ist er vielleicht der Messias?“ (4:29). Im Anschluss an die Brunnenszene dann hätten seine Jünger Jesus aufgefordert: „Rabbi, iss!“ Jesus habe darauf geantwortet: „Meine Speise besteht darin, so zu handeln, wie es dem Willen dessen entspricht, der mich gesandt hat, und dass ich sein Werk zu Ende führe“. (4: 35 )

Später -  jetzt schon in Jerusalem - habe Jesus gesagt: „Die Werke, die mein Vater mir übertragen hat, damit ich sie zu Ende führe, diese Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis dafür ab, dass mich der Vater gesandt hat“. (5:36) Und als es dann auf das Ende zugeht, gibt der Evangelist das Abschiedsgebet Jesu wieder, in dem Jesus gebetet habe: „Vater, die Stunde ist da. Ich habe … das Werk vollbracht, das du mir aufgetragen hast.“ (17:1ff) 

Immer wieder erzählt Johannes, dass Jesus von dem ihm von Gott aufgetragenen „Werk“ bzw. den „Werken“ spricht. Damit ist die Aufgabe gemeint, die ihm von Gott aufgetragen war  und die mit der Kreuzigung erfüllt ist.

 Schon gleich am Anfang der Evangeliums-Erzählung wird deutlich gemacht, wer Jesus aus Nazareth ist und zwar in den Erzählungen über Johannes den Täufer. Dort wird erzählt, dass Abgesandte aus Jerusalem den Täufer gefragt hätten: „Wer bist du?“,  worauf der Täufer verneint habe, der Messias zu sein, den Abgesandten aber gesagt habe: „ … schon steht der in eurer Mitte, den ihr nicht kennt“. Und als am folgenden Tag der Täufer Jesus habe kommen sehen, habe er gesagt. „Da! Das Gotteslamm, das die Sünde der Welt aufhebt“. (1:19ff.29) Schließlich habe Andreas, der Bruder des Simon Petrus, zu seinem Bruder gesagt. „Wir haben den Messias gefunden“. (1:41)  

 Mit diesen Erzählungen kennzeichnet der Evangelist Jesus als Messias -  als Christus - , und nennt als dessen Aufgabe, als „Werk“, <die Sünde der Welt aufzuheben>, d.h. den fehlenden Glauben, die Gottesferne der Menschen, ja, der Welt zu beseitigen. Das ist die eine Aufgabe Jesu.

 Wenn wir in der Evangeliums-Erzählung etwas weiter blättern, charakterisiert der Evangelist dort  Gott: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Einziggeborenen hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben hat." (3:16) (Mit dem kleinen Wort „hingab“ ist gemeint, dass hinter dem ganzen Weg Jesu einschließlich der Kreuzigung Gott stand.) Genau genommen wird in diesem  Satz nicht nur Gott als liebend gekennzeichnet, sondern weiter gesagt, dass jeder, der an den Messias  glaubt, „ewiges Leben hat“. Damit ist eine zweite Aufgabe des  >Werkes>  Jesu Christi genannt, nämlich denen ewiges Leben zu ermöglichen, die auf ihn bauen,  die sich ihm anvertrauen, die also  an ihn glauben.

Es gibt noch ein drittes Thema im <Werk>  des Messias Jesus. Dessen Stichwort klang schon in der Kennzeichnung Gottes an und zwar in dem Satz: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Einziggeborenen hingab …“. Jetzt lesen wir, dass Jesus beim Abschiedsmahl -  mit dem ja  seine Leidensgeschichte beginnt -  zu seinen Jüngern sagt: „Ein neues Gebot gebe ich euch. Ihr sollt euch  untereinander lieben! Wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr euch gegenseitig lieben. Daran sollen alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr euch gegenseitig liebt.“ (13:34f)

 Schon am Anfang der Erzählung über diese letzte gemeinsame Mahlzeit können wir lesen: „ Jesus wusste, dass nun seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt hin zum Vater zurückzukehren; da wollte er den Seinen bis zuletzt seine Liebe erweisen.“ (13:1) Diese Liebe des Christus hat  der Evangelist genauer in der Erzählung von der Fußwaschung charakterisiert. D.h.: Diese Liebe ist dienende Liebe. Und noch etwas für ihn ganz Wichtiges will der Evangelist mit der Erzählung der Fußwaschung deutlich machen: Er erzählt: „ Jesus aber wusste, dass … er von Gott ausgegangen war und nun zu Gott zurückkehren werde“.

 Zusammengefasst heißt das: Im Verständnis des Evangelisten ist im Messias  Gott erschienen „in der Niedrigkeit dienender und sich hingebender Liebe“, -  wie ein Ausleger formuliert hat. Die Liebe des Messias Jesus und damit der Liebe Gottes bedeutet nun für die Anhänger: dass an der gegenseitigen Liebe die Jünger und wohl überhaupt alle Anhänger Jesu erkannt werden sollen.

Dieses Verständnis des Johannes: dass die Liebe Jesu Christi  Gottes „dienende Liebe“ ist, und dass die Anhänger Jesu Christi an der einander erwiesenen Liebe zu erkennen sind,  ist allein schon ein Thema, über das ausführlicher nachzudenken ist. Und dieses Thema ist grundlegend für uns Christen in unserer gegenwärtigen, in allen Bereichen ökonomisierten Welt voller Probleme! Sind wir Christen heute wirklich an der gegenseitigen Liebe zu erkennen? Oder muss man lakonisch feststellen: Wir Menschen sind einfach so, wie wir sind, mit unserem oft genug aggressivem und asozialem Egoismus. Wer hier im Gottesdienst könnte dazu nicht etwas sagen? Mir geht diese Aufforderung Jesu nicht aus dem Sinn.

Jetzt lässt sich das Verständnis der Kreuzigung des Evangelisten Johannes und der ganzen Evangeliums-Erzählung etwa so zusammenfassen:  Der Messias Jesus hat <die Sünde der Welt aufgehoben> -  mit anderen Worten: Es gibt nichts mehr, was uns von Gott trennt! -  Und:  Jesus Christus hat denen, die auf ihn bauen, <ewiges Leben> ermöglicht, was so zu verstehen ist, dass wir sterbend nicht im Tod versinken, sondern in die Wirklichkeit Gottes getragen werden! Und diese beiden Aufgaben gehören in den Augen des Evangelisten zu dem in der Kreuzigung  vollbrachten <Werk>, das Johannes mit <Liebe>, der Liebe Gottes und der Liebe seines Messias, definiert.-

Ich kann mir vorstellen, liebe Gemeinde, dass bei dem immer wieder genannten Wort Liebe mancher schließlich  die Stirn gerunzelt und vielleicht gedacht hat: Liebe -  das sagt sich so leicht! Das hört man in der Kirche ja auch immer wieder! Und: Das Wort hat ja so viele Bedeutungen!

Anmerken möchte ich hier: Wenn von Gottes Liebe gesprochen wird, darf aber auch Gottes dunkle Seite nicht verschwiegen werden, von der  schon das Alte Testament spricht, – auch wenn dazu im Johannes-Evangelium nichts gesagt wird. Wo war Gottes den Menschen zugewandte Liebe im furchtbaren Beispiel Auschwitz-Birkenau? In entsetzlichen Kriegen? Schon vor Jahrhunderten bei Hexenverbrennungen? Ich weiß: Um die dunkle Seite Gottes geht es im Predigttext heute nicht, sondern um seine erwiesene Liebe. Aber es muss ohne „schön-zu reden“ ausgesprochen werden: Zu Gott gehört auch seine unverständliche, dunkle Seite! Zur Liebe, die im Johannesevangelium und in den anderen Evangelien gemeint ist, müssen wir gleich noch weiter nachdenken.-

Johannes nennt also in seiner Kreuzigungserzählung das  „Werk“, die „Aufgaben“ Jesu Christi und erklärt vorher in seiner Evangeliums-Erzählung, was damit gemeint ist.  Und er tröstet seine Gemeinden im Evangelium vor der Kreuzigungserzählung, indem er – auf die Kreuzigungs-Erzählung vorausblickend  - ein Gespräch Jesu mit seinen Jüngern erzählt. Darin sagt  der Messias Jesus zu seinen Jüngern:  „Die Stunde wird kommen - und sie ist schon da -, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder an seinen Ort, und ihr mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, der Vater ist bei mir. - Das habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; doch seid getrost, ich habe den Sieg über die Welt errungen“. (16:32f)

Mit diesen Worten Jesu und der eben gedeuteten Kreuzigungserzählung malt Johannes seinen Gemeinden einen Jesus Christus, der am Kreuz  nicht als ein Gescheiteter stirbt, sondern als ein - nach gehorsam ausgeführten Aufgaben - sein Leben souverän und in Frieden Vollendender. Was für ein Bild ist das, liebe Gemeinde!

Der Jesus Christus des Johannes hatte zu seinen Jüngern gesagt: „ …   wie mir mein Vater aufgetragen hat, so tue ich …“. (14:31)  Jetzt kann der am Kreuz Sterbende feststellen: „Es ist vollbracht.“ -

Wir haben, liebe Gemeinde, die Kreuzigungserzählung des Johannes und  dafür  wichtige Stellen im vorausgehenden Evangelium zu verstehen versucht.  Was können wir mit nach Hause nehmen? Ich mache mir noch einmal klar und bleibe als erstes an der Aufgabe Jesu hängen, „die Sünde der Welt aufzuheben“. Das heißt doch: Jesus Christus hat die  Distanz zwischen uns und Gott beseitigt. Wir können deshalb wissen: Gott ist uns nah, ganz nah! Nicht irgendwo fern über den Wolken. Und:  Gott ist ein uns liebender, ein barmherziger und vergebender Gott! Das ist doch für jeden Christen unendlich erleichternd, der sein eigenes Versagen, seine eigene Schuld kennt und bedrückt ist! Und was schließlich die Angst vor dem Sterben und dem Tod angeht: Jesus Christus hat allen, die ihm glaubend vertrauen,  zugesagt, dass sie sterbend nicht in den Tod fallen, sondern in die Wirklichkeit Gottes hinübergehen. Wir müssen keine Angst vor unserem Sterben und unserem Tod haben!-

Schließlich wird in der Kreuzigungs-Erzählung an einem Beispiel nüchtern gezeigt, was Liebe ist: Da übergibt Jesus  sterbend seine beim Kreuz stehende Mutter Maria seinem Jünger, damit sie - die offenbar schon Witwe ist -  versorgt ist. In dieser kleinen Szene wird deutlich, was Liebe auch ist: vernünftiges Handeln in einer Situation, in der ein Mensch auf die Hilfe eines anderen angewiesen ist. Offenbar war es kennzeichnend für Jesus, dass er von seinen Anhängern nicht einfach Liebe fordert, sondern sie kennzeichnet als in alltäglichen Situationen erforderliche Hilfe. Da kann einem der Überfallene auf dem Weg von Jerusalem hinab nach Jericho einfallen: Ein ebenfalls gefährdeter, ausländischer Kaufmann sieht - im  Unterschied zu anderen - den Überfallenen, hilft couragiert mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und bezahlt sogar noch die weitere Pflege des Zusammengeschlagenen und Ausgeraubten. Verlängert man diese Beispielgeschichte und phantasiert sie weiter, könnte sie so weitergehen: Der Bürgermeister des nahen Ortes oder ein Ratsmitglied in Jerusalem oder ein für die Provinz Judäa Verantwortlicher  hört von der so unsicheren Straße Jerusalem - Jericho und setzt sich nun für größere Sicherheit dort ein. Das kann heißen: Patrouillen einrichten, die Arbeitslosigkeit in der Provinz bekämpfen,  - damit niemand mehr zum Dieb oder Räuber wird,  -   die Bildungsmöglichkeiten der Heranwachsenden verbessern usw. usw. Gibt es heute nicht vergleichbare Situationen, die dringend zu verändern sind? Ich gehe davon aus: Jesus hätte entsprechendes Handeln auch als „Liebe“ und zwar im Sinn von Verantwortung verstanden. Der längst gestorbene Heinz Zahrnt   hat ungefähr so argumentiert und geschrieben: „Tätiger Glaube muss sich auch auf die gesellschaftlichen Strukturen erstrecken und mithelfen, dass diese so gerecht wie möglich gestaltet werden.“

Wie sehen entsprechende Aufgaben in unserer Gegenwart aus? Wie ist das beispielsweise mit der landesweit und weltweit immer größer werdenden Spanne zwischen arm und kaum fassbar reich;  oder wie ist das mit der alles durchdringenden Ökonomisierung des Lebens und ihren Auswirkungen? Da kann einem der  Umgang mit den zunehmend versorgungs- und pflegebedürftigen alt werdenden Menschen und den dafür benötigten Pflegekräften bei unzureichender Bezahlung einfallen; oder gegenwärtig die Flüchtlinge aus Syrien, aus dem Irak, die aufzunehmen im wohlhabenden Deutschland so mühsam ist - im Gegensatz etwa zu Jordanien oder der Türkei, wo nicht hundert Tausende, sondern Millionen aufgenommen worden sind! Das alles und mehr kann sich jeder deutlich machen. Und das geht nicht nur alle Deutschen, sondern nicht zuletzt uns Christen an! Wie wir Abhilfe schaffen können, das können wir jetzt nicht detailliert bedenken. Aber: Nachdenklich sein, kritisch sein und sich in Gang setzen: das kann man von uns Christen schon verlangen, wenn anders wir diesen Namen verdienen!

 Vor einiger Zeit hat jemand kurz formuliert: „Wer will/ dass die Welt/ so bleibt/ wie sie ist/der will nicht/dass sie bleibt.“(Erich Fried)

Liebe Gemeinde, Sie haben sicher längst gemerkt: Die Erzählung vom Sterben des Gekreuzigten ist bei genauem Hinsehen eine Erzählung fürs Leben der Christen! Und heute gilt sie uns!

Fertig bin ich mit der Kreuzigungs-Erzählung noch nicht! Sie?

Amen

 

 



Pfarrer i.R. Hellmut Mönnich
Göttingen
E-Mail: moennich.goettingen@t-online.de

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