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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 02.04.2015

Die Fußwaschung
Predigt zu Johannes 13:1-15.34.35, verfasst von Thomas Bautz

Liebe Gemeinde!

In diese bedenkenswerte Geschichte von der Fußwaschung wird viel hineingeheimnisst: Man sieht sie als Akt der Selbstdemütigung oder -erniedrigung, als Sakrament neben Abendmahl und Taufe, als Hinweis auf den Kreuzestod Jesu und als Anteilgeben an Auferstehung und ewigem Leben.

Diese dogmatisch motivierten Deutungen allegorisieren, versinnbildlichen den Wortlaut der einfachen, schlichten Erzählung, indem sie einer im damaligen Kulturkreis gewöhnlichen Handlung symbolische Bedeutungen beimessen. Andererseits wird von den Auslegern der konkrete Sinn der alltäglichen Reinigung der Füße nicht geleugnet.

Das Waschen der Füße geschah aus hygienischen oder kultischen Gründen oder im Rahmen der Gastfreundschaft oder Ergebenheit. Lediglich in den beiden letzten Fällen wird sie (meist) durch ein Gegenüber ausgeführt; ansonsten wird sie selbst vollzogen.

Fußwaschung war im Alten Orient und antiken Mittelmeerraum derart verbreitet, dass sie Bestandteil der Vorbereitungen wurde, bevor man sich einer Aufgabe oder Arbeit zuwandte. Deshalb bildete sich die Redewendung „mit ungewaschenen Füßen“ zur Beschreibung einer schlechten Vorbereitung (vgl. Thomas: Footwashing in John 13, 1991, 42.55f).

Meist war die Fußwaschung mit einer sozialen Rangordnung verbunden: Frauen wuschen ihren Männern die Füße, Kinder ihrem Vater, Sklaven ihren Herren, aber auch Gastgeber ihren Besuchern. Die klimatischen Bedingungen und die Bodenbeschaffenheit begünstigten wohl die Entstehung dieser Praxis: Die große Hitze bedingte das Tragen von Sandalen, durch deren Zwischenräume der trockene Staub der Landschaft eindrang und die Füße verschmutzte.

Ansonsten schützte die Kleidung den Körper, so dass ein Bad pro Tag ausreichte. Vor einem Mahl war Fußwaschung die Regel und hat vielleicht auch damit zu tun, dass man zu Tische lag und nicht saß, so dass die verschmutzten Füße sich sozusagen auf Augenhöhe der anderen Mahlteilnehmer befunden hätten.

Die Ausführung der Fußwaschung obliegt einem Dienenden; sie ist ein „gutes Werk“, etwas Wohltuendes als Dienstleistung. In diesem Sinne vollzieht sie der Rabbi Jesus von Nazareth, wobei er in Verbindung mit dem (Passah)Mahl durch die Fußwaschung seine Gemeinschaft mit den Jüngern hervorhebt.

Petrus überzieht die Bedeutung sozialer Rangordnung, wenn er es seinem Meister verwehrt, dass dieser ihm die Füße wäscht. Es ist zwar Brauch, dass der Schüler dem Lehrer die Füße wäscht und nicht umgekehrt; was spricht aber dagegen, wenn der Rabbi Jesus die Rangfolge umdreht?! Der Nazarener lebt seinen Jüngern die Gemeinschaft vor, die sie nach seinem Tod auch untereinander pflegen sollen. Die Fußwaschung ist für ihn Bestandteil eines größeren Ganzen (pars pro toto), nämlich für die Erfüllung des neuen Gebotes, dass sie einander lieben sollen, wie Jesus sie geliebt hat.

An dieser Gemeinschaft, die vom gegenseitigen Dienen und von der Liebe getragen wird, sollen die Jünger Anteil haben. Petrus versteht nicht, dass er sich durch seine abwehrende Haltung selbst dieses Anteils beraubt. Dabei hat er ein edles Motiv: Er möchte nicht, dass sich sein Meister erniedrigt oder selbst demütigt, indem er Petrus, seinem ergebenen Diener, die Füße wäscht. Er verkennt aber, dass Jesus eben dieses hierarchische Verhältnis aufheben und den Blick der Jünger auf Wesentlicheres lenken möchte.

Auf des Petrus Bitte, nicht nur seine Füße, sondern auch Hände und Haupt zu waschen, sagt Jesus, wer schon gewaschen sei, bedürfe nur noch der Fußwaschung. Ich möchte es bei dem konkreten, der Erzählung inhärenten (innewohnenden) Sinn bewenden lassen. Die Bedeutung des Geschehens wird auf schlichte Art im JohEv erzählt. Jesus fragt die Jünger abschließend, ob sie ihn und seine Handlungsweise verstanden haben und erklärt:

„Ihr nennt mich ‚Meister‘ (Lehrer) und ‚Herr‘, womit ihr recht habt, denn ich bin es wirklich. Wenn nun ich, der Herr und der Meister, euch die Füße gewaschen habe, so seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen; denn ein Vorbild habe ich euch gegeben, damit ihr es ebenso praktiziert.“

„Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander lieben sollt. Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“

Hier ist kein Raum für allegorische und dogmatische Spekulationen. Liebe und Gemeinschaft sind nur wirklich und glaubhaft, wenn sie gelebt werden. Ein Beispiel, dem ich mit Respekt begegne, gab Papst Franziskus, als er Gründonnerstagabend 2013 in einem Jugendgefängnis zwei Frauen die Füße wusch und damit ein Tabu brach. Gründonnerstag 2014 vollzog er die Fußwaschung an behinderten Menschen in einem Therapiezentrum, darunter befand sich auch ein 75jähriger Muslim aus Libyen. Katholische Gemeinden sind mit der Fußwaschung als Ritus vertraut; „die gottesdienstliche Fußwaschung“ ist im Protestantismus hingegen „weder skandalträchtig noch salonfähig“ (Predigtstudien 2014/ 2015: B - Martin Vetter, 205).

Schauen wir das Miteinander in den Kirchen und in der Gesellschaft an, wo Menschen in der Ausbildung oder im Beruf im Grunde aufeinander angewiesen sind, dann kann man mitunter den Eindruck gewinnen, dass man sich hier eher „den Kopf wäscht“ als die Füße. Schlimmer als die sog. „Kopfwäsche“ und weitaus stärker verbreitet, ist ein „Sozialverhalten“, dass sich darin äußert, dass ein Mensch geschmäht oder ignoriert wird, dass man nicht mit ihm redet, sondern über ihn und hinter seinem Rücken; dass man diesen Menschen böswillig (anonym) verleumdet, seinen Ruf schädigt oder gar Rufmord verübt.

Gemeinschaft leidet auch unter mangelnder Konfliktfähigkeit Einzelner oder ganzer Gruppen. Wer Auseinandersetzung scheut, Konflikten aus dem Weg geht, untergräbt das Vertrauen, worauf die Gemeinschaft angewiesen ist. Das zeigt sich bereits im Familienleben. Es kann passieren, dass Angehörige einer Familie über Jahre nicht mehr miteinander reden, bestenfalls Floskeln oder Belangloses austauschen.

Warum ist es offenbar so schwer, dem neuen Gebot des Nazareners oder seinem Vorbild zu folgen? Es mag sich so verhalten, dass Liebe nicht dem Willen unterworfen ist. Menschen können nicht mit Willenskraft lieben. Doch bleibt die Möglichkeit, durch ein Vorbild zur Liebe angeregt oder sogar angesteckt zu werden. Liebe ist erfinderisch. Gibt es Merkmale, positive Verhaltensweisen, die man bei Menschen entdeckt, deren Einstellung nicht nur in Wohlstandspflege und persönlichem Erfolgsstreben aufgeht?

Martin Luther soll das Bonmot geprägt haben, die Bibel sei nicht zuerst Lese-, sondern eher Lebewort. Viele kennen das berühmte Kapitel (im ersten Brief an die Gemeinde zu Korinth: 1 Kor 13,4-8), das Paulus der Liebe gewidmet hat; dort heißt es (GN):

Die Liebe ist geduldig und gütig. Die Liebe eifert nicht für den eigenen Standpunkt, sie prahlt nicht und spielt sich nicht auf.

Die Liebe nimmt sich keine Freiheiten heraus, sie sucht nicht den eigenen Vorteil. Sie lässt sich nicht zum Zorn reizen und trägt das Böse nicht nach.

Sie ist nicht schadenfroh, wenn anderen Unrecht geschieht, sondern freut sich mit, wenn jemand das Rechte tut.

Die Liebe gibt nie jemand auf, in jeder Lage vertraut und hofft sie für andere; alles erträgt sie mit großer Geduld.

Niemals wird die Liebe vergehen.

Dieser anspruchsvolle Text wird gern (in Auszügen oder insgesamt) kirchlichen Trauungen zugrunde gelegt, doch hat der Briefschreiber Paulus das gemeinschaftliche Leben in einer Gemeinde vor Augen. Schließlich wären Eheleute auch überfordert, sollte allein an ihnen der paulinische Maßstab für die Liebe angelegt werden. Jeder Mensch, der sich diesen wertvollen, Orientierung verschaffenden Kriterien verschreibt und versucht, sie in seinem Leben nach und nach zu verwirklichen, ist Vorbild im Sinne dessen, was Jesus von Nazareth gemeint hat.

Diese „Magna Charta“ der Liebe beschreibt keinen Ist-Zustand, ebenso wenig wie die Magna Charta der Vereinten Nationen, und wir wissen, dass Menschenrechte und Völkerrecht selbst seitens demokratischer Staaten nicht vollständig gewährleistet sind oder praktiziert werden. Doch sind sie nicht obsolet, wir können nicht auf sie verzichten; wir brauchen diese Maßstäbe.

Es ist gefährlich und sinnlos, die Verhältnisse in der Welt zu verklären, zu verschleiern oder Frieden und Liebe romantisierend als Allheilmittel oder Problemlösung zu verkündigen. Wir brauchen vielmehr eine schonungslose Aufklärung über bestehende, zum Himmel schreiende Missstände und Gräueltaten. Menschen guten Willens müssen weiterhin unerschrocken gegen die turbokapitalistische, „kannibalische Weltordnung“ (Jean Ziegler: Ändere die Welt! 2015, 48-53) kämpfen.

Mit Vernunft, Respekt, Ehrfurcht vor der Vielfalt des Lebens in der Natur und den Menschen aller Kulturkreise wäre es möglich, nicht nur die gesamte Weltbevölkerung, sondern sogar doppelt so viel (ca. 12 Milliarden) zu ernähren. Stattdessen wird alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren ermordet, stirbt an Hunger oder einer durch Unterernährung verursachten Krankheit. Der Menschenrechtler und ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung (zuerst im Auftrag der Menschenrechtskommission, dann des Menschenrechtsrats, 2000-2008), Jean Ziegler (2008-2012 im Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der UN, seit September 2013 erneut Mitglied dieses Gremiums), nennt die Unterlassungssünde der Reichen gegen die Armen unmissverständlich Mord.

„Das durch Unterernährung und Hunger verursachte Massaker an Millionen Menschen ist heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends, ein skandalöser Ausdruck des Kampfs der Reichen gegen die Armen, eine Ungeheuerlichkeit, eine Absurdität, die durch nichts zu rechtfertigen und durch keine Politik zu legitimieren ist. Es ist ein unzählige Male wiederholtes Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Ziegler 2015, 51; vgl. Ziegler: Wir lassen sie verhungern, 2012).

Die Nutznießer des gnadenlosen, global herrschenden Kapitalismus denken nicht im Traum daran, den armen Ländern und den an Hunger Leidenden die Füße zu waschen; stattdessen graben sie ihnen noch das Wasser ab. Sie verwehren ihnen das Recht auf Leben und bedrohen das Fortbestehen künftiger Generationen. Ich bin davon überzeugt, dass viele, die auf Kosten anderer Menschen ihren Reichtum pflegen und vermehren, obendrein einer Kirche anhängen und seelenruhig für sich, ihre Familien und womöglich für den Frieden in der Welt beten.

In den Evangelien des NT fehlt es nicht an Mahnungen und Warnungen gegenüber Reichtum bzw. gegen die Liebe zum Geld und gegen egoistischen Eigennutz, insbesondere im LukEv. Die bekannte Erzählung vom reichen Mann und vom armen Lazarus bringt das drastisch zum Ausdruck (Lk 16,19ff):

„Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbare Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Ein Armer aber namens Lazarus lag vor seiner Tür; der war mit Geschwüren bedeckt und hatte nur den Wunsch, sich von den Abfällen vom Tisch des Reichen zu sättigen; ja, es kamen sogar Hunde herbei und leckten seine Geschwüre.“

Offensichtlich bekommt der Arme keinerlei Hilfe durch den Reichen. Erst im Jenseits, in der anderen Dimension, kehren sich die Verhältnisse um: der Reiche erleidet Qualen, Lazarus aber erfährt Trost „in Abrahams Schoß“, und zwischen ihnen besteht eine unüberwindliche Kluft. Der Reiche bittet Abraham, Lazarus möge wenigstens des Reichen Familie vorwarnen, auf dass es ihnen nicht genauso ergehe, denn: „wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, dann werden sie sich bekehren.“ Abraham aber antwortet ihm: „Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten hören, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“

Trefflicher lassen sich Uneinsichtigkeit und Unbeugsamkeit der Geldliebenden kaum noch umschreiben. Andererseits kann man diese Beispielerzählung Jesu auch arg missverstehen. Da die Not des Armen im diesseitigen Leben nicht gemindert wird, könnte ein Zyniker auf die Idee kommen, dass die Verhältnisse im irdischen Dasein nicht unbedingt geändert werden müssen. Vielmehr dürfe der Mangel Leidende auf ein besseres Leben im Jenseits hoffen. Sein eigenes künftiges Schicksal verdrängt offenbar der Mensch, den das Geld bereits Auge, Herz und Verstand verblendet hat. Manch einer leugnet gar ein Leben nach dem Tod.

Wie wir gehört haben, dient die Fußwaschung ganz praktisch dazu, den Staub der Straße wieder abzuwaschen. Wird diese Dienstleistung vom Gastgeber an seinem Gast vollzogen, geschieht damit etwas Selbstverständliches (man hat dafür auch Personal); es handelt sich aber auch oft um eine Geste der Ehrerbietung. Verbunden mit einem anschließenden Mahl wird in jedem Falle Gemeinschaft hergestellt oder bestätigt. In diesem Sinne wäscht auch Jesus von Nazareth seinen Jüngern die Füße.

In der Kunstgeschichte haben nicht nur die Fußwaschung als Ganze, sondern auch gewisse Details Ausdruck gefunden. Ich erwähne nur bestimmte Gesten des Petrus. Mir ist während der Beschäftigung mit dem Text bei der Betrachtung einiger Werke der bildenden Kunst dazu aufgefallen, dass Petrus sehr häufig mit erhobener rechter Hand, die entweder auf seinen Kopf weist oder auf diesem ruht, dargestellt wird. Wenn die Hand sein Gesicht verdeckt, drückt die Geste aus, dass er sich beschämt fühlt angesichts der Tatsache, dass er die Handlung seines Meisters nicht versteht und sie zurückweisen will.

Der zum Haupt weisende Gestus illustriert aber auch die Bitte Petri, Jesus möge ihm nicht nur die Füße, sondern auch Kopf und Hände waschen. Deshalb wird Petrus mitunter auch mit beiden nach vorn ausgestreckten Händen dargestellt. Je nach Haltung der vorgestreckten Hände weisen sie auch auf seine heftige Abwehr hin: Niemals sollst du mir die Füße waschen!

Wie wäre meine oder Ihre Reaktion? Ließen wir uns die staubigen Füße waschen? Es käme wohl darauf an, wer und unter welchen Umständen uns diesen Dienst erwiese. Ich erinnere mich nun, wie ich als Knabe meinem Großvater die Füße wusch und abtrocknete, als er dazu physisch nicht mehr in der Lage war. Hat das etwas mit der Fußwaschung gemein, mit der wir uns heute beschäftigt haben? In gewisser Weise schon. Mein Opa verkörperte nicht mehr den starken Menschen, der einen riesigen Garten allein hegte und pflegte, der Schutz, Sicherheit und bedingungslose Liebe gegenüber seinem Enkel ausstrahlte und gewährleistete. Ich liebte meinen Großvater; es war mir selbstverständlich, ihm zu helfen. Gleichzeitig vermittelte mir die kleine Geste des Füße Waschens das Gefühl, dafür zu sorgen, dass er sich wohlfühlt.

Unabhängig von der Beschäftigung mit der Fußwaschung fiel mir wieder ein Zitat von Pablo Picasso in die Hände, mit dem ich schließen möchte; es spricht m.E. für sich selbst:

„Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“

Amen.



Pfarrer Thomas Bautz
Bonn
E-Mail: bautzprivat@gmx.de

Bemerkung:
Bemerkung
http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/ s.v. Fußwaschung (NT), Christian Wetz (2010); dort auch bibliographische Hinweise.
John Christopher Thomas: Footwashing in John 13 and the Johannine Community (1991).
Hildegard Giess: Die Darstellung der Fußwaschung Christi in den Kunstwerken des 4.-12. Jh. (1962).
http://www.prometheus-bildarchiv.de/ s.v. Fußwaschung: 166 Einträge



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